SPD und Partei „Die Linke“
Nach den Wahlen in Bremen, Hessen, Niedersachsen und Hamburg samt Einzug der Linken in vier von elf westlichen Landesparlamenten muss die SPD möglichst schnell und eindeutig ihr Verhältnis zur Partei „Die Linke“ klären. Von Rudolf Schöfberger.
A) Gesinnungsethik
- Die Partei „Die Linke“ entstand aus der östlichen Nachfolgepartei der SED, 1990 in PDS umbenannt, vereinigt mit der WASG, einer SPD-Abspaltung.
- Geschichtsbewusste Sozialdemokraten brauchen die SED, die Zwangsvereinigung mit der SPD samt deren Unterdrückung, die 44-jährige DDR-Diktatur, Mauerbau, Schießbefehl, Stasi und die Ermordung von 2 220 Sozialdemokraten in Bautzen nicht zu vergessen. Sich an die deutsche Geschichte nachhaltig zu erinnern, ist und bleibt eine Frage der Gesinnungsethik.
- Gründung, Existenz, Westausdehnung und Zuwachs der Linken schaden der SPD heute und auf längere Sicht. Denn eine erstarkende Linke ist für die SPD auch im Westen eine Konkurrenzpartei wie CDU, CSU, FDP und Grüne. Mehr noch, sie zieht auch zahlreiche SPD-Mitglieder ab.
- Für Liebe, Zuneigung und Sympathie von Sozialdemokraten zur linken Konkurrenz gibt es nach wie vor keinen vernünftigen Grund. Daran ändern verführerische Rhetorik und noch so populäre Reden von Lafontaine, Gysi und Bisky nichts.
- Koalitionen sind keine Liebesheiraten sondern Zweckbündnisse auf Zeit.
- Wir bayerischen Sozialdemokraten/innen lieben gesinnungsethisch die CSU schon wegen ihrer Übermacht in Bayern nicht – und müssen im Bund verantwortungsethisch eine Koalition mit ihr ertragen. Wir lieben auch die neoliberale FDP nicht – und trachten nach Koalitionen mit ihr. Warum sollte das mit der Linken anders sein?
- Gesinnungsethiker sollten zumindest auch würdigen, welche SPD mit welcher Politik seit 1998 der linken Konkurrenz Tür und Tor geöffnet hat.
- Wer mit neoliberaler Politik seit 2002 vier Millionen SPD-Wähler und 400 000 SPD-Mitglieder abgetrieben, sechs Bundesländer, den Bundespräsidenten und den Bundeskanzler vergeigt hat, ist übrigens auch ein schlechter gesinnungsethischer Ratgeber.
- Individuelle Gesinnungsethik kann bei Abgeordneten auch zu Gewissensentscheidungen führen (z. B. bei MdL Metzer in Hessen). Dieses Gewissen ist nach Art. 38 GG hoch geschützt. Aufträge und Weisungen von Parteigremien oder gar ein Parteiausschluss (wie der MdL Metzger angedroht) sind grob verfassungswidrig.
B) Verantwortungsethik
- Mit Gesinnungsethik allein läßt sich 19 Jahre nach der Wiedervereinigung die Machtfrage in Deutschland nicht mehr klären. Sie ist eine Frage der Verantwortungsethik.
- PDS und heutige Linke haben sich erkennbar zu einer demokratischen, wenn auch eindeutig antikapitalistischen Partei gemausert, einzelne Rückfälle eingeschlossen, deren Verursacher aber auch prompt ausgeschlossen werden. Eine blanke Verfassungsfeindlichkeit der Linken – wie die der NPD – läßt sich trotz Bemühens des Verfassungsschutzes nicht feststellen. Der Umgang mit der Linken ist mit dem Umgang mit den Neonazis nicht zu vergleichen.
- Entscheidend ist schließlich der Wählerwille, dem auch in der SPD künftig mehr Respekt zu zollen ist. Allein der Wählerwille und nicht das Bedenken sozialdemokratischer Neoliberaler an der Spitze der SPD prägen die Verantwortungsethik.
- Der Wählerwillen hat unbestreitbar für folgende Fakten gesorgt:
Die PDS, jetzt die Linke, ist im Osten eine starke und einflussreiche Volkspartei, da und dort stärker als die SPD.
Die Linke ist in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern zusammen mit der SPD Regierungspartei, verlässlich, aber auch ziemlich entzaubert.
Die PDS, jetzt die Linke, gehört dem Bundestag seit 2005 in Fraktionsstärke an.
Die Linke hat im Westen neuerdings den Einzug in vier Landesparlamente (Bremen, Hessen, Niedersachsen, Hamburg) geschafft. Künftige Erfolge in westlichen Landtagswahlen sind nicht mehr auszuschließen, im Saarland sogar schon garantiert (Lafontaine: 19%).
- Verantwortungsethische Erkenntnisse aus den jüngsten Landtagswahlen:
Aus dem bisherigen Vier-Parteien-System wird zunehmend ein Fünf-Parteien-System, weil die Linke nach vier Einzügen mittelfristig in weitere Landesparlamente einziehen wird.
