Von der Leyen spielt die Bildungskarte aus – oder die Kapitulationserklärung der Bildungspolitik
Lassen wir uns nichts vormachen, hinter dem mit viel öffentlichem Wirbel angekündigten „Bildungspaket für Kinder und Jugendliche“ stehen folgende Prämissen:
- das (Vor-)Urteil, dass die Hartz IV beziehende Eltern das Sozialgeld, das sie für ihre Kinder bekommen, (um es mit den beschönigenden Worten der Sozialministerin zu sagen) nicht „zielgenau“ für „mehr Bildung“, für „mehr soziale Integration“, für „mehr positive Persönlichkeitsentwicklung“ und für „mehr Lebenschancen“ ihrer Schul- und Kitakinder einsetzen,
- dass die Regelsätze zur Sicherung des Existenzminimums minderjähriger Kinder nicht entsprechend des kinder- und alterspezifischen Bedarfs deutlich erhöht werden sollen,
- dass gleichzeitig das „Lohnabstandsgebot“ gegenüber niedrig verdienenden Vollzeiterwerbstätigen eingehalten wird,
- und schließlich, dass die staatlichen Investitionen in auch Benachteiligte fördernde Kitas und Schulen und damit die Steuern nicht erhöht werden müssen.
Aus diesen politisch selbst aufgestellten „Fallen“ will nun die Sozialministerin organisatorisch mit dem „Bildungspaket“ und technisch mit der „Bildungskarte“ entkommen. Eine Kapitulationserklärung der Bildungspolitik und ein schleichender Leitbildwechsel vom Sozial- in den Almosenstaat. Wolfgang Lieb
Das „Bildungspaket“ und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das Sozialgeld für Kinder
Erfüllt das „Bildungspaket“ die verfassungsrichterlichen Vorgaben für eine „vertretbare Methode zur Bestimmung des Existenzminimums eines Kindes“ (Rdnr. 190) bzw. für die „notwendigen Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten“ (Rdnr. 192)?
Klipp und klar gesagt: Nein.
In dem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales präsentierten „Gesamtkonzept“ [PDF – 2.3 MB] wird selbst darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht verlangt,
- dass es „keine Schätzungen ins Blaue“ hinein geben darf,
- dass die „Teilhabebedarfe von Kindern zwingend abzudecken“ sind,
- dass die „Leistungen für Kinder…eigenständig ermittelt werden“ müssen und ein „Anpassungsmechanismus gewählt werden (muss), der den realen Bedarf berücksichtigt.
Keine dieser Forderungen ist mit dem „Bildungspaket“ erfüllt: Die Schätzungen was für „mehr Bildung“ (etc.) aufgewandt werden müsste, gehen immer noch „ins Blaue“. Es bleibt (jedenfalls bisher) beim „Basisgeld“. Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass von dem als verfassungswidrig erklärten „Abschlag gegenüber der Regelleistung für einen Alleinstehenden“ abgewichen wird.
Es fehlt für diese „freihändige Setzung“ nach wie vor eine „empirische und methodische Fundierung“. Es fehlt eine Ermittlung der Kosten für den „Erwerb der notwendigen Schulmaterialien, wie Schulbücher, Schulhefte oder Taschenrechner“. Es fehlt eine „realitätsgerechte“ Erhebung des „altersspezifischen Bedarfs“. Wo sind die Leistungen für Kinder eigenständig ermittelt und wo ist der Anpassungsmechanismus an den realen Bedarf?
Mit dem „Bildungspaket“ (allein) werden somit die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht erfüllt. (So wohl auch der der Paritätische Wohlfahrtsverband)
Könnte man die Idee einer „Bildungskarte“, unabhängig davon, ob damit die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts erfüllt werden, für gut halten?
Ohne Zweifel wäre es gut, wenn Kinder von Hartz IV-Familien nicht aus finanziellen Gründen vom gemeinsamen Mittagessen an Kitas und Schulen ausgeschlossen würden, wenn sie Nachhilfe bezahlt bekämen, wenn Kosten für Schul- und Lernmaterialien übernommen würden oder wenn ihre Teilnahme an Sport-, Kultur- oder Ferienangeboten unterstützt würde.
