Hinweise des Tages
Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante aktuelle Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen. Heute u. a. zu folgenden Themen: Tabak- statt Ökosteuer; tausche Hartz-IV-Gesetz gegen Mindestlohn; Guttenbergs Ressort halbieren; Aufschwung statt höherer Löhne; 45-Stunden-Woche; Ingenieur als Teilzeit-Sekretärin; Integrationsdebatte; Stuttgart 21; CO-Pipeline: NRW-Minister will Bürger mitentscheiden lassen; Energiedebatte; Schock für privat Krankenversicherte; Autobauer verkaufen mehr in China als im eigenen Land; Gleichheit macht glücklich; die Hälfte der Menschheit hat einen Anteil von 2 Prozent am globalen Vermögen; Steuerreform oder steuerliche Konter-Reform in Frankreich; Irak: Mehr Gewalt durch Söldner; chinesisches Blutbad in afrikanischer Skandalmine; Studienanfängerzahlen; NS-Verstrickung des Auswärtigen Amtes; Rezensionen: Nachdenken über Deutschland und Einsichten eines Pharmakritikers; Meinungsmache. (KR/WL)
- Tabaksteuer soll Industrie stützen
- Ursula von der Leyen: Tausche Hartz-IV-Gesetz gegen Mindestlohn
- Kommission: Guttenbergs Ressort halbieren
- Aufschwung XL? Jetzt höhere Löhne
- Experten erwarten die 45-Stunden-Woche
- Ingenieur als Teilzeit-Sekretärin
- Integrationsdebatte
- Stuttgart 21
- CO-Pipeline: NRW-Minister will Bürger mitentscheiden lassen
- Energiedebatte
- Schock für privat Krankenversicherte
- Autobauer verkaufen mehr in China als im eigenen Land
- Gleichheit macht glücklich
- Die Hälfte der Menschheit hat einen Anteil von 2 Prozent am globalen Vermögen
- Steuerreform oder steuerliche Konter-Reform in Frankreich?
- Irak: Mehr Gewalt durch Söldner
- Chinesisches Blutbad in afrikanischer Skandalmine
- Studienanfängerzahlen: Höchststände in fast allen Ländern
- NS-Verstrickung des Auswärtigen Amtes: Die Zielmarke „Endlösung“ war sehr früh erkennbar
- Rezensionen: Nachdenken über Deutschland und Einsichten eines Pharmakritikers
- Meinungsmache
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Tabaksteuer soll Industrie stützen
Die Koalition einigte sich am Sonntagabend darauf, energieintensive Unternehmen bei der Ökosteuer nun doch weniger stark zur Kasse zu bitten als ursprünglich geplant. Das teilten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) nach einer Spitzenrunde im Kanzleramt mit. Im Gegenzug soll die Tabaksteuer angehoben werden. Da die Erhöhung mehr Geld einbringt als für die Gegenfinanzierung nötig ist, soll nach Angaben von Schäuble auch eine Steuervereinfachung mit Entlastungseffekten im Volumen von 500 Millionen Euro beschlossen werden. Dies werde sich im Haushalt im wesentlichen ab 2012 auswirken.“
Die höhere Tabaksteuer soll im kommenden Jahr Mehreinnahmen von 200 Millionen Euro bringen, die dann in den Folgejahren auf 500, 700 bis auf 800 Millionen Euro im Jahr 2014 steigen sollen. Im kommenden Jahr werde die Tabaksteuer damit die geringere Anhebung bei der Ökosteuer nicht ganz gegenfinanzieren, sagte Schäuble.
Bei der Ökosteuer werden die energieintensiven Firmen an drei Punkten weniger stark belastet als geplant. So soll der Sockelbetrag, ab dem Vergünstigungen bei der Stromsteuer gewährt werden, von derzeit 500 Euro auf 1000 Euro und nicht wie geplant auf 2500 Euro angehoben werde. Dies entlaste vor allem kleinere Betriebe, sagte Schäuble. Beim sogenannten Spitzenausgleich wird der Steuerrabatt nicht so stark abgesenkt wie geplant. Drittens wird der ermäßigte Steuersatz für die energieintensiven Wirtschaftsbetriebe von 60 auf 75 und nicht auf 90 Prozent erhöht.
Quelle: Focus OnlineAnmerkung WL: Von einem „fairen Ausgleich“ zwischen Sozialkürzungen und Belastungen „der Wirtschaft“ sprach die Kanzlerin bei der Vorstellung des „Sparpakets“. Von den vier Positionen der „Wirtschaft“ im Sparpaket, der Luftverkehrssteuer, der Brennelementesteuer, der Finanztransaktionssteuer und der Kappung der Ausnahmen von der Ökosteuer für stromintensive Betriebe (eigentlich müsste man genauer von einer Kappung der bisherigen Steuersubventionen in einem Volumen von 8 bis 9 Milliarden sprechen) ist kaum noch etwas übrig:
- Die Finanztransaktionssteuer ist ohne erkennbaren Widerstand der Bundesregierung auf EU-Ebene schon abgeblitzt.
