Die neoliberale Strategie: Aus allen potentiellen Konkurrenten „Realos“ machen
Wer sich die Freiheit seiner Gedanken erhalten will, wer den kritischen Umgang mit dem Geschehen üben will, kann das zurzeit sehr gut an der tobenden Debatte um die Entwicklung bei der Linken tun. Eigentlich, so hatte mancher kritische Beobachter gemeint, wäre mit der Wirtschaftskrise auch die Erfolgschance der neoliberalen Ideologie erledigt. Das hat sich schon deshalb als Fehleinschätzung erwiesen, weil die mit viel publizistischer und finanzieller Macht ausgestattete Bewegung immer noch die Möglichkeit hat, über Manipulation und Meinungsmache die Macht zu sichern. Albrecht Müller.
Sie vermögen damit das Volk und vor allem die Multiplikatoren zu beeinflussen. Aber damit nicht genug: Sie nehmen direkt Einfluss auf die innere Willensbildung ihrer Konkurrenten. Das ist der eigentliche Grund dafür, dass es so schwer beziehungsweise gar nicht gelingt, uns eine politische Alternative zur Schwarz-Gelb oder wie zuvor zu neoliberal eingefärbten Schwarz-Rot oder Rot-Grün zu bieten.
Einfluss nicht nur auf die Wählerschaft, sondern auch auf die innere Willensbildung der Parteien. Alle wurden nach rechts getrimmt und zu „Reformern“ und „Realos“.
Versetzen Sie sich einfach einmal in die Lage eines Strategen des rechtskonservativen, seit den siebziger Jahren neoliberal eingefärbten Lagers und unterstellen Sie dabei getrost, dass Sie über reichlich finanzielle Mittel, vor allem aber über publizistische Mittel direkt oder über PR-Agenturen verfügen. Dann sind Sie klug beraten,
- wenn Sie ihre Gedanken und ihre Tätigkeit dafür einsetzen, die Wahlentscheidungen zu Gunsten der ihnen nahe stehenden Parteien Union und FDP zu beeinflussen und wichtige politische Entscheidungen im Interesse ihrer Bewegung zu steuern
- Sie werden darüber hinaus versuchen, die innere Willensbildung der im Spiel befindlichen Parteien zu prägen.
Das ist genau so in den letzten Jahren geschehen: der linksliberale Flügel bei der FDP ist auf eine Restgröße ohne gesellschaftspolitische Relevanz reduziert worden; entgegen aller schönen Sprüche von der Sozialdemokratisierung ist die Union in ihrer praktischen Politik heute wesentlich von ihrem Wirtschaftsrat geprägt. Kleine Nuancen fördern die Glaubwürdigkeit. Die SPD ist – beginnend mit der Vorbereitung des Kanzlerwechsels von Willy Brandt zu Helmut Schmidt und komplettiert mit Gerhard Schröders Agenda 2010 – heute wesentlich neoliberal geprägt. Dort hat sich eindeutig der rechte Flügel durchgesetzt. Und es ist nicht erkennbar, dass sich dies mit Steinmeier und Gabriel ändern sollte. Die Grünen haben sich zu einer Bastion der Realos gemausert.
Alle diese Prozesse waren begleitet von massiver Beeinflussung der Meinungsbildung innerhalb dieser Parteien. Die Guten waren immer die rechten Flügel, die Realos, wie schon der Name suggeriert. Dabei haben die jeweiligen politischen Gegner, die Medien und die rechten Flügel im Inneren der betreffenden Parteien quasi als trojanische Pferde zusammengewirkt. Typisch dafür die Vorgänge um die angestrebte Bildung einer linken Koalition und Alternative in Hamburg, in Hessen und im Saarland. Die hessische SPD zum Beispiel war massivem publizistischen Druck ausgesetzt, der dann mithilfe der vier Dissidenten zu einem politisch wirksamen Nein umgesetzt wurde. Im Saarland war der Vorsitzende der Grünen auf die andere Seite gezogen. Dieser Wortbruch des Hubert Ulrich wurde publizistisch im Gegensatz zum Verhalten Andrea Ypsilantis zu einer unbedeutenden Angelegenheit heruntergespielt. Die Beeinflussung der inneren Willensbildung wurde jedes Mal politisch hoch wirksam. Diese Vorgänge habe ich in „Meinungsmache“, Kapitel 20 „Meinungsmache zur Sicherung von Macht und Einfluss“ beschrieben. Teile dieser Texte finden sich in den NachDenkSeiten als Leseproben aus „Meinungsmache“.
Jetzt ist vor allem die Linkspartei dran. Sie ist zurzeit einer massiven Kampagne ausgesetzt, bei der es im Kern darum geht, die inhaltlichen Kanten abzuschleifen, die sie zurzeit noch hat. Das Profil lässt sich in wenigen Stichworten zusammenfassen: möglichst schneller Abzug aus Afghanistan und Konzentration auf die Lösung von Konflikten mit friedlichen Mitteln, keine weitere Privatisierung öffentlichen Eigentums, keine weitere Verringerung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst, Abschied von den Hartz-Gesetzen, Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohns, Sicherung einer armutsfesten Rente, Rücknahme der Rente mit 67. Das Ziel der laufenden Kampagne ist klar: Auch die Linkspartei soll so sehr auf Anpassung getrimmt werden, dass sie nicht mehr als links wirksam und auch nicht als solches erkennbar und damit für viele nicht mehr wählbar ist.
Die im Zentrum des Konflikts stehenden Personen sind gemessen daran zweitrangig. Sie dienen allerdings als Katalysatoren der Auseinandersetzung und auch zur Charakterisierung und Dämonisierung.
Dokumente zur Kampagne
Eine Auswahl siehe Anlage. Beteiligt sind nahezu alle Medien. Ausnahme beispielsweise der Stern. Massiv wie immer ist die Bild-Zeitung im Geschäft.
