Die mediale Lobby für die Privatversicherer betreibt nun auch eine Kampagne gegen die gesetzliche Krankenversicherung.
Ausgerechnet unter Berufung auf die BILD-Zeitung, die ja mit den Privatversicherern kommerziell verbandelt ist, empören sich der Stern und der SPIEGEL über die angebliche „Fettsucht“ bei den gesetzlichen Krankenkassen. Die Verwaltungskosten seien von 1995 bis 2005 von 6,1 auf 8,15 Milliarden Euro auf 5,7 Prozent der Gesamtkosten gestiegen.
Tatsache ist allerdings, dass der Anteil der Verwaltungskosten seit 2002 gesunken ist und Tatsache ist auch, dass die Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb bei den privaten Krankenversicherungen prozentual im Jahre 2001 bei 13%, also deutlich mehr als doppelt so hoch wie bei den gesetzlichen lagen.
Wir lassen einmal dahingestellt, ob es sinnvoll ist, dass es 250 unterschiedliche gesetzliche Krankenkassen mit ihrem jeweiligen Verwaltungsaufwand geben muss – andererseits ist ja sonst Konkurrenz und Wettbewerb überall gefordert.
Wir wollen bestimmt auch nicht verteidigen, dass sich die Vorstände der Krankenkasse, dicke Gehaltserhöhungen bis zu 24% genehmigten – andererseits war das bei Vorständen anderer Unternehmen, ja sogar bei Abgeordneten nicht viel anders.
Dass BILD eine Kampagne gegen gesetzliche soziale Sicherungssysteme und für die private Vorsorge im Interesse der Versicherungswirtschaft betreibt, haben wir mehrfach belegt.
Dass sich Stern und SPIEGEL auf BILD-Niveau dieser Kampagne anschließen, ist leider weniger bekannt:
Über 2 Milliarden Euro seien die Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenversicherer in den letzten 10 Jahren gestiegen, das mache für jeden Beitragszahler 161,84 Euro aus, wird wortgleich unter Berufung auf eine Statistik des Bundesgesundheitsministeriums berichtet und das sei mit ein wichtiger Grund für Beitragserhöhungen.
Wir wollen nun nicht darüber spekulieren, wer angesichts des Widerstandes der gesetzlichen Krankenkassen gegen die neuesten Eckwerte der Gesundheitsreform ein Interesse daran hatte, dass gerade diese schon ältere Statistik von BILD, Stern und SPIEGEL zeitgleich als aktuelle Meldung aufgegriffen wird.
Ein Schurke, der Böses dabei denkt!
Eigene Recherche kann es wohl kaum gewesen sein, dass gerade jetzt das Thema Verwaltungskosten hochgespielt wird, diese unsere Leitmedien haben ja auch nur Meldungen der Nachrichtenagenturen von dpa, Reuters, AFP und ddp übernommen. Aber vielleicht hätte man ja erwarten dürfen, dass die Redakteure unserer „kritischen“ Qualitätsmagazine Stern und SPIEGEL selbst mal nachschauen. Dann wäre ihnen wenigstens schon mal aufgefallen, dass die angebliche Steigerung der Verwaltungskosten auf rund 8 Milliarden Euro schon bis 2004 stattfand und dass schon für 2003 gesetzlich festgelegt wurde, dass sich die Verwaltungsausgaben der einzelnen Krankenkassen gegenüber dem Jahr 2002 grundsätzlich nicht erhöhen dürfen. Stern- und SPIEGEL-Journalisten hätten dort auch nachlesen können, dass mit der Gesundheitsreform 2004 die Verwaltungskosten der Krankenkassen und ihrer Verbände begrenzt wurden, indem sie bis zum Jahr 2007 an die Entwicklung der Einnahmen gekoppelt wurden: Die Verwaltungsausgaben je Versicherten dürfen sich im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr höchstens in dem Maße verändern, wie sich auch die durchschnittlichen beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der Krankenkassen entwickeln. Wenn die Verwaltungsausgaben einer Krankenkasse überdurchschnittlich hoch sind (wenn sie je Versicherten um mehr als zehn Prozent über den durchschnittlichen Verwaltungsausgaben je Versicherten aller Krankenkassen liegen), werden sie eingefroren.
So viel wäre durch einen einfachen Klick auf die Website des Bundesgesundheitsministeriums zu erfahren gewesen.
Aber um saubere Information geht es bei den Beiträgen offenbar ja gar nicht: Es geht um Polemik gegen die gesetzlichen Kassen und deren angebliche „Fettsucht“ (so der SPIEGEL in der Überschrift) und dabei soll dann in populistischer Manier der Zorn des Beitragszahlers erregt werden, wenn ihm vorgerechnet wird, dass er knapp 162 Euro nur für die Verwaltung der Kassen (und nicht für seine Gesundheitsvorsorge) aufbringen muss.
Übrigens: Dieser Betrag bezieht sich auf ein Jahr und die horrend klingenden 8 Milliarden für Verwaltung sind exakt 5,7% der Gesamtkosten der gesetzlichen Krankenversicherungen wie man auf der gleichen Mitteilung des Ministeriums nachlesen kann.
Hätte man noch etwas genauer hingeschaut, dann kann von „Fettsucht“ keine Rede mehr sein, denn der Anteil der Verwaltungskosten lag laut einer Antwort von Bundesministerin Ulla Schmidt auf eine parlamentarische Anfrage [PDF – S.30f. – 271 KB] früher sogar höher: 5,9 Prozent im Jahre 2002 und von 1997 bis heute ist er gerade mal um 0,4 Prozent gestiegen.
Da es um eine Kampagne gegen die gesetzlichen Krankenkassen geht und nicht um Aufklärung interessiert es Stern und SPIEGEL natürlich auch nicht, dass die Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb bei den privaten Krankenversicherungen prozentual im Jahre 2001 (neuere Zahlen liegen nicht vor) bei 13%, also deutlich mehr als doppelt so hoch wie bei den gesetzlichen liegen, und dass einschließlich der Abschlusskoten (sprich Provisionen etc.) bezogen auf den Vollversicherten pro Jahr bei rd. 366 Euro, das ist 2,3 mal so viel im Vergleich zu den gesetzlichen Kassen.
Und wenn man wirklich einen fairen Vergleich hätte anstellen wollen, dann hätte man auch noch darauf hinweisen müssen, dass die gesetzlichen Krankenkassen zusätzlich zu ihrer eigenen Verwaltung auch noch das Inkasso für die Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge mit verwalten. Man kann also den Verwaltungsaufwand ausschließlich für die Krankenkasse bei den gesetzlichen noch deutlich niederer ansetzen.
Wer leidet also an „Fettsucht“? Die privaten Krankenversicherungen oder die gesetzlichen?