Steingart/Spiegel-Polemik gegen Obamas Konjunkturprogramm im besonderen und gegen Konjunkturprogramme im allgemeinen
Das Bemerkenswerteste an dem am 5.2. erschienenen SpiegelOnline-Artikel „Was Obama von Deutschland lernen kann“ des Washingtoner Korrespondenten Gabor Steingart ist die Tatsache, dass der Spiegel überhaupt noch Artikel dieses Autors bringt. Denn diese frühere Nachwuchshoffnung des Spiegel hat sich in mehreren Beiträgen so fundamental vertan, dass man schon aus Zeitgründen auf die Lektüre seiner Artikel verzichten könnte. Im konkreten Fall polemisiert Steingart gegen den New Deal und die Staatsschulden des früheren US-Präsidenten Roosevelt und empfiehlt Ludwig Erhard. Albrecht Müller
Da Steingart wieder einmal bar jedes Selbstzweifels formuliert, ist es angebracht, an frühere Flops zu erinnern:
Gabor Steingart hat zum Beispiel in seinem Buch „Der Abstieg eines Superstars“ und in vielen anderen Beiträgen den Niedergang der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beschworen und de facto eine Lohnanpassung an die Niedriglohnländer empfohlen. Das hat sich rundum als falsch erwiesen, wie die Leistungsbilanzen Deutschlands und unserer Partnerländer zeigen. Steingart hat mit seiner Agitation und dem meinungsführenden Medium Spiegel im Hintergrund vermutlich kräftig dazu beigetragen, das durch Lohnzurückhaltung und mangelnde staatliche Nachfrage herbeigeführte Leistungsbilanz-Ungleichgewicht entstehen zu lassen. Wir haben unsere europäischen Partner mit vergleichsweise sinkenden Lohnstückkosten kaputt konkurriert.
Steingart hat dann im September 2006 mit einem neuen Werk über den Wirtschaftsweltkrieg und einer Serie von Spiegelartikeln eine „NATO der Wirtschaft“ gefordert. Er berichtete, „in Angela Merkels Kanzleramt wird über Geschichtsmächtiges nachgedacht: eine europäisch-amerikanische Freihandelszone.“ Das war offensichtlich seine Idee, von der seitdem niemand mehr geredet hat. Mit Recht. Man muss sich heute einmal vorstellen, wir säßen in dieser Finanzkrise in einer noch engeren Abhängigkeit von der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung der USA. Wie wahnsinnig das ist, konnte man auch schon 2006 wissen. Schon damals waren die Schulden und die Leistungsbilanzdefizite der USA erschreckend.
In den NachDenkSeiten sind wir am 25. September 2006 ausführlich auf die damaligen Produkte von Steingart eingegangen: „Steingart – Mittelmaß in der Sache aber Meister in der Kunst der Verführung“. Das ist immer noch lesenswert.
Sein neuer Text zeigt, dass dieser Autor einfach nicht verstanden hat, dass die Neuverschuldung, die man hinnehmen muss, um Konjunkturprogramme zu finanzieren, am Ende nicht zwangsläufig zu höheren Schulden führen, sondern zu niedrigeren führen können. Er hat bis heute nicht akzeptiert, dass im Falle des Nichtstuns die Schulden noch viel höher würden und außerdem wichtige staatliche Leistungen unterbleiben. Im konkreten Fall des kritisierten Präsidenten Roosevelt waren das viele nützliche öffentliche Investitionen.
Steingart tut dann so, als wäre der damalige amerikanische Präsident nur durch den zweiten Weltkrieg von den Schulden befreit worden. Wie das funktioniert haben soll, habe ich bei der Lektüre des SpiegelOnline-Beitrags nicht verstanden. Wahrscheinlich versteht es der Autor auch nicht.
Den Amerikanern wird vom SpiegelOnline-Autor dann Ludwig Erhard empfohlen. Richtig an den Anmerkungen von Steingart ist, dass ein Land ohne die Arbeit seiner Bürgerinnen und Bürger auf keinen grünen Zweig kommt. Ohne Fleiß kein Preis, o.k.. Das gilt auch für die heutigen Amerikaner und das galt auch schon für die Amerikaner, mit denen uns Steingart im Jahr 2006 in eine Freihandelszone und damit einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zwingen wollte.
Beim Rückgriff auf Erhard lässt der Autor übrigens das schmähliche ökonomische Ende des damaligen Bundeskanzlers Erhard weg. Dieser hatte uns nämlich in eine Rezession geführt, die nur mit Konjunkturprogrammen des Bundeswirtschaftsministers Schiller und der damaligen Großen Koalition überwunden werden konnte. Nicht nur mit Fleiß, auch mit einer guten makroökonomischen Politik.
Es fällt noch etwas auf bei der Polemik des Autors gegen Roosevelt und indirekt gegen Obama. Steingart polemisiert gegen die gigantischen Konjunkturprogramme und behauptet, der Kater sei damit programmiert und er werde gigantisch ausfallen. Wo bleibt die Polemik gegen die Rettungsschirme zu Gunsten der Banken, die eine größere Dimension und die größere Folgen für die Staatsschulden haben dürften als die Konjunkturprogramme, in den USA wie bei uns?
Die Rettungsschirme für die Banken erwähnt Steingart vermutlich nicht, weil er seine Freunde bei den Banken schätzen will. Im zuvor erwähnten Buch über den Abstieg eines Superstars wird vom Autor ausdrücklich ein Dank an die Zuarbeit der Wirtschaftsforscher der Deutschen Bank ausgesprochen. Diese (wie auch andere deutsche Banken) war bei Erscheinen des damaligen Steingart-Buches übrigens schon mittendrin im Sumpf der Auslagerung von faulen Forderungen auf Zweckgesellschaften und andere Institute mit dem Charakter von üblen Banken, so genannten Bad Banks. Siehe dazu: “Die politisch Verantwortlichen haben systematisch an der Verschleierung der Finanzkrise in Deutschland mitgearbeitet (Teil VI Finanzkrise)”.