Die Neoliberalen forcieren ihre Agitation. Oder: Viel Spaß in Ghana

Ein Artikel von:

Ein Freund der NachDenkSeiten schreibt uns: „Just in der Woche, in der Sie ihre Seite überarbeiten, fanden einige, meiner Meinung nach, wirklich kranke und gefährliche Artikel ihren Weg in die Öffentlichkeit.“ Leider hat er recht. Die Agitation wird forciert. Je mehr sichtbar werden könnte, dass die durchgedrückten Reformen das versprochene Ergebnis nicht bringen, um so mehr wird der Misserfolg der angeblich mangelnden Reformbereitschaft zugeschrieben und gefordert, die Dosis zu erhöhen. Typisch dafür: Hartz IV.
Ein jetzt immer wiederkehrendes Motiv der Agitation ist die Behauptung, es gebe keine Mehrheit für Reformen, weil die meisten Wähler vom Sozialstaat profitierten. So bei Sinn, von Petersdorff und Steingart nachzulesen. Das ist der helle Wahnsinn, wenn man bedenkt, welche massiven Reformen alleine mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen bei uns durchgesetzt und umgesetzt worden sind.
Mit Steingart werde ich mich gründlicher auseinandersetzen in einem Beitrag, der vermutlich morgen in den NachDenkSeiten steht. Einige andere einschlägige Beispiele, die unser Freund auflistete, folgen hier. Vorweg aber ein wirklich bemerkenswerter Beitrag von Andreas Hoffmann in der Süddeutschen Zeitung über die permanente Miesmache: „Viel Spaß in Ghana!“

Zunächst mit Respekt:

Andreas Hoffmann in der Süddeutschen Zeitung vom 16.9.:
”Dieses Land ist unfähig”: Viel Spaß in Ghana!
Von niemandem wird Deutschland so schlecht geredet wie von führenden Wirtschaftsexperten. Dazu mal eine Klarstellung.“
Den vollständigen Artikel können Sie sich unter dieser Adresse anschauen.

Und hier die Horrorliste von Publikationen aus der letzten Woche (ohne Steingart):

Project Syndicate
Deutschlands politische Stagnation
Hans-Werner Sinn

Grundaussagen:

  • “es einfach keine Mehrheit für liberale Reformen gibt, denn solche Reformen würden zunächst zu viele Verlierer mit sich bringen. Deutschland ist ein Land mit einem umfassenden Sozialsystem, das 31% des BIP des Landes über den Regierungssektor für soziale Zwecke ausgibt. Nicht weniger als 41% der wahlberechtigten Bevölkerung leben in erster Linie von Regierungsleistungen wie staatliche Renten, volle öffentliche Stipendien, Arbeitslosenunterstützung, Invalidenrente und Sozialhilfe. (Im Osten Deutschlands liegt diese Zahl bei kolossalen 47%.)”
  • “eine riesige Mehrheit der Bevölkerung und sogar eine knappe Mehrheit der christdemokratischen Wähler eine Stärkung der sozialen Orientierung des Staates gegenüber einer stärkeren Orientierung am Markt bevorzugt”

Kritik des Freundes der NDS:
Sinn stellt wieder einmal seine liberalen Reformen als einzigen Weg dar, den Wohlstand zu sichern, Unterordnung dem Marktmechanismen geht vor Sozialstaat. Seine Lobhudeleien auf Angela Merkel wirken auch nur peinlich. Und solche Artikel werden nun in alle Sprachen auf die Weltgemeinschaft losgelassen.

FAZ
Sozialpolitik:
Auszehrung ist das Ergebnis der Politik
Von Winand von Petersdorff

Grundaussagen:

  • Regierung macht den Leistungsempfängern Geschenke, um sich damit deren Stimme zu kaufen
  • “Im Osten der Republik sind die Empfänger oft schon in der Mehrheit. Ihre Lobbys blockieren Einschnitte und verlangen erfolgreich Zuwendungen, die sich alle auf den monatlichen Gehaltsabrechnungen der schrumpfenden Zahl der Leistungsträger niederschlagen”
  • “Die Leistungen für Arbeitslose bilden nicht nur einen Anreiz, keinen regulären Job zu suchen, sondern locken zudem Einwanderer in die Arbeitslosigkeit an. Deutschland wird in Europa als Standort für Unbeschäftigte attraktiv.”
  • Leistungsträger fliehen nach Österreich oder in die USA, weil dort das Geld nicht für Sozialtransfers sondern in die Hochschulen und in die Löhne gesteckt werden

Kritik:
Die eigentlichen Opfer werden zu Tätern gemacht.