Die laufende Kampagne ist deprimierend und wirkt zerstörerisch für einzelne Personen; sie ist aber spannend zu beobachten, weil daran beispielhaft erkennbar wird, wie bei uns Meinung gemacht wird, mit welchen Methoden, mit welchen Mitteln und Medien. Die Kampagne zeigt auch, was möglich ist: die totale Meinungsbildung weiter Kreise von Journalisten, von Multiplikatoren und auch des Volkes.
Rücksichtslos und zerstörerisch
Selbst in modernen Zeiten gilt in der Regel, dass die Medien die privaten Geschichten von Politikern nicht veröffentlichen. Das ist zwar immer mal wieder durchbrochen worden – bei Seehofer zum Beispiel, oder auch lange zurück im Vorfeld des Rücktritts von Willy Brandt im April und Mai 1974, als bösartige und unterstellende Storys bei Bild und anderswo veröffentlicht wurden. Jetzt erlebt Oskar Lafontaine den Bruch dieser Regel.
Da er in der bundesrepublikanischen Debatte aber so etwas wie eine Unperson darstellt, wird auch keine Rücksicht auf seine Krankheit genommen. Gnadenlos fallen Medien wie an vorderster Front die Bild-Zeitung über ihn her – auch mit unglaublich verdrehenden und lügenden Darstellungen. Siehe die beiden im Anhang dokumentierten und in Stichworten kommentierten Beiträge bei der Bild-Zeitung vom vergangenen Samstag.
Die totale Manipulation ist möglich. Das wird auch im konkreten Fall wieder belegt.
Es ist immer wieder erstaunlich, dass es gelingt, bei wichtigen Medien Parolen und Botschaften zu platzieren, die mit der Wirklichkeit nichts oder nahezu nichts zu tun haben. Das gelingt in der Regel dann, wenn die entsprechenden Botschaften ständig wiederholt und von verschiedenen Absendern ausgesandt werden. Im konkreten Fall ist es für den Erfolg der von neoliberaler Seite betriebenen Kampagne und ihrer Botschaften sehr wichtig, dass die eigentlichen Interessenten im Hintergrund bleiben und das Geschäft im wesentlichen innerhalb der Linken selbst betrieben wird. Bartsch oder Brie als Absender oder einzelne Landesvorsitzende aus dem Lager der so genannten Realos sind als Quellen wichtig, wie selbstverständlich auch die Vielfalt und die relative Breite der sich einsetzenden Medien, also Bild genauso wie die Frankfurter Rundschau.
Wenn Sie Zeit haben, dann überfliegen sie die in der Dokumentation verlinkten Beiträge, sie werden eine erstaunliche Gleichrichtung, wenn nicht Gleichschaltung, der Botschaften vorfinden.
Erstaunlich gleichlautende Botschaften
Im folgenden werden einige der Hauptbotschaften zitiert und beleuchtet:
- Konflikt zwischen West und Ost.
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«Realo» oder radikal? (dpa 15.1.), Realos Ost gegen Hardliner West (ZDF 15.1.). Der radikale Kurs Lafontaines. Realitätsverweigerer (Süddeutsche Zeitung)
Kommentierung zu a. und b.:
Der Konflikt zwischen Lafontaine und Bartsch wird zu einem Konflikt zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland hochstilisiert. Das stimmt schon deshalb nicht, weil einige der Matadore wie etwa der Chef der thüringischen Linkspartei, Bodo Ramelow, wie auch der am Konflikt beteiligte Chefredakteur des parteinahen Organs „Neues Deutschland“, Jürgen Reents, aus dem Westen kommen. Es stimmt weiter nicht, weil sowohl im Westen Anhänger von Bartsch vorhanden sind wie auch im Osten Anhänger von Lafontaine. Vor allem gibt es dort viele Anhänger der Linken, die etwa von dem Anpassungskurs an neoliberale Glaubensmuster, wie sie im Koalitionsvertrag von Brandenburg enthalten sind, nichts halten. Selbst unter den Lesern der NachDenkSeiten sind vermutlich nicht nur Hunderte, sondern Tausende, die diese Entwicklung kritisch sehen.
Aber die Stilisierung zu einem Streit zwischen Ost und West erscheint den Matadoren geeignet, um größere Bataillone gegen Lafontaine in Stellung bringen zu können.
Fast schon nett ist die in der Kampagne geübte Praxis, wie bei einem Western in Gut und Bös aufzuteilen und dann die Guten im Osten und die Bösen im Westen zu verorten. Wirklich atemberaubend ist der Versuch, dabei die eigentlich aus der SED kommende Truppe einschließlich von bekannten Stasi-Mitarbeitern wie André Brie den Guten zuzuordnen, und ehemalige aktive Gewerkschafter wie Klaus Ernst, den stellvertretenden Vorsitzenden, zu den Radikalinskis und Realitätsverweigerern zu stempeln.
Beispielhaft für diesen durchaus gelingenden Versuch ist die Süddeutsche Zeitung vom 15. Januar, wo Lafontaine zum Realitätsverweigerer, Bartsch zum Pragmatiker und André Brie zum Vordenker, Pragmatiker und Realist der Linken stilisiert wird. Ähnlich die Welt: „Linke Sektierer“. Und eine Fülle anderer Medien. -
Die Westlinken sind nicht bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen.
So wird es ohne jeden Beleg und im Widerspruch zu den Fakten behauptet. Die hessischen Linken haben ganz selbstverständlich daran mitgearbeitet, dort nach der Abwahl von Roland Koch eine alternative Koalition aus Rot, Grün und Rot zusammenzubringen. Sie wollten allerdings nicht der (unglaublichen) Forderung der Bundes-SPD folgen, auf ein Mitspracherecht bei der Abstimmung im Bundesrat zu verzichten. In keiner der Landeskoalitionen ist so etwas üblich. Überall gilt dann, wenn sich die Koalitionspartner nicht einigen können, das Prinzip Enthaltung.
