Eine wichtige Information für Arbeitnehmer mit betrieblicher Altersversorgung und für Betriebsräte.
Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts München bestätigt, dass die Verrechnung der Abschlusskosten in den ersten Jahren – insbesondere durch „Zillmerung“ – in der betrieblichen Altersversorgung mit Entgeltumwandlung unzulässig ist. (Zillmerung bedeutet, dass „Versicherungs- und Abschlusskosten, sämtliche Vertriebs- und Akquisitionskosten“ mit den ersten umgewandelten Lohnraten bezahlt werden. Erst danach baut sich ein „Deckungskapital für die Altersversorgung“ auf.) – Prüfen Sie Ihre eigenen Regelungen. Wir sind in Kontakt mit den Rechtsanwälten und hatten schon am 27. November 2006 auf das Verfahren hingewiesen. Wir informieren Sie heute mit einem Beitrag der Rechtsanwälte und Sachverständigen Fiala, Schramm und Keppel sowie mit dem Text des Urteils selbst.
Wir regen an, diese Information an andere mögliche Betroffene weiterzuleiten. Albrecht Müller.
Neues Urteil des Landesarbeitsgericht München: Arbeitgeber haftet für Zillmerung.
Über 100 Milliarden Potential für Arbeitgeberhaftung durch Entgeltumwandlung.
Arbeitgeber dürfen bei betrieblicher Altersversorgung oft „doppelt zahlen“ !*
* von Dr. Johannes Fiala, Rechtsanwalt (München), Mediator (Univ.), MBA Finanzdienstleistungen (Univ.Wales), MM (Univ.), geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Lehrbeauftragter für Bürgerliches Recht und Versicherungsrecht (Univ. of Cooperative Education), Bankkaufmann (www.fiala.de),
Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Aktuar DAV, Sachverständiger für Versicherungsmathematik, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (www.pkv-gutachter.de)
und Dipl.-Jur. Univ. Thomas Keppel, Rechtsanwalt (Kanzlei Dr. Johannes Fiala)
Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts München bestätigt, dass die Verrechnung der Abschlusskosten in den ersten Jahren – insbesondere durch Zillmerung – in der betrieblichen Altersversorgung mit Entgeltumwandlung unzulässig ist. Entsprechende Vereinbarungen sind nichtig und rückabzuwickeln – unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer zuvor über die Abschlusskostenverrechung aufgeklärt wurde. In seinen Gründen geht das LAG darüber hinaus davon aus, dass auch andere Formen der Abschlusskostenverrechung – z. B. über die ersten fünf Jahre – aufgrund ihrer zillmerähnlichen Wirkung ebenso unzulässig sind.
Entgeltumwandlung
Eine Mitarbeiterin hatte 35 Monate auf einen Teil ihres Gehaltes verzichtet. 178 Euro monatlich flossen über eine überbetriebliche Versorgungskasse in eine Lebensversicherung. Als die Mitarbeiterin bei dem Arbeitgeber ausschied, hatte sie 6.230 Euro an Gehalt in eine betriebliche Altersversorgung (bAV) umgewandelt, wovon lediglich noch 639 Euro als Versicherungs(rückkaufs)wert vorhanden waren. Die Mitarbeiterin stellte fest, dass ihr also rund 90% des umgewandelten Gehalts fehlten. Letztlich ein absolut typischer Fall, der in der Versicherungsbranche als normal angesehen wird.
