Bundestagsbeschluss zur Förderung der privaten Lebensversicherer
Anders kann man den Beschluss vom vergangenen Donnerstag über die weiteren Schritte der so genannten Rentenreform nicht deuten. Über einen so genannten Nachhaltigkeitsfaktor wird das Rentenniveau bis 2030 von heute 53 Prozent des Durchschnittslohns auf dann 43 Prozent gesenkt. Dass die Opposition noch brutaler sein wollte, ist kein Trost. Auch dass die Linke in der SPD die Forderung an die Regierung durchgesetzt hat, das Rentenniveau auf Dauer mindestens bei 46 Prozent zu halten, tröstet über die Ungereimtheiten, die Folgen und die Hintergründe dieses Beschlusses nicht hinweg.
In den NachDenkSeiten sind schon verschiedene Beiträge dokumentiert, die den interessierten Leser besser einschätzen lassen, was am vergangenen Donnerstag geschehen ist: die Beiträge von Richard Hauser und Gerd Bosbach in der Rubrik “Andere interessante Beiträge” oder meine Beiträge in der Rubrik “Veröffentlichungen der Herausgeber” vom 12.2.2003 (FR) und 31.1.2003 (Freitag) z. B. Das Wichtigste zu dem Beschluss vom vergangenen Donnerstag in Stichworten:
- Die Entscheidung wird den Vertrauensverlust in die gesetzliche Rentenversicherung dramatisch verstärken, statt das Vertrauen zu stabilisieren, was notwendig und eigentlich auch die Aufgabe der Regierung wäre.
- Dieser Vertrauensverlust ist offenbar gewollt. Anders kann man die offene Werbung für die private Vorsorge nicht interpretieren.
- Die am Donnerstag beschlossene Rentenreform ist die Nachfolgerin der letzten großen und als Jahrhundert(- )Reform ausgegebenen Reform mit der Einführung der Riesterrente. Damals wurde verkündet, jetzt sei für 30 Jahre Ruhe.
- Die Koalition und noch mehr die Opposition setzen auf private Vorsorge, obwohl weltweit diese Art Altersvorsorge krisenhafte Entwicklungen durchmacht. Das gilt für südamerikanische Staaten wie Chile, Argentinien und Bolivien; es gilt für osteuropäische Staaten, aber auch für Industrieländer wie die USA, wo nach dem Börsencrash Millionen Menschen ihre Altersversorgung verloren haben und das gilt etwa auch für Großbritannien, wie die Frankfurter Rundschau gerade in der vergangenen Woche gemeldet hat. Die deutsche Politik ist von diesen negativen Beispielen völlig unbeeindruckt.
- Die Unsicherheiten über die demografische Entwicklung müssten einen davor warnen, heute Regelungen im Blick auf das 2030 zutreffen. Im Beitrag von Gerd Bosbach wird das im Einzelnen beschrieben und belegt. Weder ist die demografische Entwicklung so dramatisch, wie behauptet wird, noch gilt, dass wir damit nicht fertig werden können, ohne das bisherige System zu ruinieren.
- 1,5% Produktivität Wachstum würden reichen, um jede Gruppe, die Jungen, die Alten und die Arbeitenden, auf einen Zeitraum von Jahrzehnten bis 2050 z. B. mindestens gleich und sogar besser zu stellen. Das ist einleuchtend, weil jedes Jahr mehr an realer volkswirtschaftlicher Leistung zur Verfügung steht. Siehe dazu den Beitrag von Richard Hauser.
- Entscheidend ist die Entwicklung der Produktivität und die bessere Auslastung der Kapazitäten unsrer Volkswirtschaft. Diese Tatsachen werden bei der Debatte über die Finanzierung der Rente und bei der Agenda-Politik ausgeblendet.
- Den Arbeitenden und Jungen wird empfohlen, privat vorzusorgen. Die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung – so wird versprochen – würden dafür im Gegenzug stabil gehalten. Damit wird eine Beitragsstabilität – ein strategisches Ziel und Instrument der Politik offenbar – propagiert, die nur derjenige wahrnehmen kann, der unfähig ist, 19,5 + 4 zu addieren – nämlich 19,5% für die gesetzliche Rentenversicherung und 4 % für die private Vorsorge; und obendrein die Augen so zudrückt, dass er/sie nicht mehr sieht, dass die vier Prozent für die Privatvorsorge vom Arbeitnehmer allein entrichtet werden müssen.
Von Attac bin ich freundlicherweise auf eine Homepage aufmerksam gemacht worden, die die Hintergründe der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung zur Altersvorsorge in Deutschland, Europa und weltweit gut auszuleuchten vermag: die Homepage des früheren Arbeitsministers von Pinochet, Jose Pinera, heute Lobbyist für die Privatisierung der Altersvorsorge: www.pensionreform.com. Es lohnt sich, diese Homepage anzuklicken. Dort finden Sie die Belege dafür, wie die „Neoliberale Internationale“ über Südamerika nach Europa, insbesondere Osteuropa hineinwirkte. Jose Pinera scheint so etwas wie der Guru unter den Lobbyisten für die Privatisierung der Altersvorsorge. Er konnte sich freuen über den Beschluss des Deutschen Bundestages vom vergangenen Donnerstag. Vermutlich würde er sich über das verschärfte Tempo von Merkel, Stoiber und Westerwelle noch mehr freuen. Aber das ist ein schwacher Trost.
Gönnen Sie sich etwas Zeit zum Studium dieser Homepage. Sie werden hinterher vermutlich manches viel besser einzuordnen vermögen, was um uns herum abläuft.