Die FAZ und die Rente: Lasten für die Jungen?
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung setzt ihre publizistischen Attacken gegen Verbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung fort. „Rentenpläne belasten die Jungen“ ist ein vorgestern erschienener Artikel überschrieben. Er ignoriert mehr als nur den banalen Umstand, dass es „Rentenpläne“ der Bundesregierung noch gar nicht gibt. Von Patrick Schreiner[*].
Erik Türk hat gestern auf den Nachdenkseiten einen Artikel kritisch beleuchtet, den die FAZ am 20. April zum österreichischen Rentensystem veröffentlicht hat. Die südlichen Nachbarn setzen weitaus stärker als Deutschland auf das gesetzliche Umlageverfahren, was viele für vorbildlich halten – was aber wiederum der FAZ ganz offensichtlich nicht gefällt. Türks Beitrag zeigt beispielhaft, wie sie gegen die wachsende Kritik an dem stärker auf “Eigenverantwortung” und Kapitaldeckung setzenden deutschen Altersvorsorgesystem auch mit fragwürdigen Mitteln agiert.
Nur wenige Tage nach diesem Text muss nun ein weiterer FAZ-Beitrag zum Thema Rentenpolitik als einseitig und unsauber bezeichnet werden. „Rentenpläne belasten die Jungen“ lautet die Überschrift, die die Kernaussage des betreffenden Artikels auf den Punkt bringt. Vorgestellt wird darin eine Kurzstudie des Ökonomen Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle, der die finanziellen Konsequenzen einer Stabilisierung oder Anhebung des Rentenniveaus berechnet hat. Die FAZ fasst die Ergebnisse Holtemöllers im Teaser wie folgt zusammen:
Die Regierung beschenkt die Rentner mit einem deutlichen Plus. Bezahlen muss dafür die junge Generation: Entweder steigen die Rentenbeiträge oder aber das Renteneintrittsalter.
Im nachfolgenden Satz macht die Autorin deutlich, wer genau mit „die junge Generation“ gemeint ist:
Die Rentenpläne der Bundesregierung gehen zu Lasten der heute jüngeren Erwerbstätigen.
Diese Darstellung ist aus drei Gründen mindestens ungenau, wenn nicht gar verfälschend:
- Wie auch immer die „Rentenpläne der Bundesregierung“ irgendwann vielleicht einmal aussehen werden: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Finanzierung eines stabilisierten oder gar steigenden Rentenniveaus teilweise oder sogar vollständig über steigende Rentenbeiträge gewährleistet wird, dürfte hoch sein. Dann zahlen aber keineswegs nur die „heute jüngeren Erwerbstätigen“, sondern zur Hälfte deren Arbeitgeber. Von denen allerdings ist in dem gesamten Artikel nicht die Rede.
- Es mag Begriffsklauberei sein, aber der Vollständigkeit halber sei es dennoch erwähnt: Nicht alle Erwerbstätige zahlen in die Rentenkasse ein. So sind etwa Beamtinnen und Beamte, viele Beschäftigte in Minijobs sowie Selbständige davon befreit. Zu behaupten, die „jüngeren Erwerbstätigen“ würden belastet, ist daher mindestens ungenau.
- Die Bundesregierung „beschenkt“ keineswegs „die Rentner“. Denn erstens geht es hier um Verdienste, nicht um Geschenke. Und zweitens würden von einer Stabilisierung oder Anhebung des Rentenniveaus weniger die heutigen Rentnerinnen und Rentner profitieren als vielmehr die zukünftigen (vorausgesetzt, es kommt in der Zukunft nicht wieder zu dessen Absenkung). Es profitieren insbesondere die, die heute und in den kommenden Jahren die Rentenbeiträge bezahlen – und sie profitieren umso mehr, je länger sie dies tun. Denn das Rentenniveau nach alter Planung sollte ja beständig sinken. Damit würde die Differenz zwischen den bislang geplant sinkenden Rentenniveaus gegenüber einem dann stabilisierten oder steigenden Rentenniveau in den kommenden Jahren und Jahrzehnten größer. Oder mit anderen Worten:
- Wer zum Zeitpunkt der Stabilisierung oder Anhebung des Rentenniveaus nur noch wenige Jahre zu leben hat, profitiert kaum, denn in der verbleibenden Lebenszeit wäre das Rentenniveau kaum gesunken. Zudem verbleiben ja nur noch wenige Jahre des Rentenbezugs.
- Wer zum Zeitpunkt der Stabilisierung oder Anhebung des Rentenniveaus gerade in Rente geht, profitiert schon mehr.
- Doch wer erst Jahre nach der Stabilisierung oder Anhebung des Rentenniveaus in Rente geht, profitiert noch mehr: Das Rentenniveau nach alter Planung hätte deutlich unter dem stabilisierten oder angehobenen gelegen.
Aber werden nicht dennoch die heute „jungen Erwerbstätigen“ (genauer: die heute sozialversicherungspflichtig Beschäftigten) mit höheren Lasten konfrontiert, sei es in Form höherer Beitragssätze oder in Form einer Anhebung des Renteneintrittsalters? Ja, das werden sie, was aber im Fall höherer Beitragssätze keineswegs problematisch oder ungerecht ist: Denn die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten profitieren nicht nur später im Rentenalter von höheren Leistungen, sondern sie können sich in der Zeit ihrer Erwerbsarbeit trotz steigender Beitragszahlungen auch über steigende Löhne freuen. Schließlich wird die Arbeitsproduktivität dank technologischer und sonstiger Fortschritte auch in Zukunft wachsen. Seit 2000 nahm die Stundenproduktivität in Deutschland pro Jahr um durchschnittlich 1,1 Prozent zu. Unter anderem dank Digitalisierung und Industrie 4.0 spricht einiges dafür, dass dieser Wert in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zumindest nicht sinken wird. Wenn aber pro Stunde beständig mehr produziert wird, dann gibt es auch mehr zu verteilen: Es eröffnen sich Spielräume für höhere Einkommen, mit denen höhere Beitragssätze und ein höherer Lebensstandard zugleich finanziert werden können. Was natürlich voraussetzt, dass diese Spielräume auch in Form entsprechender Lohn- und Gehaltssteigerungen genutzt werden. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters ist dann ebenso wenig notwendig wie ein Absenken des Rentenniveaus.
[«*] Patrick Schreiner lebt und arbeitet als hauptamtlicher Gewerkschafter in Bielefeld und Berlin. Er schreibt regelmäßig für die NachDenkSeiten zu wirtschafts-, sozial- und verteilungspolitischen Themen.