Aufklärung durch den Arbeitgeber unerheblich
In dem von dem Landesarbeitsgericht München entschiedenen Fall war zwischen den Parteien strittig, ob eine hinreichende Aufklärung der Arbeitnehmerin darüber, dass es bei Vertragsbeendigung in den ersten Jahren zu erheblichen Verlusten kommen kann, erfolgt war. Die Vorinstanz hatte eine solche in angreifbarer Weise angenommen. Jedenfalls war die Mitarbeiterin in Versicherungsfragen „nicht völlig unerfahren“, da sie bereits vorher Lebensversicherungen gekündigt hatte. Mit ihr hatte der Versicherungsmakler ausführlich gesprochen, unklar blieb jedoch, ob der Mitarbeiterin, wie von dem Arbeitgeber behauptet, auch Unterlagen übergeben worden waren, aus welchen der geringe Rückkaufswert i.H.v. 639 Euro bei Kündigung im dritten laufenden Jahr der Höhe nach erkennbar war. Der Arbeitgeber meinte noch rechtsirrig, dass die Mitarbeiterin sich allenfalls an die Versicherung wenden könne. Letztlich ließ das Landesarbeitsgericht die Frage der Aufklärung der Arbeitnehmerin über die Folgen einer vorzeitigen Vertragsbeendigung dahinstehen, da die Zillmerung im Rahmen der Entgeltumwandlung grundsätzlich unzulässig sei.
Fehlerhafte Formulare und Schulungen: Arbeitgeber darf „doppelt zahlen“
Bereits das Arbeitsgericht Stuttgart (Urteil vom 17.01.2005, Az. 19 Ca 3152/04) hatte einen Arbeitgeber zum Schadensersatz verurteilt. Auch dieser Arbeitgeber musste seinen ausgeschiedenen ehemaligen Personalleiter, also einem Fachmann im eigenen Hause, wegen der Zillmerfolgen entschädigen. Dies nach Meinung des Arbeitsgerichts schon alleine aus dem Grunde, weil der Mitarbeiter nicht richtig aufgeklärt wurde.
Zahlreiche Versicherer und andere Träger betrieblicher Versorgungswerke wähnten daraufhin, es reiche aus, den Arbeitnehmer über die „Zillmerung“ aufzuklären. Mehr noch: das Urteil wurde oft fälschlich so interpretiert, dass es die Zulässigkeit der Zillmerung nach Aufklärung geradezu bestätige.
Zillmerung bedeutet, dass „Versicherungs- und Abschlusskosten, sämtliche Vertriebs- und Akquisitionskosten“ mit den ersten umgewandelten Lohnraten bezahlt werden. Erst danach baut sich ein „Deckungskapital für die Altersversorgung“ auf. Im vorliegenden Fall wäre in den ersten 20 Jahren nicht einmal die Summe der bezahlten Beiträge als Rückkaufswert vorhanden gewesen – mal ganz abgesehen von der Verzinsung. Seit Jahren ist aus der Fachpresse bekannt, dass der Arbeitgeber auch dann weiter haftet, also bei Entgeltumwandlung „doppelt zahlen“ darf, selbst wenn der Mitarbeiter aufgeklärt wurde. Denn den Arbeitgeber trifft eine verschuldensunabhängige Treuepflicht gegenüber seinen Mitarbeitern.
Landesarbeitsgericht (LAG) München: Arbeitgeber haftet Mitarbeitern für Zillmerung
Das Landesarbeitsgericht (Urteil vom 15.03.2007, Az. 4 Sa 1152106) verurteilte den Arbeitgeber, die nach der Gehaltsumwandlung fehlenden rund 90% des Gehaltes abermals – diesmal an den Mitarbeiter und nicht an den Träger der betrieblichen Versorgung – zu bezahlen. Rechtlich wurde diese Entgeltumwandlung als rechtsunwirksam erkannt.
Vier Gründe, warum die Zillmerung bei Entgeltumwandlung zur Nichtigkeit führt
Das Gericht stützte sein Urteil auf vier rechtliche Gründe – bereits einer hätte ausgereicht.