Auch für das Saarland und dort insbesondere ist die Behauptung, die Linke sei nicht bereit zur Übernahme der Verantwortung gewesen, nicht richtig. Von der „Anti-Regierungs-Linken“ im Westen zu schreiben, wie es die Frankfurter Rundschau am 14. Januar tut, ist eine bewusst gestreute Lüge: Der gesamte Wahlkampf der dortigen Linkspartei zielte auf einen Regierungswechsel. Wenn der grüne Landesvorsitzende sich nicht für die FDP und Peter Müllers Koalition verdingt hätte, wäre es zur Koalition gekommen.
Aber unabhängig von diesen Fakten ist die Verbreitung unwahrer Parolen möglich und wird geglaubt.
Zum Thema „Regierungsfeindlich“ hier auch ein Beitrag von Fabio De Masi.Radikales Programm?
Es ist interessant, im Zusammenhang mit den Parolen a., b. und c. auch noch der Frage nach den sachlichen Differenzen nachzugehen und zu prüfen, was aus dieser Perspektive an den Behauptungen vom Mangel an Regierungsbereitschaft, an der Parole „Hardliner West“ oder der Behauptung, der Kurs von Lafontaine sei radikal, er sei ein Realitätsverweigerer, die West-Linken wollten „die Parlamente von ganz links aus aufmischen“ (Frankfurter Rundschau) dran ist.
Zunächst ist hier noch anzumerken, dass in der Kampagne gegen die so genannten Radikalen bei der Linkspartei die Aussagen zum Programm je nach Lust und Laune gewechselt werden: manchmal heißt es, die Linkspartei sei insgesamt programmlos, dann heißt es wieder, die Gruppe um Lafontaine beharre auf ihren programmatischen Vorstellungen. Beides passt nicht zusammen.
Bei den Inhalten selbst gibt es in der Tat Differenzen zwischen dem Flügel um Bartsch und dem anderen Flügel um Lafontaine. Nehmen wir uns ein programmatisches Element nach dem andern vor:Erstens: Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan. Diese Position wird inzwischen von der evangelischen Ratsvorsitzenden Käßmann, dem CDU-Mitglied Todenhöfer und mit guter Begründung sogar vom Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz vertreten. Zollitsch zum Afghanistan-Einsatz: “Es sind gravierende Fehler gemacht worden”. In seiner Begründung taucht das richtige Motiv auf: der Militäreinsatz habe die Lage der Menschen verschlimmert. Von radikal kann keine Rede sein. Die Linkspartei um Lafontaine steht eher in der „Gefahr“, in dieser Frage am Ende noch vom Verteidigungsminister zu Guttenberg überholt zu werden. Und dennoch taugt das Thema offenbar für die aktuelle Kampagne.
Zweitens: Keine weitere Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Unternehmen.
Das ist eine der wichtigsten Forderungen für die Politik der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Die Notwendigkeit wird inzwischen von vielen Kommunalpolitikern und darunter sogar von konservativen Kommunalpolitikern gesehen. Viele Kommunen versuchen, ihre Versorgungs- und Entsorgungswerke zurückzukaufen. In einigen Städten wie in Leipzig und in Freiburg sind Mehrheiten über einen Volksentscheid zusammengekommen, um die Privatisierung von Stadtwerken und öffentlichen Wohnungsbeständen zu verhindern. Es gibt eine klare Mehrheit in Deutschland gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn. Wir wissen, dass die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Einrichtungen die Quelle schlimmer Spekulationen auf den Kapitalmärkten war und zugleich das Einfallstor zur Gängelung von Arbeitnehmern. Auf der anderen Seite ist klar, dass die Finanzwirtschaft auf die weitere Privatisierung setzt, weil dabei sowohl an den Schnäppchen als auch an der Transaktion der Vermögenswerte riesige Gewinne gemacht werden. – Die Verweigerung dieser Plünderung soll radikal sein? Radikal ist die Plünderung. Radikal ist das, was die Linke an Privatisierung in Berlin zum Beispiel mitgemacht hat und wozu sie auch in Brandenburg ihre Hand gereicht hat.
Sind wir wirklich schon so weit gekommen, dass jetzt auch schon hinter diesem Teil der Linken Linken, also auch hinter der Bartsch- und Brie-Linken große Interessen stecken? So wie sie hinter der Union und der FDP aber auch hinter dem Steinmeier-/Gabriel-Flügel der SPD und hinter führenden Grünen stecken? Geht das so schnell? Und muss das sein?
Es geht also bei der aktuellen Debatte auch um viel Geld. Die mächtigen Interessen in Deutschland wollen sich die Plünderung des öffentlichen Eigentums durch eine inhaltlich orientierte Linke nicht stören lassen. Deshalb der Versuch, sie als radikal abzustempeln und die Anpassung an die Realos der eigenen und der anderen Parteien zu erzwingen.Drittens: Kein Abbau von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst.
Auch das ist keine radikale Forderung. Sie ist in der jetzigen Wirtschaftskrise konjunkturpolitisch geboten, um antizyklisch zu wirken. Sie ist aber auch – wenn auch nicht in jeder Kommune – sachlich geboten, weil es im öffentlichen Bereich eine Fülle von darniederliegenden Aufgaben gibt.Viertens: Schluss mit Hartz IV.
Als Sozialdemokrat müsste man wünschen, dass die SPD und die Grünen endlich verstehen, was sie mit der Agenda 2010 und Hartz IV angerichtet haben: Die Zerstörung der sozialen Sicherheit. Siehe dazu hier: „Zu den vergessenen Nebenwirkungen von Hartz IV und Agenda 2010“ und in vielen anderen Beiträgen der NachDenkSeiten in den letzten drei Wochen.Fünftens: Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente und Wiederherstellung des früheren Renteneintrittsalters.
