Zum Koalitionsvertrag (III): Die „Bildungsrepublik“ als bildungspolitische Bananenrepublik
Bildung gehört neben Wachstum und Zusammenhalt zur Überschrift des schwarz-gelben Koalitionsvertrages [PDF – 1 MB] und im Kapitel II. taucht das Schlagwort der Kanzlerin von der „Bildungsrepublik Deutschland“ wieder auf. Wie in vielen anderen Feldern auch besteht eine riesige Kluft zwischen dem bemühten Pathos und den konkreten Vorschlägen. Wolfgang Lieb
Da heißt es im einleitenden Absatz (Zeile 2539 bis 2550):
„Bildung ist Bedingung für die innere und äußere Freiheit des Menschen. Sie schafft geistige Selbständigkeit, Urteilsvermögen und Wertebewusstsein. Bildung und Forschung sind Grundlagen des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. Bildung ist Voraussetzung für umfassende Teilhabe des Einzelnen in der modernen Wissensgesellschaft. Bildung ist daher für uns Bürgerrecht. Deswegen sagen wir der Bildungsarmut den Kampf an.
Dazu bedarf es einer nationalen Anstrengung. Wir wollen mehr Chancengerechtigkeit am Start, Durchlässigkeit und faire Aufstiegschancen für alle ermöglichen. Wir wollen Deutschland zur Bildungsrepublik machen, mit den besten Kindertagesstätten, den besten Schulen und Berufsschulen sowie den besten Hochschulen und Forschungseinrichtungen.“
Mehr Pathos geht nicht. Doch das Pathos ist hohl.
Da werden die wohlfeilen Sprüche über die Bedeutung von Bildung aufgetischt und sogar die Parole des Liberalen Ralf Dahrendorf aus den 60er Jahren von der Bildung als „Bürgerrecht“ wieder aufgewärmt aber gleichzeitig soll z.B. dieses „Bürgerrecht“ nach wie vor gegen eine Gebühr und durch höhere Kosten für die Bürger erkauft werden müssen.
Was ist eigentlich „Bildungsarmut“? Soll damit der Kampf gegen eine ärmliche Bildung in unseren Bildungseinrichtungen aufgenommen werden? Oder soll etwas getan werden, dass Arme in diesem Land gleiche Chancen auf Bildung haben sollen?
Was heißt „nationale Anstrengung“? Da vergeht doch kaum eine Woche, in der wir nicht das Scheitern des Wettbewerbsföderalismus in der Bildungspolitik erleben müssen, da erleben wir das Chaos bei der Hochschulzulassung, da haben wir ständige Verteilungskämpfe und Finanzierungsunsicherheiten beim sog. „Hochschulpakt“ oder bei der „Exzellenzinitiative“, da gibt es die Abwerbung von Lehrern durch die reicheren Ländern, da ist „Kleinstaaterei“ erkennbar zu einem der größten Hemmschuhe für die Fortentwicklung und den Ausbau des Bildungswesens geworden und im Koalitionsvertrag wird nicht mehr als „eine Bildungspartnerschaft von Bund, Ländern und Kommunen unter Wahrung der jeweiligen staatlichen Zuständigkeit“ angestrebt.
„Bildungspartnerschaft“ statt einer dringend erforderlichen bundesweit abgestimmten Strategie oder einem Gesamtkonzept in der Bildungspolitik!
Da wird von Bildung als „einer gesamtstaatliche Aufgabe“ geredet und gleichzeitig soll das ohnehin schon weitgehend entkernte Hochschulrahmengesetz aufgehoben (Zeile 2672) werden. Das letzte verbliebene Instrument einer einheitlichen Rahmensetzung in der Hochschulpolitik. An einheitliche Rahmenregelungen zum Hochschulzugang, einheitliche Qualitätstandards oder allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens ist also nicht mehr zu denken. Der Bund macht sich vollends ohnmächtig gegenüber dem Zuständigkeitsgerangel der Länder und den „entfesselten“ Hochschulen. Er kann weder Projekte anschieben, ja noch nicht einmal gezielt finanziell fördern. Erinnert sei nur etwa an die absurde Situation, als der Bund im Rahmen des Konjunkturprogramms die Mittel für dringend notwendige Sanierung der Hochschulen als „Wärmedämmungsmaßnahmen“ kaschieren musste.
