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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Schul- und Bildungspolitik der CDU in Hessen
Datum: 9. Dezember 2008 um 9:25 Uhr
Rubrik: Bildung, Privatisierung öffentlicher Leistungen, Schulsystem
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Deregulierung, Privatisierung und Entprofessionalisierung einhergehend mit einem sozialen Kahlschlag sind die Kennzeichen der Regierung Koch in Hessen: Abkassieren bei den sozial Benachteiligten, bei Studierenden und bei den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Dem Gehaltsabbau und der Arbeitszeitverlängerung für die Landesbediensteten folgten der Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die Zunahme deregulierter Beschäftigungsverhältnisse gepaart mit dem Abbau professioneller Standards und staatlicher Verantwortung bei öffentlichen Dienstleistungen. Entstaatlichung ging Hand in Hand mit größer werdender sozialer Ungleichheit und Selektion vor allem im Bildungswesen.
Von Jens Wernicke
Politik sozialer Ausgrenzung und Selektion in der Schule
Mit der Novellierung des Schulgesetzes wurden die Voraussetzungen geschaffen, um in den Folgejahren unter anderem:
Politik der Deregulierung, Entprofessionalisierung und Privatisierung
Mit der Zerschlagung des HeLP (Hessisches Landesinstitut für Pädagogik) – als Institut, in dem von Profis organisierte Fortbildung immerhin noch möglich war, -, mit „neuen Modellen rechtlicher Selbständigkeit von Schulen“ und später einer so genannten „Unterrichtsgarantie Plus“ wurden Deregulierung, Entprofessionalisierung und Privatisierung zunehmend zur bildungspolitischen Leitlinie der Landesregierung.
So heißt es etwa auf der Homepage der Hessischen Staatskanzlei
»Der Abbau bzw. die Privatisierung staatlicher Aufgaben ist eines der wichtigsten Ziele der Verwaltungsreform. Jede staatliche Leistung soll auf ihre Notwendigkeit und ihre Privatisierungsfähigkeit hin überprüft werden.«
Mit dieser Strategie folgt die hessische Landesregierung vor allem im Bereich der Bildungspolitik ziemlich passgenau die Empfehlungen, die der wirtschaftsliberale Dachverband der Reichtumsstaaten, die OECD [PDF – 128 KB], bereits 1996 seinen Mitgliedern erteilte:
»Um das Haushaltsdefizit zu reduzieren, sind sehr substanzielle Einschnitte im Bereich der öffentlichen Investitionen oder die Kürzung der Mittel für laufende Kosten ohne jedes politische Risiko. Wenn Mittel für laufende Kosten gekürzt werden, dann sollte die Quantität der Dienstleistung nicht reduziert werden, auch wenn die Qualität darunter leidet. Beispielsweise lassen sich Haushaltsmittel für Schulen und Universitäten kürzen, aber es wäre gefährlich, die Zahl der Studierenden zu beschränken. Familien reagieren gewaltsam, wenn ihren Kindern der Zugang verweigert wird, aber nicht auf eine allmähliche Absenkung der Qualität der dargebotenen Bildung, und so kann die Schule immer mehr dazu übergehen, für bestimmte Zwecke von den Familien Eigenbeiträge zu verlangen, oder bestimmte Tätigkeiten ganz einstellen. Dabei sollte nur nach und nach so vorgegangen werden, z.B. in einer Schule, aber nicht in der benachbarten Einrichtung, um jede allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung zu vermeiden.« (S. 28)
“Etiketten hui, Realitäten pfui”
Im Detail hat die konservative hessische Schulpolitik mit ihren „Reform“-Versprechen eher einen Etikettenschwindel betrieben, als tatsächliche Verbesserungen herbeigeführt:
Es wird festgestellt, dass der Beteiligte (das Hessische Kultusministerium, vertreten durch den amtierenden Kultusminister Banzer, d.V.) den Antragsteller (Hauptpersonal der Lehrerinnen und Lehrer, d.V.) mit den Regelungen der 3. Säule der Lehrergewinnung bezüglich den Vorgaben über die Richtlinien über die Auswahl bei der Einstellung und die Grundsätze der Steilenausschreibung für die so genannten Quereinsteiger neuer Regelung in seinem Mitbestimmungsrecht gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 und 4 HPVG verletzt hat; dass der Beteiligte den Antragsteller hinsichtlich der Regelungen bezüglich der Bindung von Referendaren durch Zusicherung zur Einstellung in seinem Mitbestimmungsrecht gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 und 4 HPVG verletzt hat; und dass dem Antragsteller bezüglich des automatisierten Umgangs mit den Bewerberdaten nach dem Verfahren Lehrer nach Hessen ein Beteiligungsrecht gemäß § 81 Abs. 1 HPVG zusteht (was vom Ministerium bestritten worden war, d.V.).
