Covid-19 – erfreulich undramatische Daten rechtfertigen keine dramatischen Eingriffe

Covid-19 – erfreulich undramatische Daten rechtfertigen keine dramatischen Eingriffe

Covid-19 – erfreulich undramatische Daten rechtfertigen keine dramatischen Eingriffe

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Womit lassen sich eigentlich die Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern begründen? Im März hieß es, man müsse das Gesundheitssystem vor dem drohenden Kollaps bewahren. Im April rückte der R-Wert als vermeintlich belastbarer Indikator in den politischen Fokus und im Mai verabschiedeten Bund und Länder einen „Notfallmechanismus“, der strengere Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus von der Infektionslage auf Kreisebene abhängig machen sollte. Heute, im August, sind die Krankenhäuser so leer wie selten zuvor, von einer exponentiellen Ausbreitung der Infektionen kann keine Rede sein und kein einziger Landkreis reißt die vereinbarte Obergrenze. Die wichtigen Zahlen und Indikatoren unterscheiden sich diametral von der Situation Ende März. Dennoch malen Teile der Politik das Schreckensszenario eines zweiten Lockdowns an die Wand. Von Jens Berger

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Als Bund und Länder im März und April ihre unterschiedlichen „Maßnahmen“ verhängten, sah die Datenbasis zur Covid-19-Pandemie noch anders aus.

Neuinfektionen

  • Anfang April meldete das RKI jeden Tag mehr als 6.000 Neuinfizierte.
  • Im August war laut RKI die Zunahme der aktiven Fälle (5.425) in den ersten 18 Tagen zusammen niedriger als im April an einem einzigen Tag.

Verstorbene

  • Für den 16. April verzeichnete das RKI 315 an oder mit Covid-19 Verstorbene.
  • Das ist mehr, als wir in den letzten 50 Tagen in Summe hatten (279). Im August verstarben im Schnitt 5,2 Patienten pro Tag an oder mit Covid-19.

Hospitalisierung

  • In der 14. Kalenderwoche (vom 30. März bis zum 5. April) gab es laut RKI 6.029 Patienten, die hospitalisiert, also im Krankenhaus behandelt werden mussten. Das entsprach 19% der angegebenen Infizierten. Davon verstarben 2.241 Patienten, was seinerzeit 6,2% der Neuinfektionen dieser Woche entsprach.
  • In der 33. Kalenderwoche (vom 10. bis zum 16. August) mussten lt. RKI 322 Patienten hospitalisiert werden. Das entsprach 6% der angegebenen Infizierten und in der 31. Kalenderwoche (jüngere Daten liegen noch nicht vollständig vor) starben 15 Patienten, was 0,1% der Neuinfektionen dieses Zeitraums entspricht.

Positive PCR-Tests

  • In der 14. Kalenderwoche ergaben 9,0% der 408.348 vorgenommenen Tests ein positives Ergebnis.
  • In der 32. Kalenderwoche ergaben 1,0% der vorgenommenen 672.171 Tests ein positives Ergebnis.

Intensivbetten

  • Am 19. April markierte die Zahl der mit Covid-19-Patienten belegten Intensivbetten laut Intensivregister mit 2.922 ihren Höhepunkt.
  • Am 18. August markierte die Zahl der mit Covid-19-Patienten belegten Intensivbetten laut Intensivregister mit 227 den niedrigsten Stand seit Einführung dieser Messung im März.
  • Aktuell werden 9.242 sofort verfügbare Intensivbetten als „frei“ gemeldet, laut Deutscher Krankenhausgesellschaft könnte die Zahl im Notfall jedoch auch auf 40.000 (30.000 davon mit Beatmung) erhöht werden.
  • Betrug das Verhältnis von mit Covid-19-Patienten belegten Intensivbetten zu den zur Verfügung stehenden freien Intensivbetten Mitte April rund 1:4, so beträgt es heute 1:40 und dies sogar unter der Berücksichtigung, das schon lange keine Intensivbetten mehr für Covid-19-Fälle freigehalten werden.