- Die Brennelementesteuer fällt niedriger aus als ursprünglich angegeben. Anstelle des angepeilten Einnahmenaufkommens von 2,3 Milliarden Euro pro Jahr ist mit höchstens 1,5 bis 2 Milliarden Euro zu rechnen. Zudem sollen die Beiträge für den Fonds, mit dem die Gewinne für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke bis 2016 mit insgesamt 1,4 Milliarden Euro und 2017 nochmals mit bis zu 15 Milliarden Euro abgeschöpft werden sollen, mit der Brennelementesteuer verrechnet werden. Eine Laufzeitverlängerung von zwölf Jahren kann den Stromkonzernen einer Grünen-Studie zufolge jedoch weitere 70 Milliarden Euro bescheren.
- Die Luftverkehrssteuer tragen ohnehin wiederum die Passagiere und zwar alle gleich, ob sie eine Pauschalreise buchen, Economy-Class oder Business- bzw. First-Class fliegen.
- Und jetzt werden auch noch bei der Ökosteuer die Subventionen für die energieintensiven Betriebe erheblich weniger gekappt als angekündigt. Die Kompensation dürfen mal wieder die Verbraucher leisten. Geschickterweise werden dafür die Raucher zur Kasse gebeten, da hat man die Mehrheit ohnehin auf seiner Seite.
Das „Sparpaket“ wird also noch sozial unausgewogener, als es schon bei seiner Vorstellung war. Zur Erinnerung:
11 Milliarden pro Jahr oder knapp 30 Milliarden der insgesamt geplanten über 80 Milliarden werden von denjenigen „ausgepresst“, wo eigentlich ohnehin nichts mehr zu holen ist. - Die Zuschläge beim Übergang vom Arbeitslosengeld I in Hartz IV für Arbeitslose werden gestrichen. Bisher erhielten über 155.000 Haushalte durchschnittlich einen Zuschlag von 110 Euro über 2 Jahre, wenn sie zuvor über lange Zeit erwerbstätig waren.
- Die monatliche Pauschale von dürftigen 40,80 Euro, die die Bundesagentur für Arbeitslose an die Rentenversicherung bezahlte, wird gestrichen. Dadurch erhöhte sich bisher die Rente der Betroffenen zwar nur um den „stolzen“ Betrag von 2,09 Euro, aber damit fehlt der gesetzlichen Rentenkasse insgesamt jährlich ein Betrag von 1,8 Milliarden, die entweder durch Rentenkürzungen oder durch Erhöhung der Beiträge ausgeglichen werden könnten. Für die Grundsicherung der dadurch in Armut fallenden Rentner dürfen die Kommunen gerade stehen.
- Der Heizungskostenzuschuss beim Wohngeld für Geringverdiener entfällt.
- Das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger von 300 Euro im Monat wird gestrichen. Schon bei seiner Einführung ging das Elterngeld zu Lasten der Hartz-IV-Empfänger. Sie bekamen vorher über zwei Jahre hinweg insgesamt 7.200 Euro und danach monatlich 300 Euro für nur noch ein Jahr.
- Die Arbeitslosenversicherung soll künftig ohne Zuschüsse vom Bund auskommen. Das zwingt die Bundesagentur für Arbeit zu weiteren drastischen Einschränkungen.
- Bis 2014 sollen bei Hartz-IV-Zahlungen zusätzlich 3 Milliarden „eingespart“ werden.
Und während man bei der „Wirtschaft“ mit Samthandschuhen vorgeht, packt man bei den Hartz IV-Beziehern schon präventiv zu. Noch bevor das Gesetz verabschiedet ist, setzt die Bundesagentur für Arbeit (BA) bereits jetzt die von der Bundesregierung geplante Kürzung des Elterngelds bei Hartz-IV-Empfängern um.
- Ursula von der Leyen: Tausche Hartz-IV-Gesetz gegen Mindestlohn
Arbeitsministerin von der Leyen lässt bei der Ausweitung der Mindestlöhne Kompromissbereitschaft erkennen – und erhofft sich von der Opposition Unterstützung für ihre Hartz-IV-Pläne. Einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn sehe die Ministerin allerdings skeptisch, fügte der Sprecher hinzu. Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel kündigte am Sonntag im Deutschlandfunk an, seine Partei wolle mit der Forderung nach flächendeckenden gesetzlichen Mindestlöhnen in die Gespräche mit von der Leyen gehen, die im November parallel zu den parlamentarischen Beratungen über die Hartz-Leistungen stattfinden sollen. In SPD-Kreisen hieß es jedoch, man habe intern noch keine Festlegungen getroffen, Ziel sei zumindest ein Mindestlohn für Leiharbeiter. Dafür hat auch Ursula von der Leyen Sympathie, allerdings sträubt sich ihr Koalitionspartner FDP dagegen.