Der amtierende Kultusminister Banzer hatte ohne jede Rechtsgrundlage und unter Verletzung einschlägiger Rechtsvorschriften ein Einstellungsverfahren (mit befristeten Verträgen und Übernahmeoption) für Bewerber in so genannten Mangelbereichen eröffnet, die weder ein Lehramt studiert noch eine pädagogische Ausbildung haben. Das Kultusministerium hatte noch nicht einmal ein Qualifizierungsprogramm entwickelt. Lauthals hat der amtierende Kultusminister im Sommer 2008 die Kampagne „Lehrer nach Hessen“ verkündet, eine Beteiligung des Personalrates hielt er jedoch für verzichtbar.
Bildungsausgaben sinken
Der im Auftrag von BMBF und KMK erstellte und soeben veröffentlichte Bildungsfinanzbericht 2008 enthält eine Fülle von Einzeldaten zur Bildungsfinanzierung. Auch wenn in der Zusammenfassung des Berichtes (S. 15ff.) immer wieder von steigenden Ausgaben berichtet wird, kommt das Statistische Bundesamt nicht umhin, einen Rückgang der Gesamt-Bildungsausgaben (öffentlich und privat) gemessen an ihrem Anteil am Bruttoinlandprodukt zu konstatieren (1995: 6,9 %, 2005: 6,3 %). Gestiegen sind in aller Regel nur die nominalen Ausgaben – also ohne Berücksichtigung der Preissteigerungen.
Dazu ein Beispiel: Die öffentlichen Ausgaben für den allgemeinen Schulbereich sind von 2000 bis 2007 von 46,7 Mrd. Euro auf 51,3 Mrd. Euro gestiegen. Auf den ersten Blick sieht das nach einer beeindruckenden Steigerung um 9,9 Prozent aus. Angesichts von ca. 12 Prozent Inflation im selben Zeitraum handelt es sich hierbei jedoch de facto um eine Ausgabenkürzung (Bildungsfinanzbericht, S. 35).
Auch im so genannten „internationalen Vergleich“ (der anhand anderer Berechnungsgrundlagen erfolgt und sich daher anderer Werte bedient), steht Deutschland nach wie vor schlecht da: Insgesamt betrug der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am BIP 2005 in Deutschland 4,5 % und damit deutlich weniger als im OECD-Durchschnitt (5,4 %). Um den OECD-Mittelwert zu erreichen, müsste Deutschland rund 21 Mrd. Euro mehr bereit stellen – jährlich! Um mit den Spitzenreitern in der OECD gleichzuziehen (Dänemark: 8,3 %; Norwegen und Schweden: 7,0 %) wären bis zu 91 Mrd. Euro erforderlich – jährlich!
Nach Angaben des Bildungsfinanzberichts liegt der Bundesdurchschnitt der öffentlichen Ausgaben für Schulen und Hochschulen bei 4,1 %. Hessen, das Roland Koch zum „Bildungsland Nummer 1“ machen wollte, bildet hier mit einem BIP-Anteil von 3,0 % das Schlusslicht aller Flächenländer (Bildungsfinanzbericht, S. 60). (Von allen 16 Bundesländern wendet nur Hamburg mit 2,9 % weniger für die Bildung auf.)
Weitere Quellen:
Der Autor, Jens Wernicke, ist Referent für Bildungs- und Hochschulpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=3644