Versuch einer Einordnung des Spiels mit und von Gauck
Wir erleben als Nachspiel zur Bundespräsidentenwahl zurzeit ein eigenartiges Schauspiel. Mit geballter Kraft versuchen Rot und Grün und einige Medien die Tatsache, dass die Mehrheit der Linken in der Bundesversammlung den Linkenhasser Gauck nicht gewählt hat, zu einem übergroßen Thema zu machen und damit zum entscheidenden Schlag zur Stigmatisierung der Linken auszuholen. Viele Beobachter begreifen offensichtlich nicht, was hier abgeht. Weil sie die dahinter steckenden Motive und Strategien der handelnden Personen und Parteiführungen nicht verstehen. Deshalb (in Ergänzung zum Stück von WL) dieser Versuch einer Einordnung: Albrecht Müller.
Vorweg: Im Kapitel 20 von „Meinungsmache“ („Meinungsmache zur Sicherung von Macht und Einfluss“) hatte ich ähnliche Vorgänge beschrieben und im Gesamtzusammenhang analysiert. In den Leseproben finden Sie unter Ziffer 5. und 6. zwei Auszüge.
Wenn man die Vorgänge um die Bundespräsidentenwahl verstehen will, dann muss man in Rechnung stellen, dass die meinungsführenden rechtskonservativen Kreise und die mit ihnen verbundenen Medien nicht nur versuchen, die Wahlentscheidungen zu Gunsten der ihnen nahe stehenden Parteien, im konkreten Fall der Union und der FDP zu beeinflussen. Sie versuchen darüber hinaus, die Willensbildung bei den gegnerischen Parteien zu prägen. Sie bestimmen mit
- über die programmatische Entwicklung von SPD, Grünen und der Linken,
- über Personalentscheidungen und
- über Koalitionsoptionen und Koalitionsentscheidungen.
Sie haben zum Beispiel Einfluss genommen auf die letzte Entscheidung zur Partei und Fraktionsführung der SPD, pro Gabriel und Steinmeier, sie haben den Kampf zwischen Realos und Fundis mitgestaltet und sie wirken jetzt aktuell immer wieder ein auf den fortwährenden „Klärungsprozess“ zwischen Pragmatikern und „Alt-Kommunisten“ innerhalb der Linkspartei. Dabei wird auch vor groben Klischees und völlig falschen Unterstellungen nicht zurückgeschreckt.
Diese Vorgänge haben Tradition. Schon beim Aufkommen der Grünen hat eine ähnliche Stigmatisierung stattgefunden wie heute im Umgang mit den Linken. Und auch die innerparteiliche Eroberung der Macht durch Seeheimer und Netzwerker bei der SPD und der Realos bei den Grünen war von außen mitbestimmt. (Dies ist ausführlich im 2009 erschienenen Buch „Meinungsmache“ geschildert).
Zwischenbemerkung: Bei jedem dieser Sätze muss man gewärtig sein, als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt zu werden. Das hält man aus. Aber jenen, die solche Etiketten anzuheften versuchen, wäre anzuraten, sich etwas genauer mit den Fakten zu beschäftigen. Andernfalls bleiben sie in einer Traumwelt von Demokratievorstellung, die sie dann getrost mit dem Kandidaten Gauck teilen können.
Zu den bemerkenswerten Fakten gehört ein Bericht in der Financial Times Deutschland vom 20.6.2010 darüber, wer der Erfinder des Kandidaten Gauck gewesen ist: der Chefredakteur des Springerblattes „Welt“. Wörtlich heißt es in der FTD:
„Inzwischen geben die rot-grünen Parteigranden sogar ehrlich zu, wer sie auf die Idee mit dem Kandidaten Joachim Gauck gebracht hat: Thomas Schmid war es, Chefredakteur der “Welt” aus dem Verlag Axel Springer.
Als Gaucks Kandidatur dann offiziell war, jubelten “Welt” und “Bild” (“Yes, we Gauck”) so demonstrativ und laut, dass Kanzlerin Angela Merkel mehrmals zum Telefonhörer griff, um sich bei Verlegerin Friede Springer zu erkundigen, was denn mit ihrem Verlag los sei.“
Es ist anzunehmen, dass die mediale Unterstützung von Springer und vermutlich auch anderer Medien dem Kandidaten und auch der SPD und den Grünen zugesagt wurde, jedenfalls in Aussicht gestellt wurde.
