Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JW/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Griechenland
  2. Armut
  3. Ukraine
  4. Putin-Doku
  5. Von freien zu zivilisierten Märkten. Ein New Deal für die europäische Handelspolitik
  6. Frankreichs Parlament probt den Aufstand
  7. Folgen der expansiven Notenbankpolitik: Ein nicht mehr so heimlicher Währungskrieg
  8. Aufstieg des Neoliberalismus: Halali auf den Staat
  9. Freihandelsabkommen Geheim geht gar nicht
  10. Die ganz große Koalition der Wirtschafts-Feinde
  11. Kirche: Reich und geldgierig?
  12. US-Investoren fordern Lohnsenkungen in Europa
  13. Kein Ausverkauf unserer Infrastruktur an Versicherungen und Banken!
  14. Neutral und unparteilich
  15. So half Berlin beim Völkermord
  16. Aus den Wahlstudios der Gleichgültigkeit
  17. “Hochschulwatch” kritisiert Wirtschaftssponsoring – “Unternehmen machen Unis abhängig”

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Griechenland
    1. Griechischer Hilfsantrag: Ein Brief und seine Bedeutung
      Das Schreiben ist kurz und brisant: Griechenlands Finanzminister Varoufakis hat schriftlich die Verlängerung von Finanzhilfen gefordert, Deutschland wies den Antrag umgehend zurück. Warum? Eine Textanalyse. […]
      Ziel des Programms ist demnach unter anderem:
      “(a) Beidseitig akzeptable finanzielle und administrative Bedingungen zu vereinbaren, deren Umsetzung in Zusammenarbeit mit den Institutionen Griechenlands die fiskalische Lage stabilisieren, angemessene Primärüberschüsse erzielen, die Stabilität der Schulden garantieren und beim Erreichen der fiskalischen Ziele für 2015 unter Berücksichtigung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation helfen.
      (b) In enger Zusammenarbeit mit unseren europäischen und internationalen Partnern sicherzustellen, dass jegliche neuen Maßnahmen voll gegenfinanziert sind und einseitige Maßnahmen zu unterlassen, welche die Haushaltsziele, die wirtschaftliche Erholung und die Finanzstabilität untergraben, und Abstand zu nehmen von jeder einseitigen Maßnahme, welche die fiskalischen Ziele, wirtschaftliche Erholung und Finanzstabilität unterminieren würden.”
      Einerseits macht die griechische Regierung hier beachtliche Zugeständnisse: Primärüberschüsse, also ein Haushaltsplus vor Zinszahlungen, bleiben das Ziel, finanziell riskante Alleingänge sollen ausbleiben – das klang kurz nach der Wahl noch anders. Allerdings vermeidet der Text jede Festlegung auf ein konkretes Ziel wie die bisher angestrebten drei Prozent Primärüberschuss. [….]
      Quelle: Spiegel Online

      Anmerkung Orlando Pascheit: Was soll das, eine Festlegung auf ein konkretes Ziel? Nehmen wir z.B. das Thema Primärüberschüsse. Gemeint ist damit ein positiver Haushaltssaldo (Staatseinnahmen/Staatsausgaben) ohne Zinszahlungen. Die griechische Regierung verspricht “angemessene Primärüberschüsse”. EU, IWF und EZB fordern von Griechenland einen Überschuss von 3 Prozent in diesem und 4,5 Prozent im kommenden Jahr. Wie einem Chart von Paul Krugman zu entnehmen ist, hat Griechenland viel mehr Austerität auf sich genommen als die vielgelobten, angeblichen Musterländer, Irland, Portugal, Lettland oder Spanien. Der Preis war der Einbruch der Wirtschaftsleistung, der den der ersten Weltwirtschaftskrise übertraf. Was keine der Institutionen der Troika prognostizierte, im Gegenteil … Es dürfte eher einem Wunder gleichen, wenn Griechenland es dieses Jahr überhaupt schafft, einen positiven Primärhaushalt zu realisieren. – Hier zur deutschen Übersetzungen des Briefs der Griechischen Regierung an den Präsidenten der Euro-Gruppe.

    2. Wie die Troika in Athen regiert
      Gesetze werden als unzureichend abgelehnt, Minister in strengem Ton ermahnt. Einem Magazin wurden E-Mails zwischen der Athener Regierung und der Troika zugespielt. […]
      In den Schreiben kommentieren die Troika-Vertreter laufende Reformen oder Gesetzesvorhaben mit Randnotizen wie “wird abgelehnt”, “reicht nicht aus” oder “reicht teilweise aus”. Ausführlich beschrieben wird darüber hinaus die Entstehung einer Reform, die nach Auffassung von Hot Doc durchaus das Athener Parlament hätte passieren müssen, die schließlich aber als ministerialer Erlass ausgestaltet wurde. Die Dokumente seien Zeugnis einer antidemokratischen Politik, die nach Wegen suche, Gesetze vorbei am Parlament umzusetzen, schreiben die Autoren.
      In einem weiteren als “streng vertraulich” gekennzeichneten Schreiben richtet sich dem Pressebericht zufolge eine Staatssekretärin aus dem Arbeitsministerium direkt an das Büro von Ministerpräsident Samaras. Sie habe zuvor mit Vertretern der Troika beraten, wie sich Massenentlassungen in der privaten Wirtschaft gesetzlich so regeln ließen, dass Arbeitgeber diese leichter durchsetzen könnten. Zitat aus dem Schreiben: “Es wäre nicht richtig, eine parlamentarische Unruhe zu erzeugen, wenn wir andere Lösungen vorschlagen und umsetzen können, um unsere Ziele zu erreichen.” Gemeint sind damit Wege, das Parlament in Athen zu umgehen. […]
      Quelle: Zeit Online

      Anmerkung Orlando Pascheit: In letzter Zeit haben sich diverse Politiker angesichts der Not in Griechenland damit herausgeredet, dass die konkrete Umsetzung der Sparvorgaben in den Händen der griechischen Regierung gelegen habe. Es kann nicht oft genug betont werden, dass jenseits der abenteuerlichen, zahlenmäßigen Sparvorgaben die Troika sehr konkret in die Maßnahmen eingegriffen hat. Selbst in der Sendung “Griechenlands Schuldenpoker zieht uns der Süden über den Tisch?” von “hart aber fair” vom 09.02.2015 wurde kurz in einem Einspielfilm darauf hingewiesen (00:36: 25).