Deswegen unterstützen wohl laut einer Umfrage auch die meisten Deutschen die Idee der Bildungsgutscheine.
Ich will hier gar nicht so sehr auf den diskriminierenden Aspekt einer „Bildungskarte“ abstellen, etwa dadurch, dass ein Hartz IV-Kind bei der Essensausgabe oder in der Schulbuchhandlung vor allen anderen als Hilfsbedürftig stigmatisiert würde. Diese öffentliche Herabsetzung könnte man in vielen Fällen dadurch umgehen, dass man allen anderen Kindern auch eine Geldkarte anbieten könnte, auf die etwa der Betrag des Kindergeldes geladen würde. Das würde zwar einen Aufschrei geben, aber damit wäre zumindest gewährleistet, dass auch in anderen Familien das Kindergeld „zielgenau“ bei den Kindern ankäme. Denn machen wir uns nichts vor auch in besser gestellten Familien fließt das Kindergeld in die allgemeine Haushaltskasse und wird z.B. zur Finanzierung eines Autos oder zur Abzahlung der Hypothek herangezogen – jedenfalls kommt es bei den Kindern häufig auch nicht an.
Wenn schon, dann „Bildungskarte“ für alle
Die Einbeziehung aller Kinder, statt ausschließlich der 1,8 Millionen Kinder aus Hartz-IV-Haushalten, hätte sogar den Vorteil, dass an mehr Einrichtungen mit den entsprechenden Angeboten die notwendigen Lesegeräte vorgehalten würden. Dazu müssten dann allerdings die Kommunen, als Träger von Schulen und Kitas und kulturellen Angeboten, die Vereine oder die Kinder- und Jugendbetreuungsorganisationen gewonnen werden.
Für die 1,8 Millionen Kinder unter 15 Jahren, die in Familien von Hartz IV-Empfängern leben rentierte sich der ganze Aufwand mit Chipkarte und Lesegeräten gewiss nicht. Nach derzeitigen Angaben will der Finanzminister zur Erfüllung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts 480 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stellen, das wären pro Kind rund 280 Euro jährlich oder etwas über 23 Euro pro Monat.
Ich will an dieser Stelle davon absehen, dass mit dieser Vorgabe von einer vom Bundesverfassungsgericht geforderten „schlüssigen Ermittlung des regelleistungsrelevanten Verbrauchs“ (Rdnr. 176) keine Rede sein kann.
Aber für den vorgesehenen Betrag lohnte sich der gesamte technische Aufwand (mit Kartenaufladesystemen und Lesegeräten und zusätzlichem Abrechnungsaufwand) gewiss nicht. Und wenn die Bildungskarte dennoch eingeführt würde, so würde sich der Aufwand nur für wenige Einrichtungen (etwa Schulbuchhandlungen) lohnen. Und billiger bzw. effizienter würde dieses Verfahren damit noch lange nicht. Das zeigte sich z.B. bei dem gescheiterten Versuch in Berlin, bei dem Asylbewerber statt Bargeld Chipkarten zum Einkaufen ausgehändigt wurden, und wo sich herausstellte, dass die Kosten für den Vertrag mit der Chipkartenfirma Sodexo erheblich höher lagen, als wenn man den Betroffenen das Geld in die Hand gegeben hätte.
Hinzu käme: Könnten Chipkarten nur an wenigen Stellen eingelöst werden, so wäre die soziale Stigmatisierung eine Doppelte: der Bildungskarteninhaber wäre nicht nur als bedürftig ausgewiesen, sondern auch noch dadurch, dass er die Bildungskarte nur an ganz bestimmten Stellen einlösen könnte. Individuelle Nachhilfe – etwa durch ältere Schüler – wäre (mangels Abrechnungsmöglichkeit) ohnehin ausgeschlossen, bestenfalls würden größere kommerzielle Nachhilfeanbieter davon profitieren.
Chipkarte hat sich noch nirgends bewährt
In der Praxis hat sich ein solches Chipkartenmodell offenbar noch nirgendwo bewährt. Das von der Bildungsministerin ins Gespräch gebrachte schwedische Beispiel gibt es wohl gar nicht. Im Bundesarbeitsministerium verweist man auf die sog. Familiencard in Stuttgart als Vorbild.
