Waehrungsfond-Chef Horst Koehler wechselt ins Amt des Bundespraesidenten und will Deutschland ein IWF-Strukturanpassungsprogramm verpassen
Christine Wicht und Carsten Lenz haben sich mit dem Wirken Horst Koehlers an der Spitze des Internationalen Waehrungsfonds befasst und seine dort vertretenen oekonomischen Rezepte in Beziehung gesetzt mit seiner wirtschaftspolitischen Grundsatzrede vor dem Arbeitgeberforum am 15. Maerz 2005 in Berlin. Dabei finden sich interessante Parallelen zwischen den vom IWF geforderten Strukturanpassungsprogrammen und den Reformvorschlaegen des Bundespraesidenten fuer Deutschland.
Am 23. Mai 2004 wurde Horst Koehler zum Bundespraesidenten der Bundesrepublik Deutschland gewaehlt. Es war ein aeusserst knappes Wahlergebnis. Er erhielt im 1.Wahlgang 604 Stimmen (603 waren notwendig, und CDU und FDP hatten zusammen 622 Stimmen). Fuer viele Buerger war Horst Koehler bis Dato ein vollkommen Unbekannter, bis er von Angela Merkel, Edmund Stoiber und Guido Westerwelle als Kandidat ausgerufen wurde. Nur wer sich in den letzten Jahren mit dem Maastrichtvertrag, der deutschen Vereinigung, der Treuhandanstalt oder dem IWF befasst und deren Arbeit und Auswirkungen verfolgt hat, der kannte Horst Koehler als einen Mann, der seit Jahren Einfluss und Macht an wichtigen Stellen in Deutschland und in der Welt ausuebte.
Horst Koehlers Wirken an der Spitze des IWF wirft ein Licht auf die politischen und oekonomischen Ansichten und Absichten des heutigen Bundespraesidenten. Man muss den Eindruck gewinnen, als uebertrage Koehler die Prinzipien der IWF-Strukturanpassungsprogramme auf seine Reformvorschlaege fuer Deutschland. Es lohnt sich deshalb die wirtschaftspolitischen Konzepte des IWF und die Vorstellungen Koehlers ueber oekonomische Strukturreformen fuer Deutschland einmal etwas genauer anzuschauen.
Internationaler Waehrungsfond (IWF) und Strukturanpassungsprogramme (SAP)
Als der IWF unter dem Einfluss des Keynesianismus 1944 als Reflex auf die Weltwirtschaftskrise gegruendet wurde, sollte er folgende Ziele verfolgen:
- Verbesserung der finanziellen Kooperation zwischen den Staaten
- Staerkung des internationalen Handels
- Stabilisierung der Waehrungsbeziehungen und der Waehrungen
- Internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Waehrungspolitik
- Aufbau eines internationalen Zahlungssystems
- Finanzielle Hilfe zur Ueberwindung von Zahlungsschwierigkeiten von Staaten
- Verhinderung von Unausgewogenheiten in den Zahlungsbilanzen der Mitglieder
- Ausgewogenes Wirtschaftswachstum
Zu Beginn der 1980er Jahre, mit dem Aufkommen des Monetarismus als vorherrschender oekonomischer Schule und beeinflusst von den sogenannten Chicago Boys, aenderte der IWF seine wirtschaftspolitische Ausrichtung und schlug einen neoliberalen Wirtschaftskurs ein. Mit diesem Richtungswechsel verabschiedete sich der IWF von seinen urspruenglichen Zielen. Kredite wurden fortan nur noch in Verbindung mit massiven Auflagen, den sogenannten Strukturanpassungsprogrammen (SAPs) erteilt. In mehr als 150 Laendern hat der IWF inzwischen seine Politik mit wirtschaftsliberalen Strukturanpassungsprogrammen durchgesetzt.