Quelle: SZAnmerkung Orlando Pascheit: Wahrscheinlich ist es naiv zu erwarten, dass den Parteien, die Hartz IV erfunden haben, in der Opposition zu Hartz IV mehr einfallen würde als ein wenig öffentlichkeitswirksame Kritik an den fünf Euro für Erwachsene. Kinder erhalten keine fünf Euro, sollen aber in den Genuss eines Bildungspakets kommen, über dessen “Wie” viel gestritten wird, dabei reichen 620 Millionen Euro hinten und vorne nicht. Kaum diskutiert wird, dass sozial benachteiligte Kinder aus Armut, Perspektivlosigkeit, schließlich aus Schulabbruch und Arbeitslosigkeit herauszuführen, etliches mehr kostet als Nachhilfeunterricht, Sport im Verein und Schulmittagessen. Man braucht nur regelmäßige Nachhilfe für 1,6 Mio. Kinder aus Familien von Hartz-IV-Beziehern zusammenzurechnen, um zu merken, dass dieses Bildungspaket lächerlich ist. Aber die SPD möchte lieber über den Mindestlohn verhandeln. Natürlich ist der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn eine Forderung, die in jede Agenda gehört, zumal dadurch auch die Berechnung von Hartz IV beeinflusst würde. Dann signalisiert man aber nicht, dass ein Mindestlohn für Leiharbeit ein akzeptabler Kompromiss wäre. Hier würde schon die Realisierung der Gleichbehandlung von Leiharbeitern und Kernbelegschaften etliche Probleme lösen. – Aber das Signal an die jetzigen Hartz IV-Bezieher ist verheerend, denn die Annahme der Vorschläge der Arbeitsministerin heißt u.a. Streichung des Elterngeldes, Streichung des Rentenbeitrags für Hartz-IV-Bezieher zu akzeptieren.
- Kommission: Guttenbergs Ressort halbieren
Die Bundeswehr muss einem Expertengutachten zufolge radikal neu organisiert werden, weil das Verteidigungsministerium aufgebläht sei und ineffizient arbeite. In dem Bericht stellt die von Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eingesetzte Strukturkommission eine „allgemeine Verantwortungsdiffusion“ fest, die eine „stringente Steuerung unmöglich“ mache. Die Experten unter Leitung des Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, wollen ihr Gutachten, das dem Tagesspiegel in Teilen vorliegt, am Dienstag präsentieren. Darin heißt es: „Gut ausgebildete und hoch motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behindern sich gegenseitig in Strukturen, die nicht erfolgsfähig sind.“ Und weiter: „In der derzeitigen Vielfalt von Zuständigkeiten ist weder eine durchgängige Führung mit klaren Zuständigkeiten gegeben, noch werden Erfolge und Misserfolge persönlich verantwortet.“ Die Kommission empfiehlt, das Ministerium „von Grund auf neu zu konzipieren“. Es solle so schnell wie möglich in Berlin zusammengeführt werden. Zudem solle die Führung unterhalb des Ministers auf einen Staatssekretär und den Generalinspekteur konzentriert werden. Derzeit gibt es für jede Teilstreitkraft einen Inspekteur, und das Ministerium unterhält zwei Dienstsitze – in Berlin und Bonn. Im ARD-Interview sagte Weise am Sonntag, ein Ministerium müsse der Logik folgen, dass es den politischen Willen artikuliere. „Und aus meiner Sicht braucht man höchstens die Hälfte der Menschen dazu.“ Statt derzeit 3300 wären dann noch 1600 Mitarbeiter im Ministerium – konzentriert in Berlin. In Bonn würde es nur noch eine nachgeordnete Behörde geben.
Quelle: TagesspiegelAnmerkung Orlando Pascheit: Es ist schon bemerkenswert, wie bedenkenlos die de-facto- Abschaffung der Wehrpflicht von den Unionsparteien geschluckt wurde. Die Halbierung des Verteidigungsministeriums dürfte allerdings, so sinnvoll das aus Gründen der Effizienz oder der Sparsamkeit (man kann die Worte inzwischen synonym verwenden) sein mag, allerdings den politischen Selbstmord des Ministers einleiten. Das wird ihm das Ministerium nie verzeihen.
- Aufschwung XL? Jetzt höhere Löhne
Bemerkenswert ist, dass Brüderle und Merkel scheinbar die Bedeutung der Binnenwirtschaft und der Löhne entdeckt haben. Aber es reicht überhaupt nicht die Gewerkschaften zu ermuntern deutliche Lohnsteigerungen durch zusetzen. Das ist so, als wenn man einem Menschen mit einem Bein auffordert mal richtig schnell zu laufen.
Nur noch die Hälfte der Beschäftigten stehen heute unter dem Schutz gewerkschaftlicher Flächentarifverträge. Die Tarifbindung ist in den letzten 15 Jahren deutlich erodiert. Besonders verheerend sind die Auswirkungen der Agenda 2010. Immer mehr Menschen arbeiten nur noch befristet, in Leiharbeit oder haben einen Minijob. Gleichzeitig führt das massive Lohndumping in den ungeschützten Bereichen zu einem erheblichen Druck auf den Tarifbereich. Zum Teil werden sogar Tariflohnsenkungen erzwungen – auch mit der Androhung von Massenentlassungen.
Wenn Merkel und Brüderle es ernst meinten mit ihrem Plädoyer für höhere Löhne, dann müssten sie vor allem den gesetzlichen Mindestlohn mit 10 Euro einführen. Und bei der Leiharbeit den Grundsatz der gleichen Bezahlung durchsetzen ebenso wie Befristungen wieder eng regulieren. Wenn die Regierung den privaten Konsum stärken wollte, dann müsste sie das Arbeitslosengeld II auf 500 Euro erhöhen.
Von Michael Schlecht, Chefvolkswirt der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
Quelle: Homepage von Michael SchlechtDazu:
Steuersenkung statt Lohnerhöhung für Arbeitnehmer
Die Koalition will den Aufschwung für die Mittelschicht sichtbar machen. Doch die Wirtschaft bremst bei Tarifabschlüssen.