Bildungsabschlüsse werden also noch weniger vergleichbar, der Umzug von einem Land in ein anderes für schulpflichtige Kinder wird noch schwieriger und der Wechsel von einer Hochschule in die Hochschule eines anderen Landes noch komplizierter – und all das in einem groß angekündigten „europäischen Hochschulraum“.
Seit der Föderalismusreform und der damit fast vollständigen Übertragung der Zuständigkeiten für Bildung und Hochschulen an die Länder sind wir von einer Bildungs-„Republik“ weiter entfernt denn je, der Begriff Bildungs-Provinzialismus wäre zutreffender.
Luftbuchungen bei der Bildungsfinanzierung
Die im Koalitionsvertrag angekündigte Erhöhung der Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung um 12 Milliarden (Zeile 2556) hat Schlagzeilen gemacht. Bei genauer Betrachtung sind das allerdings bestenfalls 3 Milliarden pro Jahr bis 2013 und dabei dürfte es sich zum allergrößten Teil ausschließlich um eine längst beschlossene Erhöhung für die Fortführung des Hochschulpaktes, der Exzellenzinitiative und des Pakts für Forschung und Innovation handeln.
Laut dem „Bildungsbericht 2008“ ging der Anteil der Bildungsausgaben (inklusive des Anteils der Wirtschaft) am BIP von 6,9% im Jahr 1995 auf 6,3% im Jahr 2005 und auf 6,2% im Jahr 2006 zurück. Wären auch im Jahr 2005 wie 1995 6,9% des BIP für Bildung aufgewendet worden, hätten dem Bildungsbereich rund 13 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestanden.
Insgesamt betrug der Anteil der (rein) öffentlichen Bildungsausgaben am BIP 2005 in Deutschland 4,5 % und damit deutlich weniger als im OECD-Durchschnitt (5,4 %). Um den OECD-Mittelwert zu erreichen, müsste Deutschland rund 21 Mrd. Euro mehr bereit stellen – jährlich! Um mit den Spitzenreitern in der OECD gleichzuziehen (Dänemark: 8,3 %; Norwegen und Schweden: 7,0 %) wären bis zu 91 Mrd. Euro erforderlich – jährlich!
Auf dem groß gefeierten Bildungsgipfel vor einem Jahr in Dresden wurde das „gemeinsame Bekenntnis“ abgegeben wurde, dass im Jahre 2015 10 % des Bruttosozialproduktes für Bildung eingesetzt werden sollen – 3 % für Forschung und 7 % für Bildung. Damals wurde das Mehr auf zwischen 25 – 50 Milliarden jährlich geschätzt. Von dieser Zielmarke ist der Anteil des Bundes weit entfernt.
Bildungsfinanzierung zu Lasten Dritter
„Wir werden Maßnahmen ergreifen, die es zudem Ländern, Wirtschaft und Privaten erleichtern, ihre jeweiligen Beiträge bis spätestens 2015 ebenfalls auf das 10 Prozent-Niveau anzuheben.“
Wie diese „Maßnahmen“ aussehen könnten, steht in den Sternen. Die im Koalitionsvertrag versprochenen Steuersenkungen werden es den Ländern gewiss nicht erleichtern ihren Anteil Beitrag zum 10 Prozent-Niveau zu leisten. Der Berliner Finanzsenator hat vorgerechnet, dass die Steuersenkungen bei voller Wirksamkeit für das Land 700 Millionen weniger Einnahmen bedeuten würden, das entspreche 50.000 Studienplätze oder 100.000 Kita-Plätze.
Im Übrigen haben die Länderfinanzminister vor ein paar Tagen vorgerechnet, dass die Länder das 10-Prozent-Ziel schon längst erreicht hätten.
Weitere Privatisierung der Bildungskosten
Die Koalitionsvereinbarungen in Sachen Finanzierung, sind bestenfalls ein Vertrag zu Lasten Dritter. Da die geplanten Steuersenkungen Bund und Ländern noch zusätzlich Finanzkraft entziehen, bleiben als Zahlmeister nur noch die Wirtschaft und die Privaten. Hinter den Finanzierungsversprechen steckt im besten Fall eine noch stärkere Privatisierung des Bildungswesens und noch höhere Belastungen der privaten Haushalte mit Bildungskosten.