Mit der Durchsetzung der Prinzipien des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs, der Wettbewerbsorientierung, vor allem aber auch der Deregulierung und Privatisierung oeffentlicher Aufgaben hat der IWF den Konzernen der reichen Mitgliedslaender Zugang zu neuen Maerkten und wirtschaftlicher Macht verschafft. Diese Politik wirkte sich in den meisten Faellen ziemlich fatal auf die Lebensbedingungen der jeweiligen Bevoelkerung der vom IWF “gefoerderten” Staaten, insbesondere in den Entwicklungslaendern, aus. Oft ist auch eine damit einhergehende Zerstoerung der Umwelt zu beobachten. Die Strukturanpassungsprogramme sehen nahezu durchgaengig ein Zurueckdraengen des Staates und die Privatisierung oeffentlicher Unternehmen vor. Auf diese Weise werden Auftraege fuer Unternehmen und Investitionen aus den reichen Industrielaendern ermoeglicht. International operierende Unternehmen uebernehmen den Markt, und die einheimischen Volkswirtschaften werden bewusst und gezielt in ein dauerhaftes oekonomisches Abhaengigkeitsverhaeltnis gedraengt, sei es von den Geldgebern, sei es von auslaendischen Investoren, sei es von den dort angesiedelten Unternehmen. Die Beduerfnisse der Bevoelkerung bleiben dabei zweitrangig.
Horst Koehler als Direktor des IWF
Als Horst Koehler, auf Vorschlag von Bundeskanzler Schroeder, im Jahre 2000 sein Amt als geschaeftsfuehrender Direktor des Internationalen Waehrungsfonds antrat, war die Kritik an der Politik des IWF so heftig wie vielleicht niemals zuvor in der Geschichte dieser Institution. Sie kam keineswegs nur noch von Nicht-Regierungsorganisationen, die seit Langem die verheerenden Auswirkungen der Strukturanpassungsprogramme in den aermeren Laendern anprangerten. Insbesondere das Vorgehen des IWF bei der Privatisierung von Unternehmen in den ehemaligen Ostblocklaendern, aber auch das Versagen bei den Krisen in Asien Ende der neunziger Jahre hat dem Fond Kritik auch von Oekonomen eingebracht, die man nicht so leicht als Aussenseiter abqualifizieren konnte. Prominentestes Beispiel ist wohl der Nobelpreistraeger fuer Wirtschaftswissenschaften, Joseph Stiglitz, Autor renommierter Lehrbuecher, Berater von US-Praesident Bill Clinton und von 1997 bis 2000 Chefvolkswirt der Weltbank (vgl. dazu Joseph Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, Berlin: Siedler 2002).
Auf der IWF Tagung in Prag im September 2000 sagte Horst Koehler:
Globalisierung fuer alle soll kuenftig ein Leitmotiv fuer die Arbeit des Fonds sein”.
Dieses Leitmotiv hat Horst Koehler dann aber waehrend seiner Amtszeit bedauerlicher Weise allenfalls in Festreden verfolgt. Er hat immer wieder davon gesprochen, dass er waehrend seiner Amtszeit beim IWF die Armut verringern und den aermsten Entwicklungslaendern Schulden erlassen wolle. Das Gegenteil traf leider ein. Nach wie vor sind die Entwicklungslaender mit ueber 2,3 Billionen US Dollar im Ausland verschuldet (2002, Weltentwicklungsbericht der Weltbank [PDF – 248 KB] 2005, S. 21), ohne dass sich eine Senkung der Schuldenlast abzeichnet.
Horst Koehler hat zwar durchaus erkannt, dass die extremen Ungleichgewichte in der Verteilung der Wohlfahrtsgewinne mehr und mehr zu einer Bedrohung der politischen und sozialen Stabilitaet werden koennte. Bedauerlicher Weise ist es aber bei Lippenbekenntnissen geblieben. Natuerlich koennte man hier einwenden, dass der Direktor des IWF aufgrund der Stimmenverhaeltnisse zu wenig Macht besitze, um seine Vorschlaege durchzusetzen. Aber wenn Horst Koehler seinen eigenen Ankuendigungen gefolgt waere, dann haette er waehrend seiner Amtszeit genug Moeglichkeiten gehabt, an oeffentlichen Stellen ueberzeugend und vehement dafuer zu werben, in welche Richtung der IWF gehen muesste, um Armut erfolgreicher und gezielter bekaempfen zu koennen. Doch leider hat man davon recht wenig gehoert.
