Leserbriefe zu „Weder links noch rechts!” – also nirgendwo“
In diesem Artikel hat Albrecht Müller versucht zu erklären, dass eine Unterscheidung in links und rechts auch heute Sinn macht. Diese Einschätzung wurde vor dem Hintergrund der Parteigründung von „Widerstand 2020“ und einigen Formulierungen des Mitgründers Dr. Bodo Schiffmann getroffen. Sehr schnell haben viele unserer Leserinnen und Leser auf diesen Beitrag reagiert – viele auch sehr kritisch, aber betont sachlich. Für die eingereichten Leserbriefe bedanken wir uns sehr herzlich. Es folgt eine Auswahl der Antworten. Zusammengestellt von Christian Reimann. Und vorweg noch ein paar Bemerkungen des Autors Albrecht Müller:
Einleitende Anmerkungen zu den Leserbriefen von Albrecht Müller:
- Es kamen so viele interessante Leserbriefe und so viele Anstöße zu einer notwendigen Diskussion, dass ich darauf in einem gesonderten Beitrag eingehen werde. Der Arbeitstitel dieses kommenden Beitrags lautet:
„Ist die Überwindung der nunmehr 40 Jahre herrschenden neoliberalen Ideologie ein neutrales Projekt, weder links noch rechts?“
Vielleicht wäre mein Text “Weder links noch rechts!” – also nirgendwo besser verstanden worden, wenn ich den Begriff Neoliberalismus dort schon gebraucht hatte. Ich hätte zum Beispiel schreiben müssen: In einer Zeit, in der es dringend geboten ist, die neoliberale Ideologie und Praxis aus dem Tempel zu jagen, bringt es nichts, wenn man mit der Formel „weder links noch rechts“ auch jene abwertet, die den Kampf gegen die neoliberale Ideologie und Praxis führen und sich als links verstehen.
- Viele, sehr viele Leserbriefe kamen von Menschen, die sich bei der neuen Partei „Widerstand 2020“ engagiert haben oder engagieren wollen. Sie haben meinen Artikel als Angriff auf ihr neues politisches Engagement empfunden. Das war jedenfalls so nicht gemeint. Alleine die Tatsache, dass ich nicht nur Dr. Schiffmann, sondern auch den ehemaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder als Zeugen aufgerufen hatte, hätte eigentlich das Missverständnis vermeiden helfen müssen.
- Eine Reihe von Leserinnen und Lesern hat sich über die aus ihrer Sicht spürbare Polemik meiner Formulierungen beklagt. Die Polemik tut mir leid. Aber ich bitte um Verständnis: Es liegen jetzt 50 Jahre der Verfolgung alles Linken hinter unserem Land und auch hinter mir. Links war schon direkt in der Nachkriegsgeschichte Westdeutschlands verpönt, links war in der Auseinandersetzung mit den 68ern verpönt, die Verteufelung alles Linken war die durchgängige Angriffslinie der Rechtskonservativen und des großen Geldes im Wahlkampf 1972, für den ich auf Seiten Willy Brandts und der SPD in verantwortlich war. Damals und Jahre später durchgängig wurde von „Freiheit statt Sozialismus“ schwadroniert. „Linksversifft“ oder „links-grün-versifft“ ist eines der heute bei Rechtskonservativen beliebten Etiketten.
Auf den NachDenkSeiten haben wir mehrmals schon beschrieben, wie systematisch daran gearbeitet wird, alles Linke zu dämonisieren. Diese Kampagne ist übrigens die Basiskampagne gegen alle, die gegen die Ideologie des Neoliberalismus antreten.
In dieser für jede wirklich fortschrittliche, soziale und am friedlichen Zusammenleben orientierte Politik schwierigen Situation kommt dann noch der Kopf einer neuen Partei und setzt auf die laufende Kampagne durch Gebrauch des populären Spruchs „Weder links noch rechts“ noch einen drauf. Das fand ich nun wirklich nicht hilfreich. Deshalb die Polemik.
Ich muss das noch ein bisschen sachlich begründen:
Wenn wir zum Beispiel gegen den neuen Feindbild-Aufbau gegenüber Russland eintreten und für Abrüstung statt Aufrüstung, dann werden wir pauschal von jenen abgewertet, die sagen „weder links noch rechts“.
Wenn die NachDenkSeiten wie bisher konsequent gegen die Privatisierung öffentlicher Leistungen und Unternehmen und gegen die Privatisierung der Altersvorsorge eintreten, dann werden auch sie getroffen, wenn gegen diese als links zu verstehende Politik polemisiert wird.
Wenn wir mit Werner Rügemer zusammen dafür eintreten, dass sich Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen zusammentun und kollektiv handeln, dann wird dieser politische Ansatz eindeutig als links verstanden und auch ihn trifft die Polemik „weder links noch rechts“.
Nirgendwo in meinem Text habe ich gefordert, dass sich eine Partei das Etikett links auf die Brust heften soll. Wenn man mich zum Beispiel bei Gründung und Nennung der Linkspartei gefragt hätte, ob die Namensgebung sinnvoll ist, hätte ich wegen der zuvor beschriebenen 60-jährigen Kampagne gegen alles Linke davon abgeraten.
Klar das Buch von Leonhard Frank „Links wo das Herz schlägt“ habe ich wahnsinnig gerne gelesen und fand den Titel auch gut. Aber bei den Wahlkämpfen, an deren Konzipierung ich beteiligt war oder für die ich verantwortlich war, wurde der Begriff links nicht bewusst verwendet. Und auch deshalb kann ich verstehen, dass die Gründer einer neuen Partei diesen Begriff vermeiden wollen.
Und hier die Leserbriefsammlung (einschließlich der Einführung) als PDF.