Quelle: WELTAnmerkung des NDS-Lesers J.A.: Der hochverschuldete deutsche Staat soll anstelle der hochprofitablen Konzernen die Lohnerhöhungen zahlen … sehr logisch …
- Experten erwarten die 45-Stunden-Woche
Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels gehe es mittelfristig nicht ohne längere Arbeitszeiten, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, der „Bild„-Zeitung vom Samstag. „37,5 oder 38-Stunden-Wochen sind in jedem Fall vorbei.“ Vor allem in exportorientierten Branchen wie Maschinen- und Anlagenbau, aber auch in der Gesundheits- und der Pflegebranche, wird es nach Einschätzung Zimmermanns Bedarf nach längeren Arbeitszeiten geben.
“Mittelfristig werden wir um längere Arbeitszeiten nicht herumkommen“, sagte auch der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Ulrich Blum, der Zeitung. Der Wohlstand sei nur zu halten, „wenn Unternehmen mehr Freiheiten bei der Gestaltung der Arbeitszeiten bekommen“. In der „Welt“ verwies er zudem darauf, dass schon heute in einzelnen Branchen extrem viel gearbeitet werde. In Zukunft werde die 43- bis 45-Stunden-Woche aber für immer mehr Menschen zur Normalität werden. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, Michael Hüther, verwies laut „Bild“ darauf, dass laut Gesetz sogar eine Wochenarbeitszeit von bis zu 48 Stunden erlaubt sei.
Auch der CDU/CSU-Wirtschaftsflügel erwartet deutlich längere Arbeitszeiten. Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung (MIT), Josef Schlarmann, sagte der „Bild“, der Fachkräftemangel müsse auch durch Zuwanderung ausgeglichen werden.
Quelle: FRAnmerkung unseres Lesers G.K.: Nun starten unsere neoliberalen “Experten” also erneut den Versuch, die hiesigen Arbeitnehmer über längere Arbeitszeiten für die Interessen der Profiteure der neoliberalen Ideologie und für die Interessen der deutschen Exportindustrie bluten zu lassen. Ganz “nebenbei” würde damit der schon seit der Euro-Einführung aufgebaute Wettbewerbsdruck auf die übrigen EU-Staaten und deren Arbeitnehmer nochmals massiv ausgeweitet.
Unserer Bevölkerung wird von nahezu sämtlichen Mainstreammedien, den neoliberalen “Wirtschaftsexperten” und der schwarz-gelben Bundesregierung mit Permanenz das Märchen vom “Jobwunder” und vom “Wirtschaftswunder” eingebläut. So auch in einem heutigen SWR 1-Radiobeitrag: “Deutschland ist wieder wer”, wird den Radiohörern einleitend mitgeteilt. Die Welt beneide uns um “unseren” Aufschwung. Das besondere Augenmerk des SWR 1-Beitrages lag auf dem Thema Arbeitslosigkeit: Diese sinke auf unter drei Millionen, Deutschland steuere auf Vollbeschäftigung zu. Kritische Anmerkungen etwa zu der massiven Schönfärbung der Arbeitslosendaten durch die Bundesagentur für Arbeit: Fehlanzeige! Kritische Hinweise zu den drastischen Negativfolgen des auch im kommenden Jahr von Deutschland betriebenen Lohn- und Sozialdumping auf die Stabilität (bzw. Instabilität) v.a. innerhalb der Eurozone: auch hier Fehlanzeige!
Siehe hierzu auch die NachDenkSeiten-Beiträge “Falsche Prognose” sowie “Dem Euro sei Dank”. - Ingenieur als Teilzeit-Sekretärin
Alle klagen über den Fachkräftemangel. Jetzt haben sich Hochqualifizierte selbst zu Wort gemeldet. Ihr Befund: Industrieunternehmen verschenken jede Menge Know-how ihrer Fachleute.
Unternehmen klagen seit Wochen über einen Fachkräftemangel. Jetzt haben sich Hochqualifizierte selbst zu Wort gemeldet und in einem Thesenpapier ihre Lage geschildert. Ein zentraler Befund lautet: Industrieunternehmen verschenken jede Menge Know-how ihrer Fachleute. Denn Ingenieure oder Physiker müssten immer mehr Aufgaben übernehmen, die mit ihrer Qualifikation herzlich wenig zu tun haben: Sie müssen ihre Dienstreisen selbst organisieren, ständig schicke Powerpoint-Präsentationen erstellen und Arbeitsabläufe kontrollieren. Forscher und Entwickler „werden immer öfter und über Gebühr mit fachfremden Aufgaben wie Marketing und Administration belastet“, heißt es in dem Papier. Verfasst wurde es von Betriebsräten in der Metall- und Elektroindustrie, die nach eigenen Angaben über 50.000 Beschäftigte in Forschungs- und Entwicklungszentren vertreten.
In den letzten Jahren wurden Abteilungsleiter in vielen Unternehmen gezwungen, Personal abzubauen, erzählt Hans Lawitzke, der selbst mal Abteilungsleiter war und jetzt Betriebsrat im Entwicklungszentrum von Ford in Köln ist. Meist hätten die Chefs versucht, ihre Ingenieure zu halten und eher Stellen von Sekretärinnen oder Technikern preisgegeben. Jetzt müssten eben Ingenieure Testaufbauten selbst machen oder Büromaterial besorgen. Dafür seien sie eigentlich überbezahlt. Gleichzeitig verschenken die Firmen „relativ viel Know-how“, resümiert der Informatiker.