    3. Nächste Ausfahrt Grexit?
      Was bisher nur für eine Drohkulisse gehalten wurde, um Griechenland auf (deutsche) Linie zu bringen, scheint für Berlin kein Tabu mehr: der Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Bereits im Januar gab Angela Merkel zu Protokoll, dass sie sich einen Euro ohne Griechenland vorstellen könnte. Der Wirtschaftskolumnist Norbert Häring hält es für möglich, dass die derzeitige Politik Berlins auf einen »Nord-Euro« hinausläuft: ohne Griechenland, Zypern, Portugal, Spanien und Italien – aber mit Frankreich und unter deutscher Hegemonie.
      Es herrscht eine paradoxe Situation: Ein Ausstieg aus dem Euro ist rechtlich nicht geregelt, also eigentlich nicht möglich. Griechenland könnte nur zur Drachme zurückkehren, indem es die Europäische Union verlässt. Das will in Griechenland kaum jemand – auch SYRIZA nicht.
      Berlin versperrt sich einer alternativen Krisenpolitik und droht also mit dem Joker: dem Grexit. Was kann man sich darunter vorstellen? Eine schnelle Einführung der Drachme ist kaum möglich. Dass die griechische Zentralbank die Euroscheine über Nacht mit einem Stempel versieht und so eine neue Währung einführt, ist ebenfalls wenig wahrscheinlich.
      Quelle: Neues Deutschland

      Anmerkung JK: Niemals hätte man zu träumen gewagt, dass man sich als Deutscher einmal wieder für seine Regierung schämen muss. Die Linie brutaler Erpressung, welche die Bundesregierung, flankiert durch die kampagnenartige Berichterstattung der deutschen „Qualitätsmedien“, gegen Griechenland fährt, ist eigentlich unglaublich. Ist das eines angeblich demokratisch verfassten Europas würdig? Leider nähert sich das böse Bonmot, dass Deutschland mit dem Euro das versucht, was es mit seinen Panzern nicht geschafft hat, immer mehr der Realität an. Dazu gewinnt auch das Gerede Merkels, der Konflikt mit Russland lasse sich nicht militärisch lösen, eine ganz andere Bedeutung. Um andere Länder niederzudrücken braucht Deutschland keine Panzer, dafür hat es den Euro.
      Die deutsche Regierung ist also bereit an Griechenland ein Exempel zu statuieren, es notfalls aus dem Euro zu zwingen und dort ein wirtschaftliche Katastrophe ohnegleichen zu riskieren, nur um die angebliche Alternativlosigkeit einer bizarren Irrlehre zu beweisen. Dabei geht es gar nicht mehr um die Einhaltung von Prinzipien und Verträgen. Der Entscheidende Punkt ist, wie kann die Not und das Leid der griechischen Bevölkerung beendet werden? Das müsste in einem humanitären und demokratischen Europa an erster Stelle stehen. Aber dieses Europa ist nicht das Europa der Bürger, sondern das Europa der neoliberalen Eliten.

    4. Reparationszahlungen an Griechenland – Über deutsche Halbwahrheiten
      Die Nazis nahmen während der Besatzung griechische Kredite auf. Die heutige Bundesregierung will diese nicht zurückzahlen.
      Ermäßigte Bustickets und ärztliche Versorgung für Arbeitslose hat Alexis Tsipras in seiner Regierungserklärung angekündigt. Die Bild-Zeitung vom 9. Februar fand das nicht lustig: „Finanzieren will Tsipras die Wohltaten – zumindest zum Teil – mit deutschem Geld.“ Gemeint waren die Reparationszahlungen, die Athen vom Nachfolgestaat des Dritten Reiches fordert, das Griechenland von April 1941 bis Oktober 1944 besetzt, terrorisiert und ausgeplündert hat.
      Die Behauptung im Springer-Blatt gehört zu den Halb- und Unwahrheiten, die der deutschen Öffentlichkeit in Sachen „griechische Reparationsansprüche“ aufgetischt werden. Denn Tsipras betonte ausdrücklich, seine Forderung habe nichts mit dem akuten Finanzbedarf Griechenlands zu tun. Natürlich weiß man auch in Athen, dass in absehbarer Zeit keine Wiedergutmachungsgelder aus Deutschland fließen werden, mit denen man die griechische Staatskasse auffüllen könnte.
      Dass die Athener Reparationsansprüche nicht nur bei Bild-Lesern Empörung auslösen, zeugt auch von mangelnden Kenntnissen über ein höchst komplexes Thema. Wer wirklich verstehen will, welche Summen für Griechenland letztlich einklagbar wären, muss zunächst einige Dinge auseinanderhalten….
      Quelle: Niels Kadritzke in der taz
  2. Armut
    1. Die zerklüftete Republik
      Die Armut in Deutschland hat nicht nur ein neuerliches trauriges Rekordhoch erreicht, auch ist Deutschland dabei, regional regelrecht auseinander zu fallen. Zwischen dem Bodensee und Bremerhaven, zwischen dem Ruhrgebiet und dem Schwarzwald ist Deutschland, was seinen Wohlstand und seine Armut anbelangt, mittlerweile ein tief zerklüftetes Land.
      Die wichtigsten Befunde im Überblick: […]
      Quelle 1: Der PARITÄTISCHE Gesamtverband
      Quelle 2: Die zerklüftete Republik. Bericht zur regionalen Armutsentwicklung in Deutschland 2014 [PDF]

      Fazit und Agenda des Paritätischen Gesamtverbandes
      Die Armut in Deutschland ist auf Rekordhoch. Noch nie war die Einkommensschere so weit geöffnet wie derzeit. Es gibt aktuell auch keine politischen Weichenstellungen, die Anlass zu der Vermutung geben könnten, dass sich dieser Trend kurzfristig umkehren könnte.
      Der Armutsbericht macht deutlich, dass sich die steigende Armut von wirtschaftlichen Entwicklungen gänzlich abgekoppelt hat. Auch in Zeiten volkswirtschaftlicher Prosperität geht die Einkommensschere weiter auseinander und die relative Armut nimmt zu. Hierbei nähert sich die relative Armutsgrenze von 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens (Median) sehr bedenklich dem Niveau der Grundsicherung für Arbeitssuchende und erwerbsunfähigen Menschen. Bei Familien mit mehreren Kindern liegt die relative Einkommensgrenze regional zum Teil schon unter dem Grundsicherungsniveau.
      Wo wirtschaftliches Wachstum jedoch die Einkommensschere nicht schließt, sondern sogar noch vergrößert und zusätzliche Armut erzeugt, ist in einem Sozialstaat politisches Handeln gefragt. Es geht um die Vermeidung von Armut und es geht um Verteilungsgerechtigkeit. Angesichts auch zunehmender regionaler Disparitäten ist darüber hinaus eine Politik gefordert, die in der Lage ist, für Ausgleiche zu sorgen und die relative Verelendung von Regionen solidarisch zu verhindern.
      Um eine weitere soziale und regionale Verelendung zu verhindern, brauchen wir politische Maßnahmen in der Primärverteilung, in der Sekundärverteilung und schließlich beim Länderfinanzausgleich.
      Quelle: Siehe auch Vorschläge und Forderungen Der Paritätische Gesamtverband

      Hinweis: Siehe den Download des Armutsberichts und das Pressestatement von Dr. Ulrich Schneider hier.

