Die Lobby der Hochschulräte kämpft um ihre Macht
Das bertelsmannsche Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) – ein maßgeblicher Propagandist der „unternehmerischen Hochschule“ und hauptverantwortlich für die Zerstörung der sich selbstverwaltenden Hochschule – spürt, dass die Hochschulräte in die Kritik geraten sind. In Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen gibt es auf politischer Ebene Überlegungen, die Hochschul-„Freiheits“-Gesetze zu novellieren und die Aufsichtsräte über die „Hochschul-Unternehmen“, wenn nicht abzuschaffen, so doch zumindest ihre Rolle als „Fachaufsicht“ in Frage zu stellen. Auch juristisch gibt es inzwischen Gutachten, die zum Ergebnis gelangen, dass zumindest das NRW-Modell der Hochschulräte weder den Anforderungen der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit noch der in der Landesverfassung verankerten Selbstverwaltungsgarantie für die Hochschulen genügt.
Was liegt also näher, als dass das CHE eine Gegenoffensive startet und einige Vorsitzende von Hochschulräten ein „Positionspapier“ [PDF – 140 KB] schreiben lässt, mit dem die parlamentarische Debatte bestimmt werden soll. Bertelsmann lässt also – bildlich gesprochen – die Frösche fragen, ob der Sumpf trocken gelegt werden soll. Von Wolfgang Lieb
Konkret wurden der ehrenwerte ehemalige Vorsitzende des Wissenschaftsrats und die ehemalige hessische Finanzministerin und frühere Berliner Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing aufgefordert eine Verteidigungsschrift für den Erhalt der Hochschulräte aufzusetzen. Schulze ist seit geraumer Zeit auf allen Veranstaltungen des CHE und des arbeitgeberfinanzierten Stifterverbandes einer der aktivsten Vertreter des Hochschulratsmodells für die Aufsicht über die staatlichen Hochschulen.
Fugmann-Heesing ist derzeit Beraterin der Unternehmensberatungsgesellschaft BBD (Berliner Beratungsdienst) und vormals dadurch bekannt geworden, dass sie eine glühende Verfechterin der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen ist; so hat sie sich vehement für den Verkauf der Berliner Bewag (Strom), der Gasag (Gas), der Wohnungsbaugesellschaft Gehag und für die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe eingesetzt. Sie war nicht unwesentlich an der Einführung des Modells der Public Private Partnership (PPP) für die Schulen in Landkreis Offenbach beteiligt.
Dass der Ex-Deutsche-Bank-Chef Rolf E. Breuer als Mitautor hinzugezogen wurde, passt in die Linie. Breuer würde vermutlich am liebsten die gesamte Goethe Universität Frankfurt in eine „Deutsche Bank Finance-Uni“ überführen. Die ehemalige Vorsitzende der ÖTV und heutige Führungskraft bei der Deutschen Post AG, Monika Wulf-Mathies, gehört gleichfalls zu den genannten Mitautoren. Wulf-Mathies ist Mitglied im Konventkreis des vom Alt-Bundespräsidenten Roman Herzog gegründeten „Konvent für Deutschland“, einem Klub von selbsternannten konservativen System-Veränderern.
Das CHE hat also ganz überwiegend solche Hochschulratsvorsitzende als Fürsprecher und Wortführer für die Hochschulräte zu diesem „Positionspapier“ zusammengerufen, deren Position für eine „funktionelle Privatisierung“ der staatlichen Hochschule allbekannt ist. Kritische Stimmen mag man ja bekanntermaßen bei der Bertelsmann Stiftung und ihren Töchtern nicht und schon gar nicht lässt man sie zu Wort kommen.
Wie sehr sich die Apologeten der Hochschulräte offenbar in der Defensive befinden, belegt schon der Einstieg in das Papier. Da fordern doch tatsächlich diejenigen, denen der Umbruch der Hochschulen bisher nicht schnell genug vor sich gehen konnten, „stabile Rahmenbedingungen“ für die Hochschulen und die Verstetigung „guter Praxis“. Zyklische Veränderungen, je nach politischer Mehrheit, schadeten der „kontinuierlichen Qualitätsentwicklung in Forschung und Lehre“. Nachdem nun im Hau-Ruck-Verfahren eine Reform nach der anderen den Hochschulen von außen übergestülpt worden ist, verweigert man plötzlich jede Korrektur.
