Hinweise des Tages (2)
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Prügel fürden Streber, die Steuerwampe, der deutsche Mutterkomplex, Riester macht Staat und Rentner arm, Gier und Größenwahn (KR/WL)
- Lost in Translation
- Prügel für den Streber
- OECD will Sparkassen privatisieren
- Ulrike Herrmann: Die Steuerwampe
- Soziale Gerechtigkeit: Die Mittelklasse irrt
- Der deutsche Mutterkomplex
- Bedrohliche Altersarmut
- OECD fordert Lockerung des deutschen Kündigungsschutzes
- Arzneimittel: “Jede zweite neue Pille bringt keinen Fortschritt”
- Gier und Größenwahn – Wie die Banken die Politiker über den Tisch zogen”
- Leistung muss sich wieder lohnen!
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Lost in Translation
Hallo Berlin, hören Sie uns? Verzweifelt versucht Europa, mit Deutschland in einen volkswirtschaftlichen Dialog zu treten. Doch dort versteht man immer nur BWL.
Ein Beispiel aus Babylon: Angela Merkel hält an Deutschlands Exportüberschüssen fest, verlangt aber vom Ausland die Begleichung der Schulden. Wenn ein Unternehmer das sagt, ist es in Ordnung. Sagt eine Kanzlerin dasselbe, ist es peinlich. Beides geht einfach nicht. Solange die Bundesrepublik Leistungsbilanzüberschüsse erzielt, steigen per Definition die Schulden des Auslands gegenüber Deutschland.
Und wo bitte, sind denn die Stärken, an denen Deutschland festhalten soll? Etwas anderes als die Exportüberschüsse kann Frau Merkel dabei nicht im Sinn gehabt haben. Aber ein Exportüberschuss ist nun mal kein volkswirtschaftlicher Selbstzweck. Exporterlöse dienen der Finanzierung der Importe. Punkt. Anhaltende Exportüberschüsse sind nicht nur nutzlos, sondern sogar extrem schädlich. Sie führen zu einer Anhäufung von letztlich wertlosen Forderungen, die den Finanzsektor zahlenmäßig und charakterlich aufblähen – bis die Blase platzt.
Quelle: Der Freitag - Prügel für den Streber
Deutschlands Diplomaten haben jetzt einen Spickzettel. Vier Seiten umfasst das vertrauliche Schreiben mit dem Aktenzeichen 34/2010, das das Auswärtige Amt am 3. März an die »lieben Kolleginnen und Kollegen« in den Botschaften verschickt hat. Im Anschreiben steht zwar, dass das »mit dem Bundesfinanzministerium abgestimmte Argumentationspapier zu den Leistungsbilanzdefiziten innerhalb der Euro-Zone« nur als »persönliche Hintergrundinformation« gedacht sei. Aber eigentlich enthält die Berliner Depesche eine klare Dienstanweisung an die Diplomaten: »Deutsches Wachstumsmodell verteidigen«. Man habe »seine Hausaufgaben gemacht«. Jetzt seien die anderen an der Reihe.
Stimmt: Deutschland hat seine Hausaufgaben gemacht. Das Land ist vom »kranken Mann Europas« (so der britische Economist 2005) zum Land eines neuen Wirtschaftswunders (dasselbe Magazin 2010) aufgestiegen. Die Deutschen haben ernst genommen, was die Ökonomen predigten: härter arbeiten, wendiger wirtschaften, weniger verdienen, sonst stehlen die Chinesen unseren Wohlstand.
Quelle: Die ZeitAnmerkung WL: Und was wäre erreicht, wenn alle anderen ihre „Hausaufgaben“ auch machten, also härter arbeiteten, wendiger wirtschafteten, weniger verdienten? Es ginge allen schlechter, sie könnten weniger konsumieren, weniger nachfragen und weniger importieren. Der Ausweg für die Deutschen wäre, dass sie noch härter arbeiteten und noch weniger verdienten. Der Wettlauf nach unten ginge von vorne los. Kann das eine vernünftige Perspektive sein?
- OECD will Sparkassen privatisieren
Deutschlands Sparkassen haben es derzeit nicht leicht: Obwohl sie sich kaum verspekulierten, sollen sie Bankenabgabe zahlen. Die Industrieländerorganisation schlägt nun sogar vor, Privatbanken sollten die öffentlich-rechlichen Institute übernehmen.
Quelle: FTDAnmerkung WL: Diese Logik verstehe wer will. Da sollen also die Kreditinstitute, die nicht ins Casino gingen, von den Zockern übernommen werden.