FAZ
Sachverständigenrat
„Vorrang für reguläre Arbeit“
Von Wolfgang Franz, Stephan Kohns, Bert Rürup, Beatrice Weder di Mauro und Wolfgang Wiegard

Grundaussagen:

  • “Die vom Sachverständigenrat vorgeschlagene Reform will die Attraktivität einer Arbeitsaufnahme erhöhen – reguläre Arbeit muß sich mehr lohnen als bisher – und gleichzeitig durch eine Senkung der Arbeitskosten Anreize zur Schaffung neuer Arbeitsplätze setzen”
  • “Eine mangelnde Arbeitsbereitschaft ist aber in der Praxis schwer nachzuweisen. Im Unterschied dazu führt die vorgeschlagene Reform durch die generelle Absenkung des Regelsatzes zu einer Beweislastumkehr und erleichtert damit erheblich die Feststellung der Arbeitsbereitschaft”
  • “Zentrale Prämisse für die Ableitung der positiven Beschäftigungseffekte des dargestellten Kombilohnvorschlags ist, daß bei sinkenden Arbeitskosten weitere Arbeitsplätze geschaffen werden”
  • “Es ist nicht zu bestreiten, daß durch eine Ausweitung des zweiten Arbeitsmarktes die Gefahr von Verdrängungseffekten auf dem ersten Arbeitsmarkt steigt. Sie bleibt aber beherrschbar, da eben nicht für jeden Arbeitslosen eine Arbeitsgelegenheit vorgehalten werden muß.”

Kritik:

  • der Sachverständigenrat (SVR) unterstellt, dass es genug Stellen gibt bzw. Stellen geschaffen werden können, wenn die Arbeitskosten für die Arbeitgeber gesenkt werden – allein das Beschäftigungsproblem an den Kosten fest zu machen halte ich für falsch, wie haben vor allem ein Nachfrageproblem – ein Unternehmer wird auch bei sinkenden Arbeitskosten keine neuen Arbeitsplätze schaffen, wenn er keine Besserung der Nachfragesituation erwartet.
  • Beweislastumkehr – der Staat hat es nun leichter, den Arbeitslosen zu unterstellen, er bemühe sich nicht ausreichend um einen Arbeitsplatz, und kann ihm die Zuwendung bis unterhalb der Mindestlebenshaltungskosten kürzen – eine schöne Art für den Staat, Kosten zu sparen
  • ob der Verdrängungseffekt beherrschbar ist, darf bestritten werden, im Endeffekt bekommen die Unternehmen die Arbeitskraft der Menschen unter Wert

FAZ
Ordnungspolitik
Das Zerbrechen einer Wirtschaftsordnung
Von Otmar Issing

Grundaussagen:

  • Verfall ordnungspolitischen Denkens
  • In ihrem Bemühen, „Gerechtigkeit“ herzustellen, hat die Politik längst ein Monster geschaffen (bezieht sich auf Gesetzesdickicht)
  • interventionistische Wirtschaftspolitik trifft teure ad-hoc-Maßnahmen, die falsche Anreize setzt
  • “Der Wert und der Erfolg einer marktwirtschaftlichen Ordnung liegen darin, den Individuen Rahmenbedingungen vorzugeben, die am Einzelinteresse orientiertes Handeln in den größten Nutzen für die Gesellschaft umsetzen. Adam Smith läßt grüßen!”

