Der Bundesregierung fehlt es an Sachverstand
Unter der Überschrift „Der nächste Neustart kommt bestimmt“ philosophierte Spiegel Online darüber, dass die „Truppe um Angela Merkel einen selbst erklärten Neuanfang nach dem anderen“ hingelegt habe. Man zitierte Koalitionspolitiker mit ihren Sprüchen: Jetzt müsse Führung gezeigt werden (Seehofer). Es sei Zeit für eine überzeugende Politik (Schavan). Ab heute Politik nach vorne machen (Lindner). Von inneren Problemen war die Rede (Böhmer). Vom Mangel an Sachverstand zur richtigen Analyse und dann für die Lösung der wichtigen und teilweise schwierigen Probleme sprach kaum jemand. Albrecht Müller.
Es ist augenfällig, dass die großen Schwierigkeiten dieser Bundesregierung wie auch schon der vorigen wesentlich daraus folgen, dass die Probleme mangelhaft analysiert werden und die Therapien miserabel sind. Ich will dazu einige Beispiele nennen:
- Die Koalition startete mit der Absicht, Steuern zu senken, obwohl klar erkennbar war, dass die grassierende öffentliche Armut selbst ohne Wirtschafts- und Finanzkrise eine nennenswerte Steuersenkung nicht möglich macht. Das war sonnenklar. Aber nicht für die „Truppe um Angela Merkel“.
- Dann entdeckte die Regierung das Staatsdefizit als großes Problem gerade in einer kritischen konjunkturellen Phase und sah dann trotz drohender weiterer Rezession im Sparen das richtige Rezept. Bis heute. Unbewegt von den Erfahrungen mit der Brüning’schen Politik. Unberührt von Warnungen.
- Keiner der entscheidenden Politikerinnen und Politiker in Berlin hat begriffen, dass man als große Volkwirtschaft Defizite nicht abbauen kann, wenn man die konjunkturellen Probleme durch prozyklisches Sparen verschärft. Der Sachverstand ist offenbar so niedrig angesiedelt, dass niemand am Kabinettstisch ein Stoppschild hochhält, wenn sie alle mit einzelwirtschaftlichen Erfahrungen Probleme einer Volkswirtschaft lösen wollen. In Berlin weiß man offensichtlich nicht, dass Sparabsicht und Sparerfolg zwei verschiedene Dinge sind. Das Niveau ist ganz niedrig.
- In der Koalition hat offensichtlich bis heute niemand verstanden, dass eines der gravierenden Probleme der Finanzwirtschaft darin liegt, dass sie überdimensioniert ist, dass zu viele Ressourcen an Kapital und vor allem an Menschen in diesem Wirtschaftszweig arbeiten. Wir haben ein Konversionsproblem. Siehe dazu. Das begreifen die jetzige Regierung und ihr Finanzminister nicht, so wie es Steinbrück, Eichel und Schröder auch nie begriffen haben.
- Es ist erkennbar, dass die Regierenden mehrheitlich in der Mehrwertsteuer ein Instrument sehen, mit dessen Hilfe man das Steueraufkommen erhöhen könnte. Offenbar erkennt niemand in dieser Bundesregierung das Problem für die Allokation der Ressourcen, wenn diese Steuer weiter erhöht wird. Dann wird nämlich der Export zu lasten der Binnenkonjunktur weiter gefördert. Die Problematik einer optimalen Allokation der Ressourcen durch eine dazu geeignete Steuerpolitik wird von den zurzeit Verantwortlichen nicht gesehen. Siehe dazu auch „Mehrwertsteuererhöhung = Subvention des Exports zulasten des binnenmarktorientierten Gewerbes“
- Es gibt keine Korrektur der Privatisierungspolitik, obwohl an vielen Ecken erkennbar ist, dass dieser Weg falsch ist. Die Privatisierung der Bahn wird weiter vorbereitet. Bei Kliniken und in der Bildung geht es mit der Privatisierung weiter, obwohl zum Beispiel auch die Tendenz zur Privatisierung der öffentlichen Verwaltung, wie man am Fall Würzburg sieht, zur Disposition stehen müsste. Siehe dazu u.a. „Vorbildliche Pleite in Würzburg – Projekt Kommunalverwaltung gescheitert”
- Dass Problem der ständig schlechter werdenden Verteilung von Einkommen und Vermögen wird nicht als Problem erkannt, es wird hingegen geleugnet. Das bleibt ein Sprengsatz, auf dessen Detonation die Regierenden nicht vorbereitet sind.
An diesen wenigen Beispielen lässt sich schon belegen, was in Berlin fehlt: Sachverstand. Hinzu kommen die anderen Mängel: die Abhängigkeit vom Lobbyismus und von der dominanten Propaganda.
Aus diesen Gründen werden wir nicht viel an Verbesserung erwarten können. – Auch wenn immer wieder neu durchgestartet wird, dass Mittelmaß bleibt.