- Verstoß gegen das gesetzliche Gebot der Wertgleichheit
Nach § 1 II Nr.3 BetrAVG muss der Arbeitgeber gesetzlich zwingend dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer eine zu jedem Zeitpunkt „wertgleiche Anwartschaft“ erhält. Insbesondere gezillmerte Versicherungsverträge genügen diesem Erfordernis nicht. Kalkulierte Kosten für das Todesfallrisiko fallen hierbei regelmäßig nicht ins Gewicht (mögliche höhere Kosten für Berufsunfähigkeitsrisiko fielen im konkreten Fall nicht an). Damit verstößt die Entgeltumwandlung gegen das gesetzliche Gebot der Wertgleichheit, und ist damit nichtig, § 134 BGB.Alle Durchführungswege betrieblicher Altersversorgung betroffen:
Das Urteil stellt klar, dass der Arbeitgeber als Vertragspartner seines Mitarbeiters nicht etwa nur die „schlichte Weiterleitung“ des erdienten anteiligen Lohnes im Rahmen der Entgeltumwandlung „als Bote“ schuldet. Betroffen sind also Direktversicherung, Pensionskassen, Pensionsfonds, sowie Unterstützungskassen. Bei einzelnen Anbietern bzw. Durchführungswegen gibt es offenbar ausschließlich gezillmerte Verträge. - Verstoß gegen das Verbot unangemessener Benachteiligung
Die Entgeltumwandlung mit Zillmerung – und ähnlichen Methoden der Abschlusskostenverrechnung in den ersten Jahren – benachteiligt Arbeitnehmer unangemessen, und ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar, § 307 I S.1, II Nr.1 BGB. Dies folgt der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts über „entgegen Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung“, § 307 I S.1 BGB, da missbräuchlich eigene Interessen des Arbeitgebers auf Kosten der Mitarbeiter berührt sind.Der Arbeitgeber haftet gesetzlich für die Erfüllung der Entgeltumwandlung, § 1 II Nr.3 BetrAVG. Den Arbeitgeber trifft die verschuldensunabhängige Ausfallhaftung, vor allem wenn durch die Abschlusskostenverrechnung das Deckungskapital „essenziell gemindert“ ist. Auch diese Benachteiligung des Arbeitnehmers führt zur Unwirksamkeit der Entgeltumwandlung.
- Verstoß gegen die Portabilität, § 4 BetrAVG
Portabilität bedeutet, dass der Arbeitnehmer seine bAV von bisherigen Arbeitgeber zum neuen Arbeitgeber mitnehmen kann. Der Gesetzgeber hat klargestellt, dass Arbeitnehmer den „aktuellen Übertragungswert“ ihrer betrieblichen Altersversorgung beim Arbeitgeberwechsel „mitnehmen“ können. Eine Portabilität ist jedoch faktisch nicht möglich, wenn der (Rückkaufs)wert durch die Zillmerung gegen Null tendiert. Bei jedem neuen Arbeitgeber müsste die Mitarbeiterin „praktisch bei Null anfangen“.Für den Arbeitgeber bedeutet dies spiegelbildlich, dass die Vermittlung derartiger betrieblicher Altersversorgungsverträge gegen die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur „anleger- und objektgerechten Beratung“ verstößt: Denn im Schnitt sind Arbeitnehmer 4,9 Jahre in einem Betrieb – Vertragswerke mit 30 bis über 40 Jahren Laufzeit und entsprechend hohen Provisionen/Abschlusskosten sind für die Arbeitgeber ungeeignet.