Quelle: FR - Integrationsdebatte
- Auswanderung: Und der Verlierer ist: Deutschland!
Sie sind in Deutschland aufgewachsen, haben hier studiert und besitzen den deutschen Pass – trotzdem wandern immer mehr deutsch-türkische Akademiker aus. Sie haben genug von den Integrationsdebatten.
Quelle: SZ - Von wegen Verweigerer
Die Zahl der Menschen, die einen Integrationskurs nicht antreten, zu dem sie verpflichtet sind, ist in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen. Das geht aus einer noch unveröffentlichten Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine kleine Anfrage der Linksparteiabgeordneten Sevim Dagdelen hervor. Die Zahlen stehen im krassen Widerspruch zur aktuellen Debatte, in der vor allem Unionspolitiker nach schärferen Sanktionen für vermeintliche “Integrationsverweigerer” rufen.
Quelle: taz - … Orient und Okzident, sind nicht mehr zu trennen
Gerade an der Geistesgeschichte Europas läßt sich der Unsinn von einem etwaigen Reinheitsgebot fast schon bildlich nachzeichnen. Das heutige Europa wäre ohne arabische Einflussnahme gar nicht denkbar; oder wie Hunke es sagt: “In der Tat waren die Ströme der Erkenntnisse aus orientalischer Mittlerrolle und eigener Schöpfung die Geburt einer neuen Weltsicht.” Aristoteles Werke, die dazu führen sollten, dem abergläubischen Europa des Mittelalters philosophische Grundlagen zu erteilen, auf denen später Humanismus und Aufklärung gedeihen konnten, gelangten über arabische Kontakte zurück nach Europa. Die allgemeine Stimmung des Kulturkampfes aber leugnet die Koexistenz, tut so, als habe stets strikte Trennung geherrscht. Die Koexistenz der Kulturen war natürlich nicht immer friedlich, aber nichtsdestotrotz fand sie statt. Leitkulturen sind Hirngespinste; zu lange lebte man nebeneinander, um fein säuberlich in christliche oder jüdische oder islamische Reinheiten unterteilen zu können – oder mit den Worten Goethes: “Wer sich selbst und andere kennt; wird auch hier erkennen: Orient und Okzident; sind nicht mehr zu trennen.”
Quelle: ad sinistram
- Auswanderung: Und der Verlierer ist: Deutschland!
- Stuttgart 21
- Übler Verdacht: Agents Provocateurs beim Polizeieinsatz in Stuttgart?
Setzte die Polizei vor der gewaltsamen Räumung des Stuttgarter Schlossgartens am 30. September Provokateure ein? Das Video, welches die Polizei nach dem umstrittenen Einsatz gegen die Gegner des Bahnprojekts “Stuttgart 21” verbreitete, sollte der Öffentlichkeit beweisen, dass die Polizisten zuvor hart von den Demonstranten angegriffen wurden. Bei genauerer Betrachtung des Polizei-Videos kommen nun Zweifel auf. Würde sich der Verdacht bestätigen, wäre das ein innenpolitischer Skandal.
Quelle: AntimanifestSiehe dazu auch:
- Monitor erhebt schwere Vorwürfe gegen Ministerpräsident Mappus
Das ARD-Magazin stützt sich in seinem Verdacht, dass bei den S21-Demonstrationen absichtlich eine Konfrontation herbeigeführt werden sollte, unter anderem auf einen Polizei-Whistleblower
Am 30. September kam es während einer Demonstration gegen die teure Tieferlegung des Stuttgarter Bahnhofs zu einem Polizeieinsatz, bei dem es unter den Teilnehmern zahlreiche Verletzte gab. Ein Rentner verlor dabei auf mindestens einem Auge die Sehfähigkeit. Die baden-württembergische Landesregierung versuchte die Vorfälle damit zu erklären, dass die Demonstranten mit den Gewalttätigkeiten angefangen hätten, indem sie Pflastersteine warfen.
Später musste sie allerdings zugeben, dass dies nicht der Wahrheit entsprach und verwies stattdessen auf Videoaufnahmen eines Mannes, der aus den Reihen der Demonstranten Pfefferspray auf einen Polizisten-Brustpanzer sprühte, und eines nicht näher erkennbaren Gegenstandes, der gegen einen Wasserwerfer flog. Den Timecode hatte die Polizei auf den auf ihrer Website zur Verfügung gestellten Aufnahmen geschwärzt. Bei der Pressekonferenz am 5. Oktober, bei der diese Aufnahmen gezeigt wurden, war diese Schwärzung allerdings noch nicht erfolgt. Hier, so stellte Monitor fest, zeigte der Timecode bei den Ereignissen 14 Uhr und 15 Uhr 50. Das ist insofern bemerkenswert, als das gewaltsame Vorgehen der Polizei bereits um 12 Uhr 48 begann – also deutlich vor den Ereignissen, die sie nachher zur Rechtfertigung aufführte.
