Zur Studie von A.T. Kearney, wonach 85% der Mitarbeiter in betrieblichen Verwaltungsfunktionen deutscher Schlüsselindustrien in den nächsten fünf bis zehn Jahren ihren Job verlieren
Die weitere Verunsicherung der Angestellten wird von vielen Ökonomen und Arbeitgebern gewiss gerne gesehen. Doch ob das wirklich der einzige Zweck ist? Und wie wird diese Prognose begründet?
In der TAZ vom 12. August war der folgende Beitrag erschienen:
Software ersetzt den Kollegen
Studie: In der Verwaltung von Großunternehmen fallen in den nächsten fünf bis zehn Jahren 85 Prozent der Jobs weg. Grund: Neue Technologien. Die Mitarbeiter sind schon jetzt unter Druck.
In derselben Ausgabe der TAZ gab es dazu einen Kommentar:
Der Grund für den Abbau von Jobs in der Verwaltung ist Profitgier
Dass erneut und auch noch fast 85 Prozent aller Arbeitsplätze abgebaut werden, ohne dass die Unternehmen massivst an Qualität und Kundennähe verlieren, ist nicht denkbar. Die Studie – in Eigeninitiative von einer großen Managementberatung durchgeführt – kann deshalb nur einen Zweck verfolgen: die Beschäftigten auch in lange als sicher geltenden Angestelltenjobs zu verunsichern.
Eine Zusammenfassung der Studie ist auf der Website von A.T.Kearney zugänglich. Deren Schwächen sind offensichtlich und lassen sich in zwei Punkten zusammenfassen:
- Die angeblich so großen Rationalisierungspotentiale werden nur sehr vage angedeutet.
Wer behauptet, dass innerhalb von fünf bis zehn Jahren 120.000 von 150.000 Arbeitsplätzen wegrationalisiert werden, sollte schon etwas genauer sagen können, welche technischen Innovationen einen so großen Produktivitätsschub ermöglichen sollen. Die in der Studie erwähnten Beispiele überzeugen nicht:
- So werden als Beispiel für die Integration externer Abläufe zwischen Unternehmen Bestellauslösung und Rechnungsstellung im Rahmen der Just-in-Time-Belieferung genannt. Das ist nicht gerade ein Blick in die Zukunft, denn Just-in-Time wird von der Automobilindustrie schon seit über 15 Jahren praktiziert!
- Als Automatisierungsmöglichkeit wird das Scannen und automatische Lesen von Rechnungen erwähnt. Zum einen ist auch das ein alter Hut (zwar nicht überall möglich, aber bereits vielerorts realisiert); zum anderen stellt die Beibehaltung eines Medienbruchs (die Digitalisierung von in Papierform erhaltenen Rechnungen) nicht gerade die eleganteste Form der Prozessintegration dar.
- Externe Anbieter von Shared Services sollen helfen, durch die Nutzung von Niedriglohnstandorten die Kosten zu senken. Nun wird in der Studie aber auch festgestellt, dass der Markt für Shared Services in Europa noch in den Kinderschuhen steckt. Und aus nahe liegenden Gründen spricht viel dafür, dass deren länderübergreifende Nutzung durch Kunden außerhalb des englischen Sprachraums auch in Zukunft eher die Ausnahme bleiben wird.
- Die „volle (Hervorhebung KR) Integration und Automatisierung betrieblicher Verwaltungsabläufe über Unternehmensgrenzen hinweg“ ist ein sehr anspruchsvolles Ziel, um es vorsichtig auszudrücken. Wer selbst beruflich damit befasst ist, solche Integrationen wenigstens innerhalb einzelner Unternehmen über die Abteilungs- und Bereichsgrenzen hinweg umzusetzen, der ahnt, dass bis dahin noch ein weiter Weg ist – zu weit, um jetzt schon so konkrete Zahlen nennen zu können.
Fazit: Die Faktenbasis der Studie scheint für so weitgehende Prognosen nicht auszureichen.
- Die Studie begnügt sich damit, große Rationalisierungseffekte zu behaupten. Kompensierende Effekte durch die Übernahme neuer Aufgaben als Ergebnis komplexerer Geschäftsprozesse werden ausgeblendet.