Es ist weiter zu vermuten, dass der Kandidat und die beiden Parteien von vornherein geplant haben, diese Kandidatur zur Stigmatisierung der Linkspartei zu nutzen, dass eben nach der Wahl geschieht, was wir heute erleben: dass mit massiver mediale Unterstützung versucht wird, die selbstverständliche und eigenständige Entscheidung einer Partei in einen Beweis dafür umzudeuten, sie sei noch nicht in der Demokratie angekommen. Demokratie liegt nach diesem Verständnis dann vor, wenn man gegen seine eigene Überzeugung jemanden wählt, der sich als Gegner in der Sache und in der Person entpuppt hat. Demokratie liegt nach diesem Verständnis dann vor, wenn man die Charakterlosigkeit und auch programmatische Entleerung zum Prinzip erhebt. Denn wer sich auch nur einen Rest von Sinn für die Notwendigkeit, dieses Land sozialer zu gestalten, erhalten hat, konnte jemanden nicht wählen, der auf unerträgliche Weise und absolut bodenlos über Freiheit schwadroniert – ohne jeglichen Bezug auf die wirklichen Bedingungen von Freiheit.
Hinter der massiven Attacke auf die Linkspartei, die wie beschrieben keine ernsthafte Basis hat, steckt eine strategische Überlegung der Rechtskonservativen, eine Überlegung, für die sie zeitweise die Unterstützung von Rot und Grün gewonnen haben: das Wählerpotenzial der Linkspartei soll auf alle Zeit von der politischen Wirksamkeit ausgeschlossen werden, eine Alternative zum konservativ-liberalen und in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik neoliberal geprägten Bündnis soll es nicht geben. Es soll auf alle Zeit bei Schwarz-gelb oder Variationen dazu bleiben, bei einer großen Koalition oder einer Jamaika Koalition, oder im Notfall, wirklich im Notfall, bei einer sozialliberalen oder rot-grünen Koalition dann, wenn diese in ihrer inneren Willensbildung auf der Linie der Agenda 2010 liegen.
Das ist die Strategie des rechtskonservativen Lagers. Es ist naiv anzunehmen, es gäbe in Deutschland beziehungsweise weltweit keine Personen und Gruppen, Wirtschaftsverbände, Medien oder PR-Agenturen, die solche Überlegungen anstellen. Man muss sich nur einmal in die Lage jener versetzen, die zum Beispiel hinter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft stecken, oder bei Springer oder Bertelsmann das Sagen haben. Mit Sicherheit gibt es Personen und Gruppen, die sich solche Strategien ausdenken, die wir im Umgang von Rot, Grün und den eingebundenen Medien mit der Linkspartei heute erleben.
Zur Strategie dieser Kreise gehört auch, wie ehedem bei der SPD und bei den Grünen den inneren Machtkampf in der Linkspartei anzuheizen und dort möglichst einen Sieg der so genannten Pragmatiker herbeizuführen. (Über solche Versuche haben wir schon des Öfteren berichtet. Siehe zum Beispiel hier vom 18. Januar 2010 „Die neoliberale Strategie: Aus allen potentiellen Konkurrenten „Realos“ machen“)
Sich von Seiten der SPD und der Grünen auf die Strategie der rechtskonservativen einzulassen, ist nur schwer zu verstehen. In den meisten Fällen wird diese Anpassung und Übernahme dazu führen, dass auch die Machtoption verloren geht: so geschehen in Hessen, im Saarland, in Hamburg und beim Bund. Dass die Führungen dieser Parteien dennoch so handeln, folgt daraus, dass diese Führungen ebenfalls über weite Strecken fremdbestimmt sind. Steinmeier zum Beispiel kommt es auf die Rettung der Agenda 2010 an. Alles andere ist zweitrangig. Das hatte sich schon bei der Entscheidung für die Neuwahl im Jahre 2005 gezeigt. Diese Entscheidung führte zur Rettung der Agenda 2010 aber zum Verlust der Kanzlermacht. Auch bei Gabriel und vermutlich auch bei Künast; Özdemir und Trittin muss man davon ausgehen, dass sie inzwischen Bindungen für Ziele eingegangen sind, die weit weg vom programmatischen Kern ihrer Mitglieder und Parteien liegen.