Hinweise des Tages
Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante aktuelle Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen. Heute u. a. zu folgenden Themen: Wie versteckt man Schulden, Umsatzsteuer auf die Daseinsvorsorge, Privatisierung der sozialen Sicherung geht weiter, schwarz-gelbe Planungen, Oberschicht schützt sich vor Unterschicht, nur noch Parteien der „Mitte“, schöngerechnete Bildungsausgaben, neues aus der Anstalt. Hier die Übersicht. Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert. (MB/WL/AM)
- Banken treiben Staatsschulden um 53 Milliarden Euro in die Höhe
- Schattenhaushalt für 2009 vom Tisch
- Thomas Fricke – Anleitung zur kreativen Haushaltsführung
- Heribert Prantl: Das Narrenschiff
- Steuerprivilegien: Als nächstes die Post
- Höhere Müllgebühren drohen
- Gesetzliche Grenze für sittenwidrige Löhne schafft keinen angemessenen Mindestlohn
- Teilprivatisierung im Sozialbereich – Schwarz-gelbe Pflegepläne bringen Versicherern Riesenmarkt
- Lohnpolitik: Wachstum aus eigener Kraft
- Versicherer dürfen Risiken verstecken
- Praxisgebühr soll abgeschafft werden
- Unmut über Reformpläne: Industrielobby kritisiert Schwarz-Gelb
- Gewerkschaftsbund meldet drei Millionen Jobverluste
- Kündigung nach Diebstahl von Kartons
- Hartz IV Kinder verdienen mehr
- Unterschicht: Deutschland, deine Flaschen
- Gated Communities: Todsicher in der Isolation
- Wie die HSH Nordbank die Öffentlichkeit verhöhnt
- Leitwährung US-Dollar: Mit der Doppelrolle überfordert
- Engagement von Cerberus: Waffenhandel für Anleger
- Unbestechliche Mediziner
- Renate Künast: Die Grünen wollen die Mitte
- Überwachung: CIA scannt soziale Netzwerke
- Finanzminister rechnen Bildungsausgaben schön
- Finanzpolitik: Was gute Bildung kostet
- Studie sieht gebührenfreie Bundesländer als Verlierer
- Patt im Parlament – Berlusconi entgeht Rüge
- Weißes Haus contra Fox News: Krieg auf dem falschen Kanal
- Otto Brenner Preis 2009 für Kritischen Journalismus
- Zu guter Letzt: „Neues aus der Anstalt“ vom 20.10.2009
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Banken treiben Staatsschulden um 53 Milliarden Euro in die Höhe
Deutschlands Steuerzahler kommt die Bankenrettung bereits jetzt teuer zu stehen. Die Finanzspritzen für angeschlagene Geldhäuser haben die Staatsschulden allein im vergangenen Jahr um 53,5 Milliarden Euro in die Höhe getrieben. Dazu kommen noch Bürgschaften über weitere 66 Milliarden Euro. Allerdings haben die Steuerzahler auch einiges für ihre Hilfe bekommen.
Quelle: Manager-MagazinAnmerkung WL: Was die Steuerzahler für ihre Hilfe „bekommen“, wird man erst in der Endabrechnung sehen und die steht vermutlich erst in vielen Jahren aus und wie die Bilanz dann aussehen wird, steht in den Sternen.
- Schattenhaushalt für 2009 vom Tisch
Union und FDP rücken von ihrem Plan ab, mit einem Nachtragshaushalt in diesem Jahr einen 50 bis 70 Milliarden Euro großen Schattenhaushalt zu schaffen. Nach Informationen der F.A.Z. hat das Bundesinnenministerium verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. Damit wird es nicht mehr möglich sein, Mittel, die in den Jahren 2010 bis 2013 ausgegeben werden sollen, noch in den Bundeshaushalt 2009 zu schieben. Dies hätte das Defizit in diesem Jahr 100 Milliarden Euro und mehr getrieben.
Quelle: Frankfurter AllgemeineSiehe auch:
Kein neuer Schattenhaushalt in Deutschland
In Deutschland verzichten CDU/CSU und FDP verzichten auf einen «Schattenhaushalt». Damit sollten die erwarteten Defizite bei der für die Sozialleistungen am Arbeitsmarkt zuständigen Bundesagentur für Arbeit und den gesetzlichen Krankenkassen in den nächsten Jahren auszugleichen. Dagegen hatte es verfassungsrechtliche Bedenken gegeben. Das deutsche Grundgesetz lässt eine solche erhöhte Schuldenaufnahme zur Abwendung eines gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichts zwar zu. Dies sei aber schwer zu begründen, wenn das Geld erst in den nächsten Jahren abfließe, und nicht zur akuten Krisenbekämpfung, sagten Unterhändler gemäß Reuters.