Die gibt es dort seit dem Jahr 2000, aber sie steht keineswegs nur den Kindern von Hartz IV-Familien, sondern Haushalten mit einem Bruttoeinkommen von bis zu 60.000 Euro zu. Insgesamt profitieren von dieser Familiencard 63 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 16 Jahren, so dass jedenfalls das Risiko einer Stigmatisierung weitgehend vermieden wird.
Andererseits hat man festgestellt, dass die 60 Euro (!) im Jahr vor allem für den Besuch von Schwimmbädern aufgebraucht werden, während etwa Musikschulen (mit 0,25 Prozent) oder Sportvereine (mit 8,4 Prozent) nur ganz wenig genutzt werden. Davon profitierten also vor allem die kommunalen Bäder und vielleicht noch der Zoo, „zielgenaue“ Bildungsförderung müsste jedenfalls anders aussehen.
Es ginge doch alles viel einfacher
Wäre es da nicht viel einfacher, effizienter und zielgenauer, wenn man in den Kitas und in Ganztagsschulen ein warmes Mittagessen anböte (und, wenn es denn sein muss, pauschal bei den Eltern abrechnete, die es sich leisten könnten)? Wäre es nicht viel treffgenauer, wenn an den Schulen (nachhelfender) Förderunterricht in den relevanten Fächern für schwächere Schüler eingerichtet würde (und, wenn es sein muss, die Lehrer Nachhilfeunterricht bei wem auch immer empfehlen, dessen Kosten Hartz-Familien beim Jobcenter abrechnen könnten). Könnte man nicht für Sportvereine „Anreize“ schaffen, solchen Kindern einen „Sportgutschein“ ausstellen, den sie bei den Vereinen einlösen könnten. (Bei den privaten Arbeitsvermittlern geht das doch auch.)
Allen Fachleuten vor Ort fielen noch viele Möglichkeiten ein, wie man die Probleme praktisch angehen könnte.
Wo bleibt eigentlich in der christlich-liberalen Koalition das urliberale Denken, dass die individuellen Familien noch am besten Wissen, wie sie ihr Geld zielgenau einsetzen können?
Aber nein, stattdessen muss ein Bürokratiemonster ins Leben gerufen werden, das ähnlich wie bei Hartz endlose Debatten auslöst und unendliche politische und administrative Energien bindet, die nur davon ablenken, das grundlegende Problem anzugehen, nämlich Strukturen zu schaffen, die Armut möglichst vermeiden.
Kann Sozialpolitik das Versagen der Bildungspolitik ausgleichen?
Bemerkenswert ist die Ankündigung von Frau von der Leyen, dass bedürftige Kinder und Jugendliche „ab dem 1. Januar 2011 einen Rechtsanspruch auf individuelle Bildungsförderung“ hätten. Im Umkehrschluss muss man fragen, gibt es diesen Rechtsanspruch auf individuelle Bildungsförderung und zwar für alle Kinder und Jugendlichen bisher eigentlich nicht? Ist es nicht gerade die Aufgabe der Schulen Bildung auch und gerade individuell zu fördern?
Soll also künftig die Förderung von Kindern „die nicht mitkommen“ (von der Leyen) generell über private Nachhilfe abgedeckt werden? Wird nun angesichts des Kooperationsverbotes im Bereich der Bildung zwischen Bund und Ländern, eine Bundeszuständigkeit zur Förderung der Schulbildung statt über das Bundesbildungsministerium durch das Sozialministerium durch die Hintertür eingeführt?
Wenn die großspurige Ankündigung der Sozialministerin auf individuelle Bildungsförderung ernst genommen würde, warum werden dann nicht auf dem direkten Weg mehr Ganztagsschulen (mit Schulessen) eingeführt? Ist die dramatische Zunahme von Nachhilfeunterricht nicht ein ernsthaftes Warnzeichen dafür, dass in den Schulen Einiges falsch läuft? Warum gibt es nicht mehr Förderunterricht für Leistungsschwache (und Leistungsstarke) oder Hausaufgabenbetreuung? Warum gibt es nicht mehr Musik- und Sport oder gar Freizeitangebote an den Schulen durchaus in Kooperation mit Musikschulen, Sportvereinen oder anderen Jugendfreizeiteinrichtungen? Warum wird nicht die Stellenausstattung von Schulen – wie in der Schweiz – an sozialen Indizes orientiert?
