Raffelhüschen versucht erstmals seine Interessenverflechtungen zu verteidigen
Nachdem der Direktor des Freiburger „Forschungszentrums Generationenverträge“, Professor Bernd Raffelhüschen, sich bisher u.a. in der Fernsehsendung „Monitor“ wie ein beim Schummeln ertappter Schuljunge geweigert hat, Fragen zu seinen Abhängigkeiten von der Versicherungswirtschaft zu beantworten – “Nein, der Problematik stelle ich mich doch nicht, das will ich jetzt nicht!” -, hat er sich nun unter der WebAdresse der Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg zu einer „Öffentlichen Erklärung“ [PDF – 40 KB] zu seinen „Drittmittelaufkommen/Nebentätigkeiten“ genötigt gesehen. Es lohnt sich, diese Erklärung genauer unter die Lupe zu nehmen.
In der Erklärung heißt es einleitend:
In der aktuellen Debatte um die Reformen des deutschen Sozialstaates wird in den letzten Wochen immer wieder die Meinung vertreten, dass diese Debatte von den Versicherungen und Banken initiiert und deren Interessen durch anerkannte Vertreter der Wissenschaft legitimiert und bestätigt werden. In diesem Zusammenhang wurde auch das Forschungszentrum Generationenverträge an der Universität Freiburg und sein Direktor, Prof. Dr. Raffelhüschen, mit suggestivjournalistischen Beiträgen öffentlich angegriffen.
Bei Medienberichten zu diesem Thema werden bewusst die Finanzierung des Forschungszentrums und die Nebentätigkeiten seines Direktors derart dargestellt, dass eine unabhängige Forschungsleistung in Frage gestellt wird. Dabei werden Tatbestände verdreht oder einfach gar nicht genannt, sofern sie nicht in die einschlägige Richtung der entsprechenden Artikel passen. Um dem Leser bzw. dem Betrachter die Möglichkeit einer eigenen und unabhängigen Meinungsbildung zu ermöglichen, geben das Forschungszentrum und sein Direktor die folgende Stellungnahme ab.
Ist es ein „suggestivjournalistischer“ öffentlicher Angriff, wenn Albrecht Müller in seinem neuen Buch Machtwahn auf folgende Tatsachen hinweist:
Professor Dr. Bernd Raffelhüschen, Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg, ist nicht nur bekannt als wissenschaftliches Sprachrohr für die Privatisierung der Sozialversicherungen und gefragter Interviewpartner in Talkshows, sondern auch sogenannter Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Außerdem ist er wissenschaftlicher Berater des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und der Victoria Versicherung AG. Raffelhüschen ist auch im Aufsichtsrat der ERGO Versicherungsgruppe, zu deren Gesellschaften Victoria, Hamburg-Mannheimer, DKV Deutsche Krankenversicherung, D.A.S. und die KarstadtQuelle Versicherungen gehören. Zudem hält er unentwegt Vorträge, etwa für den Finanzdienstleister MLP.
Ist es nicht angesichts solcher Interessenverflechtungen mit der Versicherungswirtschaft und mit der arbeitgeberfinanzierten PR-Agentur INSM nicht eine höchst nahe liegende Frage, ob Raffelhüschen nicht in einer Abhängigkeit von Interessen seiner Geld- und Auftraggeber steht?
Raffelhüschen bestreitet gar nicht, dass zwei Drittel der Stellen seines Instituts drittmittelfinanziert sind. Daran wäre nichts Besonderes. Es liegt eben im allgemeinen Trend der Ökonomisierung und Privatisierung der Hochschulen, wenn auch in Freiburg die verstärkte Drittmittelfinanzierung das erklärte Ziel der Universität ist.
Raffelhüschen nennt eine pluralistisch anmutende Reihe von „Auftraggebern für Gutachten und Forschungsberichte“ und „Paten für Projekte in der Grundlagenforschung“, muss aber eingestehen, dass „aufgrund der liberal-ökonomischen Ausrichtung des Forschungszentrums“ „nicht von einem exakten Abbild der gesellschaftlichen Meinungsvielfalt gesprochen werden“ könne.
Dass das Forschungszentrum „liberal-ökonomisch“ ausgerichtet ist, also einer bestimmten wirtschaftsliberalen Auffassung folgt, und die gesellschaftliche Meinungsvielfalt nicht abbildet, also einseitig ist, ist immerhin ein faires und offenes Eingeständnis. Nicht umsonst kann das „Forschungszentrum Generationenverträge“ die marktradikale „Stiftung Marktwirtschaft“ als ihren Partner nennen, deren Vorstand Raffelhüschen wiederum angehört. So vernetzt man sich halt offenbar als Wissenschaftler heutzutage politisch. Man darf sich dann aber auch nicht wundern, wenn man politisch und ideologisch eingeordnet wird.
Der Vorwurf, dass seine Kritiker„Tatsachen verdrehen“, fällt eher auf Raffelhüschen selbst zurück. Denn zu dem in seiner eindimensionalen ideologischen Ausrichtung (weg von der umlagenfinanzierten Rente und hin zu privaten Vorsorge) am heftigsten kritisierten Forschungsschwerpunkt „Alterssicherung“ kann man nachlesen: „Die Forschungstätigkeit in diesem Bereich erfolgt mit freundlicher Unterstützung der Victoria Versicherung und ERGO People & Pensions.“ Man scheut sich noch nicht einmal die Links zu diesen Versicherungskonzernen zu setzen. (www.generationenvertraege.de unter der Rubrik „Forschung“, Alterssicherung)
„Von einer „Käuflichkeit“ des Instituts (könne) keine Rede sein“, schreibt Raffelhüschen. Das wäre auch zu billig, aber von einer finanziellen Abhängigkeit von und einer personellen Verflechtung mit der Versicherungswirtschaft darf man doch wohl mit Fug und Recht sprechen.
