Wieder ein Beleg für die erstaunliche Inkompetenz der Tagesthemen/ARD
Gestern Abend liefen zwischen zwei Halbzeiten eines Fußballspiels die Tagesthemen. Dort wurde vom Moderator Zamperoni ab Minute 4:20 bis 5:48 berichtet, wir alle würden zur Zeit so viel Geld verlieren wie seit langem nicht mehr. Zuletzt habe 2012 die Inflationsrate im Jahresvergleich so hoch gelegen wie im Februar 2017: 2,2 %. Und dann wurden im Gespräch mit Anja Kohl auch gleich noch Konsequenzen ins Spiel gebracht: Erhöhung der Zinsen und der Staatsausgaben. Insgesamt leistet sich die ARD hier eine Dramatisierung, die durch nichts gedeckt ist. Es ist ein Beweis der Inkompetenz der Tagesschau- und Tagesthemenredaktion. Albrecht Müller.
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Einige Fakten, die man im Zusammenhang beachten sollte:
- Mit 2,2 % Inflationsrate, die man, um nicht zu dramatisieren, besser sachlich „Änderungsrate der Verbraucherpreise“ nennen würde, ist die von der EZB genannte Steigerungsrate (2 %) gerade mal um 0,2 überschritten.
- Die Fehlermarge dürfte in diesem Bereich liegen. Die genannte Veränderungsrate von 2,2 % ist übrigens eine vorläufige Zahl. Die vom Statistischen Bundesamt nach seinen Kriterien dann als verlässlich betrachtete Zahl wird Mitte März veröffentlicht.
- Selbst als Laie kann man in Kenntnis der Temperaturen im Januar sich vorstellen, was die Fachleute im Statistischen Bundesamt einem bei Nachfrage auch bestätigen: der Anstieg der Verbraucherpreise im Februar hat wesentlich etwas zu tun mit Energiepreisen und vor allem mit dem Anstieg der Preise für Gemüse und Salat – einer Folge des vergleichsweise strengen Winters in den südlichen Ländern Europas.
- Wenn man sich den Luxus leistet, in die einschlägigen Statistiken zu der Verbraucherpreisentwicklung in einem längeren Zeitraum zu schauen, dann kommt man zu ganz anderen und viel gelasseneren Bewertungen. Ein Blick auf diese Tabelle und dort auf Seite 76 zeigt, dass 1992 zum Beispiel die Veränderungsrate der Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahr 5,1 % betragen hat, 1993 im Vergleich zu 1992 waren es 4,5 %. Damals haben wir – in den Worten der Tagesthemen – deshalb kein Geld verloren, weil die Löhne stiegen und auch die Rentenzuwächse und die Nominalzinsen höher lagen, sodass wir nach Wegziehen des „Geldschleiers“ real nicht so schlecht dastanden, wie die Preissteigerungen von 5,1 % oder 4,5 % suggerieren. – Diese kritischen Anmerkungen sind kein Plädoyer für Inflation. Sie sind ein Plädoyer für Gelassenheit.
Wie abstrus die Meldung und die Kommentierung der Verbraucherpreissteigerung im Februar 2017 gegenüber Februar 2016 durch die Tagesthemen ist, erkennt man auch dann, wenn man sich mal vorstellt, wie anders die Meldung und die Bewertung hätte lauten können. Die Tagesthemen hätten zum Beispiel melden können, dass Deutschland sich bei den Verbraucherpreisen jetzt der Marke nähert, die von Fachleuten für wünschenswert gehalten wird.
Die Tagesthemen hätten darauf hinweisen können, dass hinter den 2,2 % durchschnittlichen Preissteigerungen verschiedene Preissteigerungen je nach Bevölkerung und deren Bedürfnissen stecken. Wenn im sogenannten Warenkorb eines Menschen oder einer Familie nur das Notdürftige enthalten ist, wenn sie vor allem auf Lebensmittel und Energie angewiesen sind und sich anspruchsvollere Güter kaum leisten können, dann wird eine solche Familie zum jetzigen Zeitpunkt mit ganz anderen Preissteigerungsraten zu rechnen haben. Die 2,2 % sind dann weit untertrieben. Dem hätte die Redaktion der ARD nachgehen können. Aber das täte ja vielleicht weh, weil man zugeben muss, dass die Wenigverdiener real betrachtet schlechter abschneiden als die Gutverdiener, die von Preissenkungen in ihrem speziellen Warenkorb profitieren.