Quelle: Neue Zürcher ZeitungAnmerkung Orlando Pascheit: Könnte es nicht sein, dass neben den verfassungsrechtlichen Bedenken die Tatsache das Verdunklungsmanöver der gelb/schwarzen Koalitionäre allzu durchsichtig war und in fast allen Medien nur mit Mühe der Spott ob solcher Manöver unterdrückt wurde?
Abfall- und Wasserwirtschaft: Bürgern droht milliardenschwere Gebührenerhöhung
Schwarz-gelb entdeckt neue Geldquellen: Die staatliche Abfall- und Abwasserwirtschaft ist bislang von der Mehrwertsteuer befreit – nach FTD-Informationen will die neue Regierung das ändern. Bezahlen müssten die Zeche wohl letztlich die Bürger.
Quelle: Financial Times DeutschlandAnmerkung unseres Lesers J.A. (zu einem Spiegel-Online Artikel dazu): Gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: die geringen Einkommen für Steuergeschenke an Reiche zahlen lassen, und die kommunale Daseinsvorsorge in die Privatisierung treiben – grandiose Strategie. Oskar Lafontaine hat auch das vorhergesagt: wenn die Gegenfinanzierung für die Steuergeschenke nicht Mehrwertsteuern sind, dann “Gebühren” oder “Maut” oder oder oder. Der Dreisatz “gleichzeitig Steuern senken, Haushaltskonsolidierung, mehr Geld für die Bildung” geht nur in der FDP-Klippschule auf, nicht im echten Leben.
Anmerkung AM: Die Überlagerung von Lasten auf die Bürgerinnen und Bürger und damit die indirekte Erhebung von Steuern, Gebühren genannt, ist eine bei den Konservativen gängige Praxis. Viele der Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen, vor allem der Kommunen, haben diese Folge gehabt.
- Thomas Fricke – Anleitung zur kreativen Haushaltsführung
Die Idee eines Schattenhaushalts hat Schwarz-Gelb nach heftigem Protest aufgegeben. Dabei lässt sich der Sanierungsbedarf auch anders kleinrechnen: Hier sind noch ein paar ganz legale Schuldenbremsentricks.
Quelle: FTDDazu auch noch:
Milliardendefizit: Schwarz-Gelb schiebt Schattenhaushalt auf 2010
Dämpfer für Schwarz-Gelb: Die Koalitionäre müssen den geplanten Schattenhaushalt für 2009 kippen, weil er gegen das Grundgesetz verstoßen würde. Doch ganz vom Tisch ist der Finanztrick nicht – Union und FDP wollen die Milliardenlöcher mit einem Sonderfonds 2010 stopfen.
Berlin – Selbst Politiker aus den eigenen Reihen hatten die Pläne für einen Schattenhaushalt kritisiert: Um die Milliardenlöcher bei den Sozialkassen zu stopfen, sind Union und FDP bei ihren Koalitionsverhandlungen von einem Nachtragshaushalt für 2009 abgerückt. Doch bereits 2010 soll ein Sonderfonds das Defizit ausgleichen.
Die Koalition werde “im Zusammenhang mit der Aufstellung des Bundeshaushaltes 2010 prüfen” wie mit Hilfe eines Sondervermögens gewährleistet werden könne, die Mindereinnahmen von Arbeitslosenversicherung und gesetzlichen Krankenkassen ohne Beitragserhöhungen auszugleichen, hieß es in dem Papier von Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU), FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms und dem bayerischen Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU).
Quelle: SPONAnmerkung AM: Jetzt kommt Schwarz-gelb mit den letzten Tricks. Auf Dauer werden die Mainstreammedien ihnen auch dieses durchgehen lassen. Man kann jedenfalls gespannt sein, ob vor den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen im Mai nächsten Jahres an diesen Betrug erinnert wird.
- Heribert Prantl: Das Narrenschiff
FDP wollen die Folgen der Bankenkrise just mit dem Trick bewältigen, der die Banken in die Krise geführt hat.
Die Koalitionäre weisen darauf hin, dass die Auslagerung von Schulden nichts ganz Neues sei: nach der deutschen Einheit seien die dabei gemachten Schulden ja auch in den Erblastentilgungsfonds ausgelagert worden – im Rahmen des Solidarpakts. Dieser Hinweis ist Hybris: Ein Koalitionsvertrag ist kein Solidarpakt, und die Schulden, die man zur Finanzierung von Wahlkampfversprechen verschiebt, kann nur ein Tor mit den Schulden der Wiedervereinigung auf eine Stufe stellen. Die Wiedervereinigung war die Erfüllung des Ziels der Verfassung. Nun aber geht es lediglich um die Erfüllung der irrwitzigen Wahlversprechen. Sie sollen um jeden Preis wenigstens teilweise eingehalten werden, weil man nicht eingestehen will, dass man den Mund zu voll genommen hat.