- Ulrike Herrmann: Die Steuerwampe
Die Rede vom “Mittelstandsbauch” ist genial – weil sie so irreführend ist. Würde sich ein Superduper-Marketingstratege eine geniale PR-Kampagne überlegen, um Steuererleichterungen für die Besserverdienenden durchzudrücken: Er müsste den Mittelstandsbauch erfinden, wenn es ihn nicht schon gäbe. Der Mittelstandsbauch bezeichnet eine Wölbung im Steuertarif, die dazu führt, dass Normalverdiener besonders stark belastet werden. Die aktuellen Grenzsteuersätze steigen gerade zu Beginn rasant an. Werden bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 8.004 Euro nur 14 Prozent fällig, sind es bei 13.469 Euro schon 24 Prozent. Danach flacht die Progression stark ab. Nun ist es zweifellos ungerecht, dass Steuerzahler mit einem eher geringen Einkommen einer besonders starken Progression unterworfen werden.
Die Mittelschicht muss darauf achten, dass der Spitzensteuersatz wieder erhöht wird, wenn die Steuerbeule abgeflacht wird. Sonst wäre eine Strategie aufgegangen, die FDP und Union schon seit fast einem Jahrzehnt verfolgen.
Quelle: TAZ - Soziale Gerechtigkeit: Die Mittelklasse irrt
Je ungleicher eine reiche Gesellschaft, desto größer ihre sozialen Probleme: Der britische Sozialforscher Richard Wilkinson über die Frage, warum der wachsende Abstand zwischen Arm und Reich schlecht für alle ist.
Quelle: ZEITSiehe dazu auch eine Buchrezension …
- Der deutsche Mutterkomplex
Dass Frauen in fast allen Berufen weniger verdienen als Männer, hat auch mit einem kulturellen Phänomen zu tun: dem zählebigen Ideal von der “deutschen Mutter”, das Frauen in einen Teufelskreis aus schlecht bezahlten Jobs und Familienfürsorge drängt.
Quelle: TAZAnmerkung Orlando Pascheit: Frauen in Deutschland verdienen im Durchschnitt 23,2 Prozent weniger als Männer. Damit ist die Lohnlücke noch größer als in den Vorjahren. Der EU-Durchschnitt liegt bei 18 Prozent. Nur die Frauen in Estland (30,3 Prozent), Tschechien (26,2 Prozent), Österreich (25,5 Prozent) und den Niederlanden (23,6 Prozent) müssen noch größere Verdienstabstriche hinnehmen als in Deutschland. Die geringste Lohnkluft hat Italien mit 4,9 Prozent.
- Bedrohliche Altersarmut
Nach den Berechnungen des DIW werden im Jahr 2030 37 Prozent aller Rentner in Ostdeutschland 600 Euro und weniger aus der gesetzlichen Rentenkasse bekommen.
Prof. Peter Bofinger, Ökonom, Universität Würzburg: “Das Grundproblem der Riesterrente ist, dass sie den Staat wirklich viel Geld kostet, dass ein relativ großer Teil des Geldes gar nicht bei den Versicherten ankommt, sondern bei den Versicherungen. Ich glaube, dass man die Riesterrente insgesamt auf den Prüfstand stellen sollte. Man müsste zunächst mal erst erfassen, was das überhaupt kostet. Es sind Schätzungen von mehreren Milliarden. Und die Frage ist, ob das Geld nicht sinnvoller in anderen Bereichen eingesetzt werden kann. Eine Möglichkeit wäre, das Geld direkt in die Rentenversicherung zu geben. Dann sind dort mehr Mittel verfügbar.”
Sein Vorschlag an die Politik: zurück auf Los. Die vielen Milliarden Steuergelder seien besser im alten System aufgehoben: “Dann steigt in der Rentenversicherung der allgemeine Wasserspiegel. Und auch Menschen mit geringeren Einkommen hätten eine Chance, eine Rente zu bekommen, die dann über der Grundsicherung liegt.”
Risiko Altersarmut. Gewerkschafter, Verbraucherschützer und Rentenexperten sind sich einig. Die Weichen müssen jetzt neu gestellt werden. Reaktion der Bundesregierung: Eine Expertenkommission soll sich mit dem Thema befassen – ab dem nächsten Jahr.