Mit solchen „bildungspolitischen“ Maßnahmen wäre allen Kindern und Jugendlichen geholfen, statt über die „Sozialpolitik“ allgemeine Bildungsdefizite für eine gesetzlich erfasste Gruppe von Transferempfängern notdürftig und über komplizierte Umwege – von denen niemand weiß, ob sie begehbar sind oder begangen werden – zu kompensieren.
Bildungspolitische Kapitulationserklärung
Hinter dem „Bildungspaket für Kinder und Jugendliche“ verbirgt sich letztlich eine bildungspolitische Kapitulationserklärung: Nämlich das Eingeständnis, dass diese Regierung den Rechtsanspruch auf individuelle Bildungsförderung gegenüber den allgemeinen staatlichen Bildungseinrichtungen nicht mehr erfüllt sieht und auf absehbare Zeit auch nicht erfüllbar betrachtet. Statt über allgemeine Steuereinnahmen das Bildungswesen von den Kitas bis zu den Hochschulen auf einen internationalen Standard zu bringen, versucht man nun soziale Bypässe zu legen, um den Patienten am Leben zu halten. Und das wird dann noch als „effizient eingesetztes Steuergeld“ verkauft.
Völlige Überforderung der Jobcenter
Von der Leyen hat wohl selbst erkannt, dass die „Bildungschipkarte“ allein nicht zum Erfolg führen kann. Deshalb hat sie nun eine völlig neue Bildungsförderungseinrichtung, jenseits der klassischen Bildungsinstitutionen erfunden: die Jobcenter.
Einen „Kulturwechsel“ [PDF – 2.3 MB] im Jobcenter müsse es geben, sie sollen als neue Aufgabe, „die gezielte Förderung hilfsbedürftiger Kinder in den Bereichen Bildung und Teilhabe“ bekommen. So einfach, par ordre de mufti!
Es lohnt sich die schicke Präsentation des Bundessozialministeriums [PDF – 2.3 MB] einmal anzusehen. Man erkennt sofort, da waren Beratungs-Profis am Werk. (Man möchte zu gerne wissen, ob es nicht McKinsey war.) Wie einstmals bei der Präsentation der Hartz-Reformen wird da über „Funktions- und Servicestellen“, über „Bündnisse vor Ort“, über „Vernetzung“, über „Basispakete“ und „Akteure“ fabuliert und schließlich kommt zum „Fallmanager“ im Jobcenter nun noch der „Familienlotse“. So stellen sich die Betriebswirte in den Politikberaterfirmen Bildungsförderung vor.
Haben die Hartz IV-Empfänger bisher nur mit ihren „Fallmanagern“ ihre bitteren Erfahrungen sammeln müssen und sitzen noch immer ohne Job da (sonst müssten sie sich ja nicht beim Jobcenter regelmäßig einfinden), jetzt müssen sie auch noch vom „Familienlotsen“ ihre Kinder steuern lassen. Der Sachbearbeiter der im Jobcenter mit dieser Lotsenfunktion betraut wird, muss ein wirklicher Tausendsassa sein: Er ist „Informationsdrehscheibe“, „Experte für kinderspezifische Bildungsangebote vor Ort“, „Netzwerker zu den kommunalen Vereinen“ und dazu noch „Berater in Kinder-Belangen für die anderen Mitarbeiter“ im Jobcenter. Ein Anforderungskatalog, dem nicht einmal der beste Leiter eines Jobcenters gewachsen wäre.
Die lustigen Bildchen in der Präsentation verharmlosen, welche zusätzliche Bürokratie da aufgebaut werden soll. Wenn man sich das (selbst eingestandene) Chaos bei der Arbeitsagentur, die Überfülle an zu bearbeitenden Fallzahlen für den einzelnen Mitarbeiter, die Fehlschläge bei den Qualifzierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen im Kerngeschäft der Jobcenter bei der Arbeitslosenvermittlung vor Augen hält, kann einem bei der Übertragung der Komplexität und der Vielzahl von zusätzlichen Aufgaben mit den weit anspruchvolleren Aufgaben zur Eröffnung von mehr Lebenschancen für Kinder und Jugendliche nur noch Angst und Bange werden. Es fehlt eigentlich nur noch die Sanktionsmöglichkeit mit der Kürzung des „Basisgeldes“, um die Kinder von Hartz IV-Familien zum Blockflöten-Unterricht zu zwingen, weil bei der örtlichen Musikschule zufällig ein Platz freigeworden ist.