Was in den üblichen ökonomischen Kostenrechnungen unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass schon heute die privaten Haushalte – rechnet man einmal nur den Lebensunterhalt
und die Lernmittel – etwa die Hälfte der für eine Hochschulausbildung aufgewandten direkten Ausgaben tragen. Addiert man noch die Opportunitätskosten für entgangene Erwerbseinnahmen während eines Studiums, so liegen die direkten und indirekten Kosten die ein Akademiker für seinen Abschluss aufbringen muss, schon heute mehr als doppelt so hoch wie die staatlichen Investitionen [PDF – 153 KB].
Bildung eine Angelegenheit der Eltern, Großeltern und Paten?
In Richtung einer weiteren Umverteilung der Bildungskosten auf die privaten Haushalte verweisen auch die Vorstellungen zur „Bildungsfinanzierung“ im Koalitionsvertrag (Zeile 2591 bis 2596):
„Heute für die Zukunft finanziell vorsorgen; das möchten viele Eltern – und auch Großeltern oder Paten – mit Blick auf die Kinder. Am besten ist das Geld angelegt, wenn es der Bildung der Kinder zu Gute kommt.
Deshalb werden wir jedem neu geborenen Kind beispielsweise ein Zukunftskonto mit einem Startguthaben von 150 Euro einrichten und Einzahlungen bis zur Volljährigkeit mit einer Prämie unterstützen.“
Riester für die Bildung
Wie beim Modell der Riester-Rente soll nun nicht mehr nur für das Alter sondern schon für die Bildung von Kindern privat Kapital auf einem sog. „Zukunftskonto“ gebildet werden. Damit öffnet man ein weiteres lukratives Geschäftsfeld für die Finanzwirtschaft. Und genauso wie bei der Riester-Rente werden sich vor allem die besser Verdienenden an diesem staatlich geförderten Bildungssparen beteiligen können. Statt den bildungspolitisch Benachteiligten kommt die staatliche Förderung, der Versicherungswirtschaft und den Einkommensgruppen zu gute, die schon heute bildungspolitisch privilegiert werden.
Bildungsdarlehen sind nicht geschenkt, sondern bleiben eine Geldbarriere
„Der Bildungsaufstieg darf an finanziellen Hürden nicht scheitern“, (Zeile 2598) heißt es da. Aber über Studiengebühren wird kein Wort verloren, stattdessen spricht man von „Bildungsdarlehen“. Die Aufnahme eines Darlehens für die Ausbildung bedeutet jedoch nur, dass die Benachteiligung der Studierenden aus niedrigen Einkommensschichten oder aus Familien mit mehreren in der Ausbildungsphase befindlichen Kindern als Start- und Einkommensnachteil in die Berufsphase fortgeschrieben wird. Wer reiche Eltern hat, startet ohne Hypothek und erspart sich sogar noch die Zinsen.
Man ignoriert die Tatsache, dass die Kosten-Nutzen-Relationen von Bildungsentscheidungen von der sozialen Schicht abhängig sind, aus der potentielle Studierende kommen. Während für Kinder aus Akademikerfamilien schon aus Gründen des Statuserhaltes die Aufnahme eines Studiums sozusagen von vorneherein selbstverständlich ist, bewerten Familien aus unteren Sozialschichten Entscheidungen für weiterführende Bildungsgänge in der Regel (subjektiv) als riskanter. Außerdem sind sie im Verhältnis zu den verfügbaren Ressourcen mit höheren Kosten behaftet.
Fragen der Finanzierung sind für Studienberechtigte aus hochschulfernen Elternhäusern erheblich bedeutsamer als etwa für Akademikerkinder. (Diese Angaben entnehme ich einer noch unveröffentlichten Expertise „Soziale Ungleichheiten im Hochschulzugang und im Studium von T. Bargel, H.Bargel, Ch. Heine“ für die Hans-Böckler- Stiftung.)
Wer meint, dass die sog. „nachgelagerte Gebühr“ – also die Rückzahlung eines Kredites nach dem Studium – die Geldbarriere wegnähme, sollte sich daran erinnern, dass in der Regierungszeit Kohl das Bafög auf Darlehen umgestellt wurde; das führte von 1982 –2000 zu einem Rückgang des Anteils der Studierenden aus „bildungsfernen Schichten“ von 23 auf 13%.
