Die Frankfurter Rundschau ändert und verliert ihr Format.
Die Seit einem Jahr mehrheitlich dem Kölner Verlag M. DuMont Schauberg gehörende „FR“ erscheint seit Juni im sog. Tabloid-Format und ist nur noch etwa halb so groß wie 60 Jahre lang zuvor. Das ist nicht die einzige Änderung der letzten Zeit. Im Mai 2006 wurde der Chefredakteur Wolfgang Storz gegen den Widerstand der Redaktion fristlos entlassen und durch den vormaligen Chefredakteur der Berliner Zeitung Uwe Vorkötter ersetzt. Die Redaktion hat damals erklärt, dass sie den Weg einer linksliberalen, überregionalen Qualitätszeitung „gern weiter gegangen wäre“. Diese Hoffnung scheint sich zu zerschlagen. Wolfgang Lieb.
Die Frankfurter Rundschau hat mich mehr als 40 Jahre meines Zeitungsleserdaseins nahezu täglich begleitet. Von daher fällt es nicht leicht, ein unbefangenes Urteil über die Entwicklung dieser Zeitung in den letzten Monaten zu fällen – die FR ist eben ein Teil meines politischen Lebens.
Sicherlich ist auch der Wechsel ins Tabloid-Format für einen leidenschaftlichen Zeitungsleser gewöhnungsbedürftig. Aber ich kann nachvollziehen, dass sich eine Zeitung, die rückläufige Auflagen hat und in Finanznöten steckt, etwas einfallen lassen muss, um vor allem für jüngere Leser attraktiver zu werden, die ihre Zeitung eher am Kiosk kaufen, als dass sie diese abonnieren. Ich will auch zugeben, dass der Trend zum „kurz und klein“ – angesichts der Konkurrenz der elektronischen Medien – zwar beklagenswert, aber vielleicht unaufhaltsam sein mag.
Muss aber die Änderung des Formats der Zeitung auch mit einem Verlust an Format einhergehen? Steht der links-liberale Kurs der FR in Frage?
Klar, wenn man nicht mehr so viel Platz hat, kann man nicht mehr so viel Hintergründiges berichten. Muss eine Zeitung deshalb aber oberflächlicher werden und weniger kritischen Journalismus bieten?
Ich habe die FR nach der Formatänderung vielleicht bewusster gelesen als zuvor. Vielleicht fiel mir deswegen mancher Beitrag auf, der mich zweifeln ließ, ob die Linie der FR noch die alte, mir vertraute links-liberal ausgerichtete Tageszeitung war. Meine Zweifel wurden noch mehr genährt, als ich von einer gemeinsamen Veranstaltung der FR mit der arbeitgeberfinanzierten PR-Agentur INSM zum Thema Niedriglohn gelesen habe.
Ein wirklicher Schlag in die Magengrube, war aber die Ausgabe der FR vom Freitag den 29. Juni 2007:
Mit riesigen Lettern, die man eigentlich nur von der BILD-Zeitung kennt, stand da die Zahl „3.687.119“. Natürlich hatte ich diese Zahl schon in den Frühnachrichten im Radio gehört und wusste worum es ging: Es war die von der Bundesagentur veröffentlichte Zahl der statistisch geführten Arbeitslosen im Juni.
Was aber wollte uns die FR mit der dick aufgetragenen Zahl sagen. Wollte sie am Kiosk wahrgenommen werden, neben den anderen Boulevardzeitungen? Wollte sie mitteilen, dass immer noch dreieinhalb Millionen Menschen arbeitslos sind oder wollte die FR damit gar einen riesigen Erfolg vermelden?
Ich hoffte also auf Antworten im redaktionellen Teil und ich fand Texte von Roland Bunzenthal. Auf der Seite 1 las ich nur die unkritische Wiedergabe von Pressemitteilungen der Bundesagentur und eine Darstellung der Kontroverse über den Fachkräftemangel. Gerade so als wären Engpässe auf dem Arbeitsmarkt aktuell das größte Problem.
Na ja, so hoffte ich, auf den angegebenen Seiten 13 und 18/19 würde ich mehr Details erfahren.
