Kampagnenjournalismus – das Gespinst von Verschwörungstheoretikern?
Am 30. April war ich mit einem Kurzreferat zu Gast bei einem Kongress von Medienwissenschaftlern und Medienjournalisten in Leipzig. Text des Vortrags siehe hier. Thema war: Was Medienjournalismus leisten sollte. Er müsste, so mein fünfter und wichtigster Punkt, über die Kampagnen aufklären, mit denen mittels Medien versucht wird, gefällige politische Entscheidungen herbeizuführen. Beim etablierten Teil der anwesenden Wissenschaftler und Journalisten löste der Hinweis und die Beschreibung mehrerer Kampagnen das übliche Kopfschütteln und den Vorwurf „Verschwörungstheoretiker“ aus. Das ist immer wieder erstaunlich, werden wir doch täglich mit clever geplanten Kampagnen und ihrer Umsetzung über die Medien konfrontiert. Albrecht Müller
Zum Zeitpunkt des Kongresses lief schon einige Wochen die maßgeblich von der Bildzeitung getragene und von anderen Medien wie z.B. „Hart aber fair“ unterstützte Kampagne gegen Griechenland und die Griechen. Diese Kampagne hatte sichtbar zur Folge, dass die Bundeskanzlerin samt Bundesregierung nicht rechtzeitig das Notwendige tat und sich im Image von „Madame Non“ sonnte. Und die Kampagne war teilweise so volksverhetzend, dass sie auch dem blindesten Medienwissenschaftler und Journalisten ins Auge stechen musste.
Seit mehr als 10 Jahren läuft die Kampagne zur Teilprivatisierung der Altersvorsorge und das eingesetzte Vehikel – die Warnung vor dem demographischen Wandel, vorm Aussterben, vorm Vergreisen, vorm angeblichen Ende des Generationenvertrages und vorm Konflikt zwischen den Generationen. In Leipzig musste ich erleben, dass erfahrene Chefredakteure, wie jener von GEO, diese Kampagne nicht als solche durchschauen und sogar aktiv mitmachen – guten Glaubens, so muss man hoffen, obwohl das schwer fällt angesichts der Zusammenarbeit GEOs mit dem sogenannten „Berlin Institut“, dessen Kampagneninstrumentalisierung auf den NachDenkSeiten (hier und hier)schon am im März 2006 offenbart wurde.
Auch die anderen in meinem Vortrag genannten Kampagnen sind nicht zu übersehen.
Die Kampagne zur Verhinderung einer politischen Option links von der Mitte und jenseits der neoliberal geprägten herrschenden Kreise ist vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen wieder angelaufen und läuft zur Zeit auf vollen Touren – wie im Umfeld der Hessenwahlen und der Bundestagswahl. Die Linkspartei und ihr Personal werden wieder einmal stigmatisiert. Der SPD wird jede Option einer Zusammenarbeit mies gemacht. Rote-Socken-Kampagnen wie in den 90ern! – An der Linkspartei und ihrem Personal kann man Kritisierenswertes finden. Wie bei anderen Partei auch. Aber sie ist jetzt wieder massiv die konzentrierte Zielscheibe mit dem einzigen Ziel, auch in Nordrhein-Westfalen ein Bündnis aus SPD, Grünen und der Linkspartei unmöglich zu machen. (Siehe dazu auch die einschlägigen Kapitel im Buch „Meinungsmache“ und die Texte zu den Hessenwahlen und zum Scheitern von Andrea Ypsilanti in den NachDenkSeiten)
Bei dieser Kampagne machen Journalisten mit, bei denen man die Distanz zum Kampagnenjournalismus erwarten hätte können. Ich verweise beispielhaft auf einen Artikel des stellvertretenden Vorsitzenden des NetzwerkRecherche, eines Vereins von Journalisten, die sich für kritisch halten und sich dankenswerter Weise für Recherche engagieren. Hans Leyendecker, ansonsten ein verdienter Recherchejournalist, schrieb für die Süddeutsche Zeitung am 25. April einen ausführlichen Artikel über die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen. (Siehe hier: ‚Die Linke in NRW. “Belogen, getäuscht, verleumdet”’). Die Hauptbotschaft dieses Artikels: „Die Linken in NRW sind Hort der ganz Linken unter den Linken. Manche Parteistrategen in Berlin fürchten gar einen Erfolg dieser Chaos-Truppe.“ An diesem Artikel mag vieles stimmen. Interessant ist die Stoßrichtung – die übrigens der Linie einer innerparteilichen Auseinandersetzung bei der Linkspartei und der Argumentation der SPD-Rechten folgt. Interessant ist auch die Tatsache, dass eine Recherche zum Beispiel über die politische Korruption bei CDU und FDP und ihre Privatisierungspolitik oder über die Machenschaften der Rechten in der SPD mindestens ebenso vernichtende Artikel möglich machen würde. Wo bleiben jetzt z.B. die Recherchen und vernichtenden Kommentare zum Anbiedern von Grünen und SPD an die nordrhein-westfälische FDP?