Horst Koehler bekundete zunaechst in mehreren Aeusserungen die Bereitschaft, die Arbeit des Fonds kritisch zu pruefen und zu reformieren. Seine Amtszeit war von dem Versuch gepraegt, nach den offensichtlichen und verheerenden Rueckschlaegen den IWF in einem guenstigeren Licht erscheinen zu lassen. Dazu sollte unter anderem die Arbeit des IWF transparenter werden. Die betroffenen Laender sollten mehr Mitsprachemoeglichkeiten erhalten. Ein wichtiger Aspekt war das Ziel der Armutsbekaempfung, dem auf dem Koelner G7/G8-Gipfel 1999 besonderes Gewicht beigemessen wurde. Bei diesem Treffen einigten sich die Regierungschefs der sieben bzw. acht wichtigsten Industriestaaten auf eine Initiative zur Schuldenreduzierung zugunsten hochverschuldeter armer Laender (highly indebted poor countries HIPC). Der Schuldenabbau ist nach den dort gefassten Beschluessen aber daran gekoppelt, dass das betreffende Land eine ueberzeugende Strategie zur Armutsbekaempfung vorlegt. [Powerpoint-Folie Attac / 19 + 20]
“Reformpolitik” des IWF
Horst Koehler sprach sich als geschaeftsfuehrender Direktor des IWF in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag am 2. April 2001 dafuer aus, “dass Laender, die ein Programm mit dem IWF vereinbaren, von sich aus Reformen bejahen”.
Im Hinblick auf die unten beschriebenen Auswirkungen der “vereinbarten” Programme stellt sich die Frage, welche Chance die Schuldnerlaender haben, sich den Reformen zu widersetzen? Sie haben nur die Moeglichkeit, entweder keinen Kredit zu erhalten oder sich den SAPs zu beugen. Ein Blick auf die Finanzierungsinstrumente des IWF verdeutlicht die Zwaenge, denen die Schuldnerlaender unterliegen. Zu diesen Instrumenten gehoeren unter anderem Kredite, die zu guenstigen Konditionen an aermere Mitgliedslaender des IWF vergeben werden. Die bekannteste und zugleich beruechtigtste dieser so genannten Sonderfazilitaeten war die 1988 geschaffene Erweiterte Strukturanpassungsfazilitaet (ESAF). Die Gewaehrung dieser Mittel durch den IWF ist mit Auflagen gegenueber dem Empfaengerland verbunden, so genannten Konditionalitaeten. Im Falle von ESAF beinhalteten diese Konditionalitaeten – wie der Name sagt – Anforderung zu weitgehenden Strukturanpassungen. Die Begriffe Anpassung oder Reform von “Strukturen” sind inzwischen aus der wirtschaftspolitischen Debatte in der Bundesrepublik hinreichend bekannt. Auf internationaler Ebene bedeuten sie weitgehend das Gleiche:
- Senkung der Staatsausgaben durch Einsparungen im Sozialbereich und bei Investitionen in die Infrastruktur
- Privatisierung des oeffentlichen Sektors (Daseinsvorsorge)
- Oeffnung der Maerkte
- Deregulierung, insbesondere des Arbeitsmarktes
- Inflationsbekaempfung als vorrangiges Ziel der Geld- und Waehrungspolitik
Nachdem spaetestens Ende der neunziger Jahre auch der IWF nicht mehr ueber das Scheitern dieser Politik hinwegsehen konnte und ueberdies das Ansehen des Fonds in den Empfaengerlaendern durch diese weltweit zwangsweise durchgesetzten Standardrezepte ruiniert war, rief man um die Jahrtausendwende die Armutsreduzierung zum Hauptziel des IWF aus (www.weed-online.org, naehere Informationen ueber den Vorschlag von Anne Krueger der Vize Direktorin des IWF zum Schuldenerlass: www.erlassjahr.de).
1999 wurde ESAF in Armutsreduzierungs- und Wachstumsfazilitaet (Poverty Reduction and Growth Facility, PRGF) umbenannt. Um die durch diese Fazilitaet bereit gestellten Mittel zu erhalten, muessen die Empfaengerlaender nunmehr eine Armutsbekaempfungsstrategie (Poverty Reduction Strategy Paper PRSP) vorlegen. Ziel dieses Vorgehens sollte es eigentlich sein, den Laendern mehr Mitspracherechte einzuraeumen. Diesen Anspruch bringt der IWF durch das Schlagwort “ownership” zum Ausdruck. Demnach sollen die betroffenen Laender bei der politischen Gestaltung der Konditionalitaeten die Fuehrungsrolle einnehmen, statt nur Befehlsempfaenger des IWF zu sein.