Auf die Frage, warum man die am 30. September vorgenommene Absperrung der Flächen nicht frühmorgens ansetzte, wo keine Schülerdemonstration angekündigt war, meinte Polizeipräsident Siegfried Stumpf auf der Pressekonferenz, zu dieser Zeit hätte man den Berufsverkehr gestört. Monitor filmte darauf hin die Straße um 6 Uhr morgens und stellte fest, dass um diese Zeit kaum ein Auto dort fährt.
Quelle: Telepolis
- Übler Verdacht: Agents Provocateurs beim Polizeieinsatz in Stuttgart?
- CO-Pipeline: NRW-Minister will Bürger mitentscheiden lassen
Die Diskussion über das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 hat nun auch Auswirkungen auf die Landespolitik von Nordrhein-Westfalen. Nach Ansicht von NRW-Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger (SPD) gebe es auch bei der CO-Pipeline die Möglichkeit, die Bürger mitentscheiden zu lassen.
Voigtsberger sagte unserer Redaktion: “Wenn es gegen ein Industrieprojekt wie die CO-Pipeline 65.000 Unterschriften wie bei Stuttgart 21 gibt, dann müssen wir die Bürger mitentscheiden lassen.” So könne am Ende ein Ergebnis erreicht werden, das breite Akzeptanz finde, sagte der SPD-Politiker bei einer Konferenz der Gewerkschaft IG Bergbau Chemie Energie.
Quelle: Rheinische Post - Energiedebatte
- Atomkraft teurer als Solarenergie
Trotz der künftig höheren Umlage durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist Ökostrom immer noch günstig. Denn die Subventionen für Atom und Kohle sind größer. Atomkraft hat in den letzten 60 Jahren 204 Milliarden Euro staatlichen Subventionen erhalten. Das sind 3,4 Milliarden pro Jahr oder gut 3 Euro je Monat pro Kopf. Wie das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) in einer aktuellen Studie ermittelte, zahlt damit ein Vier-Personen-Haushalt für Atomstrom mehr als für die Erneuerbaren Energien, hinzu kommen die Subventionen für Braun- und Steinkohle.
Das FÖS listete Finanzhilfen des Bundes auf wie Forschungsförderung, Steuervergünstigungen in der Energiebesteuerung oder bei der sogenannten Entsorgungsrückstellung. Die Konzernen müssen Geld ansparen, um die Sanierung stillgelegter Atomkraftwerke bewerkstelligen zu können – steuerfrei. Außerdem berücksichtigten die FÖS-Experten Kosten für die Atommülllager Asse II und Morsleben und die Stilllegung der ostdeutschen Reaktoren. Ergebnis: Selbst wenn es nicht zu der von der schwarz-gelben Bundesregierung geplanten Laufzeitverlängerung kommt, zahlen wir in den kommenden Jahren weitere 100 Milliarden Euro zur Subventionierung der Atomkraft. Greenpeace kommt zu ähnlichen Zahlen. Demnach wird jede Kilowattstunde Atomstrom mit mindestens 4,3 Cent subventioniert. Die EEG-Umlage macht künftig dagegen nur rund 3,5 Cent aus. “Atomkraft ist nicht nur die gefährlichste, sondern auch die teuerste Form der Stromerzeugung”, sagte Andree Böhling von Greenpeace.
Quelle: TAZ - Kommunale Unternehmen kritisieren Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke
Bei der öffentlichen Anhörung des Wirtschaftsausschusses am Donnerstagnachmittag haben mehrere Experten die ”Wettbewerbsverzerrungen“ kritisiert, die durch die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken entstünden. Zur Diskussion stand das Energiekonzept der Bundesregierung und das dazu gehörige 10-Punkte-Sofortprogramm (17/3049) sowie ein Antrag der Koalitionsfraktionen (17/3050).
Hans-Joachim Reck, Geschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen, sagte, dass den Mitgliedern seiner Verbandes Schätzungen zufolge Einbußen von 4 bis 4,5 Milliarden Euro durch den längeren Betrieb von Kernkraftwerken entstünden. Die Entscheidung der Bundesregierung beeinflusse die „unbefriedigende Wettbewerbssituation auf dem Erzeugungsmarkt negativ“ und begünstige ”dauerhaft die Oligopolstellung der Energiekonzerne“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme des Verbandes. Reck forderte deshalb, Unternehmen mit einem Marktanteil von unter 5 Prozent vorrangig aus den Mitteln des neu einzurichtenden Energie- und Klimafonds zu unterstützen. Diese Forderung unterstützte auch Hildegard Müller, Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft: Die Mittel aus dem Fonds, der aus Sonderabgaben der Kernkraftbetreiber gespeist wird, sollten „vorrangig Unternehmen zu Gute kommen, die insbesondere im lokalen und regionalen Energieversorgungsbereich tätig sind“.
Auch Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands Windenergie, kritisierte den „unzureichenden Wettbewerb“ auf dem deutschen Energiemarkt. Folgekosten der Erzeugung von Atom- und Kohlestrom würden ihren Erzeugern nicht aufgebürdet, was eine Benachteiligung der Erzeuger erneuerbarer Energie darstelle. Vor diesem Hintergrund plädierte Albers dafür, die Förderung von Wind- und Sonnenenergie nicht stärker als bislang geplant zu kürzen.