      Anmerkung WL: Zufall oder nicht am gleichen Tag als der Paritätische seinen Armutsbericht veröffentlichte, hatte die FAZ (Printausgabe) einen Artikel von Renate Köcher vom CDU-nahmen Institut für Demoskopie Allensbach im Blatt. Danach glauben 79 Prozent der Bevölkerung, dass die sozialen Unterschiede größer werden und 69 Prozent erwarten, dass mehr Menschen wirtschaftlich und gesellschaftlich zurückfallen und nicht mehr mithalten können. 74 Prozent halten es für ein ernstes Problem, wenn in einem Land der Abstand zwischen Ober-, Mittel- und Unterschicht wächst. Auch von denjenigen, die aufgrund von Bildung, beruflicher Position und Einkommen zu den oberen 20 Prozent gehören, stufen 72 Prozent wachsende soziale Unterschiede als großes Problem ein. 74 Prozent der Bürger, auch 69 Prozent der oberen Sozialschichten, wünschen eine Verringerung der
      sozialen Unterschiede. 60 Prozent der Bevölkerung und auch 60 Prozent der oberen Schichten wünschen sich mehr Rücksichtnahme auf Schwächere. Größere soziale Unterschiede gelten in Deutschland quer durch alle sozialen Schichten als ungesund und als Risikofaktor. Nur acht Prozent würden gerne in einem Land mit großen sozialen Unterschieden leben, 73 Prozent ziehen eine Konstellation vor, in der die Unterschiede zwischen den sozialen Schichten begrenzt werden und der Staat zu diesem Zweck auch immer wieder eingreift. Drei Viertel der Mittel- und Unterschicht favorisieren dieses Modell, auch knapp zwei Drittel der höheren Sozialschichten. Die große Mehrheit ist auch überzeugt, dass die Lebensqualität in Ländern höher ist, die sich bemühen, soziale Unterschiede zu begrenzen.
      Dennoch habe der Bundestagswahlkampf 2013 gezeigt, dass Umverteilungskonzepte wenig Zugkraft hätten. Die Bürger setzten eben mehr auf eine Stärkung der Mittel- und Unterschicht als auf Maßnahmen, die die Oberschicht betreffen.
      Andererseits entspreche es dem Leitbild der Mehrheit ein leistungsfähiges soziales Netz zu haben – auch um den Preis hoher Steuern und Abgaben.
      Mein Fazit: Für eine sozial orientiert Politik gäbe es eine große Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung. Man müsste nur dafür werben.

      Risikogruppen
      Besonders ins Auge stechen dabei die Erwerbslosen mit einer Armutsquote von 58,7 Prozent und die Alleinerziehenden mit 42,3 Prozent…
      Betrachtet man die Armutsbetroffenheit nach Altersgruppen, fällt auf, dass die Kinderarmut mit 19,2 Prozent seit vielen Jahren auf anhaltend hohem Niveau deutlich über der durchschnittlichen Armutsquote von 15,5 Prozent liegt. Besonderen Anlass zur Sorge jedoch gibt insbesondere die Entwicklung bei der älteren Bevölkerung. Deren Armutsquote ist zwar derzeit noch vergleichsweise moderat, doch alarmierend ist der Trend: So ist die Armutsquote der über 65-Jährigen seit 2006 um 37,5 Prozent gestiegen, bei den 50- bis 65-Jährigen immerhin um 15 Prozent.
      Quelle: Der Paritätische Gesamtverband

      Ländervergleich
      Einen überproportionalen Anstieg der Armutsquote zeigen Berlin mit 0,6 Prozentpunkten sowie Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mit jeweils 0,8 Prozentpunkten.
      Einen mehr als doppelt so starken Anstieg der Armut als im Bundesdurchschnitt sehen wir in den Ländern Thüringen (+1,2 Prozentpunkte), Saarland (+1,7 Prozentpunkte), Bremen (+1,7 Prozentpunkte) sowie Hamburg mit dem größten Zuwachs von 2,1 Prozentpunkten, wobei die Armutsquote dort in 2013 um über 14 Prozent höher lag als im Vorjahr…
      … in den Ländern, in denen die Armut ohnehin schon am größten ist, wächst sie auch noch schneller als in Gesamtdeutschland. Im Ergebnis geht die Schere zwischen den Ländern auseinander und setzen sich die ärmsten Länder immer weiter ab…
      In Bremerhaven ist der Anteil der Armen an der Gesamteinwohnerschaft viermal so hoch wie in Bodensee-Oberschwaben. 2006 betrug die Differenz zwischen der Region mit der niedrigsten (Schleswig-Holstein Süd mit 7,8 %) und der Region mit der höchsten Armutsquote (Vorpommern mit 25,6 %) gerade 17,8 Punkte.
      Quelle: Der Paritätische Gesamtverband


      Quelle: Der Paritätische Gesamtverband

      dazu: 12,5 Millionen Deutsche sind arm
      Der Paritätische Gesamtverband äußert sich besorgt. Es gebe einen “armutspolitischen Erdrutsch”, noch nie sei die Kluft zwischen armen und reichen Ländern so groß gewesen. Dabei macht der Verband gleich mehrere Risikogruppen aus.
      Die Armut in Deutschland steigt sprunghaft an und Rentner sind immer stärker davon betroffen. Das sind zentrale Ergebnisse des Armutsberichts des Paritätischen Gesamtverbands, der in Berlin vorgestellt wurde. “Noch nie war die Armut in Deutschland so hoch und noch nie war die regionale Zerrissenheit so tief wie heute”, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider.
      Die Anzahl der von Armut betroffenen Menschen hierzulande stieg dem Bericht zufolge von 12,1 Millionen Menschen im Jahr 2012 auf 12,5 Millionen im Jahr 2013. Am stärksten betroffen sind dem neuen Armutsbericht des Paritätischen zufolge die Bundesländer Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, am wenigsten Baden-Württemberg und Bayern.
      Besorgt äußerte sich Schneider besonders darüber, dass “die Kluft zwischen reichen und armen Ländern in Deutschland immer größer wird”. Er sprach von einer “zerklüfteten Republik”.
      Insgesamt verschlechterte sich die Lage in 13 der 16 Bundesländer, nur in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen blieb die Armutsquote stabil oder ging leicht zurück. Einen besonders starken Anstieg gab es dagegen neben den bereits genannten Schlusslichtern der Armutsstatistik auch in Hamburg und Teilen Nordrhein-Westfalens.
      Unter den gesellschaftlichen Gruppen sieht der Paritätische das größte Risiko bei Alleinerziehenden, die dem Bericht zufolge zu 43 Prozent von Armut betroffen sind. Als weitere Risikogruppen nannte Schneider Erwerbslose und Menschen ohne beziehungsweise mit niedrigem Bildungsabschluss.
      Quelle: N-TV

      Anmerkung J.K.: Weiter so mit der marktkonformen Demokratie. Wie das Beispiel Griechenland zeigt gibt es noch viel Luft nach unten.