“Selbstbestimmung” der Schuldnerlaender
Dass die Praxis des Fonds diesem Anspruch weit hinterherhinkt, verdeutlicht folgendes Beispiel: 2003, in der Amtszeit Horst Koehlers, verabschiedete das Parlament von Ghana eine Erhoehung der Einfuhrzoelle auf Reis und Gefluegel. Auf diese Weise sollten die einheimischen Bauern gegen die Konkurrenz durch billige Importe geschuetzt werden. Die Zollerhoehungen waren sogar mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbar. Die Regierung benoetigte jedoch eine Sondererlaubnis des IWF, um die Zoelle erheben zu duerfen. Nach einem Treffen mit IWF-Vertretern machte die Regierung eine Kehrtwende und behielt die alten Zoelle bei, handelte also gegen den Beschluss des Parlaments und verstiess somit sogar gegen die Verfassung. Der IWF kuemmert sich nicht um demokratische Entscheidungen in den betroffenen Laendern und folgt seinen eigenen Gesetzen (www.brettonwoodsproject.org).
Demokratiedefizit verhindert situationsgerechte Strategien
2004 kommt das “Independent Evaluation Office” des IWF in einem Bericht zu dem Schluss, dass sich die politische Beteiligung in den Empfaengerlaendern weitgehend auf einen kleinen Kreis von Amtstraegern beschraenkt. Zudem werden moegliche Alternativen zu den bisherigen wirtschafts- und strukturpolitischen Ansaetzen des IWF bislang noch kaum diskutiert. Das hat unter anderem zur Folge, dass die schliesslich eingeschlagenen Strategien zur Armutsbekaempfung zu wenig auf die spezifische Situation im jeweiligen Land abgestimmt sind (vgl. Evaluation of the IMF’s role in Poverty Reduction Strategy Papers and Poverty Reduction and Growth Facility, prepared by a team headed by David Goldsbrough, Washington, D.C.: International Monetary Fund, Independent Evaluation Office, 2004, S. 3 und 5).
Weil die betroffenen Menschen in den Empfaengerlaendern praktisch keinen Einfluss auf die beschlossenen Massnahmen haben, geht der IWF immer wieder nach dem gleichen Schema vor und verordnet den Regierungen der Empfaengerlaender in jeder Situation die stets gleiche Medizin. Anders gesagt: Solange der IWF fuer jedes Land und fuer jede Krisensituation schon im Voraus weiss, was zu tun ist, bezieht sich die versprochene Offenheit nur auf Nebensaechlichkeiten. Die Empfaengerlaender koennen bei den grundlegenden politischen Entscheidungen nicht mitbestimmen, sondern bestenfalls bei einzelnen Aspekten der Umsetzung.
In zahlreichen Faellen richten sich die Regierungen der Empfaengerlaender bei der Entwicklung eigener Strategien von vornherein nach den Absichten des IWF, um die Gewaehrung von Krediten nicht zu gefaehrden. Der Finanzminister eines betroffenen Landes brachte dies gegenueber einem Sachverstaendigen der Vereinten Nationen einmal deutlich zum Ausdruck: Wir geben dem Fond, was er verlangt, bevor er anfaengt, uns zu belehren (Cheru, Fantu: The Highly Indebted Poor Countries (HIPC) Initiative: a human rights assessment of the Poverty Reduction Strategy Papers (PRPS), Economic and Social Council of the United Nations, Commission on Human Rights, 57 th session (2001), E/CN.4/2001/56, S. 12; weitere Beispiele fuer die Ohnmacht der Empfaengerlaender in: Frances Stewart, Michael Wang, Do PRSPs Empower Poor Countries And Disempower The World Bank, Or Is It The Other Way Round? Queen Elisabeth House Working Paper Series, Number 108 (May 2003), S. 19).
