Gabriel und Hollande – getrennt statt Seit´ an Seit´
Am Wochenende demonstrierten die Führer der sozialdemokratischen Parteien Deutschlands, Frankreichs und Italiens Einigkeit in den wichtigsten Fragen der Zukunft Europas. Die zur Schau gestellte Einigkeit ist jedoch bei näherer Betrachtung ein hohler Popanz. Die ideologischen Brücken zwischen der deutschen und der französischen Sozialdemokratie sind gewaltig und Sigmar Gabriels Positionen unterscheiden sich teilweise diametral von denen seines französischen Genossen François Hollande. Es wäre wohl ehrlicher gewesen, wenn der SPD-Vorsitzende nicht Hollande, sondern dessen Konkurrenten Sarkozy unterstützt hätte. Die von den Medien diskutierte Wachablösung des Merkozy-Tandems durch „Gabrollande“ ist nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich fragwürdig. Von Jens Berger.
François Hollande hat sich nicht nur auf seinen direkten Konkurrenten Nicolas Sarkozy, sondern auch auf dessen „chère amie“ Angela Merkel eingeschossen. Die deutsche Kanzlerin ist dabei mehr als nur eine öffentlichkeitswirksame Strohpuppe – Hollande und Merkel trennen auch ideologisch Welten. So lehnt Hollande nicht nur Merkels Fiskalpakt rigoros ab, sondern positioniert sich auch bei anderen politischen Themen als „Anti-Merkel“. So will er beispielsweise bis zum Jahresende die französischen Truppen aus Afghanistan abziehen, die Finanzmärkte strenger regulieren, eine „echte“ Finanztransaktionssteuer einführen, Einkommen oberhalb der Millionengrenze mit 75% besteuern und das Renteneintrittsalter auf 60 Jahre absenken. Bemerkenswert ist auch, dass er im Präsidentschaftswahlkampf eine beherztere Opposition zur deutschen Kanzlerin eingenommen hat, als es die SPD in ihrer mehr als zweijährigen Oppositionszeit je geschafft hat. Während Sigmar Gabriel seinerseits den offenen Wahlkampf gegen die Kanzlerin verweigert, sieht Hollande in der Kanzlerin nicht nur einen politischen, sondern auch einen ideologischen Gegner. Während Hollandes politischer Kompass bei seinen politischen Feinden noch halbwegs intakt ist, weist er jedoch einen Defekt bei der Peilung seiner politischen Freunde auf.
Hollandes Positionen haben nur geringe Schnittmengen mit der deutschen SPD, weisen dafür aber um so größere Schnittmengen mit den Positionen der Linkspartei auf, die für den SPD-Vorsitzenden Gabriel der eigentliche politischen Feind im Lande ist. Auch bei den konkreten Themen, die am Wochenende zusammen mit Vertretern anderer europäischer sozialdemokratischer Parteien debattiert wurden, gibt es keinen Konsens zwischen Gabriel und Hollande. François Hollande bezeichnet den Fiskalpakt als „den ärgsten Feind der europäischen Völker“ und will ihn im europäischen Rahmen komplett neu verhandelt sehen. Im Falle eines Wahlsiegs werde er sich nicht an die „roten Linien“ der Bundesregierung halten. Das sieht sein deutscher Genosse Gabriel nicht ganz so kritisch. Seine Partei will den Vertrag ohne Änderungen im deutschen Parlament ratifizieren, wenn er nur durch eine europäische Initiative für Wachstums- und Beschäftigungsimpulse ergänzt wird. Was er sich darunter konkret vorstellt, behält Gabriel lieber für sich – allzu hoch wird der Preis für seine Zustimmung sicher nicht sein, würde ein echter Widerstand doch seine Chancen auf die wahrscheinlich im nächsten Jahr angestrebte Juniorpartnerschaft unter einer Kanzlerin Merkel mindern.
Einen guten Einblick in Sigmar Gabriels finanzpolitische Gedankenwelt bietet sein Aufsatz „Was wir Europa wirklich schulden“. Hollandes Fundamentalkritik am europäischen Fiskalpakt und der Austeritätspolitik ist dort nicht wiederzufinden. Im Gegenteil – Gabriel echauffiert sich vielmehr darüber, dass Deutschland nicht genug spare und Merkels erster Entwurf für den Fiskalpakt zwar nationale Schuldenbremsen beinhalte, diese aber nicht wirkungsvoll genug durch Sanktionsmechanismen flankiere. Er sorgt sich nicht um die Folgen der Austeritätspolitik, sondern um vermeintliche Möglichkeiten, die Schuldenbremse zu umgehen. Staaten, die vom Finanzsystem erpresst werden, vergleicht er mit „Drogensüchtigen“, Kredite zu vertretbaren Zinskonditionen mit „billigen Drogen“, und eine harte, durch Sanktionen flankierte, Schuldenbremse mit einem „Therapieangebot“. Gabriel kritisiert nicht die verheerenden ökonomischen Folgen des Fiskalpakts, sondern stellt sich als den „besseren Sparer“ und zugleich auch als den „besseren Zuchtmeister“ für die europäische Peripherie dar. Das hat mit Hollandes Kritik am Fiskalpakt so gar nichts gemein.