    2. Armut wächst in Deutschland weiter ungebremst an
      Deutschlands Wirtschaft boomt noch immer, Menschen aus anderen europäischen Ländern, in denen die Arbeitslosigkeit hoch ist und die Wirtschaft schwächelt, werden angelockt, weil Deutschland ein reiches Land zu sein scheint. Aber wie in anderen Ländern wird die gesellschaftliche Spaltung immer tiefer, die Reichen werden immer reicher. Nach einer Schätzung des Deutschen Wirtschaftsinstituts besitzt das reichste Prozent der Deutschen ein Drittel des privaten Gesamtvermögens, die reichsten 10 Prozent haben einen Anteil von 63-74 Prozent, die reichsten 0,1 Prozent der Haushalte von 14 bis 16 Prozent am gesamten Vermögen – dreimal so viel, wie die ärmeren 50 Prozent der Bevölkerung. Weil wegen der abgeschafften Vermögenssteuer keine Daten vorliegen, kann das Vermögen der Reichen nur geschätzt werden, nach dem DIW wurde das “wahre Ausmaß an Vermögensungleichheit unterschätzt”. Das sorgt für Ruhe im Land.
      Quelle: Telepolis
    3. Armutsbericht: Was ist Armut?
      Eineinviertel US-Dollar, am Tag? Wer weniger als 1,25 Dollar pro Tag zur Verfügung hat, lebt nach Ansicht der Weltbank in “extremer Armut”. Dann seien grundlegendste Bedürfnisse wie Ernährung, Unterkunft und Bekleidung nicht mehr zu erfüllen. Vor allem in Entwicklungsländern wird dieser Messwert häufig zugrunde gelegt.
      In wohlhabenden Ländern wie Deutschland spielt diese Art der Armut keine Rolle, denn hier garantiert der Staat eine Grundsicherung für alle. In Deutschland und anderen EU-Staaten wird deshalb oft von „relativer Armut“ gesprochen. Nach einer weit verbreiteten Definition fallen darunter alle, die über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens ihres Landes verfügen. Nach dieser Maßzahl galt zuletzt in Deutschland als armutsgefährdet, wer als Alleinstehender weniger als 979 Euro im Monat zur Verfügung hatte.
      An dieser Definition gibt es allerdings Kritik. So hat eine Gruppe von Statistikern Berechnungen zur „relativen Armut“ als „Unstatistik des Monats“ angeprangert. Die entsprechenden Zahlen zeigten lediglich, inwieweit Einkommen ungleich verteilt sind, kritisierten die Wissenschaftler – sie lieferten aber keine Information darüber, ob jemand wirklich nicht die Möglichkeit hat, materielle Grundbedürfnisse zu erfüllen. Das Statistische Bundesamt und auch viele Wohlfahrtsverbände halten dennoch an der Definition der Armut mit einer 60-Prozent-Schwelle fest. Nach Ansicht der Befürworter dieser Definition lässt sich damit gut beschreiben, wer wirtschaftlich ausgegrenzt ist und wer nicht.
      Quelle: BR
  3. Ukraine
    1. Gelenkte Demokratie
      Das Auswärtige Amt sieht sich zur Gegenpropaganda veranlasst und verbreitet eine Handreichung, in der »russische Behauptungen« zum Ukraine-Konflikt einem »Realitätscheck« unterzogen werden.
      Das Auswärtige Amt hat den Mitgliedern des Bundestags eine Argumentationshilfe (»Stand 18.2.«) an die Hand gegeben, vermöge derer man »häufig verwendete Behauptungen zum Ukraine-Konflikt, die auf unrichtigen oder nur teilweise richtigen Fakten beruhen« zurückweisen können soll. Die recht eigenwillige Interpretation der Wirklichkeit hat das Ministerium überschrieben mit: »Realitätscheck: Russische Behauptungen – unsere Antworten«. jW dokumentiert das Papier in voller Länge.
      Quelle 1: Junge Welt
      Quelle 2: Argumentationshilfe des Auswärtigen Amtes, dokumentiert in der jW
    2. Steinbrück, Verheugen und Scholz beraten die Ukraine
      Erfahrene Politiker aus dem Ausland wollen die Ukraine bei Reformen beraten. Steinbrück, Verheugen und Scholz sollen bei Finanzen, Wirtschaft und Verfassungsreform helfen…
      Hinter dem Projekt stehen neben Initiator Dmitro Firtasch, dem Präsidenten des Arbeitgeberverbandes, die Oligarchen Rinat Achmetow und Viktor Pitschuk. Der Plan sei mit der ukrainischen Regierung abgestimmt.
      Quelle: WirtschaftsWoche

      Anmerkung WL: Da sind ja die richtigen „Reformer“ am Werk.