Die Bedeutung von mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt unterstrich auch Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts: Laufzeitverlängerungen würden das Risiko bergen, „dass die herrschende Struktur der Strommärkte zugunsten der großen vier Erzeuger RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW zementiert wird“.
Quelle: Deutscher Bundestag - Spätes Interview mit Hermann Scheer
Leser A.G. schrieb uns: „ “Democracy Now” hat Hermann Scheer am 15.10. mit der Ausstrahlung eines seiner letzten Interviews gewürdigt. Das von Amy Goodman geführte Interview fasst die Überzeugungen und Visionen Scheers gut zusammen und ist daher sehr sehenswert. Inhalte des Interviews sind u.a. Aussagen zu der “Machbarkeit” einer Energiewende hin zu 100% erneuerbaren Energien, der Erfolg des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Deutschland, die Schwierigkeiten Obamas mit einer Energiewende in den USA, die Macht der Energiekonzerne, die Abhängigkeit der Politik von denselben, die Gefahren der Abhängigkeit demokratischer Staaten von ölexportierenden “Schurkenstaaten”, die wirtschaftlichen Folgen fehlender energetischer Unabhängigkeit für Dritte-Welt-Staaten sowie das systematische Versagen der Weltklimagipfel.“
Quelle: democracynow.org
- Atomkraft teurer als Solarenergie
- Schock für privat Krankenversicherte
(…) Damit zeigt sich, dass die private Krankenversicherung – anders als oft behauptet – nicht krisenresistenter ist als die gesetzliche Krankenversicherung. Bei den Krankenkassen brechen die Einnahmen in der Krise durch steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne (Kurzarbeit) ein. Der privaten Krankenversicherung fallen die niedrigen Zinssätze auf die Füße. Es zeigt sich somit, dass die Privaten der gesetzlichen Krankenversicherung praktisch in keinem Punkt überlegen sind. Ihre Prämien sind in den vergangenen Jahren deutlich stärker angestiegen, ihr Leistungsversprechen bleibt – mit Ausnahme der ärztlichen Versorgung – bei manchen Gesellschaften oft deutlich hinter dem der gesetzlichen Krankenversicherung zurück. Gerade letzteres ist der breiten Öffentlichkeit aber kaum bekannt.
Das alles zeigt, dass es für die schwarz-gelbe Koalition objektiv keinen fundierten Grund gibt, Gesetze zugunsten der privaten und zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu machen.
Quelle: Berliner Zeitung - Autobauer verkaufen mehr in China als im eigenen Land
Die deutschen Autohersteller könnten in diesem Jahr mehr Neuwagen in China verkaufen als im eigenen Land. „Der Markt Deutschland wird für die Autoindustrie zusehends unbedeutender“, teilte CAR-Direktor Ferdinand Dudenhöffer mit. Bis 2025 könnte nach seinen Schätzungen der Absatz in China auf insgesamt auf 30 Millionen Neuwagen anwachsen, während es in Deutschland nur drei Millionen seien. „China wird das neue Zentrum der weltweiten Autoindustrie“, so Dudenhöffer. Dies bedeute, dass auch immer mehr Arbeitsplätze in das Land verlagert würden. Volkswagen, Europas größter Autoproduzent, verkauft schon heute mehr in China als in Deutschland. Der Konzern plane etwa bis 2015 drei neue Werke in China und habe dann in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt genauso viele Fabriken wie in Deutschland, analysiert CAR. Es sei auch möglich, dass bereits in den nächsten zehn Jahren „deutsche“ Autos in China gebaut und dann im Heimatland verkauft werden, meint Dudenhöffer.
Quelle: TagesspiegelAnmerkung Orlando Pascheit: Bereits 2003 hat der damalige VW-Vorstand Robert Büchelhofer vom Export von in China produzierten Volkswagen geträumt. Einige dort hergestellte Teile werden bereits nach Deutschland geliefert. “China wird zu einem integralen Teil der weltweiten VW-Operationen werden”, sagte damals Büchelhofer. – Die Vorstellung von “footloose” agierenden global players wird allmählich Realität.
- Gleichheit macht glücklich
Gesellschaftliche Gleichheit ist in den vergangenen Jahrzehnten gehörig aus der Mode gekommen. Mainstream-Ökonomen haben uns erklärt, man habe Ungleichheiten in Kauf zu nehmen. Mögen sie auch unser ethisches Empfinden verstören – sie seien nun einmal funktional für eine prosperierende Ökonomie, von der letztlich alle etwas hätten, auch die Armen. Gesellschaftsanalytiker haben darauf hingewiesen, dass die Welt nun einmal bunt und das doch schön sei und Gleichmacherei doch niemand wünsche. Wer sich für mehr materielle Egalität eingesetzt hat, und sei es nur eine kleine Prise mehr Egalität, wurde mindestens als naiver Träumer, wenn nicht gar als gefährlicher Kommunist abgekanzelt.- Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat daran nichts Fundamentales geändert. Wer sich also für progressive Reformen einsetzen will, der muss zweierlei klarmachen. Erstens: dass egalitärere Gesellschaften auch ökonomisch funktionstüchtiger sind als die mit groben Ungleichheiten. Zweitens: dass egalitärere Gesellschaften im Allgemeinen besser funktionieren.