Ähnlich groß sind die Diskrepanzen bei der Vision, wie die EZB künftig als stabilisierendes Element in die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik integriert werden könnte. Hollande will die EZB-Satzung ändern, so dass sie als letzter Kreditgeber (Lender of last resort) für Staatsschulden einspringen kann. Dem europäischen Stabilisierungsmechanismus ESM will er einen Zugriff auf die Liquidität der EZB verschaffen. In einem Interview mit France 2 sagte Hollande sogar: „Die Europäische Zentralbank verleiht Geld an Banken, aber nicht an Staaten. Darüber werden wir zu diskutieren haben.“ Das klingt wirklich progressiv, Hollande scheint die Stimme der Vernunft in der Kakophonie des europäischen Chors des Irrsinns zu sein. Er ist jedoch ein Solist. Sigmar Gabriel will von solch progressiven Ansätzen nichts wissen, lehnt jede Ausweitung der Kompetenzen der EZB kategorisch ab und trällert somit lautstark im Chor mit. Hollande wäre eher der passende Duett-Partner für einen Oskar Lafontaine, dessen Nähe er auch in alten Zeiten, als Lafontaine noch SPD-Vorsitzender war, gesucht hat. Die deutsche Linkspartei zeigt sich allerdings mit Hollandes Konkurrenten Jean-Luc Mélenchon solidarisch, der ihrer Schwesterpartei „Parti de Gauche“ angehört.
Die ideologischen Barrieren zwischen Gabriels SPD und Hollandes PS (Parti socialiste) sind keineswegs neu. Frankreichs Sozialdemokraten sind, anders als ihre Schwesterparteien anderer europäischer Staaten, nicht den Weg der „neuen Mitte“ gegangen, den Gerhard Schröder und Tony Blair 1999 in ihrem Schröder-Blair-Papier vorgaben. Seitdem fährt den Pariser Sozialisten regelmäßig ein Schreck in die Glieder, wenn sie den neoliberalen Kurs ihrer Genossen in Berlin verfolgen müssen. Die SPD wiederum hält die PS für ein Relikt vergangener Tage, das die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Als Gerhard Schröder im Dezember letzten Jahres Paris besuchte, lobte er daher auch Nicolas Sarkozy über den grünen Klee, während er Hollande links liegen ließ. Diese Aktion war wesentlich symptomatischer für das Verhältnis von SPD und PS, als Gabriels vermeintlicher Schulterschluss mit Hollande am vergangenen Wochenende. Was versprechen sich Gabriel und Hollande eigentlich von ihrem ungleichen Bündnis?
Es ist unwahrscheinlich, dass François Hollande sich – wie die deutschen SPD-Wähler – von Gabriel täuschen lässt und tatsächlich an das Vorhandensein von bedeutsamen Schnittmengen mit der SPD glaubt. Hollande steht jedoch unter Druck. Sarkozy holt in den Meinungsumfragen dank seiner rechtspopulistischen Sprüche zum Schengen-Abkommen merklich auf und hat es bis jetzt immer wieder geschafft, Hollande als isolierten Kandidaten darzustellen, der seine Wahlversprechen zumindest auf europäischer Ebene mangels Bündnispartnern nicht umsetzen kann. Dieser Vorwurf ist dabei noch nicht einmal allzu weit hergeholt. Im Falle eines Wahlsiegs wäre Hollande auf europäischer Ebene tatsächlich isoliert und es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass sich dies auf absehbare Zeit ändern könnte. Für Hollande ist es daher auch sehr wichtig, zumindest im Wahlkampf den Eindruck zu erwecken, er habe Bündnispartner. Dass diese Bündnispartner selbst in der Opposition sind und es sowohl in Deutschland als auch in Italien keinesfalls ausgemacht ist, dass sich dies 2013 ändern könnte, ist ein Schönheitsfehler in seiner Wahlkampfstrategie. Mehr als ein Schönheitsfehler ist es jedoch, dass seine Bündnispartner selbst im Falle eines Wahlsiegs gar kein Interesse an der Politik haben, die Hollande vorschwebt. Es ist daher abzuwarten, ob Sarkozy den Bluff entzaubern kann. Sigmar Gabriel kann durch seinen Schulterschluss mit Hollande jedenfalls nur gewinnen. Während er daheim mucksmäuschenstill vor der Kanzlerin kuscht, kann er sich in Paris als Oppositionspolitiker aufspielen und sich dabei auch noch international in Szene setzen. Dies wird ihm vor allem im parteiinternen Kampf um die Kanzlerkandidatur gegen den international erfahrenen Peer Steinbrück sicherlich nicht zum Nachteil gereichen. Was stört es da schon, dass es gar keine gemeinsamen Inhalte mit Hollande gibt und die SPD und die PS eher voneinander getrennt stehen, statt Seit´ an Seit´ für Europas Zukunft zu kämpfen.