Nochmals: BILD zur angeblichen „Beitragsexplosion bei Krankenkassen“
Kritiker werfen den NachDenkSeiten manchmal vor, wir würden hinter den Veröffentlichungen der INSM oder auch der Bild-Zeitung stets einen einseitigen Interessenbezug oder gar Verschwörungen wittern. Heute Nacht, habe ich der Schreckensmeldung in BILD über eine INSM-Auftragsstudie, wonach die Kassenbeiträge aufgrund des Gesundheitsfonds im nächsten Jahr um 712 Euro steigen sollen, zweierlei Absichten unterstellt:
Die hinter der INSM steckenden Arbeitgeber stemmten sich erstens gegen Mehrausgaben bei der paritätisch finanzierten gesetzlichen Krankenversicherung und zweitens kämpften sie gegen den „Gesundheitsfonds“, weil sie eine Beseitigung des solidarisch finanzierten Gesundheitssystems anstrebten.
Wenige Stunden später bestätigt BILD meine unterstellte Absicht: „Wirtschaft fordert Stopp des Gesundheitsfonds“, lautet jetzt die Schlagzeile. Wolfgang Lieb
„Der Wirtschaftsverband DIHK fordert…den Gesundheitsfonds zu stoppen. DIHK-Chef, Ludwig Georg Braun zu BILD: ´Der Fonds ist und bleibt ein Fehlkonstrukt. Die jetzt schon sicheren Beitragserhöhungen machen Arbeit teurer und vernichten Arbeitsplätze`“, schreibt die Boulevard-Zeitung.
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) stimmt natürlich sofort wieder als „wissenschaftliche“ Autorität in diesen Chor ein: „Nach Schätzungen des IW wackeln dadurch ´mehrere Zehntausend Jobs`“, wird das Institut in gewohnter Angstmache zitiert.
Nicht dass wir für den „Gesundheitsfonds“ wären und auch höhere Beiträge widersprächen den gegebenen Reformversprechen, aber „die Wirtschaft“ verfolgt mit der jetzt angestoßenen Kampagne ein ganz anderes Ziel:
Mit dem Jammern über die angeblich arbeitsplatzvernichtenden höheren „Lohnnebenkosten“, soll eine komplett privat finanzierte Gesundheitsvorsorge, mit einer unsolidarischen, gleich hohen „Kopfpauschale“ für alle vom Manager bis zur Sekretärin durchgesetzt werden.
Das gibt der DIHK-Chef Braun ganz unumwunden zu: Statt einer solidarisch finanzierten gesetzlichen Krankenversicherung „sollten echte, einkommensunabhängige Prämien (d.h. die Kopfpauschale, WL) kommen, die die Kosten der Krankenversicherung vom Arbeitsverhältnis abkoppeln“ (d.h. die Arbeitgeber von der paritätischen Finanzierung entlassen, WL).
Wieder einmal hat sich unsere Vermutung dass hinter dieser Kampagne von INSM, Arbeitgebern und ihrem Verlautbarungsorgan BILD ein einseitiger Interessensbezug steckt, als richtig erwiesen. Es handelt sich also nicht um eine von uns nur eingebildete Verschwörung, sondern tatsächlich um eine bewusst inszenierte Beeinflussung der öffentlichen Meinung, landläufig Propaganda genannt.
Übrigens: Sollten die Beiträge tatsächlich steigen müssen um die Kostensteigerungen etwa durch erhöhte Arzthonorare auszugleichen, so wäre das wieder einmal ein Beweis, dass die „Reform“-Versprechen nicht eingehalten werden.
Andererseits wäre dies gleichzeitig, das Eingeständnis, dass der „Aufschwung“ jedenfalls in den Geldbeuteln der Arbeitnehmer nicht ankommt. Würde nämlich die Zahl der Beitragszahler steigen (durch mehr Beschäftigung) und würden die Löhne steigen, so müssten sich eigentlich auch die Beitragseinnahmen der Kassen erhöhen.
Damit müsste eigentlich auch ein normaler Anstieg der Gesundheitskosten aufgefangen werden können. Eine Ursache für eine unvorhersehbare Kostenexplosion ist jedenfalls nicht erkennbar.
Wenn die Kassen also keine steigenden Beitragseinnahmen haben, so beweist dies nur, dass die Durchschnittseinkommen nicht gestiegen sind. Das wäre auch leicht erklärbar, wenn man in Betracht zieht, dass der angebliche „Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt“ wie folgt angekommen ist:
- Rund 2,5 Mio Menschen in unserem Land arbeiten in Befristungen.
- Beinahe 7 Mio sind geringfügig beschäftigt.
- Fast 5 Mio davon verdienen ihr weniges Geld mit Minijobs.
- 2 Mio müssen sich so ein Zubrot verdienen.
- 300.000 arbeiten als Ein-Euro-Jobber.
- 650.000 sind Zeitarbeiter.
Alle diese millionenfachen prekären Beschäftigungen erbringen selbstverständlich nur niedrige Beiträge für die Krankenversicherungen. Daraus könnte sich durchaus eine Notwendigkeit zur Erhöhung der Krankenkassenbeiträge ergeben.
Auch hier zeigte sich wieder einmal, dass die Sozialreformen von der Gesundheit angefangen, über die Rente bis hin zu Hartz nur an den Symptomen kurieren und nicht an der Ursache ansetzen, nämlich eine aktive Konjunktur- und Wirtschaftspolitik zu machen, die mehr Wachstum, eine ordentlich bezahlte Beschäftigung und Löhne anstrebt, die mindestens entsprechend der Produktivitätssteigerung und der Inflationsrate ansteigen, damit der größer werdende „Kuchen“ auch den Arbeitnehmern zugute kommt.