Dieses ganze Konzept eignet sich eher als Parodie, denn als ernsthaftes Förderangebot.
Abkehr vom Sozialstaat zu einer Art Kommunitarismus
Frau von der Leyen ist klug genug zu wissen, dass ihr „Bildungspaket“ mit den ihr vom Finanzminister zugestandenen 480 Millionen pro Jahr nicht im Ansatz auf die Beine zu stellen ist. Ein Großteil dieser Mittel geht schon in (private) Beratungsleistungen für die Entwicklung und Umsetzung, ein weiterer Teil dürfte vom Anbieter und Entwickler der „Bildungskarte“ kassiert werden, bis dann endlich auch ein paar Euro bei den Betroffenen ankämen.
Deshalb zählt sie „bei diesem entscheidenden Zukunftsthema auch auf die Kraft der Bürgergesellschaft“. Sie sei zuversichtlich, dass man die großen Stiftungen, die Wirtschaft, aber auch private Spender dafür gewinnen könne, bei dieser großen Bildungsaufgabe mitzumachen.
Vielleicht sollte Frau von der Leyen das Bundesverfassungsgerichtsurteil doch noch einmal genauer studieren. Dort heißt es: „Ein Hilfebedürftiger darf nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet ist.“ (Rdnr. 136)
Statt den laut Bundesverfassungsgericht grundgesetzlichen Anspruch an den Staat und damit letztlich an den Steuerzahler zu erfüllen, wird in dem Konzept auf die „Hilfe der Zivilgesellschaft“ verwiesen.
An dieser Stelle zeigt sich – einmal mehr – der schleichende Leitbildwechsel vom Sozialstaat zum sloterdijkschen Staat als bettelndem Almosenempfänger. Das war schon bei den bei den Programmen „Lernen vor Ort“ oder bei dem sog. „nationalen Stipendienprogramm“ und in vielen anderen Politikfeldern auch zu erkennen. Aus Angst an den Kosten der Chipkarte hängen zu bleiben bläst auch der Deutsche Städtetag in dieses Horn.
Immer geht es darum, dass der Staat erkennt, dass er seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann und sie aufgrund des Steuersenkungsdogmas auch künftig nicht wird wieder erfüllen können. In dieser Zwangssituation und in Fällen, wo es auch keine Möglichkeit gibt Gebühren für Leistungen zu erheben, ruft die Politik nach privaten Mäzenen, die aushelfen sollen. Selbst wenn es ausreichend Spender gäbe, so wird damit eine schlichte Tatsache nicht aus der Welt geräumt: Der Spender zahlt für das, was er für richtig hält. Das heißt aber, die Prioritätensetzung und die Ausgestaltung von Angeboten erfolgt durch Private und nicht mehr durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber. Und ob solche privat gesponserten Programme verlässlich und dauerhaft sind, ist eine völlig offene Frage. (Wo bleibt etwa, die Sanktion, wenn eine Spende nicht mehr fließt.)
Immer häufiger stoßen wir auf solche Entstaatlichungsmuster, so etwa wenn die Energiewirtschaft an den Staat einen Ablass für die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke bezahlen möchte, um einer gesetzlichen Abgabe zu entkommen.
Man könnte diese Entwicklung als Übergang vom Wohlfahrtsstaat zu einer Art Kommunitarismus nennen. Die gesellschaftswissenschaftliche Theorie des Kommunitarismus bestreitet – ähnlich wie der Liberalismus – die Leistungskraft staatlicher Angebote und setzt stattdessen auf die Hilfe zur Selbsthilfe etwa dadurch, dass Kindergärten, Schulen und Kindergärten von den Bürgern selbst organisiert werden sollen. Das ist eine klare Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre, dem sich doch in ihren Parteiprogrammen die sich christlich nennenden Parteien doch angeblich so verpflichtet fühlen.
An diesem „Bildungspaket“ würden wir alle schwer zu tragen haben.