Wie üblich bei den Anhängern der „unternehmerischen Hochschule“ wird deren „Qualität“ und „Erfolg“ einfach so in den Raum gestellt. Das, obwohl es bisher keinen einzigen begründeten Nachweis für eine solche Qualitätssteigerung gibt. Kritiker des Modells, wie etwa der Eliteforscher Michael Hartmann oder empirische Befunde etwa von Klaus Dörre und Matthias Neis, wonach „das Regime von McKinsey du Co“ eben gerade Innovation erschwere und „das Gegenteil von dem produziert“, was es eigentlich beabsichtigt war, werden schlicht ignoriert. Da stützt man sich lieber auf die „umfangreichen Erfahrungen und Erkenntnisse, die sich aus dem „Forum Hochschulräte“, einer von der Heinz Nixdorf Stiftung, dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und dem CHE Centrum für Hochschulentwicklung initiierten Austauschplattform für Hochschulratsmitglieder, ergeben haben.“
Bevor man sich also die Suppe versalzen lässt, rührt man lieber im eigenen Kochtopf.
Ich will das Positionspapier an dieser Stelle nicht im Einzelnen kritisch durchleuchten, sondern verweise auf meine Kritik, die ich in einem Sachverständigengespräch im Düsseldorfer Landtag in Vorbereitung einer Novellierung des NRW-„Hochschulfreiheitsgesetzes“ vor kurzem vorgetragen habe. Dort bin ich im Detail auf die Problematik der Hochschulräte eingegangen, auf die die 41 unterzeichnenden Hochschulratsvorsitzenden keine oder nur ziemliche unzulängliche Antworten geben.
Deshalb nur kurz einige Anmerkungen zu diesem „Positionspapier“:
„Hochschulräte sind unabdingbare Organe einer autonomen Hochschule“, wird hier sozusagen als absolute Wahrheit und keinen Widerspruch duldend in den Raum gestellt. Man fragt sich, ob es in früheren Zeiten etwa keine Wissenschaftsfreiheit und keine autonome Wissenschaft gegeben hat. Es ist bezeichnend, dass das subjektive Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit für die Hochschulwissenschaftler, das erst mittelbar eine institutionelle Autonomie der Hochschule begründet, im gesamten Text nicht vorkommt. Es geht den Hochschulratsvorsitzenden erkennbar auch nicht um Forschung und Lehre, es geht um die Verteidigung von Machtstrukturen. Der Begriff der „Autonomie“ wird von der Wissenschaft abgelöst und umgedeutet auf ein im Wettbewerb agierendes Unternehmen Hochschule, das von Unternehmensaufsichtsräten gesteuert wird, die noch nicht einmal als Share-Holder ein Risiko tragen.
Es gibt offenbar nichts Schöneres für die sich selbst für „kompetent“ und „erfahren“ erachtenden Hochschulratsvorsitzenden meist nach Beendigung ihrer beruflichen Karriere noch einmal ohne jedes Risiko über Steuermittel entscheiden zu können. Die Hochschule wird so zur Beschäftigungstherapie von im Ruhestand befindlichen oder im Ehrenamt tätigen Ersatz-Aufsichtsbeamten.
„Mit von Partikularinteressen unabhängigem Blick können Hochschulräte die Eigenverantwortung, Strategieorientierung und Entscheidungsfähigkeit der Hochschulen nach innen wie außen unterstützen.“ Die Hochschulratsvorsitzenden erklären sich also unabhängig von „Partikularinteressen“, sie erheben sich zu objektiven, interessensneutralen Übermenschen. Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ lässt grüßen.
„Mitglieder eines Hochschulrats sind alleine der Hochschule und nicht einzelnen Interessen verpflichtet.“ Die Unterzeichner des Positionspapiers halten sich also jenseits von einzelnen Interessen stehend. Sie haben sich auf wundersame Weise losgelöst von ihren politischen Einstellungen, ihrer beruflichen Prägung oder den Institutionen, denen sie noch beruflich verpflichtet sind. Ja sie wollen sogar „proaktiv“ gegen jede „Befangenheit“ und „jede Art von Loyalitätskonflikten“ angehen.
„Gruppenrepräsentanz“ oder pluralistische „Proporzvorgaben“ politisierten nur unnötig und lähmten, meinen die Hochschulratsvorsitzenden. Sie merken gar nicht, dass sie mit solchen Aussagen nicht nur hinter vordemokratisches ständestaatliches Denken zurückfallen, sondern geradezu in absolutistische Denkweisen verfallen. Im Gegensatz zum historischen Absolutismus leiten sie ihre Macht aber nicht von Gott sondern von niemandem anderem als von sich selbst ab. Es soll wohl gelten: Ich kenne keine Gruppen mehr, ich kenne keine unterschiedlichen Interessen mehr, ich kenne nur noch „die Hochschule als Ganzes“.