Quelle: Süddeutsche - Steuerprivilegien: Als nächstes die Post
Es ist richtig, das Steuerprivileg für kommunale Betriebe zu kippen, um faire Wettbewerbschancen für private Anbieter zu schaffen. Wenn es Schwarz-Gelb dabei aber tatsächlich um hehre Grundsätze geht und nicht um zusätzliche Einnahmen, muss die Koalition auch die Privilegien der Post abschaffen – selbst wenn es den Bundeshaushalt belastet.
Quelle: Financial Times DeutschlandAnmerkung WL: Die Umsatzsteuer für kommunale Betriebe der Daseinsvorsorge bedeuten nichts anderes, als dass die Bürgerinnen und Bürger mit höheren Gebühren (für Müllentsorgung, Müllabfuhr, Wasser etc.) belastet werden. Entweder dadurch dass die öffentlichen Betriebe die Steuerbelastung abwälzen müssen oder aber dass diese Betriebe von privaten Betreibern verdrängt werden und das führte nach aller Erfahrung erst Recht zu höheren Kosten für die Bürger.
- Höhere Müllgebühren drohen
Den Bürgern drohen nach den Plänen von Union und FDP deutlich höhere Gebühren für die Müll- und Abwasserentsorgung. Die angehenden Regierungspartner wollen kommunale Unternehmen künftig genauso besteuern wie private Anbieter. Das geht aus einem der dpa vorliegenden Entwurf für den Koalitionsvertrag hervor.
Kommunalunternehmen und -Verbände warnten am Donnerstag vor einer »Abzocke« und drastischen Mehrbelastungen für Bürger durch die Hintertür. Laut Mieterbund drohen pro Haushalt Mehrkosten von jährlich 150 Euro. FDP und private Entsorger wiesen diese Befürchtungen als unbegründet sowie sachlich falsch zurück und sprachen von Panikmache. Die privaten Anbieter sagten stabile Entsorgungsgebühren zu.
Quelle: Neues Deutschland - Gesetzliche Grenze für sittenwidrige Löhne schafft keinen angemessenen Mindestlohn
In den Koalitionsverhandlungen der schwarz-gelben Koalition werden zurzeit Überlegungen für die gesetzliche Festlegung einer Grenze für sittenwidrige Löhne angestellt. Danach sollen möglicherweise alle Löhne, die ein Drittel unterhalb des branchenspezifischen Durchschnitts liegen, als sittenwidrig erklärt werden. Nach Berechnungen des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung wären danach aber in einer Reihe von Branchen Löhne im Bereich zwischen zwei und sechs Euro nicht sittenwidrig. “Zur Bekämpfung von sittenwidrigen Löhnen und zur Begrenzung des Niedriglohnsektors insgesamt ist ein verbindlicher Mindestlohn erforderlich, der bei Vollzeiterwerbstätigkeit eine eigenständige Existenzsicherung ermöglicht”, so Reinhard Bispinck, Leiter des WSI-Tarifarchivs. Das sei mit Löhnen von zwei bis sechs Euro nicht möglich. Ein Blick auf die westeuropäischen Nachbarländer zeige, dass dort die gesetzlichen Mindestlöhne zurzeit zwischen acht und neun Euro pro Stunde liegen.
Quelle: Böckler - Teilprivatisierung im Sozialbereich – Schwarz-gelbe Pflegepläne bringen Versicherern Riesenmarkt
Die schwarz-gelbe Koalition denkt über eine verpflichtende private Zusatzdeckung zur Pflegeversicherung nach. Die Assekuranz freut sich ganz verhalten – noch wurde das mögliche Milliardengeschenk nicht geliefert.
Quelle: Financial Times DeutschlandAnmerkung WL: Die FTD beschreibt ziemlich ungeschminkt, um was es eigentlich geht. Wie bei der Einführung der privaten Zusatzversorgung bei der Rente soll nun sozusagen „Riester“ bei der Pflege eingeführt werden. Diesmal aber gleich richtig: Mit einer Zwangsversicherung und ohne dass die gesetzliche Pflegeversicherung als Konkurrenz auftreten dürfte. Der Effekt ist, die Arbeitnehmer zahlen alleine, die paritätische Finanzierung wird gedeckelt und vor allem sie zahlen mehr. Die Spenden der Finanzdienstleister und der Versicherungwirtschaft an die Unionsparteien und die Liberalen zahlen sich aus.
