Schul- und Bildungspolitik der CDU in Hessen
Deregulierung, Privatisierung und Entprofessionalisierung einhergehend mit einem sozialen Kahlschlag sind die Kennzeichen der Regierung Koch in Hessen: Abkassieren bei den sozial Benachteiligten, bei Studierenden und bei den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Dem Gehaltsabbau und der Arbeitszeitverlängerung für die Landesbediensteten folgten der Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die Zunahme deregulierter Beschäftigungsverhältnisse gepaart mit dem Abbau professioneller Standards und staatlicher Verantwortung bei öffentlichen Dienstleistungen. Entstaatlichung ging Hand in Hand mit größer werdender sozialer Ungleichheit und Selektion vor allem im Bildungswesen.
Von Jens Wernicke
Politik sozialer Ausgrenzung und Selektion in der Schule
Mit der Novellierung des Schulgesetzes wurden die Voraussetzungen geschaffen, um in den Folgejahren unter anderem:
- in den Grundschulen den Auslesedruck zu erhöhen,
- Förderstufen und integrierte Systeme weiter an den Rand zu drängen,
- die Spaltung zwischen den Schulformen zu vertiefen,
- den gymnasialen Bildungsgang in der Sekundarstufe I zu verkürzen und massiv zu verdichten (G8),
- das Bildungsangebot in der Fläche auszudünnen,
- die Klassengrößen weiter anzuheben (auf nun bis zu 33 SchülerInnen pro Klasse; der Anteil solche „großer“ Klassen steigt),
- die Berufsschulpflicht der Jugendlichen ohne Ausbildungsvertrag abzuschaffen.
Politik der Deregulierung, Entprofessionalisierung und Privatisierung
Mit der Zerschlagung des HeLP (Hessisches Landesinstitut für Pädagogik) – als Institut, in dem von Profis organisierte Fortbildung immerhin noch möglich war, -, mit „neuen Modellen rechtlicher Selbständigkeit von Schulen“ und später einer so genannten „Unterrichtsgarantie Plus“ wurden Deregulierung, Entprofessionalisierung und Privatisierung zunehmend zur bildungspolitischen Leitlinie der Landesregierung.
So heißt es etwa auf der Homepage der Hessischen Staatskanzlei
»Der Abbau bzw. die Privatisierung staatlicher Aufgaben ist eines der wichtigsten Ziele der Verwaltungsreform. Jede staatliche Leistung soll auf ihre Notwendigkeit und ihre Privatisierungsfähigkeit hin überprüft werden.«
Mit dieser Strategie folgt die hessische Landesregierung vor allem im Bereich der Bildungspolitik ziemlich passgenau die Empfehlungen, die der wirtschaftsliberale Dachverband der Reichtumsstaaten, die OECD [PDF – 128 KB], bereits 1996 seinen Mitgliedern erteilte:
»Um das Haushaltsdefizit zu reduzieren, sind sehr substanzielle Einschnitte im Bereich der öffentlichen Investitionen oder die Kürzung der Mittel für laufende Kosten ohne jedes politische Risiko. Wenn Mittel für laufende Kosten gekürzt werden, dann sollte die Quantität der Dienstleistung nicht reduziert werden, auch wenn die Qualität darunter leidet. Beispielsweise lassen sich Haushaltsmittel für Schulen und Universitäten kürzen, aber es wäre gefährlich, die Zahl der Studierenden zu beschränken. Familien reagieren gewaltsam, wenn ihren Kindern der Zugang verweigert wird, aber nicht auf eine allmähliche Absenkung der Qualität der dargebotenen Bildung, und so kann die Schule immer mehr dazu übergehen, für bestimmte Zwecke von den Familien Eigenbeiträge zu verlangen, oder bestimmte Tätigkeiten ganz einstellen. Dabei sollte nur nach und nach so vorgegangen werden, z.B. in einer Schule, aber nicht in der benachbarten Einrichtung, um jede allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung zu vermeiden.« (S. 28)
“Etiketten hui, Realitäten pfui”
Im Detail hat die konservative hessische Schulpolitik mit ihren „Reform“-Versprechen eher einen Etikettenschwindel betrieben, als tatsächliche Verbesserungen herbeigeführt:
- In Hessen gibt es seit über zehn Jahren gerade einmal 15 echte Ganztagsschulen, alle anderen Schulen, die diesen Namen führen, sind eher „Verwahranstalten am Nachmittag“. In wirklichen Ganztagsschulen wird mit einem anderen Lernrhythmus und anderen Lernmöglichkeiten gearbeitet. Solche Schulen haben eine sinnvolle Verteilung des Unterrichts über den ganzen Tag, mehr Angebote und mehr Räume. Die Schülerinnen und Schüler echter Ganztagsschulen kommen z.B. in der Regel am Nachmittag ohne zusätzliche Hausaufgaben nach Hause kommen. Ganztagsschule heißt jedenfalls nicht: den ganzen Tag Aufenthalt an der Schule und danach Hausaufgaben.