Quelle: wdr Monitor - OECD fordert Lockerung des deutschen Kündigungsschutzes
Allerdings bestehe in Deutschland aufgrund des strengen Kündigungsschutzes die Gefahr eines “zweigeteilten Arbeitsmarktes” – mit sehr gut geschützten Arbeitnehmern in langfristiger Anstellung auf der einen und prekär Beschäftigten auf der anderen Seite. “Es gibt Belege dafür, dass ein zu strenger Schutz regulärer Beschäftigungsverhältnisse die Wanderung von Arbeitsplätzen in Richtung ihrer produktivsten Einsatzformen in der Wirtschaft bremsen und damit den Strukturwandel behindern kann”, heißt es etwas verklausuliert. Im Klartext: Entlassungen festangestellter Mitarbeiter sind in Deutschland zu teuer und zu zeitaufwendig, weil sie häufig vor Gericht ausgefochten werden.
Die OECD empfiehlt der Bundesregierung folgende Maßnahmen, um das Ungleichgewicht “von regulären und nichtregulären Beschäftigungsverhältnissen” zu verringern:- Verkürzung des Zeitraums, bis eine Kündigung ausgesprochen werden kann, zum Beispiel durch eine Reform der Zustimmungspflicht des Betriebsrats.
- Reduzierung der Frist zwischen Mitteilung der Kündigung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses für Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit.
- Im Fall betriebsbedingter Kündigungen sollen Arbeitgeber wählen können zwischen einer Regelabfindung (bei der dem Arbeitnehmer der Gang vor Gericht offen bleibt) und einer höheren Entschädigung wegen ungerechtfertigter Entlassung, die den Rechtsweg ersetzen würde.
- Neubeurteilung der weiteren Liberalisierung der befristeten Arbeitsverträge, wie sie im Koalitionsvertrag von Union und FDP vorgesehen ist.
Ein gelockerter Kündigungsschutz könne laut OECD dazu führen, “dass die Arbeitgeber weniger zögern, Arbeitskräfte einzustellen”, wenn sich die Wirtschaft wieder erhole.
Quelle: Spiegel OnlineAnmerkung WL: Ganz typisch für die OECD, dass Hartz die Arbeitslosenquote niedriger hält, wird ganz selbstverständlich und ohne jeden Beleg unterstellt. Im Hinblick auf den Kündigungsschutz fragt man sich, ob die neoliberalen Dogmatiker überhaupt noch wissen, worüber sie reden. Gerade hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bestätigt, dass inzwischen 10 Prozent der Arbeitsverhältnisse befristet sind und Neueinstellungen bis zur Hälfte nur noch befristet erfolgen. Wir haben schon seit Jahren eine Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, der Kündigungsschutz wird von vielen Unternehmen schon längst unterlaufen.
Jegliche Einstellung in Arbeit kann ohne sachlichen Grund befristet – bis auf zwei Jahre – erfolgen: Auch Mehrfachbefristungen beim selben Arbeitgeber sind erlaubt. Für über 50-jährige Arbeitslose besteht buchstäblich “Vogelfreiheit“. Noch vor kurzem berichtete die OECD, dass Deutschland bei den Zeitarbeitern und befristet Beschäftigten im Vergleich der 30 OECD-Mitglieder in der unteren Hälfte liegen.
Die Normalarbeitsverhältnisse scheinen der OECD ein Dorn im Auge zu sein. Hire and fire gilt als oberstes Ziel. - Arzneimittel: “Jede zweite neue Pille bringt keinen Fortschritt”
Viele neue Medikamente der Pharmaindustrie bringen keinen Fortschritt für die Patienten: Dies sagt der oberste Arzneimittelprüfer Deutschlands, Peter Sawicki. Der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen wird diesen Job abgeben müssen – und nimmt im Interview auf WELT ONLINE kein Blatt vor den Mund.
Quelle: WELT - “Gier und Größenwahn – Wie die Banken die Politiker über den Tisch zogen”
WDR-Dokumentation nun auf YouTube
Quelle: YouTubeAnmerkung WL: Ein Leser machte uns darauf aufmerksam, dass wir nicht nur die Sendetermine zu nachtschlafender Zeit beklagen, sondern unsere Leserinnen und Leser auf die Programmierfunktion ihres Videorekorders hinweisen sollten. Diesem Appell kommen wir gerne nach, dennoch ist es bezeichnend, dass solche kritischen Sendungen nach Mitternacht oder noch später ausgestrahlt werden und so an den Rand gedrängt werden.
- Leistung muss sich wieder lohnen!
Quelle: YouTube