Raffelhüschen versucht, den Spieß seiner Kritiker umzudrehen und sieht in seiner Auftragsforschung eine Anerkennung „der Forschungsleistungen des Zentrums“. Was diese „Forschungsleistungen“ anbetrifft, fällt auf, dass er in seiner Erklärung zwar eine Vielzahl von Drittmittelgebern nennt, renommierte öffentliche Forschungsförderer, wie etwa die „Deutsche Forschungsgemeinschaft“, aber nicht genannt werden. Solche Forschungsförderer, die Forschungsanträge in einem wettbewerblichen Verfahren unter Heranziehung von Gutachtern oder durch Auswahlentscheidungen einer einschlägigen wissenschaftlichen Community vergeben, anzugeben, darauf würde kein Hochschullehrer verzichten, wenn er seine wissenschaftliche Reputation verteidigen will. Der Wettbewerb um Forschungsmittel der Versicherungswirtschaft scheint da einfacher, schließlich dürften die privaten Auftraggeber kaum oder jedenfalls nicht auf Dauer Forschungsgelder verschwenden, wenn dabei unliebsame Ergebnisse zu erwarten wären.
Raffelhüschen behauptet in seiner „öffentlichen Erklärung“, dass „Hochschullehrer von Amts wegen zur Mitwirkung in verschiedenen Bereichen verpflichtet“ seien. Dass solche Mitwirkungs-„Pflichten“ auch Aufsichtsratsmandate bei einer großen Versicherungsholding oder einer Freiburger Bank umfassen, ist allerdings neu. Was für ein schlechtes Gewissen Raffelhüschen dabei umtreiben muss, zeigt sich allein darin, dass er in der Aufzählung seiner Mandate in der Wirtschaft auch eines bei einer kirchlichen Organisation anfügt, das er allerdings erst ab 2007 (!) antreten möchte.
„Die gestaltende Mitwirkung in Organisationen, Institutionen und Wirtschaftsunternehmen ist gerade für Wirtschaftswissenschaftler eine besondere gesellschaftliche Aufgabe, die nicht im Widerspruch zur Freiheit von Forschung und Lehre steht“, schreibt Raffelhüschen. Ob diese „Freiheit“ aber nicht gefährdet ist oder zumindest in ein schiefes Licht gerät, wenn man, wie er, entlohnten Aufsichtsratsmandaten und Beratertätigkeiten in einer so großen Zahl und in einer spezifischen Wirtschaftsbranche nachgeht, steht auf einem anderen Blatt. Eine Überschreitung des grundgesetzlich geschützten Freiraumes der Wissenschaft hin zu gesellschaftspolitischer Parteinahme ist aber dann nicht mehr auszuschließen, wenn Raffelshüschen sich zum Berater eines klassischen Interessenverbandes, nämlich dem „Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft“ (GDV) machen lässt. Und wenn darüber hinaus Raffelhüschen seine „gesellschaftliche Verantwortung“ auch noch als „Botschafter“ der vom Verband der Metall- und Elektroarbeitgeber finanzierten PR-Agentur „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ wahrnimmt. Dann braucht er sich eben auch nicht pikiert fühlen, wenn man ihm vorhält, dass er eben „Botschafter“ eines Interessenverbandes ist, bei dem Lobbyismus und Wissenschaft eine Symbiose eingegangen sind.
„Vortragstätigkeiten und die Mitwirkung an Veranstaltungen von Wissenschaft und Wirtschaft sind nicht nur Möglichkeiten, gewonnene Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern entsprechen der allgemeinen Forderung einer anwendungs- und handlungsorientierten Wissenschaft in Forschung und Lehre“, heißt es in der „öffentlichen Erklärung“ weiter. Ob mehr als 40 Veranstaltungen in einer Seminarreihe des Finanzdienstleisters MLP, der darüber hinaus noch mit seinem Konterfei wirbt, nicht eher in die Rubrik „Werbung und Marketing“ als unter die Anforderungen an eine anwendungs- und handlungsorientierten Wissenschaft in Forschung und Lehre fallen, dieses Urteil überlassen wir gerne unseren Leserinnen und Lesern.
„Wer Drittmittelfinanzierung in Frage stellt, muss zuerst dem Steuerzahler die Frage beantworten, woher die Mittel kommen sollen, die Deutschland braucht, um wissenschaftlich nicht in die Bedeutungslosigkeit abzudriften“, mit diesem Pathos beendet Raffelhüschen seine Verteidigungserklärung.
Diese Frage beantworten wir gerne: Auf eine derart einseitige und interessengebunde Ausrichtung der Wissenschaft, wie die von Professor Raffelhüschen und seinem „Forschungszentrum Generationenverträge“ könnte der Steuerzahler nur allzu gut verzichten und es wäre um Deutschland vermutlich besser gestellt, wenn eine solche Wissenschaft in die Bedeutungslosigkeit abdriftete. Das wäre im Interesse des Erhalts einer unabhängigen Wissenschaft, des Sozialstaats und im Sinne des Erhalts einer solidarisch finanzierten sicheren Altersvorsorge.
Schlussbemerkung: Bei unabhängigen Abgeordneten verlangt man inzwischen eine Offenlegung ihrer Nebentätigkeiten um Transparenz in ihre Interessenverflechtungen zu schaffen. Warum sollten nicht auch Hochschullehrer, die aus Gründen ihrer wissenschaftlichen Unabhängigkeit und zur Gewährleistung der Freiheit von Forschung durchaus auskömmlich aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, gleichfalls eine Offenlegung ihrer persönlichen Einnahmequellen verlangen? Das wäre ein Beitrag, die Glaubwürdigkeit von Hochschullehrer wieder her zu stellen.