Selbst in konservativen Kreisen wird inzwischen eingeräumt, dass die Privatvorsorge mit Riester-Rente und Rürup-Rente ein teurer Irrweg ist. Und die Erhöhung des Renteneintrittsalters ist angesichts der hohen Arbeitslosigkeit der 50-und 60-jährigen geradezu abstrus. Was soll an der Rückkehr zur Vernunft hier radikal sein? – Auch hier stecken hinter den Attacken auf solche Forderungen klar erkennbare große Interessen: die Interessen der Versicherungswirtschaft und der Banken.Sechstens: Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohns.
Das fordert inzwischen ja sogar die SPD.
Das waren sechs Beispiele für die programmatischen Vorstellungen der Lafontaine-Linken. Vielleicht habe ich etwas vergessen. Umwerfend radikal kann es aber dann nicht sein. So ist zum Beispiel die Forderung danach, die Vermögenden und die Menschen und Gruppen mit höheren Einkommen wieder stärker an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben zu beteiligen – vielleicht so wie zu Kohls Zeiten mit Vermögensteuer und einem Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer von 53%, die SPD hatte einmal 56% gefordert – nicht sonderlich radikal. Und auch die Streichung der Steuerfreiheit der Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen, die von Schröder und Eichel eingeführt wurde, wäre keinesfalls ein radikales Unternehmen. Das gilt im übrigen auch nicht für die Übernahme der mit schon über 100 Milliarden € geretteten und damit subventionierten Banken in öffentliches Eigentum. Ich persönlich bin dabei nur deshalb skeptisch, weil sich nach aller Erfahrung auch in diesen öffentlichen Banken dann die konservativen Seilschaften drängeln und durchsetzen. Aber radikal wäre es nicht, wenn wir Steuerzahler auch besitzen wollten, was wir gerettet und bezahlt haben.
Diese programmatischen Elemente als „Maximalpositionen“ oder als die Positionen von „Hundertprozentigen, die niemals einen Jota von ihrer Position abweichen würden“, wie es die Süddeutsche Zeitung am 15. Januar reichlich verschroben beschreibt, und andere Medien ähnlich, kann nur als Element einer ausgeklügelten Kampagne verstanden werden. Alleine kommt ein Journalist auf eine so abwegige Beurteilung nicht. -
Lafontaine sei gegen die deutsche Einheit gewesen, heißt es in mehreren Pamphleten.
Allen voran bei „Bild“ und leider bei Helmut Schmidt. (Siehe Anlage) Das ist eine Geschichtsfälschung, die immer wieder wiederholt wird. Ich habe als Abgeordneter auch gegen die damalige Währungsunion gestimmt. Weil ich der Überzeugung war, dass die Umtauschrelationen und die sonstigen Umstände es den Betrieben in Mittel- und Ostdeutschland überaus schwer machen, ihre produzierten Güter und Dienstleistungen noch loszuwerden. Außerdem fehlte die gezielte Hilfe zur Modernisierung damals schon im Ansatz. Wenn jetzt immer noch jenen, die gegen die leichtfertig durchgesetzte Währungsumstellung waren, unterstellt wird, sie seien gegen die deutsche Vereinigung gewesen, dann stecken dahinter erkennbare Interessen: man will sich frei waschen von der Verantwortung für das Desaster, das noch heute sichtbar ist. -
Bartsch – der erfolgreiche Manager. Weltoffen und verantwortungsbewusst.
Die Aufbauarbeit von Bartsch war vermutlich in Ordnung, ich denke sogar gut. Ein endgültiges und ausgewogenes Urteil kann ich mir nicht anmaßen. Aber ich kann Wahlkämpfe beurteilen und vor allem auch Wahlkämpfe von Parteien, die von ihren Gegnern über die Maßen attackiert und stigmatisiert werden. Mit dieser Erfahrung im Hintergrund kann ich die Wahlkämpfe der Linkspartei bis zum Beginn der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs zum Beispiel nicht als glorios, sondern als weit gehend falsch betrachten. Entsprechend enttäuschend war denn auch das Europawahlergebnis mit 7,5 %, weit abgeschlagen hinter den Grünen mit 12,1 % und der FDP mit 11 %. Bei der Bundestagswahl gerade einmal drei Monate später erreichte die Linkspartei 11,9 %. Dazwischen lag eine Änderung der Wahlkampfstrategie zumindest von Seiten Lafontaines. Er hat die Gegnerschaft der Medien und die Diffamierungskampagnen zum Thema gemacht und neben der angepassten SPD wenigstens eine Alternative aufgezeigt. Siehe dazu auch den Beitrag in den NachDenkSeiten vom 12.1.2010. -
Gysi sei beschädigt.
Er sei Bartsch in den Rücken gefallen. Er habe in den ostdeutschen Landesverbänden Sympathien eingebüßt. Das wird in verschiedenen Beiträgen zum Thema immer so daher geschrieben. Als Belege werden dann die Stimmen von Freunden von Bartsch zitiert. Wie die Wählerinnen und Wähler, wie die Mitglieder der Linkspartei insgesamt auf diesen Vorgang reagieren und ob sie Gysi wegen dessen Intervention gegen das sonderbare Verhalten eines Bundesgeschäftsführer das Vertrauen entziehen, das steht dahin. Ich weiß es nicht. Aber die Medien wissen es nahezu gleich lautend. Da ist deutlich erkennbar: Hier wird die nächste Runde eingeläutet. Denn diese Art von gleich lautender Agitation kommt nicht aus dem Nichts. Sie ist insbesondere von Dietmar Bartsch, nachdem er angekündigt hatte, im Mai nicht wieder antreten zu wollen, also vom amtierenden Bundesgeschäftsführer der Linkspartei kräftig befördert worden. Das kann jedoch auch dann nicht die Aufgabe eines Bundesgeschäftsführers sein, wenn er seinen Rücktritt angekündigt hat.
