Nachtrag betreffend Gordon Brown
Am 2.7. hatte ich auf einen Beitrag in Financial Times Deutschland über die bisherige Politik des heutigen Premiers von Großbritannien aufmerksam gemacht. Gerold Schwarz, Sprecher der EU-AG von attac, verweist darauf, dass Brown um vieles kritischer zu sehen ist als im Artikel der FTD. Ich wollte Brown insgesamt nicht loben. Mir war wichtig, darauf hinzuweisen, dass Großbritanniens wirtschaftlicher Erfolg auch etwas mit expansiver Wirtschaftspolitik zu tun hat. Und eben nicht mit den zu Recht kritisierten Reformen. Deshalb bin ich dankbar für die folgende Mail von Gerold Schwarz. Albrecht Müller.
Mail von Gerold Schwarz:
Ich erlaube mir, den heutigen Jubelartikel zu Gordon Brown etwas abzumildern. Die Bilanz seines 10-jährigen Handelns gibt leider nicht wirklich Anlass für allzu großes Lob.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es immer Brown gewesen ist, der den berüchtigten britischen Privatisierungswahn vorangetrieben hat. Gut dokumentiert ist, dass er in mindestens einem Fall, der Londoner U-Bahn nämlich, die Privatisierung gegen den ausdrücklichen Willen von Premierminister Blair erzwungen hat. Ähnliches gilt auch für Privatisierungen im Schul- und Gesundheitsbereich. Eine “ausgewogene” Wirtschaftspolitik kann aber m. E. nicht so aussehen, dass ich im ersten Schritt öffentliche Dienstleistungen privatisiere um dann im zweiten Schritte die Staatsdefizite hochfahre, damit den neuen Eigentümern zusätzliche Profite ermöglicht werden – auf Kosten der Steuerzahler. Wenig tröstlich ist dann, dass Brown jetzt beabsichtigt, die Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen deutlich zu kürzen, denn auch das bringt den Bürgern nicht wirklich eine Verbesserung ihrer Situation. Und damit wären wir schon beim zweiten Thema, nämlich Browns Steuerpolitik, die relativ einfach beschrieben ist: Senkung der Steuerbelastung für hohe Einkommen auf Kosten der niedrigen Einkommen. Erst jüngst, im März dieses Jahres, senkte er die Einkommenssteuer- und Unternehmenssteuertarife um jeweils 2 Prozent, was auch dann eine höhere Entlastung für “Besserverdiener” bringt, wenn die Steuererleichterung auf den Eingangssteuersatz erfolgt (kann durch einfaches Nachrechnen überprüft werden). Brown zeichnet sich verantwortlich für eine Reihe massiver Steuersenkungen während der gesamten Labour-Regierung, etwa der Steuersenkung für Kapitaleinkünfte von Betrieben von 40% auf 10% im Jahre 2004. Als “Ausgleich” für diese ungerechte Bevorzugung von Kapitaleinkünften führte er im selben Jahr eine Niedrigverdiener-Einkommenssteuer von 10% ein, die er aber vor 3 Monaten bei der Verringerung der gewöhnliche Einkommenssteuer-Eingangssatzes wieder suspendierte. So sieht Browns “soziale Bilanz” aus.
Nun aber zum zentralen schwachen Punkt des Artikels. Hierbei geht es um die auseinanderklaffende Einkommensschere. Wie Prof. Arne Heise in “Dreiste Elite” überzeugend darstellt, ging es bei der neoliberalen Revolution im England der Thatcher-Jahre im Kern darum, eine den nicht mehr akzeptierten Nachkriegskompromiss aufzukündigen, und eine neue Macht- und Einkommensverteilung zu etablieren. Dazu wurde, ebenso wie heutzutage in Deutschland, alle möglichen Schreckensszenarien ausgemalt und schließlich auch erzeugt. Tatsächlich wurde durch eine vorsätzliche Ausweitung der Arbeitslosigkeit (durch dieselbe konsequent monetäre Politik wie heute in Deutschland übrigens) fast die gesamte industrielle Substanz Englands zerstört, um den gewerkschaftlichen Widerstand zu brechen. Erst als die militanten Unruhen und die Zunahme des parteipolitischen Rechtsextremismus’ Ende der 80er-Jahre/Anfang der 90er-Jahre anzeigten, dass die rapide Zunahme von Ungleichheit gesellschaftlich nicht weiter akzeptiert wird, erfolgte ZUR POLITISCHEN STABILISIERUNG eine Abkehr von der streng monetaristischen Politik, und es wurden höhere Staatsverschuldungen, die Ausweitung staatlicher Intervention, ein Mindestlohn etc. zugelassen. Dies diente aber nicht etwa dem sozialen Ausgleich, denn weiterhin sollten die Einkommensunterschiede in England weiter auseinanderdriften. Diese Interventionen dienen nur dazu, durch erhöhtes nominelles Wachstum (das ja fast ausschließlich im Finanzsektor und als “fiktiver Wertzuwachs” stattfindet) und nominell niedrigere Arbeitslosigkeit (bei einer zunehmenden Verschlechterung der Arbeitsbedingungen) die Legitimation der neuen Macht- und Einkommenssituation zu erhöhen. Da sich die englischen Massenmedien fest in der Hand der Profiteure dieser Entwicklung befinden, gelingt dies durch die Zahlenakrobatik der Spindoctors von Labour ja auch ziemlich gut.
Zum Abschluss noch ein ganz anderer Ausblick auf Großbritannien, der sich mit obigem Jubelartikel überhaupt nicht deckt. Auch dafür zeichnet sich Gordon Brown als maßgebliches Regierungsmitglied verantwortlich. (Quelle: Restless in Europe)