  4. Putin-Doku
    1. Wladimir Putin in ZDF-Doku: „Depressiv … fett, faul und desillusioniert?“
      Mit großer Enthüllungsgeste und unermüdlich aus allen Rohren des Sensationsjournalismus feuernd präsentierte das ZDF Kleinigkeiten und bekannte Klischees über Wladimir Putin. Damit tat sich der Sender keinen Gefallen.
      Die Lage ist ernst. Dem kaum eingehaltenen Waffenstillstand in der Ostukraine galt die erste Meldung der 20.00 Uhr-„Tagesschau“, dem Staatsbesuch des russischen Präsidenten in Ungarn die zweite. Im Anschluss, zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr, zeigte das ZDF eine „Dokumentation mit exklusiven Geheimdienstinformationen“ über Wladimir Putin.
      Spektakulär an „Mensch Putin!“ war vor allem, dass das ZDF unermüdlich aus allen Rohren des Sensationsjournalismus feuerte und dass sich der 45-Minüter als der Lage grob unangemessen erwies.
      Quelle: Handelsblatt
    2. Volksaufklärung über Putin
      Wer auf die ZDF-Reklame hin neue Informationen oder gar politische Erleuchtungen erwartet hat, kann nicht auf seine GEZ-Kosten gekommen sein. Der russische Staatspräsident wurde dem History-Verfahren im Stil von Guido Knopp unterzogen: Flüchtige Mitteilungen über den “Menschen Putin” (durchweg schon Bekanntes, für “Versteher” wie auch für Nichtversteher), kurze Ausschnitte aus Interviews mit “Experten” und “Zeitzeugen”, oberflächliche Hinweise auf den politischen Kontext.
      Der Mann, der jetzt im Kreml sitzt, wurde in seinen Seltsamkeiten gezeigt. Ein Macho ist er, Spätaufsteher, am Schreibtisch faul, Datscha-Fan, Liebhaber von Hüttenkäse, krankhaft um körperliche Ertüchtigung bemüht, seine Entscheidungen trifft er im Pool. Ganz bösartig: Er hat einmal Angela Merkel bei einer Verabredung Stunden lang warten lassen. Und die geheimdienstlichen Zulieferungen für die Doku, die Enthüllungen? Putin hat sich gesichtskosmetisch behandeln lassen, aus Angst vor dem Alter! Und als KGB-Offizier in Dresden verlor er, wohl nach einer trinkfreudigen Party, seinen Schlüsselbund …
      Dann aber doch eine politische “Information”: Um seine staatsmännische Karriere propagandistisch abzusichern, habe Putin möglicherweise einen tschetschenischen Terrorakt selbst bestellt, geheimdienstlich. Nachweisbar freilich sei das nicht….
      Quelle: Arno Klönne auf Telepolis
    3. Die übliche Medienkampagne gegen Russland
      Am 17. Februar lief im ZDF zur besten Sendezeit ein Film über den russischen Präsidenten: „ZDFzeit: Mensch Putin!“ Wer durch die Medienkampagnen gegen das personalisierte Russland noch nicht völlig indoktriniert worden ist und seine Sinne noch beisammen hat, konnte diesen Film nur mit großer Überwindung zu Ende sehen. (…)
      Wer derartige unmäßige Propaganda und Fehlentwicklungen zu verantworten hat, lässt sich leicht feststellen, die Namen sind öffentlich zugänglich. Es fragt sich, was damit bezweckt wird. Soll die deutsche Bevölkerung wirklich auf einen „großen Krieg“ in Europa vorbereitet werden? Gehetzt wird ständig gegen den bösartigen, gefährlichen Aggressor Russland in der Person Putins, obwohl schon lange feststeht, dass die Ukraine-Krise eine Inszenierung des Westens ist (wenn man nicht erst bei der sogenannten Annexion der Krim beginnt, die im Übrigen bei genauem Hinsehen eine Sezession war).
      Quelle: Wolfgang Bittner in Hintergrund
  5. Von freien zu zivilisierten Märkten. Ein New Deal für die europäische Handelspolitik
    Uneingeschränkte Märkte tendieren dazu, universell anwendbare europäische Wertvorstellungen, wie Gerechtigkeit, Würde und Fairness, zu untergraben. In einem aktuellen Diskussionsbeitrag schlagen wir daher die Einrichtung einer europäische Regulierungsagentur vor, die grenzüberschreitenden Handel in Einklang mit den zentralen europäischen Werten bringt.
    Das Vermeiden von sozialen Verpflichtungen erzeugt in Konkurrenzsituationen einen Wettbewerbsvorteil: Jene MarktteilnehmerInnen mit den niedrigsten moralischen Werten üben daher Druck auf MarktteilnehmerInnen aus, die kostenintensivere moralische und/oder soziale Vorstellungen verfolgen. Uneingeschränkter (Markt-)Wettbewerb führt daher tendenziell zu einer Erosion moralischer und sozialer Standards.
    Dieser Mechanismus, der auch als „sinkende Grenzmoral des Wettbewerbs“ bezeichnet wird, wirkt dabei im Kontext internationalen Handels auf besonders intensive Weise, da aufgrund der großen globalen Unterschiede im Bereich der Lebens- und Sozialstandards Wettbewerbsvorteile in einem größeren Maßstab zu erschließen sind. Korrespondierend dazu erhöht sich freilich die Gefahr einer Nivellierung moralischer und sozialer Standards nach unten. Die Konsequenzen dieser Abwärtsspirale sind weltweit zu beobachten: Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Lohndruck, Kinderarbeit, ökologischer Raubbau, mangelnde Verarbeitung und sinkende Qualität der (Massen-)Produkte. Günther Wallraff veranschaulichte jüngst in seinem Buch „Die Lastenträger“ wie diese Entwicklungen auch in westlichen Industrieländern zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen führen.
    Im Gegensatz dazu versucht das Konzept eines „zivilisierten Marktes“ freies Unternehmer-Innentum und internationalen Handel in Einklang mit jenen universellen Werten zu bringen, die die zentralen Grundlage des europäischen Projektes bilden (etwa Gerechtigkeit, Würde, Fairness). Um dieses Ziel eines „zivilisierten Marktes“ zu erreichen, wird die Gründung einer neuen europäischen Institution vorgeschlagen.
    Quelle: blog arbeit & wirtschaft
  6. Frankreichs Parlament probt den Aufstand
    Selbst kleinste Reformen drohen in Frankreich am Parlament zu scheitern. Deshalb wollte der Premier ein Gesetz ohne Abstimmung durchbringen, nun muss sich die Regierung einer Misstrauensfrage stellen.
    Als das Land durch die Attentate auf das Satiremagazin “Charlie Hebdo” und einen jüdischen Supermarkt Anfang Januar mitten im Herzen getroffen wurde, hatten alle Politiker ihre Parteizugehörigkeit hintangestellt. Doch nur einen Monat später ist die Einigkeit vom 11. Januar längst wieder verflogen.
    Von der Einträchtigkeit, die Frankreichs Abgeordnete nach den Terroranschlägen an den Tag gelegt hatten, ist nichts übrig geblieben. Die Entscheidung von Premierminister Manuel Valls, das sogenannte Macron-Gesetz zur Ankurbelung der Wirtschaft mithilfe des Artikels 49-3 der Verfassung ohne Abstimmung durchzusetzen, hat die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone in eine Regierungskrise gestürzt.
    Quelle: Welt

    Anmerkung J.K.: Na und, möchte man sagen, wo ist der Skandal? Offenbar gibt es in Frankreich gerade auf Seiten der Linken noch Abgeordnete, welche die neoliberalen Agenda Vorstellungen, die Berlin Frankreich oktroyieren möchte, nicht einfach abnicken wollen, wie es die SPD einst bei der Agenda 2010 getan hat.