Auswirkungen der IWF-Politik
Wer sich dem Diktat des IWF nicht beugt, erhaelt nicht nur vom Fond keine Kredite mehr. Da andere Geldgeber ihre Entscheidungen in aller Regel davon abhaengig machen, wie ein Land vom IWF eingeschaetzt wird, wirkt dessen negative Bewertung darueber hinaus so, als wuerde das Land auf eine schwarze Liste gesetzt. Es erhaelt dann gar keine Kredite mehr. Der IWF treibt mit seiner an die SAP gebundenen Wirtschaftspolitik ganze Industriezweige in den Bankrott, was fuer manche Entwicklungslaender gleichzeitig den Staatsbankrott oder zumindest weitere Verschuldung bedeutet. Dadurch werden die Schuldnerlaender in ein dauerhaftes Abhaengigkeitsverhaeltnis gebracht. Die erzwungene so genannte Liberalisierung der Maerkte ist meist ein weiterer Schritt in die Unselbstaendigkeit der Schuldnerlaender, da die Geberlaender mit ihren – oft sogar noch hoch subventionierten – Waren den Markt ueberschwemmen. Das hat in vielen Faellen zur Folge, dass einheimische Waren, gemessen an den Billigimporten, zu teuer sind, nicht mehr abgesetzt werden koennen und ganze alteingesessene Industrie- oder Handwerkszweige verkuemmern. Die Konsequenzen sind Arbeitsplatzverlust und Armut. Um die Exporte aus dem eigenen Land zu foerdern und die Importe zu verteuern und damit zu verringern, bleibt haeufig nur die Abwertung der nationalen Waehrungen. Diese Abwertungen haben aber wiederum zur Folge, dass auch die Kosten fuer importierte Grundnahrungsmittel, fuer Arzneien oder fuer Kraftstoff so stark ansteigen, dass immer mehr Buerger immer weniger in der Lage sind, ihre Grundbeduerfnisse zu befriedigen und z.B. fuer aerztliche Versorgung zu bezahlen. Hunger und Krankheit sind vielfach, ja sogar fast regelmaessig die Folge dieser IWF-Strukturanpassungsprogramme.
Kritikern dieser Politik haelt der IWF entgegen, dass er ein “Antiinflationsprogramm” in den Entwicklungslaendern durchfuehre. Es beinhaltet unter anderem, dass die Staatsausgaben reduziert werden muessen, vor allem indem Staatsbedienstete entlassen werden. Die Bereiche der Daseinsvorsorge werden zu diesem Zweck privatisiert und daraufhin entweder direkt durch Multinationale Unternehmen uebernommen oder doch von ihnen oekonomisch beherrscht. Auf diese Weise erlangen transnationale Konzerne ueber die Vorgaben (die Strukturanpassungsprogramme) des IWF ungehinderten Marktzugang und verhindern eine an sozialen Gesichtspunkten orientierte Daseinsvorsorge, wie das nur unter staatlicher Regie moeglich war.
Die Bevoelkerung von Cochabamba in Bolivien etwa hat sich massiv gegen die Privatisierung des Wassers gewehrt, nachdem der amerikanische Wasserkonzern Bechtel den Wassermarkt Boliviens mit Hilfe eines Strukturanpassungsprogramms uebernommen hatte. Die Bevoelkerung konnte sich das Trinkwasser nicht mehr leisten, da der Bechtel-Konzern die Preise in astronomische Hoehen trieb. (Naeheres ueber die IWF-Politik)
Die Doktrin der Privatisierung staatlicher Betriebe galt aber nicht nur fuer die Entwicklungslaender, auch in den frueheren Ostblockstaaten wurden auf diese Weise massenhaft Staatsbetriebe systematisch zerstoert (weitere Informationen) und entweder ganz platt gemacht oder in die zweifelhafte Freiheit mafioser Strukturen entlassen.
Auch der Irak hat nach dem Krieg unter US-amerikanischer Befehlsmacht Kredite beim IWF beantragt. Diese sind natuerlich wieder an SAPs gebunden. Der amerikanische Konzern Bechtel, der mit dem amerikanischen Vizepraesidenten in Verbindung steht und der schon in Cochabamba dafuer gesorgt hat, dass nur Wasser bekommt, wer auch zahlungskraeftig ist, hat inzwischen grosse Teils des Wassermarkts im Irak uebernommen, die sozialen Folgen fuer die irakische Bevoelkerung sind absehbar (www.zeit-fragen.ch).