Die Einführung eines Pauschalbeitrags bringt dann auch endlich die von der Union schon lange gewünschte Kopfpauschale, d.h. die Putzfrau bezahl den gleichen Betrag wie der Bankvorstand.
Man erinnere sich: Die Pflegeversicherung wurde „erkauft“, dass ein gesetzlicher Feiertag, der Buß- und Bettag, abgeschafft wurde. - Lohnpolitik: Wachstum aus eigener Kraft
Die geringen Lohnzuwächse der vergangenen Jahre haben Deutschland zwar den Titel “Exportweltmeister” eingebracht. Eine stärkere Binnenwirtschaft hätte jedoch mehr Wachstum und Beschäftigung ermöglicht, zeigt eine Untersuchung des IMK. Insgesamt wäre ein höheres Lohnwachstum für Deutschland besser. Die Exporte nehmen dann zwar weniger zu, und damit auch das durch sie hervorgerufene Wachstum. Die stärkere Binnenwirtschaft gleicht das aber mehr als aus: Wachstum und Beschäftigung entwickeln sich etwas besser. Und Deutschlands Einkommensverteilung wäre bei weitem nicht so ungleich, wie sie heute ist. Startpunkt der Modellsimulation bildet der Beginn der Europäischen Währungsunion 1999. Davor hatten vergleichsweise niedrige Lohnzuwächse nach einiger Zeit immer wieder zu nominalen Aufwertungen der D-Mark geführt, die die anfänglichen Wettbewerbsvorteile wieder zunichte machten und teilweise sogar überkompensierten. Mit Beginn der Währungsunion ist dieser Mechanismus außer Kraft gesetzt: Niedrige Lohnzuwächse erhöhen dauerhaft die Wettbewerbsfähigkeit.
Im Modell sieht die Entwicklung dann so aus: Die Löhne steigen ab 1999 um jährlich rund drei Prozent. Damit liegt das Lohnniveau pro Kopf Ende 2007 real um gut elf Prozent höher. Der private Verbrauch erhält in diesen neun Jahren einen zusätzlichen Schub von inflationsbereinigt gut drei Prozent. Die Folge: Das Niveau des Bruttoinlandsprodukts liegt nach neun Jahren real um gut ein Prozent höher, was einen Beschäftigungsanstieg von knapp einem Prozent bedeutet. Auch der Staat profitiert – mit positiven Wirkungen für die gesamte Wirtschaft. Denn ein Lohnanstieg bedeutet höhere Staatseinnahmen. Diese bieten mehr Spielraum für öffentliche Investitionen. Im Lohnerhöhungsszenario können sie pro Jahr real um etwa zwei Prozent zunehmen. Am massivsten wirken sich die kräftigen Lohnzuwächse jedoch auf die Verteilung aus: Löhne und die Transfers insgesamt liegen nach neun Jahren im Szenario um rund 18 Prozent höher, die Bruttogewinne um 11 Prozent niedriger als nach der tatsächlichen Entwicklung der letzten Jahre. Dabei wären die Gewinne auch bei der stärkeren Lohnentwicklung gestiegen, nur eben nicht so rasant. In der Modellrechnung wachsen Löhne und Gewinne fast im Gleichschritt, die Lohnquote geht nur noch geringfügig zurück.
Quelle 1: Böckler impuls [PDF – 90 KB]
Quelle 2: IMK Studie [PDF – 155 KB] - Versicherer dürfen Risiken verstecken
Exklusiv Großer Lobbyerfolg für die Versicherungswirtschaft: Nach FTD-Informationen will das internationale Bilanzgremium IASB den Gesellschaften weiterhin erlauben, einen Teil ihrer Aktien aus ihrer Ergebnisrechnung auszulagern. Die Entscheidung hat weitreichende Folgen für die Börsen – und Millionen Besitzer von Lebensversicherungen.
Quelle: Financial Times DeutschlandAnmerkung Orlando Pascheit: Das sind genau diejenigen, denen dann die private Pflegeversicherung, die private Altersvorsorge und, wenn alles klappt, die private Krankenversicherung anvertraut werden. Demnächst dürfen sie dann auch diverse Finanzderivate halten, natürlich versteckt.