Nach diesen notwendig ausführlichen Anmerkungen zu den Inhalten nun zurück zu den gleich lautenden Botschaften der laufenden Kampagne:
Wer sich zu den Methoden einer solchen Kampagne, wie wir sie zurzeit in Sachen Linkspartei, Bartsch, Lafontaine und Gysi erleben, näher informieren möchte, möge sich den entsprechenden Text aus „Meinungsmache“, der in Kurzfassung in den NachDenkSeiten wiedergegeben ist, vornehmen: Nr. 3: „Auszug aus „Meinungsmache“, Seite 426 bis 428: „Die Methoden der Manipulation kennen und durchschauen.“
Mohr Oskar hat seine Schuldigkeit getan, er kann gehen.
Einige der in der Dokumentation zitierten Medienschaffenden gehen davon aus, dass mit dem Abtritt von Bartsch der Konflikt und damit auch die Richtungsentscheidung der Linkspartei nicht entschieden ist. Dass die Leute um Bartsch das so sehen, ist deutlich erkennbar. Sie haben vermutlich darauf gesetzt, den aus dem Saarland stammenden Vorsitzenden jetzt schon mürbe zu machen und ihn loszuwerden. Das hätte ihnen die Freiheit gegeben, die Linkspartei programmatisch anzupassen.
Diese Lösung ist vorerst gescheitert. Aber das sagt noch nichts über die weitere Entwicklung. „Der Machtkampf ist nur vorerst entschieden“. (dpa offensichtlich nach Gespräch mit Bartsch) oder die FAZ vom 17. Januar: „Dietmar Bartsch wird warten. Er ist 51, Lafontaine 66. Bartsch ist ein alter Volleyballer. Da gilt: Der letzte Schlag zählt.“
Die mediale Unterstützung für Bartsch in der abgelaufenen und laufenden Kampagne deutet darauf hin, dass er auch für den nächsten Schlag die Unterstützung der Mehrheit der Medien haben wird. Darauf muss sich die Führung der Linkspartei einstellen und sowohl ihre Mitglieder als auch ihre Wählerinnen und Wähler frühzeitig und immer wieder auf diesen Vorgang aufmerksam machen. Das ist sehr aktuell.
Da den Realos bei der Linkspartei vermutlich wie den Rechten in der SPD die Macht im Staat nur dann attraktiv erscheint, wenn sie sie auch in ihrer Partei besitzen, werden wir den nächsten Schlag in dieser Auseinandersetzung im Vorfeld der nordrhein-westfälischen Landtagswahlen erleben. Es könnte der Gruppe um Bartsch nichts Besseres passieren für den inneren Machtausbau als ein schlechtes Ergebnis der nordrhein-westfälischen Linkspartei. Deshalb werden sie vermutlich viel tun, um die Unruhe und die schlechten Kommentare und Berichte am Laufen zu halten. Die Einlassungen Dietmar Bartschs direkt nach seinem Rückzieher deuten darauf hin. Er ist immerhin noch Bundesgeschäftsführer und beginnt bereits kräftig mit der Demontage des Fraktionsvorsitzenden Gysi zum Beispiel. Wenn es ihm um seine Partei gehen würde und nicht zu allererst um die Durchsetzung seiner Richtung, dann hätte er geschwiegen und hätte seine Freunde ermuntert auch zu schweigen. Das haben sie nicht getan, und sie werden weiter in ihrem innerparteilichen Kampf das Image der gesamten Partei beschädigen, solange sie den Kampf nicht für sich, ihre Richtung und ihre Jobs entschieden haben.
Wer die Geschichte der SPD in den letzten 40 Jahren aufmerksam verfolgt hat, kennt diese Mechanismen. In ihr waren immer Leute platziert, die das Interesse ihrer politischen Gegner vertraten. Sie war bei wichtigen Willensbildungen und Entscheidungen fremdbestimmt und verzehrte sich in dieser Fremdbestimmung. Warum sollte das bei der Linkspartei nicht auch so sein?
Da wir aber ein Interesse an einer Alternative zur herrschenden Ideologie haben, brauchen wir eine nicht angepasste Linke. Nur deshalb kümmert uns das ganze Thema. Weil der beste Weg zur Verhinderung der skizzierten Entwicklung ihre Offenlegung ist, ist dieser Text geschrieben.
P.S.: Beim Versuch der herrschenden neoliberalen Ideologen, auch aus der Linkspartei eine Partei von Realos zu machen, geht es nicht nur um die Linkspartei und deren Entwicklung. Es geht auch um die Sicherung der neoliberalen Bastion bei der SPD und bei den Grünen.
Die innere programmatische Entwicklung zumindest in diesen drei Parteien ist über
kommunizierende Röhren miteinander verbunden. Wenn die Linkspartei nach rechts rückt, dann kann die SPD-Führung dort, nämlich bei der Agenda 2010 und Hartz IV, bleiben, wo sie heute ist. Sie ist nicht gezwungen, sich nach links zu bewegen, um Wähler von der Linken zurückzuholen. Deshalb freuen sich Steinmeier und Gabriel wie die Schneekönige und verstärken den Kampf gegen den inhaltlich orientierten Teil der Linkspartei. Sie möchten die zuvor beschriebenen inhaltlichen Positionen der angeblich radikalen Teile der Linken wegräumen. Sie verstärken den Streit mit den ihnen eigenen primitiven Methoden: mit dem Angebot an Bartsch, die Partei zu wechseln.
Ich finde diese Reaktion und das Verhalten von Sigmar Gabriel ausgesprochen enttäuschend. Weil uns nichts anderes übrig bleibt, begann zumindest ich nämlich zu hoffen, Gabriel könne sich eines Besseren besinnen und wirklich eine Kurskorrektur der SPD weg vom Schröder Kurs betreiben. Jetzt hofft er stattdessen darauf, dass sich auch bei der Linkspartei die „Reformer“ durchsetzen. Das ist wegen der inhaltlichen Seite traurig, und es ist enttäuschend wegen des erkennbaren Mangels an strategischer Fähigkeit. So kann man nur hoffen, dass sich innerhalb der Linkspartei die inhaltlich orientierten Kräfte halten und verstärken. Dann könnte in Arbeitsteilung mit den Realos auch auf lange Sicht eine wirklich attraktive Partei draus werden.
Anlage
Kurze Pressedokumentation zur Kampagne in Sachen Streit bei der Linkspartei
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dpa-Meldung vom 2010-01-15 15:00:00
«Realo» oder radikal? – Tiefe Gräben bei der Linken Von Georg Ismar, dpa (Mit Bild)
KORR-Inland/Parteien/Linke/ Berlin (dpa)
((mit Kommentaren von AM/NDS versehen)) –Nein, als Abschied sieht Dietmar Bartsch seinen Rückzug nicht. Auch wenn der Parteimanager der Linkspartei jetzt nicht über seine Zukunft nachdenken will – nach seinem Verzicht auf das eine erneute Kandidatur als Bundesgeschäftsführer dürfte er weiter eine wichtige Rolle bei der Linken spielen. Der Machtkampf ist nur vorerst entschieden. «Es gibt aber mehr Fragen als Antworten», heißt es in der Partei vielsagend. (Kommentar: „heißt es in der Partei“ – typisch für solche Kampagnen. Keine Quelle. Aber es wird der Eindruck von allgemeiner Reaktion erzeugt)
Wie könnte Bartschs zukünftige Rolle aussehen? Will der Parteivorsitzende Oskar Lafontaine nach seiner Krebserkrankung weitermachen? Wie beschädigt ist Fraktionschef Gregor Gysi? (Kommentar: Wie so das? Man könnte genauso gut behaupten, Gregor Gysi sei gestärkt aus der Sitzung vom 11.Januar hervorgegangen. Wie in nahezu allen anderen Medien wird hier die Sichtweise der Bartsch-Gruppe zur allgemein gültigen Sichtweise gemacht) Droht die 2007 fusionierte Partei am Ost-West-Konflikt zu zerbrechen? (Kommentar: es ist kein Ost-West-Konflikt) Will man Radikal-Opposition oder Regierungsbeteiligungen? (Kommentar: entgegen dieser Behauptung wollten die westlichen Landesverbände in Hessen und im Saarland auch mitregieren) Die SPD reibt sich ob des Richtungskampfes bereits die Hände. Sie bietet Bartsch und anderen enttäuschten Linkspolitikern «Asyl» an.
Beschädigt ist fast die gesamte Linke-Führungsspitze. Bartsch, dem vorgeworfen wird, über die Medien gegen Lafontaine intrigiert zu haben. Lafontaine, dem viele einen zu radikalen Kurs vorwerfen (Kommentar: wo ist die Begründung für diese Qualifizierung als radikaler Kurs?) – zudem hat die Linke immer noch kein Parteiprogramm als Richtschnur. Und über Gysi sind viele maßlos enttäuscht, weil er Bartsch, den erfolgreichen Wahlkampfmanager, am Montag vor 700 Leuten und der
versammelten Hauptstadtpresse an den Pranger gestellt hatte. Besonders bei den ostdeutschen Parteimitgliedern ist der Verdruss darüber groß.«Realo» Bartsch will mit seinem Schritt weg von Personaldebatten und die Politik wieder in den Mittelpunkt rücken. Er hatte aber ohnehin schon öfter gesagt, nach fast zehn Jahren als Parteimanager nicht erneut für diesen Posten kandidieren zu wollen. Der 51-Jährige hatte früh erkannt, dass ein Charismatiker wie Lafontaine auf Dauer nicht ausreicht, um die ungleichen Ost- und Westströmungen zu befrieden und Wahlerfolge zu erreichen. (Kommentar: wo wird das irgendwo belegt? Wiederum eine reine Kampagnenparole)
Nun treten die bisher übertünchten Probleme offen zu Tage. Lafontaines Abwesenheit hat ein Vakuum hinterlassen. (Kommentar: auch das Wort vom Vakuum ist eine gestreute Behauptung) Schnell emporgestiegen, braucht die Partei in Organisation, Personal und Programm ein solides Fundament. Bartsch weiß noch sehr genau, wie die Vorgängerpartei PDS nach Erfolgen in den 1990er Jahren 2002 den Einzug in den Bundestag verpasste und in eine Krise geriet.
«Es handelt sich nicht um einen Konflikt zwischen Lafontaine und Bartsch, es handelt sich erst recht nicht um einen Konflikt zwischen Ost und West. Es geht um die politische und strategische Ausrichtung der Partei», betont Bartsch, der als Architekt des 11,9-Prozent-Erfolgs bei der Bundestagswahl gilt (Kommentar: dass Bartsch der Architekt des Wahlerfolgs bei der Bundestagswahl ist, dürfte seine eigene Behauptung sein. Wie bei allen Parteien lässt sich das schwer einer Person zuschreiben. Aber wenn schon, dann dürften Gysi und Lafontaine doch wohl auch zu den Architekten zählen) und viele junge Leute in die Partei geholt hat. Der Rückzug lässt ihm nun viele Optionen offen. Seine Gegner streuen bereits, er wolle Mitte Mai beim Parteitag für den Parteivorsitz kandidieren. Parteifreunde halten ihn für unverzichtbar, um die streitlustige Linke zukunftsfest zu machen.
Eines ist zumindest klar: Bartsch, Gysi und Lafontaine zusammen – das geht nicht mehr. Hinter allen Ränkespielen bleibt aber die Hauptfrage, welche Kurs man einschlagen will. Im Osten agiert die Linke – das zeigen die Regierungsbeteiligungen in Berlin und Brandenburg – als realpolitische Volkspartei. Im Westen aber dominieren oft altlinke Kader (Kommentar: diese angeblich altlinken Kader sind offensichtlich gefährlicher als die alten SED Kader im Osten. Das ist schon ein beachtlicher Wandel. Man könnte sich darüber freuen, wenn die Absicht nicht erkennbar wäre), die es der SPD schwer machen, mit der Linken zu koalieren. Im Mai sind in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen – dort wird im Linke-Wahlprogramm eine sehr liberale Drogenpolitik gefordert, zur Prävention soll es an Schulen eine «Genuss- und Rauschmittelkunde» geben.
Der nach seiner Wahl ins Europaparlament etwas abgetauchte Co-Vorsitzende Lothar Bisky sieht seine Partei bereits von einer ideologischen Schweinegrippe befallen. Es wird darauf verwiesen, dass man den Gegner Union und FDP wieder ins Visier nehmen müsse. Und die SPD versucht bereits den Spieß umzudrehen. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier öffnet Bartsch die Tür. Inhaltlich versucht die SPD mit Reformvorschlägen bei Hartz IV und einer kritischeren Haltung zum
Afghanistan-Einsatz der Linken wieder Wähler abspenstig zu machen. -
Welt-Kommentar 16. Januar 2010
Linke Sektierer
Von Thomas Schmid
So einen wie ihn hatte die PDS und dann die Linkspartei nicht ein zweites Mal: Dietmar Bartsch ist ein Unikat. Wohl gibt es den schlauen, mit allen Wassern aggressiver Rhetorik gewaschenen Gregor Gysi: einen Mann, den man vorzeigen, den man in Redeschlachten schicken kann. Und doch war immer zu erkennen, dass Gysi ein Narziss blieb, ein auf den Effekt orientierter Politiker der Oberfläche, der Show. Und daneben den grüblerischen Lothar Bisky, der – obgleich Intellektueller – auf seine Weise die proletarische Tradition der DDR verkörperte: Er war und ist einer, bei dem es denen, die um die DDR trauern, wohl warm ums Herz wird. Dietmar Bartsch passt eigentlich nicht in dieses Milieu.
….
Quelle: welt.de -
Süddeutsche Zeitung vom 15.1.2010
Die Linke und der Fall Bartsch
Selbstdemontage mit Ansage
Der Abgang von Geschäftsführer Bartsch zerstört die komplizierte Machtarithmetik in der Linken. Kann Lafontaine die Partei aufrichten?
Ein Kommentar von Thorsten Denkler
Es geht in der Linken seit einigen Jahren nur noch um Prozente, zumindest in der Parteispitze. Der Erfolg hat trunken gemacht. Und vor allem die Gier nach mehr geweckt. Alle Streitpunkte in der Partei mussten da zurückstehen.
Die Probleme zwischen Ost und West, zwischen Pragmatikern und Fundamentalisten, zwischen denen, die das Mögliche möglich machen wollen und den Hunderprozentigen, die niemals einen Jota von ihrer Position abweichen würden, nur um mitregieren zu können – alles vertagt auf eine Zeit nach den Wahlsiegen. Notwendige Klärungen und Debatten wurden ausgeklammert.
An der Spitze stritten Realitätsverweigerer Oskar Lafontaine und Pragmatiker Dietmar Bartsch um den richtigen Weg. Gewonnen hat jetzt erst mal Lafontaine. Bartsch wird nicht wieder antreten als Bundesgeschäftsführer. …
Quelle: Süddeutsche Zeitung -
FR 14.1.2010
Gysis Dilemma
Von Jörg Schindler
Quelle: FR -
FR 16./17.1.2010
Kommentar zum Bartsch-Rückzug
Gnadenlos rausgemobbt
Von Stephan Hebel
Eines muss man der Linken lassen: Sie ist eine durch und durch etablierte Partei – zumindest was die gelegentliche Gnadenlosigkeit im Umgang miteinander angeht. Dietmar Bartsch wäre also durchaus qualifiziert, Frank-Walter Steinmeiers Angebot anzunehmen und zur SPD zu wechseln. Dort würde er auch ganz sicher und unumstritten zu den Partei-Linken zählen.
Quelle: FR -
ZDF 15.1.2010
Linke-Geschäftsführer Bartsch gibt auf
„Realos Ost gegen Hardliner West“ -
Bild.de vom 16.1.2010
Chaos und Intrigen bei der SED-Nachfolgepartei
Lafontaine zerlegt die Linke
Von A. BALDAUF und P. RONZHEIMER
Legt ER jetzt die zweite Partei in Trümmer…?
Erst drückte Oskar Lafontaine (66) die SPD in die Ecke. Jetzt zerlegt Genosse Gnadenlos seine neue Partei – die Linke.
Es ist ein Machtkampf schmutzig wie selten: Ost gegen West. Ex-SED-Kader gegen Irrwitz-Linke.
Gestern warf Linke-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch seinen Posten hin. Auslöser: Streit mit Lafo.
….
Quelle: Bild -
Kommentar in der Bild-Zeitung vom 16.1.2010
von Prof. Ernst Elitz
(mit richtig stellenden Anmerkungen von AM in Klammern)Lafontaines neues Opfer
Oskar Lafontaine ist ein Parteizerstörer. Er hat es bei der SPD versucht. Jetzt ist die Linke sein Opfer.
Alleinherrscher – das ist die Rolle, die er am liebsten spielt. Und in der er scheitert.
Zweimal zerstörte er die Hoffnung der SPD auf die Kanzlerschaft.
Er führte die innerparteiliche Opposition gegen Helmut Schmidt, den „Nato-Kanzler”, spaltete die Partei. Schmidt trat zurück. Kohl wurde Kanzler.