Auf der Meinungsseite musste nochmals Bunzenthal kommentieren. (Ausdünnung der Redaktion?) Das Thema war ihm allerdings nur eine (misslungene) Glosse wert. Immerhin wurden über die Zahl in großen Lettern auf der Seite 1 noch eingeschoben, dass es auch noch 2 Millionen nicht registrierte Arbeitslose gibt. Ansonsten endet der Kommentar mit einer wohl ironisch gemeinten Kritik an den Arbeitgebern, die statt ihre Ausbildungsaufgaben zu erfüllen nur auf „Service und Subventionen“ schielten.
Ich blätterte also auf die Seiten 18/19. Dort sollte mich wohl ein Foto beeindrucken, auf dem fröhliche Elektriker vom Rotlicht einer Leuchtreklame verfremdet auf die Abendsilhouette von Köln zeigten.
Ein wunderschönes Foto, im Text ging es aber überwiegend wieder nur um Lobhudelei, etwa dass Deutschland im EU-Vergleich nun besser dastehe als der Durchschnitt. Und obwohl einige Seiten vorher auf die rechnerische Differenz von 246.500 fehlenden Ausbildungsplätzen hingewiesen wurde, heißt es dort dann im Sinne des allgemeinen Standortvergleichs-Jargon: „Speziell bei der Jugendarbeitslosigkeit sei man gemeinsam mit den Briten sogar auf den vordersten Plätzen“. Da können sich aber die unvermittelten Jugendlichen über dieses hervorragende Abschneiden in der Vergleichsstatistik aber richtig Hoffnung machen!
Ansonsten wieder der beschönigende Originalton der Bundesagentur, ein kritischer Beitrag über das geringe Interesse der Unternehmen an der Weiterbildung älterer oder gering qualifizierter Arbeitnehmer und eine Personality-Geschichte über die Jobsuche einer 59-jährigen Lehrerin.
Wer wollte, konnte an einer knappen Gegenüberstellung zwischen dem Anstieg an offenen Stellen und dem Rückgang an Lehrstellen, einen kritischen Unterton über die Ausbildungswilligkeit der Unternehmen herauslesen.
Aber keine Zeile darüber, dass die Anzahl der Alg-Leistungsempfänger insgesamt nur unwesentlich unter dem Vorjahresniveau liegt, nichts über die Zunahme an prekären Arbeitsverhältnissen, wie Leiharbeit und Niedriglöhner, nichts Relativierendes über die Beschönigung der Statistik der Arbeitsagentur.
Auch das „Thema des Tages“ entsprach eher dem Niveau einer Boulevard-Zeitung: Über Todesengel und Mord in der Intensivstation von Krankenhäusern.
Reaktionen auf die Linkspartei sind das Hauptthema der Innenpolitik: Die Abwehr durch die saarländische SPD und das Ausnutzen der Linkspartei durch die CDU-Kurfürsten Wulff und Koch für eine Rote-Socken-Kampagne, das muss man ja – weil im allgemeinen Trend liegend – noch hinnehmen. Die Rede des Bundestagspräsidenten über Glaube und Vernunft zum 440-jährigen Bestehen der Justus-Liebig-Universität auf der Dokumentationsseite lässt sich vielleicht noch mit dem regionalen Bezug der FR begründen. Und das Feature über den Wahlkampf des „Notnagels“ Michael Naumann in Hamburg, na gut, so was muss wohl auch sein. Dass aber die Schriftstellerin Tanja Dückers auf der Meinungsseite meint, die Amerikaner vor der Kritik an ihrer derzeitigen Politik in Schutz nehmen zu müssen, indem sie auf Untaten der Chinesen, der Iraner oder Ägypter verweist, ist eine verharmlosende unpolitische Anbiederung an die USA, die selbst in transatlantische Blättern kaum Platz gefunden hätte. Wer spielt eigentlich die hegemoniale Weltmacht, die USA mit ihrem Präsidenten Bush oder die Ägypter?