Kritik: Politik der unsichtbaren Hand. Wenn alle das für sie Richtige tun, wird auch gesellschaftlicher Wohlstand erreicht. Rationalitätenfalle und Machtungleichgewichte spielen wiedermal keine Rolle. Sicher gibt es viele sinnfreie Gesetze. Das ist noch kein Grund, sich von der Prozesspolitik abzuwenden, sondern man muss in regelmäßigen Abständen die Regelwerke überprüfen und überarbeiten, die zielverfehlende Regeln erkennen und entsprechend nachbessern.

Telepolis
Mehr Arme, weniger Geld und Zweifel an der Demokratie
Arbeitslosigkeit macht arm und demokratieverdrossen. Die Realeinkommen der Haushalte sind zurückgegangen, die Zahl der Armen ist gestiegen und auch bei Facharbeitern und Selbständigen hat das Armutsrisiko zugenommen. Die Demokratie in Deutschland hat an Zustimmung verloren und die Bürger haben ihre Ansprüche an den Staat reduziert. Dies sind einige Ergebnisse des aktuellen Datenreports 2006 (1), jetzt herausgegeben vom Statistischen Bundesamt.
Rudolf Stumberger

Grundaussagen:

  • “Allerdings scheint die Propagierung des Sozialabbaus auch seine Wirkung zu haben: Zwischen 1991 und 2004 nimmt im Westen die Zustimmung zur staatlichen Zuständigkeit kontinuierlich von 90 auf 82 Prozent, im Osten von 99 auf 92 Prozent ab.”
  • “Danach hat sich im Westen der Anteil der Befragten, die einer Kürzung von Sozialleistungen zustimmen, von 12 auf 26 Prozent mehr als verdoppelt (es grüßt u.a. die Bildzeitung mit ihren Kampagnen a la “Florida-Rolf “), während im Osten der Anteil derer, die mehr Sozialleistungen wollten, sank. Das Fazit: ‘Ganz offenbar haben die Bundesbürger in den 1990er-Jahren ihre Ansprüche an die Höhe der Sozialleistungen reduziert.'”

Welt
Exklusive Auszüge
Die zwölf Schwerter des Professors Kirchhof
Paul Kirchhof hat seinen Erneuerungsdrang nicht verloren, auch ein Jahr nachdem seine radikalen steuerpolitischen Ansichten Angela Merkel fast den Wahlsieg gekostet hätten. In seinem neuen Buch “Das Gesetz der Hydra” skizziert er einen Staat, der freier und gerechter sein soll als heute.

Grundaussagen:

  • weniger Normen: “Jeder Mensch ist grundsätzlich selbst für sein Glück verantwortlich”
  • weniger Staat: freiheitliche Selbstbestimmung des Menschen, statt Bevormundung eines angeblich betreuungsbedürftigen Wesen, “Staatliche Leistungen sind nur vorübergehende Freiheitshilfen”
  • “Der soziale Staat gefährdet sich selbst, wenn er mitmenschliche Hilfe, persönliche Betreuung, wirtschaftlichen und kulturellen Ausgleich nicht von seinen Bürgern erwartet…” – nur Ordnungspolitik, keine Prozesspolitik
  • Zwangsversicherung = Kostenexplosion
  • anstreben eines Verschuldungsverbots für Staaten

Kritik:
Kirchhof ist mal wieder für weniger Staat, nach dem Motto, wenn alle Menschen sich freiheitlich entfalten können und ihre Einzel- interessen verfolgen, wird auch gesellschaftlicher Wohlstand eintreten. Bei Antworten zur Lösung sozialer Probleme und der Teilhabe sozial Schwacher bleibt er schwammig, in Prinzip sollen sich die Menschen dezentral selbst irgendwie helfen. Der Ruf nach einfachem Steuerrecht sowie Verschuldungs- verbot sind obligatorisch.

Zeit
Wider die “German Angst”
Sabine Bode

Grundaussagen:

  • Deutsche haben übertriebenes Sicherheitsbedürfnis (bezüglich sozialer Absicherung)
  • Steinbrück plädiert für stärkeren Optimismus und den Willen der Bevölkerung, den Reformen zuzustimmen

Kritik:
Die Deutschen sollen die Realität ausblenden, ja und amen zu allem sagen, was “kluge Politiker” sich ausgedacht haben. So stellen sich deutsche Politiker Demokratie vor.