Dieser Einzug erzwingt zunächst Große Koalitionen mit der SPD als Juniorpartner oder Jamaika-Koalitionen aus CDU, Grüne und FDP.
Grüne (in Hamburg + Bayern) und die FDP (Westerwelle am Wochenende) haben die neue Lage schon begriffen und eröffnen neue Koalitionsperspektiven. Die SPD eiert schwer herum und leistet sich sogar eine gefährliche Zerreißprobe.
- Unsere SPD braucht dringend eine neue Machtperspektive:
Im Bund und in mehreren Ländern gibt es jetzt schon arithmetisch „linke“ Mehrheiten aus SPD, Grüne und Linke – aber gleichzeitig rechtsgestrickte Regierungen – das ist geradezu tragisch:
Im Bundestag sind es fast 51% der Sitze. Kanzlerin Merkel verdankt ihr Amt nur der gutwilligen SPD. Sie könnte morgen durch einen sozialdemokratischen Bundeskanzler ersetzt werden.
Die SPD stellte einschließlich im Saarland, NRW, Schleswig-Holstein, Hessen, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt schon einmal zwölf von 16 Regierungschefs (früher ohne Berlin 11 von 16).
Derzeit stellt die SPD nur in fünf von 16 Bundesländern (Bremen, Rheinland-Pfalz, Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) den Regierungschef und in weiteren drei (Schleswig-Holstein, Sachsen und Thüringen) den Juniorpartner in einer Gr0ßen Koalition.
In Hessen, Hamburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen könnte die SPD mit Grünen und Linken regieren. Das Saarland kommt ziemlich sicher bald hinzu. Auch neue SPD-Regierungen in NRW und Schleswig-Holstein sind nach den nächsten Wahlen mittelfristig nicht mehr ausgeschlossen.
- Antikommunismus war bis 1989 nicht unbegründet und diskutabel, hat aber auch Adenauer und die Reaktion (mit Globke, Oberländer, Kiesinger, Filbinger, Mende, Zogelmann u. a.) begünstigt. Seit dem Zusammenbruch des Weltkommunismus und der DDR ist Antikommunismus nur noch nostalgisch, nicht mehr zukunftsträchtig.
- Wenn die SPD gesinnungsethisch eine Koalition mit der Linken in Bund und Ländern für heute und dummerweise gleich für die ferne oder für alle Zukunft rigoros ausschließt, kostet das der SPD einen unerträglich hohen Preis. Denn diese Haltung führt in Bund und Ländern zu dramatische Machteinbußen:
Im Bund und in elf Bundesländern bleibt der SPD dann zwangsläufig nur noch die Wahl zwischen folgenden Macht- oder Ohnmachtperspektiven:
Juniorpartner in einer Großen Koalition mit stetig sinkendem Wähleranteil (derzeit noch 28%) und weiterem Wählerdrift von der SPD zur Protest-Linken.
In 11 von 16 Bundesländern regieren auf lange Sicht die Schwarzen.
Nach einer möglichen Jamaika-Koalition in Bund und Ländern droht der SPD die Opposition.
In Bayern und Baden-Württemberg droht ihr die ewige Opposition.
- Die verantwortungsethische Zukunftsalternative für die SPD lautet:
- In Wahlkämpfen wirbt die SPD selbstbewusst für sich und nur für sich.
Gewissensethische, zumal von politischen Gegnern erzwungene Koalitionsausschlüsse (wie in Hessen und Hamburg) führen nach der Wahl und manifestem Wählerwillen nur zu Widerrufen mit Verlust an Glaubwürdigkeit oder zum Machtverzicht und schließlich zur Verlängerung der abgewählten Regierungsmacht (wie in Hessen). Sie sind künftig zu unterlassen. - Im Bund entscheiden ein Bundesparteitag, Parteivorstand und Bundestagsfraktion über mögliche und zweckmäßige Koalitionen.
- In den Ländern entscheiden die zuständigen Landesverbände, Landesparteitage und Landtagsfraktionen über Koalitionen. Das haben Parteivorstand und Parteirat gegen eine Stimme beschlossen. Das entspricht dem Prinzip der Demokratie mit Willensbildung von unten nach oben und nicht umgekehrt. Was gibt es daran zu rütteln?
Für konkrete Koalitionsentscheidungen nach einer Wahl kommt es an auf
- Wählerwillen und arithmetisch mögliche Koalitionen
- Machterhalt oder Machterwerb der SPD (ein verlängerter Koch ist keine Alternative)
- Solidarischer verantwortungsethischer Zusammenhalt der SPD-Abgeordneten
- Größtmögliche Schnittmengen politischer Ziele zwischen SPD und einem Koalitionspartner
- Politische und personelle Zuverlässigkeit von Koalitionspartnern
- Einen schriftlichen und verbindlichen Koalitionsvertrag.
In diesem Sinne sind für die SPD künftig auch die vom Wählerwillen eröffneten Koalitionen mit der Partei der Linken verantwortungsethisch denkbar und möglich.
- In Wahlkämpfen wirbt die SPD selbstbewusst für sich und nur für sich.