Den Kampagnencharakter können Sie auch daran erkennen, dass der gleiche Autor Leyendecker fünf Tage vorher, am 20.4. einen Artikel in der SZ veröffentlichte, bei dem es unter der Überschrift „Implosion einer Regierung“ um das vermutliche Straucheln von Ministerpräsident Rüttgers und um die Chancen von Hannelore Kraft ging. Schon in diesem Kommentar baute der Autor ziemlich unmotiviert die Hauptbotschaft des Artikels vom 25.4. ein:
„Die Linkspartei in NRW ist so von gestern wie kein anderer Landesverband der neuen Partei. Wer sich nicht in der Geschichte der Trotzkisten, Stalinisten, Kommunisten und KBW-Truppen auskennt, versteht die Biographien vieler Kandidaten dieser Partei nicht.
Die SPD in NRW wird sich von diesen Links-Ewiggestrigen nicht mal tolerieren lassen. Sonst wäre es mit ihr im Lande und mit den neuen Modellen 2013 im Bund vorbei. Das wissen alle Beteiligten.“
Nun gut, wir werden sehen.
Aus gutem Grund ist aber anzumerken, dass es mir hier nicht um die Linkspartei und die Koalitionsmöglichkeiten in NRW geht. Es geht nur darum, sichtbar zu machen, dass sich selbst hochmögende Journalisten für Kampagnen hergeben und dass die Existenz von Kampagnenjournalismus alles andere als das Gespinst von Verschwörungstheoretikern ist.
Zur Zeit zeichnet sich möglicherweise eine Kampagne zur Rechtfertigung der Spekulation auf den Finanzmärkten ab. Zum Zwecke der Verhinderung einer wirksamen Regulierung wird die Spekulation veredelt. Auch dafür geben sich Redaktionen her, im konkreten Fall sogar die Redaktion der Tagesschau. Siehe Anlage 1.
„Wichtige Medien wie zum Beispiel die Bild-Zeitung, der „Spiegel“ und reihenweise Fernsehsender sind integraler Teil von strategisch geplanten Kampagnen. Und dennoch fassen die Medienjournalisten den Kampagnenjournalismus mit spitzen Fingern an. Das ist für sie kein herausragendes Thema, obwohl es ein beherrschendes Thema sein müsste“, so hatte ich in Leipzig formuliert. Es ist schon eigenartig, dass sich die Medienjournalisten – von rühmlichen Ausnahmen abgesehen – so wenig um diese politisch entscheidenden Vorgänge kümmern.
Dass Medienwissenschaftler die Augen zuhalten, sagt viel über den Zustand auch dieser Wissenschaft. Sie ist offensichtlich wie weite Teile der BWL, der VWL, der Medizin und so weiter abhängig von Interessen.
Anlage 1:
Ursachen der Euro-Krise
“Die Finanzmärkte brauchen Spekulanten”
Die Öffentlichkeit schimpft auf die Spekulanten, für viele sind sie die Hauptschuldigen an der Euro-Krise. Frank Dornseifer vom Bundesverband Alternative Investments meint hingegen: Spekulanten sind die Feuermelder. Im Gespräch mit tagesschau.de sagt er, die Wetten gegen Griechenland hätten einen Beitrag zum Hilfspaket geleistet.
Quelle: Tagesschau
Siehe dazu auch:
„Alternatives Investment“???:
Quelle: BAI