- Das hessische Schulsystem ist nicht etwa nur drei- sondern sogar „mehrgliedrig“. Es wird nun mit der Einführung von G8 obligatorisch für alle Gymnasien und fakultativ G8 oder G9 für andere Schulformen noch weiter in verschiedene und vor allem auch „ungleiche“ Bildungswege ausdifferenziert. Und das, obwohl Bildungsstudien übereinstimmend belegen, dass schon beim derzeitigen gegliederten Schulsystem in keinem anderen entwickelten Industrieland das erreichte Niveau der Schulabschlüsse so sehr von der sozialen Herkunft abhängt wie bei uns – weil die frühe Auslese innerhalb des Schulsystems die Kinder und Jugendlichen in ungleiche Bildungswege zwingt. Kinder aus einem Akademikerhaushalt haben bei gleichem Leistungsvermögen eine wesentlich höhere Chance, ein Abitur zu machen, als etwa Arbeiterkinder. In skandinavischen Ländern, wo es eine gemeinsame Schule für alle bis zum Ende der Mittelstufe gibt, arbeitet und lernt man miteinander, es gibt eine differenziertere Förderung und man erreicht damit ein erheblich höheres Maß an Bildungsgerechtigkeit.
- Was für Gesamtdeutschland gilt, wird auch in Hessen immer deutlicher: Der Staat zieht sich zunehmend aus der Verantwortung für die Qualität von Bildung zurück. An seine Stelle treten mehr und mehr private „Test“-Anbieter, wie z.B. „Akkreditierungsagenturen“, kommerzielle Testinstitute oder es bieten private Stiftungen sog. Evaluierungsprogramme oder gar eine “eigene” Lehrerausbildung (vgl. “Teach First Deutschland und die Privatisierung (zuerst) der Lehrerausbildung“) an. In den USA „sponsern“ sogar schon Fast-Food-Konzerne Schulbücher – und reden natürlich bei deren Inhalten ein gehöriges Wörtchen mit. Eine ganz ähnliche Entwicklung findet auch bei uns statt: Da der Staat angeblich kein Geld mehr hat, nachdem in einem wahren Steuersenkungswahn die Steuern vor allem für Vermögende und international aufgestellte Konzerne gesenkt wurden, „muss“ er nun zunehmend etwa Kopiergebühren an Schulen erheben, die Eltern auffordern, zur Verbesserung der Lehrqualität Geld an Elternvereine zu spenden. Es gibt sogar Überlegungen seitens einiger Wirtschaftsverbände ein Schulgeld einzuführen.
- CDU und FDP planen die „selbständige Schule“, was eine wohlklingende Umschreibung dafür ist, dass Schulen fortan wie Unternehmen geführt werden sollen. Unter der Überschrift „Neue Verwaltungssteuerung“ (NVS) soll an Bildungseinrichtungen eine Kosten- und Leistungsrechnung eingeführt werden. Unter dem Etikett eines „effizienteren Ressourceneinsatzes“ werden de facto staatliche Mittel gekürzt bzw. die Preissteigerungen nicht ausgeglichen und die steigenden Kosten müssen in Form bspw. der Beteiligung an Sachmitteln oder über Ausstattungs-Spenden von Eltern getragen werden. Oder es werden die Kosten von Fortbildungen auf die Lehrer verlagert. So wird nicht nur schleichend mehr „private Beteiligung“ an der Bildungsfinanzierung eingeführt, sondern zugleich eine Spaltung in ‚arme’ und ‚reiche’ Schulen vorangetrieben, die die bestehenden Chancenungerechtigkeiten des gegliederten Schulsystems noch mehr verstärkt.
- Statt staatliche Ganztagsschulen auszubauen, steigen die Ausgaben der Eltern für privaten Nachhilfeunterricht. Inzwischen gibt es bundesweit rund 3.000 Nachhilfeanbieter. Auf diesem „Weiterbildungsmarkt“ wird ein jährlicher Umsatz von etwa 1,2 Milliarden Euro gemacht. Wer privat dazulernen kann, weil er das Geld hat, gewinnt – wer nicht, bleibt auf der Strecke.
- „Abitur verkauft!“: In einer Nacht- und Nebelaktion des Hessischen Kultusministeriums wurden alle bisherigen Abituraufgaben ohne stichhaltige Begründung aus dem Internet genommen. Gleichzeitig wurden die Prüfungsaufgaben u.a. an einen privaten Verlag verkauft bzw. mehr oder weniger „verschenkt“. Aus Sicht der Schulbuchverlage ein gutes Geschäft, mit fest kalkulierbarer Nachfrage (die nächste Abi-Generation klopft schon an). Da werden also Prüfungs- oder Übungsaufgaben, die von zahllosen Lehrer-Kommissionen erarbeitet wurden und für deren Arbeit der Steuerzahler geschätzte 2 Millionen Euro aufbringen muss , vom Schulministerium für einen Bruchteil des Geldes (in 2007 und 2008 zusammen gerade einmal rund 10.000 Euro) an private Verlage verscherbelt. Die Lernmaterialien müssen dann anschließend von den SchülerInnen zur Vorbereitung ihrer Abitursprüfung teuer gekauft werden.
