Schröder etc. ruinieren die SPD – systematisch, so gewinnt man den Eindruck
In Kiel sucht man jetzt den Schuldigen, den Enthalter, der seine Stimme nicht für Heide Simonis abgegeben hat. Ein lächerlich unbedeutender Vorgang. Um vieles gravierender war es, die Wahl zu verlieren. Nach den Ursachen dafür wie für den Niedergang des Potentials der SPD müsste man forschen. Dazu eine wichtige Beobachtung: Die SPD hat immer dann Wahlen gewonnen oder gerade noch gewonnen, wenn sie Menschen als Multiplikatoren mobilisieren konnte, die für sie und ihre Kandidaten warben. Siehe unten. In Nordrhein-Westfalen wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr gelingen. Die letzte gute Chance wäre Schröders Rede letzten Donnerstag im Vorfeld des Gipfels mit Merkel und Stoiber gewesen.
Aber diese Rede war durchgehend gekennzeichnet,
- von falschem Zeugnis über die angeblichen Erfolge der Reformen,
- von Nachlegen statt Nachdenken,
- von der Nutzung der gängigen Denkfehler und Vorurteile (Globalisierung und demographische Herausforderung seien neu, etc.)
Diese Rede hat die Konservativen und Wirtschaftsliberalen in der Sache bedient, die potentiellen Multiplikatoren der SPD in der Arbeitnehmerschaft mit Rhetorik. Aber das verpufft inzwischen und führt nicht zur Mobilisierung.
Die Mobilisierung gelang 1998 noch einmal mit der Doppelspitze Schröder/Lafontaine und damit verbundenen sozialdemokratischen Akzenten in den letzten drei Wochen des Wahlkampfes; und 2002 mit dem Nein zur Irakkriegsbeteiligung und einigen ermunternden Programmpunkten für Arbeitnehmer und Gewerkschaften. Seitdem wird die Anpassung an wirtschaftsliberale und rechtskonservative Positionen noch massiver vorangetrieben. Gestern kamen gleich drei Meldungen dieser Art auf den Tisch.
- Schröder betraute den ehemaligen CDU-Politiker und MP von Sachsen mit der Leitung einer neuen Regierungskommission zur Zukunft der Mitbestimmung. Biedenkopf ist bekannt als unternehmerfreundlich, er war Mitinitiator der bayerisch-sächsischen Zukunftskommission, die eine Art Vorarbeit für Strukturreformen im neoliberalen Sinne geleistet hat; er ist seit Jahren eng verbunden mit einem der Hauptmatadore der konservativen Revolution, Meinhard Miegel. Wenn Schröder nun Biedenkopf zum Vorsitzenden der Mitbestimmungskommission macht, dann zeigt das, dass die für Nordrhein-Westfalen wichtige Motivation der Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre ihn nicht interessiert. Es ist auch ein typisch Schröder’scher Dank auf die Kapitulation des DGB-Vorsitzenden Sommer im SPIEGEL-Interview vom 14.2.2005.
- Schröder signalisiert Bush Unterstützung für die Wahl des Falken und Rechtkonservativen Wolfowitz zum Weltbankpräsidenten. Diese Nachricht wird so richtig all jene zur Werbung für die SPD „animieren“, die ein bisschen Ahnung davon haben, wie nötig es wäre, die Weltbank endlich von Kurs des konservativen Washington Consensus abzubringen.
- Auf allen Kanälen: die Reformen müssen weiter gehen, nur besser betrieben und ohne Reibungsverluste bei Rot-Grün. Der SPD-Vorsitzende Müntefering verlangt mehr „Dynamik“, Erfolge hingen mit „Handeln“ der Koalition zusammen, die Koalition müsse heraus aus der Routine des vergangenen Jahres. – Einmal abgesehen davon, dass Müntefering zu Jahresanfang und vor dem Wahldesaster von Kiel noch ganz anders sprach – da war 2004 ein erfolgreiches Jahr -, die Vorstellung, mit Entscheidungsstärke (sprich: schneller betriebenen Reformen) wären für die SPD noch Wahlen zu gewinnen, zeigt, wie sehr die Führung der Koalition im Berliner Bunker hockt. Dass die vielen Verluste nahezu aller Landtagswahlen die Folge der Anpassung an die Rechte ist, wird nicht begriffen. Oder man will es nicht wissen – beide Erklärungen sind möglich.
Ich bekenne freimütig, dass ich es für wichtig hielte, in unserem Land gäbe es eine starke sozialdemokratische Kraft. Aber sie schwindet immer mehr, je länger die jetzige Führung das Sagen hat. Zum Ruin der SPD siehe auch meinen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 18.6.2004 – siehe Rubrik „Veröffentlichungen der Herausgeber“ – und in „Die Reformlüge“ Seiten 386 ff.