  7. Folgen der expansiven Notenbankpolitik: Ein nicht mehr so heimlicher Währungskrieg
    Die zahlreichen Lockerungsmassnahmen von Notenbanken seit Beginn des Jahres haben an den Märkten die Sorge über eine Zunahme von kompetitiven Abwertungen verstärkt. Die schwedische Reichsbank hat entschieden, den Repo-Satz in negatives Territorium zu drücken und Staatsanleihen zu kaufen. Die dänische Notenbank hat in einer geldpolitischen Akrobatik innerhalb von weniger als drei Wochen viermal den Zinssatz für Termineinlagen reduziert. Für die Marktteilnehmer sind dies neue Beweise der intensiven Bemühungen von Notenbanken, ihre Währungen abzuwerten oder einem wachsenden Aufwertungsdruck entgegenzuwirken. Auch die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB), für über 1000 Mrd. Wertpapiere zu erwerben, werten Kommentatoren als Signal eines sich ausweitenden, (noch) nicht offen ausgebrochenen Währungskrieges.
    Für Stephen Lewis von ADM Investor Services ist der Begriff des Währungskrieges eine unterschiedlich nutzbare Metapher. Lewis befürchtet, dass die Massnahmen gegen Deflation und Stagnation die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte beeinträchtigen können. Manoj Pradhan von Morgan Stanley sieht «Geister der 1930er Jahre» zurückkehren, da die Länder versuchten, sich Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen. David Woo von der Bank of America Merrill Lynch sieht im Markt einen wachsenden Konsens, dass ein heimlicher Währungskrieg herrsche, da bei negativen Zinsen und fiskalischen Beschränkungen eine Schwächung der Währung das letzte Mittel zur Stimulierung der Wirtschaft sei. Und Comstock Partners wertet die Politik der Notenbanken als verzweifelten Versuch, deflationäre Kräfte los zu werden. – Kompetitive Abwertungen funktionieren bestenfalls so lange, als nicht alle Länder teilnehmen. Gegenwärtig stehen die USA abseits, wie der deutlich gestiegene Dollarkurs zeigt. Aber Marktteilnehmer haben nicht übersehen, dass US-Finanzminister Jack Lew vor einem Wettbewerb der Wechselkurse gewarnt hat. Die USA würden sich heftig gegen Abwertungen zur Steigerung der Exporte zur Wehr setzen.
    Quelle: NZZ
  8. Aufstieg des Neoliberalismus: Halali auf den Staat
    Vor genau 40 Jahren, Mitte Februar 1975, veröffentlichte die Wirtschaftswoche das Ergebnis einer bemerkenswerten Umfrage. Dort schrieben 81 Prozent der Bundesbürger den Gewerkschaften den größten politischen Einfluss in der Bonner Republik zu. Dagegen wurden Unternehmen nur von 12 Prozent und Banken von 14 Prozent der Befragten genannt. Keine Kampagne der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” könnte heute ein besseres Echo erzielen.
    Tatsächlich waren die deutschen Gewerkschaften damals wesentlich schlagkräftiger und mitgliederstärker als sie es heute sind. Doch zu solch einer, die tatsächlichen Realitäten völlig verzerrenden Sicht im öffentlichen Meinungsbild hatte ein im vorangegangenen Jahr groß angelegter und beispielloser medialer Schlag der Arbeitgeberverbände wesentlich beigetragen.
    Quelle: Le Bohemien
  9. Freihandelsabkommen Geheim geht gar nicht
    Die nach wie vor weitgehend geheimen Verhandlungen über das geplante, von vielen gefürchtete, von anderen gewünschte Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten sorgen seit ihrem ruchbaren Beginn für große Unruhe. In Europa hat sich dabei auf der einen Seite eine zunächst noch diffuse Allianz von Gegnern herausgebildet, die von ganz verschiedenen Sorgen umgetrieben wird. Die tatsächlichen oder scheinbaren Problemzonen reichen von ökologischen Fragen (Widerstand gegen die Förderung von Fracking, genmanipuliertem Saatgut, Massentierhaltung und so weiter) über globale ökonomische Verteilungsfragen (inappellable Schiedsgerichte) bis zur Aufrechterhaltung der von den Franzosen so benannten „kulturellen Ausnahme“ (System der Kulturförderung mit Blick auf Stadttheater, Opernhäuser, Buchpreisbindung, Bibliotheken, Verlage, Urheberrecht und so weiter). Der „Deutsche Kulturrat“ ist alarmiert und kündigt Widerstand an. Die möglichen Probleme kleinerer und mittlerer Unternehmer sind dabei noch gar nicht angesprochen – so wenig wie die möglichen Auswirkungen des projektierten Abkommens auf Renten- und andere Sozialsysteme.
    Auf der anderen Seite hat das auszuarbeitende Vertragswerk aber auch eine mächtige Allianz von Fürsprechern. Die Bundeskanzlerin ist „dafür“, der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler auch – in Koalition mit großen Teilen der ausfuhrabhängigen Großindustrie. Arbeitsmarktimpulse, Förderung des Exports, Erleichterung von internationalen Kooperationen im Informationstechnologiebereich und wohl auch der Traum von europäischen Silikonhochtälern, das scheinen die Verheißungen zu sein, die diesen Chor der Exekutive zusammenschweißen.
    Es ist freilich für eine Analyse des verfassungsrechtlichen Problems, das mit diesem Vertragswerk einhergeht, nicht damit getan, die beiden auf eine offene Feldschlacht zutreibenden Heere zu mustern. Völlig unabhängig davon, ob man das ins Auge gefasste Abkommen „gut“ oder „schlecht“ findet (auf der Basis welcher Informationen eigentlich?), liegt der entscheidende politische Fehler, der hier vom politischen Apparat von Anfang an gemacht worden ist, in der Vorgabe, dass die Verhandlungen geheim – und das heißt vor allem ohne jede intensive gesellschaftliche und auch parlamentarische Diskussion – stattfinden sollten. Natürlich gab und gibt es immer das Argument, delikate diplomatische Aktionen vor kritischer Einwirkung Dritter zu schützen, damit der erhoffte Erfolg einer Mission nicht durch Querschläger vereitelt werden kann. Es überrascht kaum, dass auch hier wieder diese bequeme und beliebte Opazitätsbegründung ins Feld geführt worden ist.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers A.P.: Sehr lesenswert. ‘In tutto: Das ist das Script eines schleichenden exekutiven Putsches…’ Dazu Kant zitierend: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht.“ Soviel zu Unrechtsstaaten andernorts und mitten unter uns. Zum schleichenden Putsch hier.