- Den Anteil der Privatschulen zu vergrößern, ist erklärtes Ziel von CDU und FDP. Damit werden Eltern begünstigt, die sich die teuren Schulgelder leisten können. Gleichzeitig werden die staatlichen Schulen vernachlässigt.
- Minister Banzer verletzt systematisch Mitbestimmungsrechte: Am 26. September 2008 hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden auf Antrag des Hauptpersonalrats der Lehrerinnen und Lehrer folgenden Beschluss gefasst:
Es wird festgestellt, dass der Beteiligte (das Hessische Kultusministerium, vertreten durch den amtierenden Kultusminister Banzer, d.V.) den Antragsteller (Hauptpersonal der Lehrerinnen und Lehrer, d.V.) mit den Regelungen der 3. Säule der Lehrergewinnung bezüglich den Vorgaben über die Richtlinien über die Auswahl bei der Einstellung und die Grundsätze der Steilenausschreibung für die so genannten Quereinsteiger neuer Regelung in seinem Mitbestimmungsrecht gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 und 4 HPVG verletzt hat; dass der Beteiligte den Antragsteller hinsichtlich der Regelungen bezüglich der Bindung von Referendaren durch Zusicherung zur Einstellung in seinem Mitbestimmungsrecht gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 und 4 HPVG verletzt hat; und dass dem Antragsteller bezüglich des automatisierten Umgangs mit den Bewerberdaten nach dem Verfahren Lehrer nach Hessen ein Beteiligungsrecht gemäß § 81 Abs. 1 HPVG zusteht (was vom Ministerium bestritten worden war, d.V.).
Der amtierende Kultusminister Banzer hatte ohne jede Rechtsgrundlage und unter Verletzung einschlägiger Rechtsvorschriften ein Einstellungsverfahren (mit befristeten Verträgen und Übernahmeoption) für Bewerber in so genannten Mangelbereichen eröffnet, die weder ein Lehramt studiert noch eine pädagogische Ausbildung haben. Das Kultusministerium hatte noch nicht einmal ein Qualifizierungsprogramm entwickelt. Lauthals hat der amtierende Kultusminister im Sommer 2008 die Kampagne „Lehrer nach Hessen“ verkündet, eine Beteiligung des Personalrates hielt er jedoch für verzichtbar.
Bildungsausgaben sinken
Der im Auftrag von BMBF und KMK erstellte und soeben veröffentlichte Bildungsfinanzbericht 2008 enthält eine Fülle von Einzeldaten zur Bildungsfinanzierung. Auch wenn in der Zusammenfassung des Berichtes (S. 15ff.) immer wieder von steigenden Ausgaben berichtet wird, kommt das Statistische Bundesamt nicht umhin, einen Rückgang der Gesamt-Bildungsausgaben (öffentlich und privat) gemessen an ihrem Anteil am Bruttoinlandprodukt zu konstatieren (1995: 6,9 %, 2005: 6,3 %). Gestiegen sind in aller Regel nur die nominalen Ausgaben – also ohne Berücksichtigung der Preissteigerungen.
Dazu ein Beispiel: Die öffentlichen Ausgaben für den allgemeinen Schulbereich sind von 2000 bis 2007 von 46,7 Mrd. Euro auf 51,3 Mrd. Euro gestiegen. Auf den ersten Blick sieht das nach einer beeindruckenden Steigerung um 9,9 Prozent aus. Angesichts von ca. 12 Prozent Inflation im selben Zeitraum handelt es sich hierbei jedoch de facto um eine Ausgabenkürzung (Bildungsfinanzbericht, S. 35).
Auch im so genannten „internationalen Vergleich“ (der anhand anderer Berechnungsgrundlagen erfolgt und sich daher anderer Werte bedient), steht Deutschland nach wie vor schlecht da: Insgesamt betrug der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am BIP 2005 in Deutschland 4,5 % und damit deutlich weniger als im OECD-Durchschnitt (5,4 %). Um den OECD-Mittelwert zu erreichen, müsste Deutschland rund 21 Mrd. Euro mehr bereit stellen – jährlich! Um mit den Spitzenreitern in der OECD gleichzuziehen (Dänemark: 8,3 %; Norwegen und Schweden: 7,0 %) wären bis zu 91 Mrd. Euro erforderlich – jährlich!
Nach Angaben des Bildungsfinanzberichts liegt der Bundesdurchschnitt der öffentlichen Ausgaben für Schulen und Hochschulen bei 4,1 %. Hessen, das Roland Koch zum „Bildungsland Nummer 1“ machen wollte, bildet hier mit einem BIP-Anteil von 3,0 % das Schlusslicht aller Flächenländer (Bildungsfinanzbericht, S. 60). (Von allen 16 Bundesländern wendet nur Hamburg mit 2,9 % weniger für die Bildung auf.)
Weitere Quellen:
- Geschäftsbericht 2006 – 2008 der GEW Hessen
- Newsletter Bildungsfinanzierung 11/2008 der GEW [PDF – 76 KB]
Der Autor, Jens Wernicke, ist Referent für Bildungs- und Hochschulpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag