Reaktionen auf „Das Schwenken der Fahnen – eine Einübung in Gleichschaltung für alles Mögliche“

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Auf meine Thesen – siehe hier und Anhang am Ende – gab es heftige Reaktionen, kritische und unterstützende. Wir geben das Echo wieder und beginnen mit einer kritischen Mail meines Herausgeberkollegen Wolfgang Lieb, ansonsten chronologisch. Am Ende folgt auch eine kleine Replik von mir.

Entgegnungen zum Beitrag von Albrecht Müller

  1. Wolfgang Lieb
    Lieber Albrecht,
    Offen gestanden, ich bin auch (Das „auch“ bezieht sich auf die kritische Mail Nr. 4., AM) etwas erschrocken über den Zusammenhang den Dumit der Begeisterung für das WM-Fußballteam und der “Gleichschaltung” bei anderen existenziellen Fragen herstellst. Ich bin nicht der Meinung, dass das Fähchenschwenken oder das Herumlaufen in Fußballtrikots gleichzusetzen ist mit der Bereitschaft, zu glauben, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt. Ich sehe darin auch nicht zwingend eine gefährliche “nationalistische” Formierung. Das schon deshalb nicht, weil an jedem Wochenende Fußballfans nicht mit schwarz-rot-gold sondern mit den Farben ihres Lieblingsvereins durch die Straßen ziehen.
    Man kann über das Fan-Wesen lange philosophieren, man kann im (kommerziellen) Sport insgesamt Opium fürs Volk sehen, was aber kaum bestreitbar ist, dass Fußball weltweit eine Faszination auf die Menschen ausübt.
    Ich glaube nicht, dass meine Kinder bei der EM – als sie noch in Deutschland waren – Opfer einer nationalistischen Uniformierung waren, nur weil sie mit dem Hemdchen der Nationalmannschaft zum “public viewing” (englisch: der öffentlichen Leichenschau) gegangen sind und gefeiert haben. Die Jugendlichen auf den Kirchentagen tragen auch Schals in entsprechenden Farben. Die Massenbegeisterung für den Fußball ist auch kein deutsches Phänomen. Die Fußball-WM ist der Beweis, dass es sie weltweit gibt.
    Der Fan identifiziert sich mit seinem Team und leidet mit ihm. Aber es ist bei 90 Prozent der Fans eben ein Spiel.
    Wenn Du mit den jungen Leuten sprichst, dann wirst Du feststellen, sie wollen gemeinsam feiern, sie wollen Spannung haben, sie wollen ihre Unterstützung für das Team zum Ausdruck bringen. Da ist noch ein weiter Schritt zu nationalistischer Uniformierung, abgesehen davon, dass die jungen Leute gar nicht uniformiert sind, sondern wie Du bei jedem Kameraschwenk über die Tribünen sehen kannst, teilweise lustig kostümiert sind.
    Schwar-rot-gold sind sozusagen die Vereinsfarben.
    Ich bin bei Fahnen genauso allergisch wie glaube ich unsere Generation überhaupt, aber die jungen Leute marschieren nicht einer Fahne nach, sie schwenken sie um ihre Sympathie für ihre Manschaft zum Ausdruck zu bringen. Ich will jetzt keine lange Abhandlung über Fußballfans schreiben. Und auch ich sehe die Gefahr der Ablenkung von wichtigeren Fragen durch das Prinzip Brot und Spiele.
    Aber ich finde, Du wirst den allermeisten Fußballfans nicht gerecht, wenn Du sie als politisch “gleichgeschaltet” verurteilst.
  2. H. G.
    Hallo H. Müller,
    ich habe x mal dasselbe im Bekanntenkreis gesagt. Seit vielen Jahren. Kein Einziger hat mir je zugestimmt. Das Besondere dabei ist, daß ich 54 Jahre aktiv Sport betrieben habe, bis zur Bandscheibe jetzt. Die Bekannten eher weniger oder meist gar nicht. Bayern Anhänger meist…
    Die, die am meisten jubeln, sind nie auf dem Sportplatz gestanden, von den Tennisrentnern bin ich fast der einzige, der kein Premiere oder Sky wie das jetzt heißt, hat. Jeder jetzt ein Experte, wenn er kaum Tennis spielen kann oder noch nie Fußball spielte.
    Man muß es feststellen, die ganze Sippe hat alles drin:

    • Exportweltmeister
    • Hartz 4 ist zu hoch
    • Linke = Kommunisten
    • Regierung reformiert zu wenig , nicht in der Richtung , die Sie wollen
    • Schwarz Rot Gold übers ganze Haus ( ! )
    • Politik sei eine Hure ….

    Was man erlebt ist der radikale ungebildete Mittelstand, hündisch und ohne jede Moral in seiner Ausprägung als ehemals exzellent verdienender Angestellter.
    Nazi wenn es wieder gefordert wird. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
    Zu bequem sich zu informieren. Internet ist nicht , Spiegel und Focus normal, die sich besonders klug halten, rühmen die Zeit…
    Die Ungeheuerlichkeit ist schon lange  die Sportgleichschaltung der Medien, das hat man bei den Nazis eben auch gelernt, bis zu den Sportarten hin:
    ZDF und ARD bringen am Sonntag hintereinander zu 90 % exakt dasselbe. Fußball und Motorsport. Das wird häufig von sportfremden Moderatoren präsentiert, für ein unsportliches Publikum. Die guten Moderatoren, denen man unterstellt, daß sie eine anständige Arbeit machen wollen, dürfen offensichtlich nicht.
    Die Masse muß erreicht werden.
    Die Moderatoren werden reich. Der Weizenbierschullehrer Waldmann hat seine Firma in Zürich und macht mit der ARD Geschäfte. Beckmann wird Millionär sein, Kerner sicher auch. Der Netzer, der bei ISL Höchstgelder von der ARD (erreichte), wird Mitschwätzer, der Gebührenzahler löhnt. Unwürdigst  für alle Gremien. Und natürlich gewollt im Sinne der Verjauchung. Angeblich haben die Öffentlich Rechtlichen 550 Leute in Südafrika. Sky aus England für alle Spiele 70.
    Höchstattraktive Sportarten kommen nicht mehr vor – Tischtennis z.B., Badminton gar nicht.
    Sendungen wie früher der Sportspiegel die hinter die Kulissen schauten, gibt’s seit vielen Jahren nicht mehr. Auch die  Dritten haben Claqueure immer dabei.
    ….
    Der Rechnungshof monierte die hohen Gagen … – 10 Mio wenn ich es recht weiß und die größte Sauerei ist, daß von meinen Gebühren, Profiboxen finanziert wird, da sind wir noch näher an dem, was Sie schrieben.
    … 

  3. R.-S.

    Lieber Albrecht Müller,
    wenn eine Gesellschaft für immer mehr Menschen so wenig Möglichkeiten für identitätsstiftende Lebenszusammenhänge bereithält, bleibt im Rahmen mentaler Verelendung nur die Identitätsfindung durch Selbstaufblähung mit einer großen Idee, der Nation oder dem Fußball (oder es wird mehr gesoffen oder es werden mehr Psychopharmaka konsumiert). Vor rd. 40 Jahren hat Gerhard Vinnai dies in seiner Studie “Fußballsport als Ideologie” mit dem Satz: “Die Tote auf dem Fußballfeld sind die Eigentore der Beherrschten” auf den Punkt gebracht.
    Wir machen übrigens mit ihm am (fußballspielfreien) Montag, den 5.7. in Dortmund die nächste Veranstaltung im Rahmen des NachDenkTreff.

    … und einen schönen Gruß

  4. A. B.

    Sehr geehrter Hr. Müller !

    Ich habe große Zweifel an Ihrer These, dass die Fähnchenschwenker sich vermutlich auch beim Krieg am Hindukusch und u.a. der Wirtschaftspolitik an den Regierungszielen orientieren.
    Die Fußballbegeisterung großer Teile der Bevölkerung macht bekanntlich auch vor den politisch Interessierten nicht halt. Sie hat für viele Menschen vor dem Hintergrund ihrer Lebensverhältnisse und der Perspektiven eine Ventilfunktion. Das ein großer Teil der Fähnchenschwenker im Normalleben Bildzeitung liest und sich leider nicht für Politik interessiert ist sicherlich richtig. Doch man sollte die Menschen nicht unterschätzen. Die Umfragen zu den in Rede stehenden Themen zeigen doch deutlich, dass das Gros der Bevölkerung die Regierungsvorhaben ablehnt. Die Menschen können hier sehr gut differenzieren. Ich fürchte viel eher, dass die Regierung versuchen wird in der Zeit der Weltmeisterschaft,an den Fähnchenschwenkern vorbei, Fakten zu schaffen.

    Mit freundlichen Grüßen

  5. M. B.

    Sehr geehrter Herr Müller,

    ich lese seit einiger Zeit die NDS, habe auch Ihr Buch “Meinungsmache” gelesen und stimme Ihnen in vielem zu, z.B. was die neoliberale Ideologie angeht oder die Volksverdummung in den Medien.
    Bei einigen Beiträgen (z.B. allzu unkritischen gegenüber der Ex-SED) stand ich jedoch schon kurz davor, eine Mail an Sie zu schreiben, um mein Unverständnis zu äußern.

    Heute ist es nun soweit: Dass ein Volk mit seiner Nationalmannschaft fiebert und feiert und dabei deren Trikots und Farben trägt, ist keine “gefährliche nationalistische Uniformierung” wie Sie schreiben, sondern (endlich wieder) unverkrampfter Patriotismus.
    Diese Freude und Geselligkeit als “Gleichschaltung” (ein belasteter Begriff aus der Nazi-Diktatur) zu bezeichnen, ist – pardon – absurd und passt nicht zu dem Bild, das ich mir bislang von Ihnen gemacht habe.
    Von einem “großen Sprung […] von Gleichschaltung” “im Zusammenhang mit der
    Fußball-Weltmeisterschaft” hab ich jedenfalls nichts bemerkt.
    Im Übrigen glaube ich, können wir beruhigt davon ausgehen, dass spätestens ab dem 12. Juli der “Uniformierungsgrad” in der Bevölkerung wieder drastisch abnehmen wird.

    Bitte nehmen Sie diesen Artikel wieder zurück. Er ist Munition für Ihre Gegner.

    Mit den besten Grüßen

  6. K. G.

    Das Kurzzeitgedächnis oder auch RAM-Gedächtnis, ist bei vielen Deutschen noch sehr gut intakt, wenn es um den kurzfristigen Erfolg oder dem eigenen Überleben geht. Das Langzeitgedächtnis vieler Deutscher wird von den Meinungsmachmedien derzeit formatiert wie eine Festplatte. Alle Daten werden unwiderruflich gelöscht. Die Generation, die auf uns zukommt, wird bedingt durch eine informative Reizüberflutung, alles außer Kontrolle geraten lassen.  In diesem Gesellschaftsstadium befinden wir uns zur Zeit. Wir werden im Chaos enden. Was ich mit Chaos meine, möchte ich hier nicht beschreiben.

    Versetzen Sie sich mal in einen 18- jährigen deutschen Jugendlichen von heute. Sie kennen keinen Krieg, Sie kennen kein authoritäres Elternhaus. Vielen wird im Elternhaus kein Respekt gegenüber Autoritäten gelehrt. Vielleicht wissen Sie noch nicht einmal, daß Sie ein Wahlrecht haben. Stattdessen kennen Sie das Internet mit ihren sozialen Netzwerken. Chatten. Handy. Sie kennen nur noch Spaß und Fun. Die WM ist für Sie nur ein Mittel um Fun zu haben. Viele wissen noch nicht einmal, was ein Abseits ist. Deutschland muss gewinnen. Dann können wir uns auf den Strassen mehr erlauben.

    Nach dem Deutschland – England (4:1) musste ich durch einen Kreisverkehr. Ich kam erst sehr spät rein. Mit Ihren Fahnen kreisten sie ununterbrochen im Kreis. Der Spaß, den sich diese Generation leistet, wird immer größer. Auch ein “Erfolg” dieser Meinungsmachmedien.

    Und dann frage ich mich: Wie wäre ich heute, wenn ich 18 wäre? Kann ich den Jugendlichen von heute dies übel nehmen?

    Meine Antwort: Nein! , weil sie die harten Realitäten, die von den Meinungsmachmedien geschönt werden, noch nicht richtig kennengelernt haben. Ein klein wenig harte Realität brauchen wir wieder. Und sie wird kommen, wenn es an der Zeit ist; wenn harte Realitäten keine Meinungsmache mehr zulassen.

    Mit freundlichen Grüßen

    und machen Sie weiter so.

  7. J. R.

    Sehr geehrter Herr Müller,
    ich stimme Ihrer Analyse weitestgehend zu.
    Dennoch bleibt eine entscheidende Frage vorerst unbeantwortet:

    “Wie wirkt die Macht der Interessengruppen (Banken, Regierung, etc.) konkret in die Berichterstattung der Öffentlich – Rechtlichen hinein?”
    Will heißen: Wie und mit wem geschieht das?
    Reicht es, Personalentscheidungen zu manipulieren wie im Falle ZDF-Koch-Brender?
    Wird direkt auf verantwortliche Redakteure und Programm-Direktoren Einfluss genommen?

    Oder: Was das Schlimmste wäre:
    Hat sich die Herrschaft der Eliten bereits so tief in den Gehirnen der Medienmacher verankert, dass die dazu gehörigen Personen gar nicht mehr manipuliert zu werden brauchen?
    Was meinen Sie, Herr Müller?

    Und: Wer in Deutschland könnte so etwas solide erforschen?

    Mit freundlichen Grüßen

  8. D.H.

    weiterhin danke für Eure Website.
    Das Fahnenschwenken als, nunja, wiedereinüben von nationalem Uniformieren findet schon statt – ich persönlich sehe das weniger kritisch, im Zeitalter der EU, sofern es uns beschert bleibt, ist das mit ein bißchen Glück alles Folklore.
    Ganz anders jedoch die Fans. Neben der Hetze der englischen (nett zusammengestellt hier) und deutschen Medien vor dem Spiel (die dt. Nationalmannschaft habe gegen Ghana “SS-Uniformen” getragen z.B.) und den erstaunlich fairen Kommentaren danach (siehe z.B. hier), so machten doch die Fans interessant:
    Während des Spiels zeigten die Kameras mehrfach englische Fans in Fliegeruniformen und am Ende die deutsche Antwort: Fans mit aufblasbaren englischen Spitfire-Modellen, die sie abstürzend darstellten.
    Was zum Geier soll das? Und wo soll das denn hinführen? Dahin???
    Aber die interessanteste Frage ist: Wem nützt sowas?

    beste Grüße und alles gute,
    D. H.
    Kreisvorsitzender
    Jusos

  9. F.K.

    zunächst möchte ich mein allgemeines Wohlwollen Ihrem Projekt gegenüber zum Ausdruck bringen. Ich bin erst vor wenigen Tagen auf Ihre Seite gestoßen, aber finde die Idee und ihre Ausführung großartig.
    Nichtsdestotrotz habe ich einige Fragen zum Artikel von Albrecht Müller vom 28 Juni, bei denen Sie mir hoffentlich weiterhelfen können. Es werden dort die Thesen geäußert: “Wer gemeinsam Fahnen für den Sieg Deutschlands bei einem Fußballspiel schwenkt, ist vermutlich auch gemeinsam eher bereit zu glauben, Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt.
    Wer gemeinsam in einem Flaggenmeer jubelt, der ist vermutlich auch eher bereit, sich bei einem Disput über den richtigen Weg in der Wirtschaftspolitik an dem zu orientieren, was die Mutter der Nation von sich gibt.
    Wer kollektives Denken und Fühlen im Fußball-Wettstreit mit anderen Nationen eingeübt hat, ist auch bereit, sich bei anderen Fragen kollektiv und auf der Linie der Mehrheitslinie der eigenen Führung zu orientieren und dem so genannten Mainstream zu folgen.”
    Den Gedanken über die Gleichschaltung der Medien kann ich nachvollziehen, bei den zitierten Thesen stellt sich mir jedoch die Frage, woher sie kommen. Können Sie mir dort weiterhelfen? Literaturhinweise oder ähnliches würden mir schon völlig ausreichen.
    Vielen Dank für Ihre Mühe.

    Mit freundlichen Grüßen

  10. T.C.
     
    zu Ihrem gestrigen Beitrag “Das Schwenken der Fahnen” fiel mir ein Abschnitt im Buch “Die verblödete Republik” (Thomas Wieczorek) ein. Unten ein zum Thema passendes Zitat aus dem Buch.
    Ich gehe -wie Thomas Wieczorek auch- (fett dargestellt am Ende des Zitats) stark davon aus, dass der “Fußballpatriotismus” in der auch gegenwärtig dargebotenen Form beabsichtigt ist.
    Unsere politische Elite samt ihrer meinungsschaffenden Medien können sich die Hände reiben. Sie arbeiten höchst erfolgreich. Mich machen diese Ereignisse sprachlos. Ich mache mir viele Gedanken darüber, ob und wie man diese breite Masse wieder in einen Normalzustand “zurückbiegen” kann. Dann schweben mir Visionen vor, wie z. B. eine Stunde vor Spielbeginn auf den Public-Viewing Plätzen Kabarettauftritte zu senden: Volker Pispers, Georg Schramm, Urban Priol, Winfried Schmickler, Hagen Rether in Bestform, als “warm-up”… Die Realität bleibt aber wohl leider die, in welcher jeden Tag aufs Neue versucht werden muss, Bekannten, Kollegen, Nachbarn die Augen zu öffnen und bei Ihnen den festen neoliberalen Lack anzukratzen. Frustrierend, wenn ich dann soeben lese, dass heute abend bei Hart aber Fair über die Präsidentenwahl morgen diskutiert wird und mal wieder kein Vertreter der Linken eingeladen wurde, welche als demokratische Partei ja auch eine Kandidatin aufgestellt hat. Stattdessen steht dort Herr Jörges allein in diesem Jahr das gefühlte zehnte Mal vor der Kamera. Die Linkspartei wird dort heute wohl mal wieder sehr negativ dargestellt werden – ohne sich durch Anwesenheit wehren zu können. Das finde ich sehr bedenklich. Es ist aber gleichzeitig auch wieder ein konkretes Stück der Meinungsmache, worauf man seinen Bekanntenkreis gut hinweisen kann.
     
    Hier nun der o. g. Abschnitt aus dem Buch “Die verblödete Republik”:
     
    “Fußball fasziniere deshalb die Massen, lehrt Sepp Herberger, “weil man nicht weiß, wie es ausgeht”. Aber das erklärt nicht, warum erwachsene und kultivierte Männer – denn es betrifft keinewegs nur fanatische jugendliche Unterschichtler – ihr persönliches Wohlbefinden und Lebensgefühl an Fußballresultaten binden, auf die sie selbst keinerlei Einfluss haben.
    Ein Grund ist sicherlich jener dumpfe “Stolz-auf”-Nationalismus, der beileibe nicht nur bei braunen Sumpfgruppen in den diffusen “Stolz, ein deutscher zu sein” mündet: Man heftet sich die Erfolge der Mitglieder “seiner” Gruppe an die eigene Brust: Dichter, Denker, Fußballer – zu anderen Zeiten und bei anderen Nationen mögen es Boxer, Handballer, Maler, Schauspieler sein. Ehe man sichŽs versieht, ist es da, das “Ich bin Deutschland-Gefühl”. Zehnjährige Nachwuchskicker sind Ballack, Poldi, Schweini oder Frings und die Älteren sind es -unausgesprochen natürlich- ebenso. Anders lässt sich die bis an die Infarktgrenze gehende Aufregung kaum erklären, und auch nicht, warum zumindest geheuchelte Fußballbegeisterung  für Politiker Pflicht ist.
    Hier aber lauert der völkische Pferdefuß und die Riesenchance zur Massenverblödung, gerade weil das gemeinsame Anfeuern des “eigenen” Teams an sich harmlos und symphatisch anmutet. Dazu ein Beispiel: In einer deutschen Fankurve könnten rein theoretisch ein Dieb und der Bestohlene, ein Vergewaltiger und sein Opfer, ein Firmenboss und ein von ihm Entlassener, ein Todesraser und eine Hinterbliebene direkt nebeneinander sitzen. Würden die zueinander sagen: Vergessen wirs und feuern wir gemeinsam Deutschland an? Genau dies fordert und beabsichtigt aber der “Fußballpatriotismus” als Spielart des völkischen Nationalismus.”
      
    Viele Grüße von einem Leser und Förderer Ihrer nachdenkseiten!
  11.  

Kurze Replik von AM auf die Mails:

  • Eigentlich habe ich nichts zurückzunehmen. Aber betonen will ich, dass ich die Fußballfreunde nicht beleidigen wollte, (was ich auch nicht tat.)
  • Ich hatte meine Hypothesen sehr vorsichtig formuliert. Deshalb treffen mich manche kritischen Bemerkungen nicht. Da kann ich nur raten, den angehängten Text nochmals nachzulesen.
  • Der Kern, dass das gemeinsame Schwenken der Fahnen und alles, was damit einhergeht, zur Uniformierung führen kann und kritisches Denken auszuschalten vermag, ist nach meinem Eindruck schlüssig.
  • Zum Hintergrund meines Unbehagens: Ich habe als Kind die Beflaggung (fast) jedes Hauses erlebt und ich war dann stolz darauf, nach 1945 in einem quasi flaggenlosen Land aufzuwachsen. Und jedes Mal, wenn ich eine US-Flagge hinter dem US-Präsidenten sah, bin ich zusammengezuckt. Heute ist das üblich, auch bei uns. Einen Fortschritt sehe ich darin nicht.
  • Der beste Beleg für meine These ist die oft, zu oft gelebte Praxis der USA, wo mit Berufung auf die Nation viel zu vieles möglich ist.
  • Übrigens: Nicht alle Argumente der Mail-Schreiber, die meine Thesen unterstützen, teile ich.

Anlage:
Auszug aus dem Beitrag vom 28.6.2010:

Das Schwenken der Fahnen – eine Einübung in Gleichschaltung für alles Mögliche
Ein Beitrag über Gleichschaltung wie jener vom 26. Juni löst Fragen aus: Ist das wirklich so? Wie wird die Gleichschaltung erreicht? Wie bei den Medien? Wie bei vielen Menschen? Zurzeit erleben wir im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft einen großen Sprung von getätigter und potentieller Gleichschaltung großer Menschenmassen. Fahnenschwenken im Kollektiv scheint mir der erste Schritt zur Uniformierung, im konkreten Fall noch dazu einer gefährlichen nationalistischen Uniformierung. Der erste harmlose Schritt. Albrecht Müller. Mehr.

Mit dem Fahnenschwenken beim Fußball wird vermutlich auch die Gleichschaltung zu anderen existenziellen Fragen programmiert

Wer gemeinsam Fahnen für den Sieg Deutschlands bei einem Fußballspiel schwenkt, ist vermutlich auch gemeinsam eher bereit zu glauben, Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt.
Wer gemeinsam in einem Flaggenmeer jubelt, der ist vermutlich auch eher bereit, sich bei einem Disput über den richtigen Weg in der Wirtschaftspolitik an dem zu orientieren, was die Mutter der Nation von sich gibt.
Wer kollektives Denken und Fühlen im Fußball-Wettstreit mit anderen Nationen eingeübt hat, ist auch bereit, sich bei anderen Fragen kollektiv und auf der Linie der Mehrheitslinie der eigenen Führung zu orientieren und dem so genannten Mainstream zu folgen.
Alles was wir hier in den NachDenkSeiten an Aufklärungsarbeit über das erfolgreiche Sparen und die richtige Wirtschaftspolitik schreiben, wird schon deshalb schwer vermittelbar sein, weil es im speziellen Fall die Vorstellungen einer anderen Nation, der USA, unterstützt und deshalb im Widerstreit zu der nationalen Position, der Meinung von Frau Merkel, liegt. Im Beitrag vom 26. Juni war darauf hingewiesen worden, dass hier ein Konflikt, im konkreten Fall ein Konflikt mit der Regierung einer andere Nation, genutzt wird, um Meinung zu machen.
usw.

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