Beispiel Argentinien
Beispiel Argentinien
Am Beispiel Argentinien wird die fragwuerdige Politik des IWF besonders deutlich. Schon in den siebziger Jahren, zur Zeit der Militaerdiktatur, stieg die Verschuldung des Landes an. Im Jahr 2000 war der Schuldenberg bereits zur astronomischen Summe von 147,2 Milliarden US Dollar angewachsen (1976: 7 Mrd. Dollar). Zu diesem Zeitpunkt haette Horst Koehler die Moeglichkeit gehabt, die gescheiterte Politik der Strukturanpassungsprogramme zu ueberdenken und eine auf die Situation des Landes abgestimmte Strategie zu entwickeln. Dennoch hat er die Umsetzung der ueblichen Standardrezepte des IWF nicht in Frage gestellt. Im Dezember erhielt Argentinien einen weiteren Kredit in Hoehe von 39,7 Mrd. US-Dollar vom IWF. Dieser war gebunden an strikte Auflagen:
Liberalisierung des Gesundheitswesens
Deregulierung des Energie- und Telekommunikationsmarktes
Verringerung der Einfuhren
Flexibilisierung des Arbeitsmarktes
Verstaerkung der Privatisierungen
Im Sommer 2001 kuendigte die Regierung ausserdem eine Kuerzung der Gehaelter im oeffentlichen Dienst um 14 Prozent an.
Horst Koehler sagte am 25. Mai 2000 zur Schuldenkrise in Argentinien:
…Ich bin daher optimistisch, dass diese entschlossenen Massnahmen in die richtige Richtung gehen und sich letztlich fuer die Menschen auszahlen werden.”
Nobelpreistraeger und Weltbanker Joseph Stiglitz meinte dazu:
So herrscht beinahe voellige Uebereinstimmung darueber, dass das Krisenmanagement in Argentinien duerftig war, da die Erholung erst eingesetzt hatte, nachdem die Behoerden nicht mehr den restriktiven Bestimmungen des IWF gefolgt waren. Kredite wurden wieder gewaehrt, als die Behoerden deutlich machten, lieber in die Zahlungsunfaehigkeit zu schlittern, als weiter den vom IWF oktroyierten Strategien zu folgen, die zur Ausloesung des Desasters beitrugen. In Brasilien wird der IWF fuer die Abwendung des naechsten Desasters geruehmt, aber um welchen Preis ist es dazu gekommen? Die Wirtschaft stagniert und macht es Praesident Lula unmoeglich, jenen sozialen Zielen einen Schritt naeher zu kommen, deren Erreichung er im Wahlkampf versprochen hatte. Die vom IWF vorgegebenen oekonomischen Rahmenbedingungen bieten nach wie vor keine Basis fuer eine antizyklische Haushaltspolitik, da der IWF der keynesianischen Standardstrategie – die Stimulierung der Wirtschaft waehrend eines Abschwunges – immer noch skeptisch gegenuebersteht.
Joseph E. Stiglitz, Der IWF kommt nach Deutschland
“Strukturreformen” auch in Europa und in Deutschland Bereits als geschaeftsfuehrender Direktor des IWF hat Horst Koehler immer wieder gegenueber Europa und speziell gegenueber Deutschland wirtschaftspolitische Forderungen erhoben, die der ueblichen Strukturanpassungspolitik des IWF entsprechen. Dazu gehoeren unter anderem die Flexibilisierung der Arbeitsmaerkte, eine grundlegende Rentenreform, sprich die Privatisierung der Altersvorsorge, und weitere “Strukturreformen”. In einem Gespraech mit dem ‘Spiegel’ fordert er 2001 noch als IWF-Chef eine Beschleunigung der Strukturreformen in Europa und den Abbau “uebermaessiger Regulierungen” (Der Spiegel, Nr. 45/2001, 05. November 2001, S. 98). Bei genauerer Betrachtung der Rede von Horst Koehler am 15. Maerz vor dem Arbeitgeberforum “Wirtschaft und Gesellschaft” in Berlin zeigt sich, dass er die IWF-Politik, die er waehrend seiner Amtszeit “gelernt” hat, auch im hoechsten Staatsamt der Bundesrepublik mit Nachdruck vertritt. (Vgl. “Der Bundespraesident der Arbeitgeber”)
Exkurs: Horst Koehler und die Wiedervereinigung