- Verstoß gegen Grundsätze des Bundesgerichtshofes und des Verfassungsgerichts
Bundesverfassungsgericht (Urteile vom 26.07.2005 und 15.02.2006) und Bundesgerichtshof (Urteile vom 12.10.2005) haben entschieden, dass die Zillmerung gegen das Vertragsziel einer Vermögensbildung verstößt. Damit kann es nicht vereinbart werden, wenn der (Rückkaufs)wert bei Vertragsauflösung in den ersten Jahren unverhältnismäßig gering ist oder sogar gegen Null tendiert. Dies gilt erst recht bei Entgeltumwandlungsverträgen.Das Urteil hat RA Dipl.-Jur.(Univ.) Thomas Keppel, Kanzlei Dr. Johannes Fiala, MBA erstritten. Die Urteilsgründe stehen im Einklang mit obergerichtlicher Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Fachliteratur. Das LAG hat nur für den im Prozess voll unterlegenen Arbeitgeber den Rechtsbehelf der Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Fast alle Entgeltumwandlungsvereinbarungen betroffen und unwirksam
Das LAG München führt in seinen Urteilsgründen aus, dass neben der Zillmerung auch andere Arten der Abschlusskostenverrechnung – z. B. über die ersten fünf Jahre – aus den gleichen Gründen unwirksam sind. Damit sind über 90 % der Entgeltumwandlungen als nichtig anzusehen – die Arbeitnehmer können danach von ihren Arbeitgebern – auch früheren – die Rückabwicklung verlangen.
Die meisten Arbeitnehmer wissen infolge der Intransparenz vieler Entgeltumwandlungen nicht, auf welche Weise die Abschlusskosten und ob weitere Aufwendungen z. B. für Risikoschutz verrechnet wurden. Im Zweifel wird der Fachanwalt oder Steuerberater daher die Verträge zunächst versicherungsmathematisch begutachten lassen.
Insgesamt werden die möglichen Rückforderungen zuzüglich Zinsen und nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträgen auf heute schon rund 65 Mrd. EUR geschätzt – ein Haftungspotential, das sich auch künftig rasch erhöht.
Handlungsoption für Vermittler
Die schlechteste Idee für betroffene Vermittler solcher Entgeltumwandlungsprodukte ist, abzuwarten, bis der Arbeitgeber sie in Regress nimmt. Dazu muss der Arbeitgeber nicht erst seinerseits eine Klage seiner Arbeitnehmer abwarten und riskieren, dass der Vermittler inzwischen selbst insolvent ist, der Arbeitgeber dann womöglich durch die Lohnnachzahlungen sowie nachzuzahlende Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge in der Folge auch. Der Arbeitgeber kann sich ein Zuwarten bei von ihm festgestellter Unwirksamkeit der Entgeltumwandlung nicht leisten, da er sich sonst auch noch wegen Steuerhinterziehung und Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen strafbar macht – er wird deshalb am besten zum Mittel der Selbstanzeige greifen.
Dem Vermittler ist daher anzuraten, in die Offensive zu gehen. Mithilfe von Rechtsanwalt, Steuerberater und versicherungsmathematischem Sachverständigen sind die verkauften
Modelle auf ihre Unwirksamkeit und Fehlbeträge zu prüfen. Auf Aussagen der Produktgeber – z. B. es würde ja gar nicht gezillmert – darf er sich nicht verlassen. Dann sollte der Vermittler auf die Produktgeber zugehen, damit diese sich für die betreffenden Verträge zur Zahlung von Schadenersatz oder zur Rückabwicklung verpflichten. Derzeit ist die Chance noch groß, dass Produktgeber allein aus wirtschaftlichen Gründen – ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs – leisten und keinen Rechtsstreit mit der Gefahr weiterer Urteile riskieren. Später ist dann z. B. die eine oder andere Unterstützungskasse vielleicht selbst insolvent und der Vermittler zahlt alleine.
Mit diesem Rückhalt kann dann mit Arbeitgebern ein Konzept erarbeitet werden, um die Verträge zu sanieren. Möglicherweise kann der Vermittler so zumindest der Insolvenz entgehen, womöglich auch einen Teil der für seine Arbeit erhaltenen Provision/Courtage behalten und günstigstenfalls sogar zusammen mit seinem Kunden eine zukunftsweisende bAV gestalten. An der Honorarvermittlung von abschlusskostenfreien Verträgen wird dabei letztlich kein Weg vorbeiführen.
Quelle: Urteil des Landesarbeitsgericht München [PDF – 440 KB]