  10. Die ganz große Koalition der Wirtschafts-Feinde
    Die Union fällt hinter das Godesberger Programm der SPD zurück: Nach Steigerung der Sozialausgaben kommt nun Bürokratiewahnsinn beim Mindestlohn. Wirtschaftsferne wird zum Markenzeichen der Koalition.
    Seit Jahresbeginn findet in Deutschland ein Übergriff auf das Wirtschaftsleben statt, den selbst skeptische Geister kaum für möglich gehalten hätten. Mit dem Start des gesetzlichen Mindestlohns ist die Pflicht eingeführt worden, jede einzelne in diesem Lande geleistete Arbeitsstunde schriftlich zu dokumentieren und auf Verlangen einem amtlichen Betriebsprüfer vorzulegen.
    Das bedeutet einen wahrhaft höllischen Aufwand, denn es müssen Tag für Tag jene unzähligen Fluktuationen des Arbeitsgangs protokolliert werden, die in der heutigen Arbeitswelt normal sind. Für die kleinen Betriebe in Handwerk, Einzelhandel, Gastronomie oder digitalen Kreativbranchen bedeutet das, dass der Inhaber mehr Zeit beim Verwaltungskram und weniger Zeit beim Arbeitsprozess zubringt.
    Quelle: Gerd Held in der WELT

    Anmerkung JB: Die Scheinargumente gegen den Mindestlohn werden von Tag zu Tag abstruser. Welcher Unternehmer protokolliert denn bitte nicht die geleisteten Arbeitsstunden seiner Angestellten?

  11. Kirche: Reich und geldgierig?
    Im Finanzbericht 2013 des Kölner Erzbistums sind Aktiva in Höhe von 3, 35 Milliarden Euro ausgewiesen. Den Löwenanteil der Aktiva stellen Finanzanlagen mit 2,4 Milliarden Euro. Zum allergrößten Teil sind das Wertpapiere, die mit 2,3 Milliarden verbucht werden. Grundstücke werden mit 612 Millionen veranschlagt und stellen den zweitgrößten Aktiva-Posten. Kunstschätze und der Dom sind nicht oder wie im Fall des Kölner Doms mit 25 Euro nur symbolisch erfasst.
    Aber Köln gilt auch als eines der reichsten Bistümer weltweit. Inwieweit sich die Ausnahme Köln von anderen Bistümern in Deutschland abhebt, wird sich erst zeigen. Angeblich wollen andere Bistümer der Transparenz-Initiative folgen. Das würde dann einen etwas genaueren Eimblick in das “riesige Vermögen der Kirche” (Wolf) liefern. Der Finanzdirektor des Kölner Bistums, Hermann Josef Schon, wird damit zitiert, dass das Vermögen “zweckgebunden” sei. Verwiesen wird auf hohe Summen, die zum Erhalt von “mehr als 600 denkmalgeschützten Kirchen” und für die Pensionen der Bistumsbeschäftigten zur Verfügung gestellt werden müssen.
    Der Haushalt für das Jahr 2013 weist laut dem kirchlichen Finanzdirektor einen Jahresüberschuss von gut 59 Millionen Euro aus: “vor allem aufgrund der gestiegenen Kirchensteuer-Einnahmen”. Für den HVD-Präsidenten Frieder Otto Wolf sind das Einnahmen, die mit der Verfassung nicht in Übereinstimmung zu bringen sind, da sie seiner Auffassung nach dem dort verankerten Grundsatz der Trennung zwischen Staat und Religion zuwiderlaufen – und: Weil die Kirchen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften privilegiert werden. Angesichts der in den letzten Jahrzehnten gewachsenen religiösen und weltanschaulichen Pluralität, sei das Vorgehen der Kirche “unserer Auffassung nach verfassungswidrig”, so Wolf in seiner Pressemitteilung.
    Quelle: Telepolis
  12. US-Investoren fordern Lohnsenkungen in Europa
    Die tarifliche Herabstufung von 20.000 Beschäftigten des Post-Konzerns soll ein Anfang sein.
    Bis zu 20.000 Beschäftigte will die Deutsche Post in die niedrigeren Tarife der Logistikbranche abschieben. Dafür wurden 49 Tochterfirmen unter dem Dach der DHL Delivery GmbH gegründet. In diversen Hotels werden den meist befristet Beschäftigten die neuen Arbeitsverträge vorgelegt. Motto: Unterschreib oder dein bisheriges Arbeitsverhältnis läuft aus. Wie Die Welt berichtete, durften Unterzeichner die Verträge nicht mit nach Hause nehmen. Das ist rechtswidrig. Die Fremdvergabe innerhalb des Konzerns verletzt auch einen Vertrag mit ver.di, sagt Andrea Kocsis, die für die Gewerkschaft im Aufsichtsrat sitzt. Aber bei den bisherigen 11.000 Subunternehmen geht es auch nicht immer rechtskonform zu…
    Der Staat ist mit 21 Prozent noch größter Einzelaktionär. Er kümmert sich aber zumindest offiziell nicht um die Geschäfte und stellt mit zwei Vertretern im Aufsichtsrat nur eine kleine Mitläuferminderheit…
    Inzwischen ist der größte Kapitalanlagekonzern der Welt, der ehemalige US-Hedgefonds Blackrock, zweitgrößter Post-Eigentümer. Privat- und Kleinanleger halten nur noch 11,2 Prozent. Die Mehrheit von 67 Prozent gehört Investoren aus den USA und Großbritannien – wobei London oft nur der juristische Standort für US-Investoren ist. Bundesregierung und Konzern halten die Namen außer Blackrock geheim…
    (Schäuble, WL) will weitere Staatsaktien verkaufen, nicht nur der Post, sondern auch des Telekom- und des Bahn-Konzerns, wie die Nachrichtenagentur Reuters im November berichtete.
    Der Zeitpunkt ist noch nicht festgelegt. Die Braut muss noch schön hergerichtet werden. Daher gehört die Abschiebung Tausender Beschäftigter in den Niedriglohnbereich am Standort Deutschland zur »Strategie 2020« von Post-Chef Frank Appel. Er will vor allem in den großen Niedriglohnstaaten expandieren, die Gewinne sollen um jährlich acht Prozent auf dann fünf Milliarden steigen.
    Schäuble und Appel sind das öffentliche Gesicht der anonymisierten »Märkte«, deren Handlanger mal mehr, mal weniger Klartext reden. »Arbeitskraft ist in der EU im Schnitt etwa zweimal so teuer wie in den Vereinigten Staaten«, stellt Ray Dalio klar. Der Milliardär, Chef des weltgrößten Hedgefonds Bridgewater, sorgt sich »um die Zukunft Europas«, wie er dem Handelsblatt anvertraute. Für seine Kunden – Konzerne, Banken, Zentralbanken, Vermögens- und Pensionsfonds – will er mehr in der EU investieren. »Deshalb muss Europa dringend wettbewerbsfähiger und weniger bürokratisch werden.«
    Quelle: Werner Rügemer in junge Welt
  13. Kein Ausverkauf unserer Infrastruktur an Versicherungen und Banken!
    Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bereitet gerade im großen Stil die Privatisierung unserer Daseinsvorsorge vor. Lebensversicherer und private Rentenversicherungen sollen sich in Ausbau und Betrieb unserer Infrastrukturen einkaufen können: Straßen, Schulen, IT- und Energienetze oder Wasserwerke sollen als Anlageobjekt dienen. Ein sogenannter Expertenrat, u.a. bestehend aus Vorständen der Deutschen Bank, der Allianz und von ERGO erarbeitet dazu weitreichende Vorschläge – geheim und über unsere Köpfe hinweg. Diese Pläne müssen sofort gestoppt werden!
    Unterzeichnen Sie den Aufruf gegen den Ausverkauf unserer Daseinsvorsorge!
    Quelle: Gemeingut in BürgerInnenhand