Fuer diese Rede des Bundespraesidenten vor den Arbeitgebern ist ueber seine Zeit als IWF-Chef hinaus noch ein weiterer berufsbiographischer Hintergrund Horst Koehlers interessant. Zumindest zur finanz- und sozialpolitischen Krise in unserem Land, die er in seiner Rede weidlich beklagt, hat Horst Koehler in seiner Funktion als Staatssekretaer im Bundesfinanzministerium von 1990 bis 1993 ein erhebliches Mass beigetragen, sei es als westdeutscher Verhandlungsleiter ueber die deutsch-deutsche Waehrungsunion, sei es als Chefunterhaendler beim Maastricht-Vertrag. In seine Amtszeit fiel z.B. auch die folgenschwere Entscheidung, die sozialpolitischen Kosten der Wiedervereinigung aus den beitragsfinanzierten Sozialkassen zu finanzieren. Zwischen den Jahren 1991 und 1997 erwirtschaftete die gesetzliche Rentenversicherung noch einen kumulierten Ueberschuss von rund 71 Mrd. DM. Um die ostdeutschen Renten zu stuetzen, war dieser Ueberschuss absolut notwendig. In der Arbeitslosenversicherung betrug der kumulierte Ueberschuss in diesem Zeitraum sogar 116 Mrd. DM (Quelle: BerlinOnline).
Seit 1992 wurden die sozialen Sicherungssysteme mit 300 Mrd. Euro belastet, die sie fuer die Finanzierung der Einheit aufbringen muessen (Quelle: DGB [PDF – 32 KB]), kein Wunder also, dass die sozialen Sicherungssysteme allmaehlich notleidend wurden.
Horst Koehler arbeitete in seiner Eigenschaft als Staatssekretaer auch eng mit der Treuhandanstalt zusammen. Die verantwortlichen Entscheidungstraeger – inklusive der Staatssekretaere des Bundesfinanzministeriums – der Kohl-Regierung haben die Privatisierungspolitik in den ostdeutschen Bundeslaendern massgeblich mit zu verantworten. Die von Helmut Kohl prognostizierten bluehenden Landschaften entwickelten sich bekanntermassen als wirtschaftliche Wueste. Der Osten Deutschlands wurde Dank der Treuhand industriell ausgeschlachtet und nahezu vollstaendig deindustrialisiert, mit der Folge der Massenarbeitslosigkeit von einem Viertel bis zu einem Drittel aller Erwerbstaetigen. Angesichts der Beteiligung von Horst Koehler an diesen wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozessen, klingt es wie Hohn, wenn er davon spricht, dass die Ordnung, die (frueher einmal) sozialen Fortschritt gebracht hat, im Niedergang sei, dass die Buerger sich Geschenke machen liessen, dass die Arbeit aufgrund hoher (Sozial-) Abgaben zu teuer sei und dass wir in unserem Lande ein vorwiegend strukturelles Problem haetten. Das strukturelle Probleme etwa der sozialen Sicherungssysteme wurde von den politisch verantwortlichen, inklusive Horst Koehler, seinerzeit bewusst in Kauf genommen um eine Mehrwertsteuererhoehung zu umgehen, die eine Wiederwahl Helmut Kohls gefaehrdet haette. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Folgen aus diesen Entscheidungen fuer die sozialen Sicherungssysteme hat bis heute nicht stattgefunden. Sie soll vielleicht auch gar nicht stattfinden, denn man hat einen neuen Suendenbock gefunden, den auch Koehler gern zur Ablenkung von eigenen Fehlentscheidungen benutzt: Die strukturellen Probleme. Und fuer die Loesung solcher Probleme hat Koehler sein Handwerk beim IWF gut gelernt.
IWF-Rezepte fuer Deutschland
Dies beweist die gaengige Reformrhetorik, der sich Koehler nicht nur in seiner Rede vom 15. Maerz bedient. “Es sind dicke Reformbretter, die wir bohren muessen”, behauptet der Bundespraesident und lobt die Agenda 2010 als “mutigen Anfang”. Um zu zeigen, in welche Richtung die Reformen gehen sollen, skizziert Koehler eine “Ordnung der Freiheit”, die “Verantwortung fuer sich und andere foerdert und belohnt”. Der Einzelne soll Verantwortung uebernehmen, seine Leistung muss sich lohnen. (Die Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer koennen nicht gemeint sein, denn Koehler lobt die Lohnzurueckhaltung der Gewerkschaften).
