„Warum Linke keinen Humor haben“ – Spiegel Online weiß das
Spiegel Online trumpft mit neuen Erkenntnissen über die politische Landkarte auf. Der frühere stellvertretende Leiter des Berliner Spiegel-Büros, Jan Fleischhauer, hat ein Buch geschrieben, und Spiegel Online gibt wie üblich bei Produkten der eigenen Redakteure Auszüge wieder. Ich habe ein Stück, jenes zum fehlenden Humor der Linken, gelesen. Wow! Dem Mann muss irgendwann in seiner Jugend ein linkes Mädchen den begehrten Flirt verweigert haben. Ohne einen solchen gefühlsgestörten Hintergrund kann man die Texte nicht fassen. Albrecht Müller.
Meine Empfehlung: Sie sollten dieses Buch nur dann kaufen, wenn Sie einem rechtskonservativen Bekannten etwas zum Besuch oder zum Geburtstag schenken wollen. Dann aber mit der Widmung: „Für so flach hält man euch! Viel Spaß!“.
Bevor ich noch ein paar Anmerkungen dazu mache, geben wir Ihnen die Mail eines NachDenkSeiten-Lesers zur Kenntnis. Sie enthält auch die notwendigen Links.
F.K. zu den Texten von Fleischhauer und zu Spiegel Online:
„Heidewitzka!
Man könnte meinen, ein Gespenst ginge um in der Redaktion von Spiegel Online. Da wagen die ersten Journalisten und Kommentatoren der Republik doch tatsächlich nach Jahrzehnten erstmals zaghaft einen kritischen Blick durch das neoliberale Schlüsselloch, da wird die Tür von der anderen Seite schon mit Brettern und Nägeln versperrt und eifrig feuchte Handtücher unter den Türschlitz geschoben.
Falls Sie es noch nicht mitbekommen haben: Wir haben eine Krise! So eine richtige, grundsätzliche Krise. Und der Spiegel bewährt sich einmal mehr als Stein in der ideologischen Brandung: Endlich wird aufgeräumt mit alten Irrtümern, krummen Paradigmen und gescheiterter Politik. Endlich werden Hintergründe erläutert und komplizierte Zusammenhänge investigativ aufgedeckt. Endlich, die neuerliche Sternstunde des deutschen Journalismus.
Und wenn Sie die Nachdenkseiten lesen, dann stecken Sie vermutlich bis zum Hals mit drin, sind unter Umständen sogar mitverantwortlich! Für was? Für die Krise! Sie sind die Krise! Die Linke ist in der Krise, ganz tief drin, haben Sie es denn noch nicht mitbekommen? Man kann nur froh sein, dass in einer Zeit der Korruption und wirtschaftlicher Unsicherheit Verlass ist auf die Blätter der Aufklärung und Demokratie. Lesen Sie selbst:
“Unter Linken – Wie man aus Versehen konservativ wird”
“Ideologie-Debatte – Warum die Linken die Krise nicht lösen können”
“Ideologie-Krise – Warum Linke keinen Humor haben”
Um noch einen ernsthaften Kommentar, der über die Artikel hinausgeht, anzuhängen: Interessant hierbei ist wie so oft der sprachliche Gebrauch von Wörtern wie “Ideologie” oder “Realität”. “Ideologisch” sind immer nur Linke, ist immer nur links. Andere Positionen dagegen beinhalten die “realistischen”, “objektiv richtigen” Antworten auf bestehende “Sachzwänge”. Für mich als Student der Politologie liegt darin die eigentliche Krise unserer Zeit: Es wird versucht, eine bestimmte Perspektive durchzusetzen, jedoch nicht innerhalb eines diskursiven Prozesses, indem Argumente ausgetauscht werden, sondern durch den Versuch, genau dieses zu verhindern. Der Versuch, die eigene Position oder Partei inhaltlich als die “einzig korrekte” darzustellen, also zu proklamieren, man hätte den einzigen neutralen, unwiderlegbaren Zugang zur Wahrheit, ist für mich im Kern antidemokratisch. Jeder Mensch mit dem Hauch eines Verstandes ist sich darüber im Klaren, dass hinter jeder politischen Partei eine ganz bestimmte normative Vorstellung von Gesellschaft steht, auf deren Grundlage die Parteigründung stattgefunden hat. Gleichzeitig sollte klar sein, dass Begriffe wie “objektiv” in einer politischen Debatte höchstens mit einem Schmunzeln zu gebrauchen sind. Doch genau dieser Prozess, eine normative/ ideologische Diskursposition als neutral verkaufen zu wollen, führt meiner Meinung nach zu fortschreitender Politikverdrossenheit. Wenn man diesen Gedanken fortsetzt, gelangt man nämlich zu folgender Frage: Wenn tatsächlich eine Partei die “einzigen objektiv korrekten” Antworten auf die Fragen unserer Zeit hat – wozu braucht es dann eigentlich noch Demokratie? Alle anderen Parteien hätten doch nachweislich faktisch unrecht. Hieran wird für mich deutlich, wie sich die politischen Debatten in der Öffentlichkeit radikalisiert haben, obwohl das Gegenteil behauptet wird.