Ausbau von Bildungskrediten statt Ausbau der Förderung durch das BAföG
Immerhin hält Schwarz-Gelb am BAföG fest. Das war ja für die neue alte Bildungsministerin vor nicht allzu langer Zeit noch ein Auslaufmodell. Aber auf eine Erhöhung der Fördersätze oder eine Anhebung Einkommensgrenzen wartet man vergebens. Stattdessen sollen Bildungskredite weiter ausgebaut werden und der Anteil der Stipendiaten von heute zwei auf zehn Prozent der Studierenden erhöht werden. Allerdings ausschließlich für Begabte und nicht für sozial Benachteiligte. Nun können selbst die Koalitionäre nicht leugnen, dass Begabten-Stipendien sozial selektiv sind. „Wir erwarten von den Begabtenförderwerken, dass sie sich bislang unterrepräsentierten Gruppen stärker öffnen“ heißt es im Text, aber wie eine solche Öffnung erfolgen soll, dazu gibt es keinen Hinweis.
Luftnummer „nationales Stipendienprogramm“, der Bund beteiligt sich mit 75 Euro
Doch auch dieses „nationale Stipendienprogramm“ ist eher eine Luftnummer. Bund und – wenn sie denn mitmachen – die Länder wollen nur von Universitäten und Fachhochschulen bei Wirtschaft und Privaten eingeworbene Stipendien in Höhe von 300 Euro im Monat bis zur Hälfte bezuschussen (Zeile 2608). Der Bund will also gerade ein Viertel oder 75 Euro pro Stipendiat tragen. Die Frankfurter Rundschau hat schon einmal bei Wirtschaftsverbänden rundgefragt. Das Interesse hält sich dort offenbar in engen Grenzen und selbstredend ist ein denkbares finanzielles Engagement der Wirtschaft von den jeweiligen Unternehmens- und Brancheninteressen bestimmt. Stipendien also vor allem für künftig brauchbare Mitarbeiter.
Abgesehen davon, dass dieses Stipendium nicht im Ansatz bedarfsdeckend ist, wird das „Ziel, die Studienanfängerquote weiter zu steigern“ (Zeile 2648) und eine Förderung von bildungspolitisch Benachteiligten mit solchen Begabtenstipendien jedenfalls nicht erreicht.
Schulische Bildung mit „Bildungsschecks“
Auch für die schulische Bildung soll die Entwicklung in Richtung privater Finanzierung gehen. Dafür steht das Vorhaben sog. „Bildungsschecks“ einzuführen:
„Jeder fünfte Jugendliche in Deutschland hat so geringe Kompetenzen in Lesen und Mathematik, dass er Gefahr läuft, auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt kaum Chancen zu haben. Deshalb müssen wir präventiv und möglichst früh in der Bildungsbiografie ansetzen.
Wir werden vor Ort Bildungsbündnisse aller relevanten Akteure – Kinder- und Jugendhilfe, Eltern, Schulen, Arbeitsförderung sowie Zivilgesellschaft – fördern, die sich mit diesem Ziel zusammenschließen.
Wir werden ihre Arbeit unterstützen, indem jedes Bündnis ein Kontingent z. B. von Bildungsschecks zur Weitergabe an benachteiligte Kinder und Jugendliche erhält.“
(Zeile 2568 bis 2578)
Auch diese Passage ist Ausdruck der Macht- und Hilflosigkeit des Bundes in der Bildungspolitik angesichts der bestehenden Zuständigkeiten. Der Bund will Bildungsbündnisse fördern, sofern eben die Beteiligten mitmachen. Die „Bildungsbündnisse vor Ort“ sind eher eine freiwillige Feuerwehr als eine effiziente Bekämpfung eines sozialen und bildungspolitischen Brandsatzes. Der „Bildungsscheck“ an benachteiligte Kinder und Jugendliche, spricht dafür, dass die Gebühren für Kindertagesstätten oder für bildungspolitische Fördermaßnahmen beibehalten werden und bestenfalls durch „Schecks“ eingekauft werden können.
Tests statt Sprachförderung
„Jedes Kind muss vor Schuleintritt die deutsche Sprache beherrschen. Deshalb unterstützen wir verbindliche bundesweit vergleichbare Sprachstandstests für alle Kinder im Alter von vier Jahren und bei Bedarf eine verpflichtende gezielte Sprachförderung vor der Schule sowie darüber hinausgehende unterrichtsbegleitende Sprachprogramme.“
(Zeile 2582 bis 2586)
Nichts gegen die Forderung nach Beherrschung der deutschen Sprache, aber wichtiger, als Millionensummen für Sprachstandstest für alle Kinder schon im Alter von 4 Jahren aus dem Fenster zu werfen, wäre es, dieses Geld gezielt in Sprachförderprogramme zu stecken. Jede Kindergärtnerin weiß besser, bei welchem Kind Sprachförderung nötig wären, als der perfekteste und teuerste Test einen solchen Bedarf feststellen kann.