- Praxisgebühr soll abgeschafft werden
Die Praxisgebühr von bisher zehn Euro pro Quartal soll im Jahr 2011 durch eine geringere Gebühr pro Arztbesuch ersetzt werden. Dies berichtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“ unter Berufung auf Verhandlungskreise der Union und FDP. Im Entwurf zum Koalitionsvertrag haben beide Seiten einen Passus aufgenommen, demzufolge „die Praxisgebühr auf ihre Steuerungswirkung hin überprüft und gegebenenfalls ersetzt“ werden solle. An anderer Stelle heißt es, „Anreize für kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten“ seien notwendig. Dem Vernehmen nach verbirgt sich hinter diesen Formulierungen die Absicht, mit einer Gebühr im einstelligen Eurobereich pro Praxisbesuch die Anzahl der Arztkontakte und somit die Kosten zu vermindern. Die Neuerung, die von der designierten Bundesgesundheitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) befürwortet werde, solle im Rahmen einer im kommenden Jahr auszuarbeitenden Gesundheitsreform eingeführt werden. Die reform könne dann Anfang 2011 in Kraft treten, hieß es.
Quelle: Kölner StadtanzeigerAnmerkung WL: Dafür hat man ja das Instrument der Zusatzgebühr, das ist viel unauffälliger und bringt auch mehr.
- Unmut über Reformpläne: Industrielobby kritisiert Schwarz-Gelb
Der oberste Lobbyist der deutschen Industrie geht auf Distanz zur neuen Regierung. BDI-Präsident Keitel sieht keine Priorität für Steuersenkungen, lehnt weiteren Sozialabbau ab – und warnt Union und FDP davor, ihre “historische Chance” für echte Reformen zu vergeben.
Quelle: SpiegelAnmerkung J.A.: Keitels Ausführungen (im Wesentlichen: Einsparungen im Sozialetat) kann man wahrlich auch nicht unterschreiben – aber wenn ein Unternehmenslobbyist auch nur einen Tick links von der Regierung steht, müssen doch alle Alarmglocken schrillen.
- Gewerkschaftsbund meldet drei Millionen Jobverluste
Düstere Bilanz für den deutschen Arbeitsmarkt: Seit Herbst 2008 haben laut Deutschem Gewerkschaftsbund rund 3,2 Millionen Menschen ihren Job verloren – deutlich mehr als in früheren Zeiten.
Quelle 1: Spiegel
Quelle 2: DGB [PDF – 39 KB] - Kündigung nach Diebstahl von Kartons
Wieder ein Fall von Kündigung nach einem vermeintlichen Bagatelldelikt: Ein Unternehmen hat einen Mitarbeiter entlassen, nachdem er mehrere gebrauchte Kartons seiner Firma mit nach Hause genommen hatte. Das Arbeitsgericht befand nun, die Kündigung sei rechtens.
Quelle: SWR - Hartz IV Kinder verdienen mehr
Die geltende Regelung zu Hartz-IV-Sätzen für Kinder ist willkürlich und unangemessen. Um Kinderarmut zu bekämpfen muss die Regierung aber noch anderes tun, als nur die Berechnungsformel ändern.
Anders sieht es bei den Bezügen für Kinder von Hartz-IV-Empfängern aus. Hier ist Kritik an der geltenden Regelung absolut berechtigt: Wenn sich der Satz für Kinder einfach aus dem Finanzbedarf eines Erwachsenen ableitet, ist das nicht nur realitätsfern, sondern auch willkürlich. Für Säuglinge werden rechnerisch 11,90 Euro pro Monat für Tabak und Alkohol angesetzt, aber nichts für Windeln. Hinzu kommt, dass auch die Höhe der Sätze für Kinder eine verfassungsrechtliche Prüfung verdient. 215 Euro, die für Kinder bis fünf Jahre gezahlt werden, sind nicht viel, wenn auch noch das Kindergeld abgezogen wird.
Quelle: Financial Times DeutschlandAnmerkung J.A.: Weiter der wirtschaftsliberal-zynische Tenor “Bildungsferne” und “die Eltern geben das zusätzliche Geld eh für Alkohol und Zigaretten aus” – aber wenn sogar eine Wirtschaftszeitung den Hartz-IV-Satz für Kinder zu niedrig findet, dann ist die Regierung wirklich unter Druck.
- Unterschicht: Deutschland, deine Flaschen
Gesammelte Ratschläge und Erkenntnisse zum Problem
Quelle: ver.di Publik - Gated Communities: Todsicher in der Isolation
In Deutschland etabliert sich eine neue Wohnform für Wohlhabende – Gated Communities und abgeschottete Stadthäuser. Sie bieten ihren vermögenden Einwohnern das Gefühl von Sicherheit: “Alles, was die Polizei empfiehlt, haben wir schon.”