Aus Versehen, aber mit freundlichen Grüßen
ein wahrscheinlich ziemlich humorloser F. K.“
Ergänzung Albrecht Müller zum Stück über den fehlenden Humor:
- Bei jedem der Wahlkämpfe, die ich von 1968 bis 1985 mitgemacht, miterlebt oder gut beobachtet habe, hatte es die damalige Linke im Vorfeld des Wahltermins in der Regel mit neu erschienenen Büchern zu tun, die dazu gedacht waren, das rechtskonservative Publikum zu befriedigen und kampffähig zu machen. Einmal wurde zum Beispiel in einem solchen Buch geschrieben, bei der Flucht des jungen Willy Brandt, alias Herbert Frahm, sei ein Deutscher zu Tode gekommen, beim nächsten Mal erschien ein Schriftwerk mit dem Vorwurf an Herbert Wehner, eigene Freunde verraten zu haben, usw.. Es ist immer das gleiche Spiel. Eine ähnliche Funktion, wenn auch nicht so martialisch aufgedonnert, hat jetzt das Buch von Fleischhauer.
- Das Buch wird sich im rechtskonservativen Milieu vermutlich gut verkaufen, weil es das Selbstbewusstsein dieser Gruppe hebt: „Die Linken sind humorlos. Wir verstehen etwas vom Leben.“ usw.. In diesem Milieu stören die Flachheit der Texte, der Mangel an Belegen, ihre willkürlichen Gedankenverbindungen und ihre Undifferenziertheit nicht. Diese Kreise sind an solches gewöhnt worden. Dort erzielten zum Beispiel auch die Bücher des Historikers Nolte, des SPIEGEL-Kollegen Steingart, das Zeug von Olaf Henkel über die Dresdner Frauenkirche und jenes von McKinsey-Kluge über Bildung hohe Auflagen. Die Mehrheit des rechtskonservativen Publikums ist erstaunlich ungebildet und liest BILD mindestens so intensiv wie die FAZ oder die ZEIT. Hier hat sich einiges zum schlechteren verändert. Schon 1998 berichtete ein führender Kenner und Macher von PR, die PR- und Werbe-Agenturen hätten seit den achtziger Jahren das Niveau ihrer Texte massiv nach unten anpassen müssen, weil das Publikum auch nur etwas anspruchsvolle Texte nicht mehr versteht. (Von diesem Gespräch habe ich in einer Studie mit dem Titel „Von der Parteiendemokratie zur Mediendemokratie“, erschienen 1999, berichtet).
- Wie gesagt: Nach Kenntnis dieses einen Textes kann ich mir nicht vorstellen, dass sich die Lektüre des Buches wie auch der anderen, von Spiegel Online übernommen Teile, lohnt. Damit will ich Sie nicht davon abhalten, sich diesen Tort anzutun. Jeder nach seiner Facon.
- Dass der Spiegel Personen wie Fleischhauer als stellvertretenden Leiter des Berliner Büros und Gabor Steingart als Leiter des Berliner Büros beschäftigt hatte (und ihre Texte immer noch abdruckt beziehungsweise ins Netz stellt), erklärt einiges zur Entwicklung des Spiegel. Im Vergleich zum Beispiel mit Jürgen Leinemann oder Erich Böhme, die beide auch die Funktion von Steingart inne hatten, sind Fleischhauer und Steingart nicht nur ein Signal für eine politische Positionsänderung, sie sind auch Beleg für einen beträchtlichen Niveauverlust.