    Anmerkung WL: Es ist absurd und ein Skandal sondergleichen, dass in einer Zeit, in der der Staat Geld für 1 Prozent Zinsen oder weniger aufnehmen könnte, Pläne geschmiedet werden, wie er der Finanzwirtschaft Anlagemöglichkeiten bei der öffentlichen Infrastruktur für 5 oder mehr Prozent Zinsen verschaffen will, die letztlich der Steuerzahler zu bezahlen hat. In vergleichbaren Fällen würde man von Veruntreuung von Steuergeldern sprechen.

  14. Neutral und unparteilich
    Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und die Bundeswehr haben eine historisch einmalige Kooperationsvereinbarung geschlossen. Der sogenannte Zukunftspakt sieht vor, das DRK direkt in das “Zentrum Zivil-Militärische Zusammenarbeit” der deutschen Streitkräfte im niedersächsischen Nienburg zu integrieren. Die Hilfsorganisation wird dort unter anderem ein “ständiges Verbindungsbüro” unterhalten und sich sowohl an der Planung als auch an der Durchführung von Kriegsoperationen beteiligen. Schon 2003 bekannte sich das DRK explizit zur “Mitwirkung” an Militäreinsätzen. 2008 definierte dann ein Bundesgesetz die “Unterstützung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr” als zentrale “Aufgabe” der Hilfsorganisation. Seit 2009 unterhält das DRK darüber hinaus einen eigenen “Beauftragten für zivil-militärische Zusammenarbeit”. Geprobt wird die Kooperation seit vergangenem Jahr im Rahmen des Manövers “Joint Cooperation”. Dieses zielt erklärtermaßen auf die Implementierung eines “Netzwerks” von Militärs und Hilfsorganisationen, das bei Interventionen in ausländischen Bürgerkriegsgebieten zum Tragen kommen soll.
    Quelle: German Foreign Policy
  15. So half Berlin beim Völkermord
    Im Jahr 1915 schickte die Türkei mehr als eine Millionen Armenier in den sicheren Tod. Der Journalist Jürgen Gottschlich kommt nach Jahren der Recherche zu dem Schluss: “Als Deutscher kann man kein unbeteiligter Beobachter sein.”
    Quelle: n-tv
  16. Aus den Wahlstudios der Gleichgültigkeit
    Die Bürgerschaftswahl war zu Ende und die Berichterstatter und Statistiker stürzten sich auf ihr Fressen. Strahlende Sieger und grauenhaft schlecht abgeschnittene Verlierer wurden durch die Studios gereicht, um ihren Senf abzudrücken. Alles wurde beleuchtet. Wählerwanderungen. Themenkomplexe. Wieso wählte der Hamburger keine Christsozialen mehr? Lag es wirklich an der Themenauswahl? Fehlten die richtigen Köpfe? Zu allem eine Meinung, eine Einsicht. Nichts wird dem Zufall überlassen. Nur eines verwaist: Die Wahlbeteiligung. Sie kommt als Randthema vor. Als Stiefkind. Keiner möchte sich darüber unterhalten. Von zehn Hamburgern waren mehr als vier nicht wählen. Aber es wurde mal wieder nicht zum Thema. Lieber noch ein Schwenk zur AfD und ein bisschen Sensation.
    Seit Jahren geht das so. Nach jeder Landtags- oder Bürgerschaftswahl gibt es massig Berichterstattung; ARD und ZDF senden jeweils für sich dazu. Es soll so aussehen, als gäbe es viele Meinungen und viele Ansatzpunkte der Analyse in diesem Land. Diese doppelte Haushaltsführung leistet sich der Zuschauer von seinen Rundfunkbeitrag vielleicht nicht gerne. Aber er wird ja auch nicht gefragt. Trotz dieses Angebotes setzt keiner bei der Wahlzurückhaltung der Menschen an. Manchmal fragt ein mutiger Journalist, woran es gelegen haben könnte. Dann folgt eine Nebelkerze des befragten Politikers und der Journalist tut das, was heute Usus ist: Nicht nachfragen, nicht bohren.
    Quelle: Neues Deutschland
  17. “Hochschulwatch” kritisiert Wirtschaftssponsoring – “Unternehmen machen Unis abhängig”
    Das Internetportal “Hochschulwatch” dokumentiert seit zwei Jahren Unternehmens-Sponsoring an Hochschulen. Die Initiatorinnen sehen weitgehende Verstrickungen – und die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr.
    Die FH Würzburg taufte 2006 ihr größtes Auditorium „Aldi-Süd-Hörsaal“. Google finanzierte das Institut für Internet und Gesellschaft der Humboldt-Uni drei Jahre lang mit 4,5 Millionen Euro. Und der Verband der norddeutschen Wirtschaft stiftete der FH Flensburg nicht nur das Institut für Windenergietechnik, sondern sitzt auch mehrheitlich im Beirat. Fälle wie diese beobachtet „Hochschulwatch“, ein Projekt von Transparency International, der Studierendenvertretung fzs und der „Tageszeitung“.
    Quelle: Tagesspiegel

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