Steuersenkungen bewirken das Gegenteil von besserer Bildung
Die „Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern und Qualifizierungsangebote auf akademischem Niveau“, als auch die „Stärkung der Lehrerausbildung“ an den Hochschulen (Zeile 2627 bis 2631) kann man nur begrüßen. Wie der Bund allerdings investieren und wie er die Länder unterstützen will, bleibt völlig offen. Der erste Schritt zur Stärkung der Lehrerausbildung wäre, dass dieser Ausbildung etwa in der Exzellenzinitiative oder bei der leistungsorientierten Mittelzuweisung der Länder endlich der Stellenwert zugemessen bekommen würde, den sie verdient. Und wichtiger als Appelle an Länder und Kommunen wäre, dass man diesen die finanzielle Luft für eine höhere Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher oder für kleinere Klassen gäbe. Doch mit den Steuersenkungen wird das Gegenteil bewirkt.
Ein Prosit auf das Wohl der Studierenden
Die großen Sprüche zur Verbesserung der „Qualität für Studium und Lehre“ (Zeile 2646) oder die Anpassungen des Bologna-Prozesses „zum Wohl der Studierenden“ (Zeile 2656) sind nicht mehr wert als ein feucht-fröhliches Prösterchen auf das Wohl der Bachelor- und Master-Studierenden. Der Bund hat bei der Studienreform kaum noch etwas zu sagen und kann die Beteiligten allenfalls noch zum Small-Talk beim Stehempfang einladen. Die Hoffnung ein „Bologna-Qualitäts- und Mobilitätspaket“ (Ziele 2657) schnüren zu können, wird sich statt als Paket eher als eine Wundertüte voller unliebsamer Knallbonbons herausstellen. Noch nicht einmal die von Bildungsministerin im Sommer geforderte Abschaffung der Quote beim Übergang vom Bachelor zum Master findet sich im Koalitionsvertrag als Appell wieder. Ein Mobilitätspaket hört sich angesichts der rückläufigen Mobilität nach Einführung der Bachelor-Studiengänge eher wie ein Witz an. Nichts zur Flexibilisierung der starren 6-Semestergrenze, nichts zur Verbesserung der Qualität der Lehre und zur Beseitigung von Überfrachtung der Studiengänge, zu Prüfungsdruck und zur Senkung der Abbrecherquoten.
Verbesserung der Anerkennung von Studienleistungen im luftleeren Raum
Wie soll die „Anerkennung von Studienleistungen und Hochschulabschlüssen … national wie international verbessert werden“ (Zeille 2662 f.), wenn sich der Bund des letzten Instrumentes, das er dafür besitzt, nämlich des Hochschulrahmengesetzes begibt und gleichzeitig die Hochschulen unter dem Schlagwort „Autonomie“ aus dieser Verantwortung entlässt.
Noch nicht einmal bei der Regelung der Hochschulzulassung übernimmt der Bund seine gesamtstaatliche Verantwortung [PDF – 79 KB], sondern überlässt das entstandene Chaos dem Belieben der Hochschulrektorenkonferenz, die ja die Umgestaltung der Zentrale zur Vergabe von Studienplätzen „zu einer leistungsfähigen Servicestelle“ als „Zulassungszentralismus“ mit allen Mitteln zu hintertreiben versucht.
Die Förderung von Hochbegabten und von unternehmerischem Geist als wichtigste Ziele der Schulbildung
Angesichts fehlender Zuständigkeit ist sogar noch nachvollziehbar, dass sich der Koalitionsvertrag über eine Reform der Schulstrukturen oder die Beseitigung von sozialen Bildungsbarrieren ausschweigt. Da ist es bemerkenswert, dass der einzige Hinweis zur Verbesserung der individuellen Förderung, nicht etwa den 40% der Schüler mit Migrationshintergrund gilt, die derzeit nicht einmal Basiskompetenzen auf niedrigstem Niveau erreichen, sondern der relativ kleinen Gruppe der Hochbegabten gilt: „Wir wollen die Beratung von Eltern sowie von Lehrerinnen und Lehrern hochbegabter Kinder besonders fördern. Hochbegabtenförderung muss früher beginnen.“ (Zeile 2639 f.)