Quelle: Spiegel - Wie die HSH Nordbank die Öffentlichkeit verhöhnt
Es war der Moment auf den Journalisten monatelang gewartet haben. Die Manager der HSH Nordbank stellen sich der Presse. Nach ewigem Schweigen der Manager hatten sich so viele Fragen bei den Journalisten angehäuft. Vor allem an den Vorstandsvorsitzenden Dirk Jens Nonnenmacher. Aber beantwortet wurde keine. Statt Statements gab es Schnittchen, statt Antworten Apfelsaft. So unverschämt geht man mit dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit um.
Quelle 1: NDR Zapp (Text)
Quelle 2: NDR Zapp (Video) - Leitwährung US-Dollar: Mit der Doppelrolle überfordert
Die Weltwährungsordnung leidet an einem Konstruktionsfehler: Der US-Dollar ist zugleich Weltwährung und nationale Währung der Vereinigten Staaten. Damit sind Interessenkonflikte programmiert. So entschieden sich in der Vergangenheit die USA oft für eine Geldpolitik, die dem eigenen Land nützte, der globalen Wirtschaft insgesamt aber schadete. Zu diesem Ergebnis kommt der Ökonom Stephan Schulmeister vom österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Er plädiert daher – ebenso wie die Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) sowie die von der UNO eingesetzte Stiglitz-Kommission – für die Einführung einer neuen Weltwährung. Sie könnte sich neben dem Dollar auf Euro, chinesischen Renminbi und japanischen Yen stützen.
Der “fundamentale Konstruktionsfehler” des Weltwährungssystems hat auch zur aktuellen Wirtschaftskrise beigetragen, sagt der Forscher. Da der Dollar die globale Leitwährung darstellt, sind die USA als einziges Land in der Lage, ihre enormen Leistungsbilanzdefizite durch Verschuldung in eigener Währung zu finanzieren: Jeder einzelne Exporteur in anderen Ländern akzeptiert die Bezahlung in Dollar. Außerhalb der USA sammeln sich so immer mehr Dollars an – die aber nicht genutzt werden, um US-Produkte zu kaufen, sondern in den USA angelegt werden. In Staatsanleihen – oder auch riskanteren Wertpapieren. Das Dilemma der Exportstars. Wenn das Leitwährungsland die Welt mit seiner eigenen Währung überschwemmt, droht ihm lediglich eine Abwertung seiner Währung. Doch auch dies kann im Sinne des Leitwährungslandes sein: Ein sinkender Wechselkurs verbessert die Absatzchancen seiner Exportindustrie und entwertet die Forderungen, die sich die “fleißigen Gläubigerländer” gegenüber dem Leitwährungsland erarbeitet haben. Die Gläubiger der USA, vor allem China, Japan und Deutschland, stünden nun vor einem Dilemma: Sind sie nicht mehr bereit, weiter Dollars zu sammeln, fällt der Kurs der US-Währung weiter, die eigenen Produkte werden auf dem Weltmarkt teurer und Exportrückschläge bremsen das Wachstum. Machen sie aber weiter wie bisher, “dann wird die stetig steigende Auslandsverschuldung der USA letztlich eine umso stärkere Dollarabwertung nach sich ziehen”.
Quelle: Böckler impuls [PDF – 228 KB] - Engagement von Cerberus: Waffenhandel für Anleger
Am Autogeschäft hatte Finanzinvestor Cerberus zuletzt wenig Freude. Ein in aller Stille aufgebautes Waffenimperium läuft dagegen besser denn je.
Quelle 1: Financial Times DeutschlandAnmerkung: Lobbyist für Cerberus ist Bundesverteidigungsminister a.D. Rudolf Scharping.