(Anmerkung: Richtig ist, dass Helmut Schmidt das Opfer von Lambsdorff und der Absicht der FDP geworden ist, die Koalition zu wechseln. Schon im April des Jahres 1980 hat Genscher versucht, die Koalition zu wechseln. Das Ganze hatte um vieles mehr wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gründe als den NATO-Doppelbeschluss. Außerdem gab es außer Oskar Lafontaine damals viele andere in der SPD und außerhalb, die die Nachrüstung nicht für gut hielten. Elitz kann die Unwahrheit deshalb besonders glaubwürdig niederschreiben, weil seine Version seit Jahren von den meisten Medien gepredigt wird und selbstverständlich einvernehmlich, wenn auch nicht abgesprochen, sowohl von Schmidt als auch von der FDP gestreut wird)Und dann – gegen den Rat Willy Brandts – stemmte er sich nach dem Mauerfall gegen Währungsunion und schnelle Wiedervereinigung.
(Kommentar: Es wäre ganz gut gewesen, Willy Brandt hätte sich anders beraten lassen. Die schnelle Währungsunion mit ihren Umtauschrelationen war einer der Gründe dafür, dass viele Betriebe in der ehemaligen DDR zu Grunde gingen, obwohl sie zu retten gewesen wären. Ich habe deshalb als Abgeordneter gegen diese Währungsunion gestimmt. Aus diesem Widerstand gegen diese Art von Währungsunion kann man nur mit Manipulationsabsicht eine Abneigung gegen die deutsche Vereinigung ableiten. Diese Manipulation ist allerdings üblich)
Die SPD dank Lafontaine bei den Wahlen 1990 chancenlos. Kohl blieb Kanzler.
(Kommentar: Man kann es auch anders sehen. Die SPD war ohne Wahlchancen, weil sie sich Kohl auch in fachlichen Fragen wie etwa der Währungsunion angepasst hat, statt eine konkrete Alternative zu bieten. Im konkreten Fall ist nicht Lafontaine schuld sondern der Rest der SPD Führung, die Helmut Kohl hinterher gelaufen ist. So gewinnt man nie Wahlen. Nur mit eigenem Profil.)
Lafontaine will alleine herrschen. Als Schröder an die Macht kam, flüchtete er aus der SPD. Lafontaine gescheitert.
(Kommentar: Verzeihung, das ist ausgemachter Stuss. Als Schröder durch einen gemeinsamen und relativ solidarischen Wahlkampf von Schröder und Lafontaine an die Macht kam, setzte Lafontaine auf eine gemeinsame Partei- und Regierungsführung. Aber Schröder hat unter der Hand den neoliberalen Schwenk der SPD Politik vorbereitet und ohne Absprache mit dem Parteivorsitzenden dem amerikanischen Präsidenten das Mit-Bomben im Kosovo Krieg zugesagt)
Sein neues Opfer: die Links-Partei. Lafontaine will Herrscher sein, zerlegt den Laden in Fans und Feinde.
Jetzt hat die Links-Partei ihren Napoleon. Wann stürzt sie ihn?*Prof. Ernst Elitz ist Gründungsintendant des Deutschlandradios
Quelle: Bild.de
Schlusskommentar AM: der Kommentar von Ernst Elitz ist ein besonders trauriges Beispiel für den Niedergang der deutschen Publizisten. Voller Ungereimtheiten, voll unwahrer Behauptungen und voll von Elementen von Meinungsbildungskampagnen. Im übrigen ist es interessant, diesen Kommentar mit dem zuvor wiedergegebenen Artikel in Bild.de („Lafontaine zerlegt die Linke“) zu vergleichen. Das ist der gleiche Inhalt und es sind sogar die gleichen Worte. Ich vermute deshalb, dass die Bildredakteure den Kommentar von Ernst Elitz gleich mitgeschrieben haben und er hat seinen Namen dafür hergeben, möglicherweise alles zusammen unter der Ägide einer Public Relations-Einrichtung. So tief sind unsere hochmögenden Journalisten schon gesunken.
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FAZ 17.1.2010
Linkspartei
Die Kunst des Verrats
Von Markus Wehner, Berlin
Ende einer Freundschaft: Bartsch vor Gysi-Plakat im August 2009
17. Januar 2010 Dietmar Bartsch steht kurz vor der Heiligsprechung. „Menschliche Größe“ wird ihm attestiert, „große Hochachtung“ zeigen die Genossen, und „höchsten Respekt“. Den bescheinigt Gregor Gysi dem Bundesgeschäftsführer der Linkspartei für dessen Entscheidung, beim nächsten Parteitag nicht mehr für sein Amt zu kandidieren. Er wünsche sich, „dass er mein Stellvertreter wird“, sagt Gysi, Fraktionschef im Bundestag. Heute wird der begnadete Vielquatscher bei seiner monatlich stattfindenden Sonntagsmatinee im Deutschen Theater mit Bischöfin Margot Käßmann über Gott und die Welt reden. Bartsch hat sein Kommen angekündigt. Alles wieder gut? „Dietmar Bartsch war, ist und bleibt mein Freund“, hat Gysi am Freitag gesagt. …
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Quelle: FAZ.net -
Welt.de 15.1.2010
Kommentar
Linke verliert ihre Nachwende-Unschuld
Von Torsten Krauel 15. Januar 2010, 14:45 Uhr
Dietmar Bartsch wirft hin. Anlass ist offenkundig eine Intrige. Um des Einheitsprojekts der Linken willen hat die Spitze der Partei ihren Geschäftsführer geopfert. Die Ruch der „Fraktionsbildung” und des Ausschlusses von „Abweichlern” ist plötzlich wieder um die politischen Erben Karl Liebknechts und Ernst Thälmanns zu spüren.
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Quelle: welt.de
Download-PDF: Die neoliberale Strategie: Aus allen potentiellen Konkurrenten „Realos“ machen [197 KB]