Die Autoren von A.T. Kearney befassen sich ausschließlich mit der Automatisierung einfacher, betrieblicher Verwaltungstätigkeiten. Doch die softwaregestützte Prozessintegration und Automatisierung dient keineswegs nur der Rationalisierung, sondern eröffnet auch ganz neue Möglichkeiten. Beispiele:
- Die im Vergleich zu früher gesunkene Fertigungstiefe bringt es mit sich, dass immer mehr Unternehmen in firmenübergreifenden und oft auch internationalen Verbünden arbeiten (z.B. Entwicklungs- und Fertigungsverbünde). Mit jedem weiteren Teilnehmer eines solchen Verbunds (der seinerseits mit seinen Subunternehmern Teilverbünde bilden kann) steigt die Komplexität der Prozesse. Das kann man bewältigen, indem man neues Personal einstellt – und/oder intelligente Softwarelösungen einsetzt.
- Die oben beschriebenen Verbünde müssen von heterogen zusammengesetzten Projektteams organisiert werden. Diese Teams bestehen aus Mitarbeitern verschiedener Bereiche und Unternehmen, oft auch aus mehreren Ländern. Unter solchen Bedingungen Termine zu koordinieren, Ressourcen zu buchen, allen Beteiligten die jeweils notwendigen und aktuellen Informationen zur Verfügung zu stellen, bei Qualitätssicherungsmaßnahmen Eskalationsprozesse zu steuern, Leistungen zum angemessenen Zeitpunkt über Währungsgrenzen hinweg abzurechnen usw. stellt neue und höhere Anforderungen nicht nur an operative Tätigkeiten, sondern eben auch an betriebliche Verwaltungsfunktionen.
- Viele Produkte werden immer komplizierter, während die Produktlebenszyklen sich verkürzen. Daher muss, was bislang sequentiell erledigt werden konnte, nun immer häufiger parallel gemacht werden. Damit steigt der Aufwand für die Koordination der Tätigkeiten deutlich. Entwicklung, Änderungswesen, Fertigung und vieles mehr wären unter solchen Bedingungen ohne eine Softwareunterstützung der Prozesse oft gar nicht mehr möglich. Verbesserungen der Prozesse führen, sobald sie von einem Unternehmen umgesetzt wurden, zu noch höheren Anforderungen an die Wettbewerber. Am Personalbedarf ändert sich dabei in der Praxis häufig nichts.
All diese Möglichkeiten, die Industrialisierung betrieblicher Verwaltungsfunktionen nicht nur zur Rationalisierung, sondern auch für Qualitätsverbesserungen und die Bewältigung neuer Aufgaben zu nutzen, werden in der Studie von A.T. Kearney als strategische Ziele noch nicht einmal erwähnt. Da stellt sich die Frage nach dem Sinn dieses Papiers. A.T. Kearney adressiert explizit das Topmanagement. Könnte es sein, dass die Autoren sich bloß an dem orientierten, was Top-Manager hören wollen, um sich durch schnelle Renditesteigerungen die nächste Erfolgsprämie zu sichern? Dass vor allem aus diesem Grund der Schwerpunkt darauf gelegt wurde, drastische Einsparungen zu versprechen?
Deutschland ist seit vielen Jahren schon einem vollkommen irrationalen Trend zum Kürzen und Sparen verfallen. Unzureichende Investitionen des Staates in Bildung, Forschung und Infrastruktur gefährden die Zukunftsfähigkeit. Analog dazu begegnet man in der Wirtschaft immer häufiger der Tendenz, kurzfristig die Gewinne zu steigern, statt auf lange Sicht in Zukunftsprojekte zu investieren.
Noch aber gibt es andere Unternehmensberatungen, die sich diesem verhängnisvollen Trend entgegenstemmen und ihre Kunden vor den Gefahren dieser Sparwut warnen. Siehe dazu unser Hinweis des Tages Nr.2 vom 2.8.2006:
Sparwut in deutschen IT-Abteilungen wird zum Risiko
Deutsche IT-Manager zeigen sich in einer Umfrage von Accenture und IDC wenig phantasievoll und kennen nur eine Priorität: Bei der IT-Infastruktur geht es um Kostensenkung. Mit dieser Haltung sind sie inzwischen allein auf weiter Flur.
Quelle: Computerwoche