Quelle 2: NachDenkSeiten vom 22.05.2007 - Unbestechliche Mediziner
2007 gründeten elf Mediziner/innen die Initiative MEZIS – „Mein Essen zahle ich selbst – Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte”. Die
mittlerweile 159 Mitglieder der Vereinigung lassen sich von der Pharmaindustrie nicht bestechen
Quelle: ver.di Publik - Renate Künast: Die Grünen wollen die Mitte
Wir haben ihnen mit unserem neuen grünen Gesellschaftsvertrag ein programmatisches Angebot vorgelegt. Die Menschen erwarten, dass wir diesen Gesellschaftsvertrag mit ihnen einlösen, ihn zu alltäglicher Politik werden lassen. Diese Menschen erwarten politische Kreativität und wir sollten den Mut haben, diese zu geben, der Künstlerin, dem Studenten, der Angestellten, der Schichtleiterin, dem Facharbeiter, der Selbstständigen, dem Landwirt, der Beamtin, den Menschen in vielfältigen Lebensentwürfen. Die soziale Basis des “grünen Lagers” ist genau dieser Teil der Mittelschicht, der im Lebensalltag Verantwortung übernimmt und sich verantwortlich für das Gemeinwesen fühlt. Diese “Verantwortungs-Mittelschicht” gruppiert sich allerdings nicht einfach nach Einkommensgruppen, sondern teilt den Willen zum gemeinwohlorientierten Handeln für das Heute und für die Zukunft. Diese Mitte weiß, dass Grüne nie zu den Propheten des Marktes gehört haben, ebenso wenig reihen wir uns ein in eine neue Staatsgläubigkeit…
Ein Alleinvertretungsmerkmal erwächst den Grünen aus immens hoher Glaubwürdigkeit und aus der bewiesenen handwerklichen Fähigkeit zum Umbau.
Quelle: Frankfurter RundschauAnmerkung WL: Siehe dazu Vom Rückfall in ein primitives Wählermarktmodell: „In die Mitte rücken“. Der Streit um die „Mitte“ erinnert an den Streit unter en Klerikern des frühen Mittelalters um die Frage, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen.
- Überwachung: CIA scannt soziale Netzwerke
In-Q-Tel, ein Beteiligungsunternehmen der CIA, hat in die Firma Visible Technologies investiert. Visible Technologies ist auf die Auswertung von Social-Media-Inhalten spezialisiert und soll nun im Auftrag der US-Regierung arbeiten. Das gab das Unternehmen in einer Pressemitteilung bekannt. Visible Technologies wertet öffentliche Informationen auf unterschiedlichen Web-2.0-Plattformen wie beispielsweise Flickr, YouTube oder Twitter aus, untersucht aber auch Blogeinträge und die jeweiligen Kommentare zu den Artikeln.
Quelle: Chip - Finanzminister rechnen Bildungsausgaben schön
Schwarz-Gelb preist Bildung als zentrales deutsches Zukunftsthema und will dafür mehr Geld ausgeben. In die Verhandlungen platzen die Länder-Finanzminister: Mit kühner Zahlenakrobatik definieren sie die Ausgaben neu – und mogeln sich so aus der Verantwortung. Bildungspolitiker sind fassungslos.
Quelle: Spiegel - Finanzpolitik: Was gute Bildung kostet
Bund und Länder wollen bis 2015 sieben Prozent der Wirtschaftskraft für Bildung ausgeben. Selbst wenn dies gelänge – für ein gutes Bildungswesen wäre es immer noch zu wenig.
Quelle: Böckler - Studie sieht gebührenfreie Bundesländer als Verlierer
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat dieser Tage eine Studie zu Studiengebühren veröffentlicht. Untersucht wurden lediglich Studierende der Medizin anhand der Daten der ZVS. In der zugehörigen Pressemitteilung des DIW wird daraus fast reine Propaganda. Denn es wird (ohne jede Einschränkung zu nennen) behauptet, “Studienanfänger mit sehr guten Abiturnoten schrecken die Studiengebühren […] kaum ab” und der Schluss gezogen, dass Länder ohne Gebühren doppelt verlieren: Das Geld durch Studiengebühren und die “guten” Studierenden.
Die (von der Abitur-Note her) “schlechten” Studierenden würden eher auch in anderes Bundesland wechseln. Was die Studie nicht erwähnt: Ihnen bleibt durch das Zulassungsverfahren oft keine andere Wahl. Wer mit einer nicht überaus guten Note oder über die Wartezeit an einen Medizin-Studienplatz gelangen will, wird das eher gelingen, wenn er oder sie mit jedem Platz zufrieden ist. Mehr Plätze gibt es zur Zeit eher in Ostdeutschland (alle Bundesländer ohne allgemeine Studiengebühren) – kein Wunder also, dass so der Eindruck entsteht, die “schlechten” Studierenden würden eher den Gebühren ausweichen.
Sowohl das ZVS-Verfahren führt hier also zu einem Studiengebühren-unabhängigen Effekt, aber auch die soziale Zusammensetzung von Medizinstudierenden ist nicht geeignet, aus ihrem Verhalten auf alle Studierenden und deren Verhalten in Bezug auf Studiengebühren zu schließen.
Die Presseerklärung des DIW kann man also mal wieder der Rubrik “Propaganda” zuordnen. Die durchaus Erfolg hat. Sucht man das Thema bei einer Suchmaschinen, so findet man Artikel mit dem Titel “Studenten flüchten nicht vor Gebühren” (und Untertitel “Kein Vorteil durch Gebührenverzicht”) oder “Freie Länder verlieren”. Jeweils ohne jede Erwähnung der Einschränkungen der Studie.