Krankenhausbetten

  • Trotz „Corona-Notstand“ gibt es in Deutschland keine zentrale Statistik für die Anzahl der zurzeit hospitalisierten Patienten, die nicht intensivmedizinisch betreut werden müssen. Auf Basis einer Überschlagsrechnung, die einen durchschnittlich dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt unterstellt, müssten zum Höhepunkt der Entwicklung Mitte April rund 16.000 Covid-19-Patienten in den deutschen Krankenhäusern gelegen haben.
  • Auf Basis der gleichen Rechnung sind es heute rund 900 Patienten. Laut GBE verfügt Deutschland über fast 500.000 Betten, von denen zurzeit laut DKG rund 150.000 frei sind.

Übersterblichkeit

  • Um die 14. Kalenderwoche herum gab es eine leichte Übersterblichkeit in Deutschland, der jedoch auch eine Untersterblichkeit aufgrund der vergleichsweise milden Influenza-Saison und des milden Winters vorausging.
  • Seit Juni ist für Deutschland keine Übersterblichkeit mehr messbar.
  • Für das komplette erste Halbjahr 2020 verzeichnete das Statistische Bundesamt in einer Sonderauswertung sogar weniger Todesfälle als im Durchschnitt der letzten drei Jahre.

R-Wert

  • Im März erreichte der R-Wert, der angibt, wie viele weitere Personen ein Infizierter ansteckt, mit 3,0 seinen Höchstwert.
  • Am 18. August betrug der 7-Tage-R-Wert, den das RKI als relevante Größe bezeichnet, 1,05 und liegt damit nur minimal über dem „magischen“ Wert von 1,0.

Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner

  • In der 14. Kalenderwoche lag der Wert für die Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche auf Bundesebene mit 44,9 nur knapp unter dem später für die Landkreise und zur Bewertung von „Risikogebieten“ definierten Grenzwert von 50.
  • Am 19. August gab es bundesweit keinen einzigen Landkreis, der diesen Grenzwert reißt. Bundesweit liegt der Wert zurzeit bei 7,2 Infektionen pro 100.000 Einwohner und Woche.

Die Gefährdungslage ist heute eine andere

Warum sich insbesondere die Zahlen zu den schweren Verläufen und den Todesfällen so erfreulich entwickelt haben, ist Gegenstand einer nicht immer zielführenden Debatte. Ein starkes Indiz für die positive Entwicklung ist die Altersverteilung der positiv Getesteten.

Altersverteilung der positiv Getesteten in den letzten 7 Tagen in Niedersachsen

So war beispielsweise die große Mehrheit in der letzten Woche in Niedersachsen positiv getesteten Personen deutlich jünger als 40 Jahre. Lediglich 18 positiv Getestete waren 70 Jahre oder älter.

Geschlechtsspezifische Altersverteilung der Verstorbenen in Niedersachsen

Dies steht im kompletten Kontrast zur Altersverteilung bei den an oder mit Covid-19 Verstorbenen und den Personen, die mit einem schweren Krankheitsverlauf im Krankenhaus behandelt werden müssen. Laut RKI beträgt der Altersdurchschnitt der Verstorbenen 81 Jahre, 85% der Todesfälle waren 70 Jahre oder älter. Die wenigen jüngeren Todesfälle wiesen laut RKI ausnahmslos schwere Vorerkrankungen auf. Bei den allermeisten jüngeren Infizierten verläuft die Infektion indes so mild oder gar symptomfrei, dass man sich eher Sorgen macht, dass die Infizierten überhaupt nichts von der Infektion mitbekommen und Angehörige der Risikogruppen anstecken könnten.

Will man ein positives Zwischenfazit aus den vorliegenden Zahlen ziehen, so kann man also sagen, dass Deutschland es offenbar geschafft hat, die Risikogruppen weitestgehend zu schützen. Die Krankheit hat damit einen großen Teil ihrer Bedrohung verloren. Zwar infizieren sich immer noch pro Tag mehr als 1.000 Menschen mit dem Virus. Da es sich hierbei jedoch zum übergroßen Teil um jüngere Menschen abseits der Risikogruppen handelt, die nur in sehr wenigen Ausnahmefällen schwer erkranken, müsste die Bedrohungslage neu bewertet werden. Schwere Komplikationen gibt es in seltenen Ausnahmefällen schließlich auch bei anderen Erkrankungen. Auch eine simple Mandelentzündung kann in sehr seltenen Fällen zu schweren Komplikationen wie einer Blutvergiftung und schweren Herz- oder Nierenerkrankungen führen. An einer Blutvergiftung stirbt übrigens alle sechs bis sieben Minuten ein Mensch in Deutschland – Ärzte gehen davon aus, dass jeder vierte dieser Todesfälle vermeidbar wäre.

