Finanzpolitische Nagelprobe für SPD und Grüne
Nach der bisherigen Sprachregelung wollen SPD und Grüne dem europäischen Fiskalpakt nur dann zustimmen, wenn im Gegenzug sowohl ein europäisches Investitionsprogramm, als auch die Finanztransaktionssteuer eingeführt wird. Von einem Investitionsprogramm ist momentan noch nicht einmal die Rede, die Pläne für eine Finanztransaktionssteuer wurden von Finanzminister Schäuble am Montag endgültig beerdigt. Derweil drückt die Berliner Regierung in Sachen Ratifizierung des Fiskalpakts kräftig aufs Tempo. Schon bald wird sich zeigen, was von den rot-grünen Lippenbekenntnissen zu halten ist. Von Jens Berger.
Der Fiskalpakt hat viele Gegner und da er nur dann rechtswirksam ist, wenn er auch von allen Unterzeichnerstaaten ratifiziert wird, ist es noch längst nicht sicher, dass er in seiner jetzigen Form überhaupt umgesetzt wird. Die größte Gefahr für den Fiskalpakt lauert in Paris. Sollte Francois Hollande im Mai die Präsidentschaftswahlen gewinnen, wäre dies das Todesurteil für den Fiskalpakt, der dann von Grund auf nachverhandelt werden müsste. Hollande und seine PS lehnen den Austeritätsmechanismus, der im Fiskalpakt verankert ist, von Grund auf ab. Leider haben nicht alle Gegner des Fiskalpakts derart überzeugende Gründe für die Ablehnung. Vor allem die deutschen Oppositionsparteien SPD und Grüne bekleckern sich einmal mehr nicht eben mit Ruhm und setzen alles daran, sich im Vergleich zur Regierungskoalition als die härteren und kompromissloseren Sparkommissare zu empfehlen.
Siehe dazu: Gabriel und Hollande – getrennt statt Seit´ an Seit´
Was soll man von einer Oppositionspartei halten, deren Fraktionschefin die Sanktionsmöglichkeiten des Fiskalpakts mit einem „klapprigen Kukident-Gebiss“ vergleicht und sich einen Vertragsentwurf wünscht, der „Zähne hat“? SPD und Grüne beweisen einmal mehr, dass sie zumindest in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen nicht dem linken Lager zuzuordnen sind. Während weltweit, je nach Selbstbezeichnung, linke, sozialdemokratische, sozialistische oder progressive Parteien und Politiker den Fiskalpakt aufgrund der verpflichtenden Schuldenbremse und der damit verbundenen aufgezwungenen Austeritätspolitik ablehnen, geht dieser Teil der rot-grünen Opposition in Deutschland noch nicht weit genug. Es ist schon eine verrückte Welt, in der wir leben.
Da jedoch selbst SPD und Grüne wissen, dass sie bei ihren Wählern schlecht punkten können, wenn sie offen zugeben, dass sie CDU und FDP rechts überholen wollen, und ihre Zustimmung zum Fiskalpakt aufgrund der Zwei-Drittel-Regelung zwingend erforderlich ist, haben sie sich eine Hintertür eingebaut, die durchaus populär erscheint. Sigmar Gabriel fordert beispielsweise ein europäisches Investitionsprogramm, um den Fokus vom eindimensionalen Sparen hinweg zu bewegen. Diese Forderung ist nicht unvernünftig, es ist jedoch fraglich, warum die SPD nicht für ein europäisches Investitionsprogramm ist und gleichzeitig die Austeritätspolitik des Fiskalpakts ablehnt – der Franzose Hollande vertritt genau diese Position.
Zudem muss man konstatieren, dass die Forderung nach einem europäischen Investitionsprogramm eine butterweiche Formulierung ist, die geradezu nach einem politischen Kuhhandel schreit. Wer soll wo in was und in welchem Umfang investieren und wer entscheidet über die Mittelvergabe? Liest man zwischen den Zeilen, entdeckt man in diesem Zusammenhang immer wieder Gabriels Forderung nach einem „großen europäischen Sonnenenergieprojekt“. Gabriels Freunde in der Energielobby und die eng mit den Grünen verbandelte Solarlobby würde es sicher freuen, wenn SPD und Grüne Milliarden und Abermilliarden von Fördergeldern in ein solches energiepolitisches Infrastrukturprojekt lenken würden. Der gesamtwirtschaftliche Nutzen eines solchen Projekts ist jedoch mehr als fragwürdig, da die Projekte zwar im Süden Europas umgesetzt, die Gelder jedoch zu einem großen Teil nach Deutschland weiterfließen würden. Deutschland ist nicht nur Weltmarktführer bei der Konzeption und Produktion solcher Anlagen, sondern auch führender Investor im Bereich alternative Energien. Natürlich würde es den deutschen Strommultis sehr gut gefallen, wenn ihre Investitionen in Südeuropa durch einen „energiepolitischen Marshallplan“ durch den Steuerzahler abgesichert würden. Die entscheidendere Frage ist jedoch: Was nutzt dies den südeuropäischen Ländern?