Quelle 1: studis online
Quelle 2: DIW Studie [PDF – 271 KB]Siehe auch:
Simple Erkenntnisse: Mediziner sind immun gegen Studiengebühren
Quelle: Spiegel Online - Patt im Parlament – Berlusconi entgeht Rüge
Ein Abstimmungspatt hat dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi eine peinliche Rüge des EU-Parlaments wegen mangelnder Pressefreiheit in seinem Land erspart. Die in Straßburg anwesenden Abgeordneten wiesen am Mittwoch insgesamt acht Anträge mit 338 zu 338 Stimmen ab. Der konservativen Europäischen Volkspartei war es gelungen, genügend Unterstützung für Berlusconi zu mobilisieren. Gleichwohl werteten es die unterlegenen Sozialisten, Liberalen, Grünen und Linken als Erfolg, das Thema publik gemacht zu haben. Bedauert wurde die offensichtliche Spaltung des Europäischen Parlaments, wie der italienische Liberale Niccolo Rinaldi hervorhob. Er sprach in diesem Zusammenhang von einem «historischen Votum». Konservative Abgeordnete sahen in den Anträgen indes ein Komplott der Linken und eine Hexenjagd gegen Berlusconi. Reporter ohne Grenzen siedelt das Land in der «Rangliste der Pressefreiheit 2009» nur auf Platz 49 an.
Quelle: NetzeitungAnmerkung Orlando Pascheit: Dabei ist der Verstoß gegen die Pressefreiheit nur ein Aspekt des Gesamtskandals Berlusconi. Dass Europa es nicht nicht schafft, sich von einem Politiker zu distanzieren, der sich u.a. in die Politik begeben hat, um sich durch maßgeschneiderte Gesetze einer Strafverfolgung zu entziehen, spricht weder für den europäischen Rechtsstaat noch für die europäischen Demokratien. Sollen wir daraus schließen, dass die konservative Europäische Volkspartei in ihren Ländern, also hier die CDU/CSU, die Methoden eines Berlusconis gutheißen würde.
- Weißes Haus contra Fox News: Krieg auf dem falschen Kanal
Das Weiße Haus bekämpft offen den erzkonservativen Kabelkanal Fox News. Dahinter steckt eine Top-Strategin Barack Obamas, die bisher im Hintergrund agierte und sich nun im Krieg mit dem Sender wähnt – prompt schießen dessen Quoten in die Höhe. Die Sache droht nach hinten loszugehen.
Quelle: SPONAnmerkung AM: Interessant. Obama und seine Zuarbeiter haben offenbar verstanden, dass man bei einer aggressiven Gegnerschaft in den Medien nur die Wahl zwischen zwei mehr oder weniger schlechten Lösungen hat. Entweder man duckt sich, dann wird man nach aller Erfahrung fertig gemacht. Oder man wehrt sich und thematisiert die Medienbarriere beziehungsweise die Aggression und Feindseligkeit dieser Medien. Dann hat man zwar auch keine Garantie für den Sieg, auch dann kann man niedergemacht werden. Aber man hat eine Chance zum – wenigstens partiellen – Sieg.
- Otto Brenner Preis 2009 für Kritischen Journalismus
Den 1. Preis erhält Marc Thörner für seine Hörfunk-Reportage „Wir respektieren die Kultur – Im deutsch kontrollierten Norden Afghanistans“.
Der 2. Preis geht an die ZDF-Autoren Ulrike Brödermann und Michael Strompen für ihre Dokumentation „Der gläserne Deutsche – wie wir Bürger
ausgespäht werden“.
Mit dem 3. Preis wird Simone Sälzer von der Passauer Neuen Presse ausgezeichnet. Die Autorin stellt in einer 14-teiligen Serie „Leben in Würde“ Einzelschicksale aus Deggendorf vor, die mit Problemen der gesellschaftlichen Isolation kämpfen.
Den Preis in der Kategorie „Spezial“ erhält der Essayist und Kommentator Christian Semler (freier Autor, taz).
Der Medienprojektpreis geht an die Macher des „ZEIT“-Plagiats vom 1. Mai 2010.
Quelle: Otto Brenner Preis 2009Anmerkung WL: Herzlichen Glückwunsch!
- Zu guter Letzt: „Neues aus der Anstalt“ vom 20.10.2009
Die komplette Sendung in voller Länge und Schönheit
Quelle: ZDF-Mediathek