Eine Debatte ohne ausreichende Datenbasis

Trotz der erfreulich undramatischen Corona-Daten zieht die Politik die Daumenschrauben wieder enger. Es ginge nun darum, „einen zweiten Lockdown zu verhindern“. In Niedersachsen wurden bereits angekündigte Lockerungen abgesagt , Gesundheitsminister Spahn will künftig private Feiern einschränken und natürlich warnt auch der SPD-Politiker und Dauer-Talkshowgast Karl Lauterbach: „Wir können nicht so weitermachen wie jetzt!“ . Wer eine plausible Begründung für diese Aussagen sucht, sucht vergebens.

Sämtliche Daten zeigen, dass es keinen kausalen Grund für eine derartige Debatte gibt. Anstatt auf Sterbeziffern oder die Daten aus den Krankenhäusern kaprizieren sich Politik und Medien einzig und allein auf die – wenn auch nur sehr, sehr gering – dynamischen positiven Testergebnisse. Doch die sind isoliert betrachtet nicht sonderlich aussagekräftig für die Bewertung der Gefährdung. Streng genommen ist sogar fragwürdig, positiv Getestete als „Erkrankte“ zu bezeichnen, zeigen doch vor allem jüngere Menschen sehr oft einen symptomfreien Verlauf. Ist eine Krankheit ohne Symptome überhaupt eine Krankheit?

Dabei liefern die zur Verfügung stehenden Daten eine sehr überzeugende Botschaft: Wenn es gelingt, die Risikogruppen vor einer Infektion zu schützen, verliert Covid-19 seine Bedrohung. Für unter 20-Jährige ohne Vorerkrankung liegt die Sterblichkeitsrate (IFR) bei kaum messbaren 0,00004%. Für 20- bis 50-Jährige (also die Gruppe, die in Deutschland den Großteil der Neuinfektionen ausmacht) liegt die Rate zwischen 0,0002% und 0,0035%. Und selbst für 60- bis 69-Jährige ohne Vorerkrankung ist sie mit 0,044% bis 0,11% überschaubar und liegt im unteren Bereich der normalen Grippe. Ungefährlich ist Covid-19 dadurch jedoch keinesfalls. Für Männer über 80 mit Vorerkrankungen beträgt die Sterblichkeitsrate immerhin 20,1%.

Sterblichkeit nach Alter, Geschlecht und Vorerkrankung. Quelle: Predicted COVID-19 Fatality Rates Based on Age, Sex, Comorbidities, and Health System Capacity – Center for Global Development, Working Paper 535 June 2020

Die Zahlen liegen also vor, nur dass die Politik aus ihnen keine rationalen Schlüsse zieht. Im August ist Covid-19 – anders vielleicht als im März oder der ersten Aprilhälfte – keine Bedrohung für das Gesundheitssystem und stellt auf Basis der zur Verfügung stehenden Daten auch keine derart ernsthafte Gefährdung für Leib und Leben derjenigen, die keiner Risikogruppe angehören, dar, der man mittels schwerwiegenden Eingriffen in die Grundrechte begegnen müsste, die über eine Verordnungsermächtigung auf Basis des Infektionsschutzgesetzes begründet werden.

Angestoßen durch nicht in den richtigen Kontext gerückte Horrorbilder aus der Lombardei und anfänglich in der Tat beunruhigende Zahlen in Deutschland hat sich die Debatte mittlerweile verselbstständigt und von den nötigen inhaltlichen Fragen verabschiedet. Die Politik reitet auf der hysterischen Welle, die sie selbst Hand in Hand mit den Leitartiklern geschaffen hat und scheint nun – selbst wenn sie es wollte – nur noch schwer aus ihrem Katastrophenmodus herauszukommen. Eine Versachlichung der Debatte auf Basis der keinesfalls beunruhigenden aktuellen Zahlen wäre eine Grundlage, diesen nicht hinnehmbaren Zustand zu beenden. Nur scheint es leider so, dass es sowohl seitens der Politik als auch seitens der Medien kein gesteigertes Interesse daran gibt, die Debatte zu versachlichen.

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Titelbild: eldar nurkovic/shutterstock.com