Zu den Lehrinhalten in der Schule findet sich ein einziger für diese Koalition allerdings bezeichnender Satz: „Die Initiative „Unternehmergeist in die Schulen“ wird weitergeführt und ausgebaut.“ (Zeile 2685f.) Unternehmergeist in die Schulen, das ist also die wichtigste geistige Erneuerung für die Modernisierung unser Schulsystem.
Fetisch duales System
Wie schon in der Vergangenheit singen CDU/CSU und FDP wieder einmal das hohe Lied auf das „duale System“ in der Berufsausbildung. Es sei ein „Erfolgsmodell“ und das obwohl die duale Ausbildung auf 43 Prozent der jährlichen Neuzugänge zur beruflichen Bildung zurückgefallen ist [PDF – 160 KB]. 22% der erfolglosen Bewerber besuchen mehr oder weniger freiwillig weiter eine allgemeinbildende Schule besucht oder eine sog. berufsvorbereitende Maßnahme absolviert und der Rest landet irgendwo in „Zwischenlagern“, davon 10% als ungelernte Hilfskräfte. Es ist geradezu makaber, dass gerade jetzt, wo die Krise auf dem Ausbildungsmarkt ankommt und die Unternehmen die Zahl der Ausbildungsplätze reduzieren, davon geredet wird, dass man „den erfolgreichen Ausbildungspakt mit der Wirtschaft fortführen“ (Zeile 2705) werde.
Duale Berufsausbildung wird in ihre Bestandteile zerlegt
Zur Weiterentwicklung der beruflichen Bildung fallen den Koalitionären nur die „Flexibilisierung und Modularisierung“ ein. Zurecht kritisiert ver.di: „Mit der Modularisierung der dualen Ausbildung passt sich die Koalition einer europäischen Entwicklung an, die mehr auf staatliche Ausbildungsabschnitte und Training on the Job setzt. Damit sinkt generell die Qualität der Ausbildung im dualen System. Es ist nicht einzusehen, dass in anderen europäischen Ländern wie in Frankreich das duale System erprobt, bei uns aber in seine Bestandteile zerlegt werden soll.
Eine Ausrichtung der Berufsausbildung auf Einzelinteressen der Betriebe, verbunden mit modularisierten Ausbildungsordnungen in zweijährigen Ausbildungsgängen, nützt weder den Betrieben noch den Beschäftigten und fördert eher den Ausbau des Niedriglohnsektors.“ (S. 21)
Deutschland fällt in der Weiterbildung weiter zurück
Gemessen an der Anzahl der Teilnehmer und der Dauer von beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen liegt Deutschland hinter den meisten der anderen Industrieländer zurück. Die Chance für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, an Weiterbildungskursen teilzunehmen, ist im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich (Platz 16), bei der Intensität der Maßnahmen befindet sich Deutschland am unteren Ende der Skala (Platz 22).
Die Unternehmen beteiligen sich gerade einmal zu 30% an den Weiterbildungskosten.
Quelle: Bibb
Der neuen Bundesregierung fällt zum „lebensbegleitenden Lernen“ nicht mehr ein, als dass eine „Weiterbildungsallianz“ (Zeile 2732) geschmiedet werden müsse und verweist ansonsten auf die „besondere Verantwortung“ (Zeile 2739) der Sozialpartner. Von einem Erwachsenenbildungsförderungsgesetz – wie es die Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens vorgeschlagen hat -, das einen verbindlichen Anspruch auf Weiterbildung festschreibt oder gar von einer Verbesserung der individuellen Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen keine Spur.
Da sollen auf der einen Seite wegen des demografischen Wandels „die Voraussetzungen für eine längere Teilhabe Älterer am Erwerbsleben“ (Zeile 767f.) verbessert werden, die wichtigste Voraussetzung für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit, nämlich die Beseitigung des Chaos bei der Weiterbildung und die Verbesserung der Weiterqualifizierungsmöglichkeiten für den einzelnen Arbeitnehmer werden jedoch verweigert.
Als Fazit zur Bildungspolitik der schwarz-gelben Koalition bleibt übrig:
Bildung wird weiter ein Thema für blumige Sonntagsreden bleiben. Das Pathos im Koalitionsvertrag steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu den Taten. Die Bildungsrepublik Deutschland bleibt gerade auf dem Feld der Bildung eher eine Bananenrepublik.