Noch peinlicher ist allerdings das Interview mit der nordrhein-westfälischen Schulministerin Barbara Sommer in der Rubrik Wissen & Bildung. Es hätte auch aus einem CDU-Parteiblättchen stammen können. Gehören Zentralabitur oder zentrale Prüfungen in Klasse zehn etwa zum „modernsten Schulsystem Deutschlands“. Da darf die Schulministerin unwidersprochen die Lösung des Problems der engen Verkoppelung von sozialer Herkunft und Bildungschancen ankündigen und gleichzeitig die Hauptschule als Schulform schon ab Klasse fünf als „begabungsgerecht“ rühmen. Die Hauptschule bereite auf den Beruf vor, darf sie ohne Widerspruch behaupten. Keine Nachfrage, warum dann nur noch rund vierzig Prozent der Hauptschüler und nur ein Drittel aller Schüler mit Migrationshintergrund einen Übergang in die duale Berufsausbildung finden. Ohne heftigen Protest darf Sommer verkünden, dass die neu eingeführte verbindliche Schulformempfehlung bei Kindern im Alter von zehn Jahren die „Leistungsgerechtigkeit“ befördere. Kein Wort zu der Auflösung der Schulbezirke für Grundschulen und der Gefahr von Gettoschulen für die an den sozialen Rand Gedrängten. Keine Problematisierung der „Erfolgsmeldung“, was die angeblich 4000 im Zeitraum von 4 Jahren zusätzlichen Stellen an insgesamt 7000 NRW-Schulen an zusätzlicher individueller Förderung bewirken können.
Im Beitrag über die auf acht Jahre verkürzte Gymnasialzeit auch in NRW wird zwar ein wenig lamentiert, dass die neue CDU-Landesregierung allerdings kaum Mittel zur Abfederung der zusätzlichen Stunden durch Ganztagsschulen bereit stellt, bleibt außen vor.
Der Wirtschaftsteil macht mit der Debatte über ausländische Staatsfonds auf dem deutschen Kapitalmarkt auf. Werner Balsen plädiert dafür nicht mit zweierlei Maß zu messen ohne ein kritisches Wort über die zunehmenden Risken des Casino-Kapitalismus zu verlieren.
Im Rhein-Main-Teil wird einmal mehr ziemlich unkritisch über PPP-Vorhaben der Arbeiterwohlfahrt als Ausweg aus den öffentlichen Finanznöten berichtet. Dass die Altenheimbewohner durch die privaten Investments eine Mieterhöhung von satten 150 Euro im Monat tragen müssen, ist gerade mal ein Nebensatz wert.
Dann gibt es noch einen Bericht über Dumpinglöhne an hessischen Staatsweingütern, der bemerkenswert schonend mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Ministerpräsident Koch umgeht.
Man könnte noch Fragen zu der reißerischen Leserbrief-Figur Bronski stellen oder prüfen, ob die Beiträge im Feuilleton und auf der Medienseite mehr als Blattfüller waren.
Mein Eindruck von dieser Freitagsausgabe, die mich durch Ihre Schlagzeile provoziert hat, ist, dass ich nur wenig Nachdenkenswertes oder gar Kritisches erfahren habe.
Sicher es ist Urlaubszeit und die Redaktionen sind noch ausgedünnter als durch sie durch die Personaleinsparungen ohnehin schon sind, aber warum sollte ich, wenn die Berichterstattung sich auf diesem Niveau einpendelt, neben meiner Lokalzeitung und neben einer anderen überregionalen Tageszeitung noch die FR halten? Welchen Zusatzgewinn an Informationen bekomme ich über die Informationssendungen im Hörfunk und über die aktuelle Berichterstattung im Fernsehen hinaus?
Deckt die FR in der Politik und im Wirtschaftsteile noch Themen und Hintergrundinformationen ab, die ich in der Süddeutschen, ja sogar in der FAZ oder gar in der Financial Times Deutschland nicht wenigstens umfänglicher und teilweise sogar kritischer aufbereitet bekomme? Wenigstens im Wirtschaftsteil konnte man in der FR öfters mal etwas finden, was in den überwiegend wirtschaftsliberalen Redaktionen der andern überregionalen Zeitungen nicht zu finden war.
Welchen Platz will die FR auf dem Zeitungsmarkt eigentlich künftig noch einnehmen?
Oder will sie gar nur noch ein Boulevardblatt im Rein-Main-Raum sein? Sozusagen der Kölner Express in Frankfurt?
Vielleicht mag die Frankfurter Rundschau durch ihr neues äußeres Format ein paar Kioskkäufer mehr ansprechen, wenn sie ihr inhaltliches Format preisgibt, wird sie jedoch viele überregionale Leser verlieren. Diese Leser brauchen sie schlicht nicht mehr.