Auf die Frage, woher die Gelder für solche Investitionsprogramme kommen sollen, haben SPD und Grüne eine einfache – und keinesfalls schlechte – Lösung. Eine Finanzstransaktionssteuer soll her. Ohne die Einführung einer solchen Steuer wollen beide Parteien ihr Veto gegen den Fiskalpakt einlegen. Wenn man die beiden Parteien beim Wort nehmen könnte, wäre der Fiskalpakt damit bereits Geschichte, da es keine Finanztransaktionssteuer geben wird. Großbritannien, Schweden, Malta, Zypern und Tschechien lehnen sie auf EU-Ebene ab, die Niederlande und Irland würden ihr nur zustimmen, wenn sie auf EU-Ebene eingeführt würde. Bleiben Österreich, Italien, Finnland, Belgien, Spanien, Portugal und Slowenien, die allesamt für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer plädieren, nationale Alleingänge jedoch ablehnen. Frankreich befindet sich im Wahlkampf und Präsident Sarkozy hat bereits eine „Finanztransaktionssteuer“ im Alleingang umgesetzt, die jedoch so viele Hintertüren und Ausnahmen beinhaltet, dass sie den Namen nicht verdient. Noch perfider ist da nur die deutsche Strategie, die nur dann eine Finanztransaktionssteuer fordert, wenn man sich 100% sicher sein kann, dass es dafür in Europa keine Mehrheit gibt. Da es diese Mehrheit nicht gibt und aufgrund der einflussreichen Bankenlobby in London und Berlin auch nie geben wird, hat Finanzminister Schäuble am Montag bereits ausgesprochen, was jeder weiß, doch keiner zu sagen bereit ist – die Finanztransaktionssteuer ist tot.
Stattdessen will Schäuble nun eine europaweite Börsenumsatzsteuer einführen. Von einer solchen Steuer, die es in Deutschland bis 1991 schon gab, werden jedoch nur rund zwei Prozent des Transaktionsvolumens erfasst, das von einer echten Finanztransaktionssteuer betroffen wäre. Vor allem Derivate, der sogenannte „Hochgeschwindigkeitshandel“ und sämtliche Abarten des Finanzcasinos wären davon überhaupt nicht betroffen, lediglich der ganz normale Aktien- und Anleihenmarkt würde besteuert. Da SPD und Grüne die Finanztransaktionssteuer jedoch als „conditio sine qua non“ ansehen, müssten sie folgerichtig auch ihr Veto beim Fiskalpakt einlegen. Mit den mageren Einnahmen einer Börsenumsatzsteuer ließen sich vielleicht die Solarpanels auf den Dächern einiger schwäbischer Oberstudienräte subventionieren, für ein europäisches Investitionsprogramm, das diesen Namen verdient, reichen die Einnahmen jedoch bei weitem nicht aus.
Würden SPD und Grüne ihr Wort halten, müssten sie nun ihr Veto ankündigen und würden von Regierung und Medien in die Nähe von „vaterlandslosen Gesellen“ gerückt, die Europas Schicksal aufs Spiel setzen. Schlimmer noch – man könnte ihnen den bedingungslosen Glauben an die Ideologie des Sparens in Abrede stellen, geht es beim Fiskalpakt doch genau darum. Solange SPD und Grüne in ihrem langjährigen Schlaf der ökonomischen Unvernunft verweilen, ist dies freilich eine unerfreuliche Situation. Aus Sicht des kritischen Beobachters haben wir es hier jedoch mit einer komplett absurden Gaga-Diskussion zu tun. Würden SPD und Grüne auch nur einen Hauch ökonomischen Restverstand besitzen und für eine soziale Politik stehen, würden sie es Francois Hollande gleichtun und den Fiskalpakt in der jetzigen Form ohne Wenn und Aber ablehnen.
Stattdessen hadert man bei Rot-Grün jedoch lieber am Zeitplan, den die Regierung in Berlin vorgibt. Es scheint so, als wollen die beiden Parteien ihre gespielte Opposition aus wahlkampfstrategischen Gründen noch möglichst lange aufrecht erhalten und erst nach den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Mai dieses Jahres einem politischen Kuhhandel zustimmen. Welcher Journalist oder Wähler kennt schon den Unterschied zwischen Finanztransaktionssteuer und Börsenumsatzsteuer? Und der Begriff „Investitionsprogramm“ ist ebenfalls vage. Die eigentliche Tragik der rot-grünen Strategie ist es, dass sie mangels kritischer Berichterstattung in den Medien sogar rein wahlkampfstrategisch aufgehen könnte. Für zwei Parteien, denen Wählerstimmen wichtiger sind, als das Allgemeinwohl oder gar das Schicksal Europas, ist das zweifelsohne ein Erfolg – wenn auch ein bitterer.