In Koehlers liberalem Weltbild sind es die Unternehmen, die auf einem moeglichst freien Markt Wohlstand schaffen, wenn man sie nur laesst. Wenn keine neuen Arbeitsplaetze entstehen, liegt das nach dieser Logik an den zu hohen Lohn- oder Lohnnebenkosten, also an den Sozialabgaben.
Konsequenter Weise fordert Koehler dann auch einen “modernen Sozialstaat”. Und der Bundespraesident weiss auch, was einen solchen auszeichnet: “der moderne Sozialstaat schuetzt vor Not, aber er gaukelt nicht vor, dem Einzelnen den einmal erreichten Lebensstandard garantieren zu koennen”. Einen derart grosszuegigen Sozialstaat hat es in der Bundesrepublik nie gegeben. Wer dennoch dieses Bild zeichnet, hat entweder den Blick fuer die soziale Realitaet in diesem Land verloren oder denunziert mutwillig die sozialen Sicherungssysteme als ueberholt und rueckstaendig. Vor allem blendet er aber, wie das der IWF seit Jahren tut, die Asymmetrie zwischen Gewinnern und Verlierern der “Strukturreformen” aus. Waehrend die Verlierer in die Beduerftigkeit fallen, fallen den Gewinnern reiche Dividenden zu. Dazu nur ein paar Zahlen:
- Die DAX-Unternehmen haben im letzten Jahr ihre Gewinne um 42 Prozent erhoeht.
- Im letzten Jahr haben sie ihren Aktionaeren 40 Prozent mehr an Dividende ausgezahlt – insgesamt 12,7 Milliarden Euro.
- Gleichzeitig haben sie die Investitionen in Deutschland um mehr als 20 Prozent zusammengestrichen und massenhaft Arbeitsplaetze vernichtet.
- Und dafuer haben sich die Top-Manager ihre Gehaelter um 18 Prozent erhoeht – im Durchschnitt verdienen sie mehr als 2,3 Millionen Euro pro Jahr. (Quelle: DGB [PDF – 32 KB])
Man kann Horst Koehler gewiss nicht vorwerfen, dass er kein Mitgefuehl fuer die Armen haette, weder in Afrika noch bei uns, sein “kuehler Verstand” laesst ihn aber in ungebrochener Kontinuitaet zum Ueberzeugungstaeter fuer seine “Strukturanpassungsprogramme” werden, und die lauten eben Deregulierung und Rueckzug des Staates. Wie bei den Strukturanpassungsmassnahmen des IWF beruhen auch die politischen Grundannahmen Koehlers fuer die Reform des Sozialstaats auf dem Glauben, dass der freie Markt auch im sozialen Bereich die besseren Loesungen bietet. Irgendwann wird er dann schon die Armut lindern.
Allen Tatsachen zuwider wird der IWF wird nicht muede zu behaupten, dass die Wirtschaft durch “Marktreformen” angetrieben werde, Wirtschaftswachstum wird prognostiziert und Wohlstand fuer alle wird versprochen. Das Ergebnis von 20 Jahren marktradikaler Politik in der Welt ist, dass Hunderte von Millionen noch tiefer in Armut gesunken sind, zugegebenermassen einige hundert Millionen Menschen etwas weniger arm sind, aber dass einige hunderttausend Reiche in den Industrielaendern gar nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Reichtum. Die Schere hat sich also weiter geoeffnet, statt geschlossen. Das gleiche erleben wir seit Jahren mit den “Strukturreformen” bei uns.
Mit Horst Koehler hat ein Mann das hoechste Staatsamt in Deutschland uebernommen, dessen Weltlaeufigkeit vor allem darin besteht, dass er in einer internationalen Organisation wie dem IWF fuer “Strukturreformen” eingetreten ist, und der in seinem neuen Amt keine Gelegenheit auslaesst, um die weltweit weitgehend gescheiterten “Strukturanpassungsprogramme” nun auch noch auf nationaler Ebene zu propagieren.