Solche Übermenschen nehmen für sich in Anspruch „autonome Entscheidungen der Hochschulen zu legitimieren“. Wer legitimiert aber die Hochschulräte und vor allem, gegenüber wem müssen sie selbst legitimieren? Selbst wenn man das Auswahlverfahren, bei dem sich sozusagen die Hochschulräte wiederum selbst auswählen und bei dem die Hochschulvertreter in einer Minderheit sind, für grundgesetzkonform hielte, wem gegenüber haben sich die Hochschulräte während ihrer fünfjährigen Amtszeit Rechenschaft abzulegen? Sie können von niemand zur Verantwortung gezogen werden und können über Steuermittel in Millionenhöhe verfügen. Das scheint typisch für den unternehmerische „Herr im Haus“-Standpunkt der „unternehmerischen Hochschule“.
Die Aufgabenstellung der Hochschulräte „hat sich bewährt“, wird apodiktisch behauptet, ohne dass man es für nötig erachtet auch nur den kleinsten Beweis für diese Bewährung anzubieten. Ehrenamtlich Tätige, die keinerlei rechtlichen Kenntnisse besitzen müssen und die noch nicht einmal mit dem Hochschulwesen vertraut sein müssen, beharren auf weitreichende „Entscheidungsbefugnissen“. Und verlangen solche Befugnisse für ein Gremium, das sich ein paar Mal (laut Gesetz viermal) im Jahr für ein paar Stunden trifft. Wer würde sich denn auch, wenn man niemand rechenschaftspflichtig ist als sich selbst, auch schon selbst in Frage stellen wollen.
Einzig auf die „Dienstherrenfunktion“ für deren Wahrnehmung sie von den Betroffenen auch verklagt werden könnten, möchten die Hochschulratsvorsitzenden nicht mehr wahrnehmen. Da könnte es nämlich ernst und gefährlich für sie werden.
Auch die Wahl der Hochschulleitung durch Senat und Hochschulrat habe sich bewährt. Über die Konflikte in der Vergangenheit geht man natürlich hinweg und die Frage, ob das Letztentscheidungsrecht über die Hochschulleitung verfassungsrechtlich haltbar ist, stellt man sich besser erst gar nicht.
Geradezu patriarchalisch muten dementsprechend auch die „Selbstverpflichtungen“ an:
Die Hochschulräte wollen ihre eigenen Kompetenzen und Erfahrungen gegenüber „der spezifischen Organisationsform der Hochschule und deren Kultur“ großzügigerweise „reflektieren“. Im gesamten Papier ist aber von dieser Reflektion nichts zu erkennen.
Sie wollen „vertrauensvoll mit der Hochschulleitung zusammenarbeiten“. Das sagen diejenigen, die einmal an die Macht gekommen sind, gegenüber denjenigen, die ihrer Macht ausgesetzt sind, schon immer.
Sie wollen „größtmögliche Transparenz“ herstellen. Aber öffentliche Sitzungen wollen sie nicht zulassen. Sie wissen warum. Zu rasch würde erkennbar, dass der Kaiser gar keine Kleider anhat.
Hochschulräte seien den durch die Hochschule „zu erfüllenden gesellschaftlichen Aufgaben verpflichtet“. Diese gesellschaftlichen Aufgaben kennen selbstverständlich die Übermenschen in den Hochschulräten am besten. Wie beschreibt doch Archilochos schon im 7. Jahrhundert v. Chr. den „guten Tyrannen“: „Mich lockt der Schatz des goldumstrahlten Gyges nicht, mich packte Neid noch nie, mich reizt nicht Götterwerk, ich strebe nicht nach einer weiten Herrschermacht: All diese Dinge liegen meinen Augen fern.“
Es ist bezeichnend, dass das „Positionspapier“ nur von 41 Hochschulratsvorsitzenden unterzeichnet wurde, die sich im Forum Hochschulräte einer von der Heinz Nixdorf Stiftung und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in Kooperation mit dem CHE Centrum für Hochschulentwicklung Plattform zusammengefunden haben. Sicherlich nicht zufällig geschieht dieser öffentliche Auftritt zu einem Zeitpunkt, zu dem in Nordrhein-Westfalen eine Novelle des Hochschulgesetzes ansteht. Mit ihrem Vorstoß wollen sie ganz offensichtlich die parlamentarischen Debatten in ihrem Sinne beeinflussen, indem sie sich der dortigen Opposition zur rot-grünen Minderheitsregierung als Handlanger andienen. Daran mag man am deutlichsten erkennen, wie ach so interessenunabhängig und politisch natürlich völlig neutral diese Hochschulratsvorsitzenden sind.
Dass sie sich soweit aus dem Fenster legen, hat aber auch sein Gutes. So kann jeder erkennen, dass die im „Forum Hochschulräte“ zusammentreffenden Hochschulräte Partei in eigener Sache und nur eine Lobbyorganisation für die „unternehmerische Hochschule“ sind.