Quelle: tazAnmerkung Orlando Pascheit: Die NDS haben schon darauf hingewiesen, dass seit längerem zum Verhältnis von Ungleichverteilung und Lebensstandard geforscht wird. Lange vor Richard Wilkinson und Kate Pickett hat beispielsweise Anthony Atkinson herausgearbeitet, dass sogar ein geringeres Bruttoinlandsprodukt bei einer Verringerung der Ungleichverteilung einen höheren Lebensstandard ermöglicht. Richard Wilkinson und Kate Pickett dürfte ähnlich wie Atkinson Opfer der Ignoranz des wissenschaftlichen und politischen Mainstreams werden. Wann immer Studien z.B. zur Polarisierung der Einkommen (zuletzt DIW) erscheinen, halten Leitmedien wie Welt oder FAZ dagegen – auch wenn z. B die FAZ Wilkinson/Pickett positiv rezensiert.
Wer möchte, kann hier [PDF – 40 KB] Atkins Rede (Ungleichheit aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive) als Preisträger des A.SK Social Science Award nachlesen. - Die Hälfte der Menschheit hat einen Anteil von 2 Prozent am globalen Vermögen
In den letzten 10 Jahren ist nach einem Bericht von Credit Suisse das weltweite Privatvermögen um 72 Prozent gestiegen auf 195 Billionen Dollar gestiegen
Der globale Reichtum ist sehr unterschiedlich verteilt. Das ist bekannt. Aber Credit Suisse hat im ersten Global Wealth Report nicht nur erfasst, wie viel Vermögen die Reichen und Superreichen haben, sondern das ganze Spektrum von Reich bis Arm – und dies angeblich mit ziemlich aktuellen Zahlen von Mitte 2010 von 200 Ländern.
Nach dem Bericht, der Anfang Oktober veröffentlicht wurde, aber kaum Resonanz gefunden hat, scheint es der Menschheit besser zu gehen. Immerhin soll der globale Reichtum von allen 4,4 Milliarden erwachsenen Menschen seit 2000 trotz der Finanzkrise um 72 Prozent auf 195 Billionen USD zugelegt haben. Dagegen würden die Staatsschulden gerade einmal bei 45 Billionen liegen. Würde man das Privatvermögen unter allen 4,4 Milliarden Erwachsenen aufteilen, würde jeder einen Anteil von immerhin 43.800 USD erhalten. Aber wie man weiß, verbreitert sich nur die Alterspyramide jetzt nach oben, während die Vermögenspyramide von einem sehr breiten Fundament ausgeht und in einer absolut dünnen Spitze endet.
Die Mehrzahl der Menschen, die sich unten an der Pyramide des Reichtums befinden, gehen praktisch leer. Über 3 Milliarden Erwachsene, das sind 68,4, haben gerade einmal einen Anteil von 4,2 Prozent am globalen Vermögen, die Hälfte der Erwachsenen hat einen Anteil von 2 Prozent. 1,1 Milliarden besitzen weniger als 1000 USD, 2,5 Milliarden haben kein Geldvermögen.
Quelle: Telepolis - Steuerreform oder steuerliche Konter-Reform in Frankreich?
Inhalt eines in der Pariser Tageszeitung Le Monde vom 21.10.2010 erschienenen Debatten-Beitrags von Vincent Drezet, Sprecher der frz. Steuergewerkschaft SNUI und Pierre Khalfa Sprecher der Gewerkschafts-Union Solidaires und Mitglied im wissenschafltichen Beirat von Attac-France. Übertragen von Gerhard Kilper.
Seit rund einem Vierteljahrhundert wird die Steuerbelastung der reichsten französischen Privat-Haushalte und die Steuerbelastungen der französischen Unternehmen, besonders der Großunternehmen, durch steuerliche Konter-Reformen gesenkt.
So betrug der Höchstsatz der Einkommensteuer in Frankreich im Jahr 1982 noch 65%, im Jahr 2007 wurde er auf 40% abgesenkt und die Besteuerung der Kapitalgesellschaften sank im gleichen Zeitraum von 50% auf 33,3%. Dabei sind das nur theoretische Steuersätze, die faktische Steuerbelastung der größten börsennotierten Unternehmen CAC 40 liegt bei 8%, die der kleineren Unternehmen bei 28%. Durch verschiedene Spezial-Ausnahmeregelungen ist es sehr oft möglich, völlig legal der Besteuerung zu entgehen. Der französische Fiskus verliert so Jahr für Jahr rund 75 Milliarden Euro!
Im Kontrast dazu ist die Entlastung der Reichen durch Sarkozys Steuerpaket um 700 Mio Euro im Jahr 2009 eher ein knauseriges Almosen (Sarkozys Steuerpaket begrenzte die Maximalbelastung der Steuerzahler durch Einkommen-, Vermögen- und andere direkte Steuern ab dem 1.1.2007 auf 60% und ab dem 1.1.2008 auf 50% des zu versteuernden Einkommens).
Auch der Zusammenhang zwischen Mittelkürzungen für die Steuerkontrolle und der Entwicklung des Steuerbetrugs sollte hervorgehoben und diskutiert werden. Vor dem Hintergrund der Globalisierung konnte der Steuerbetrug vielfältige neue Wege beschreiten und sich besonders der Steuerparadiese bedienen.
Die steuerlichen Konter-Reformen führten in Frankreich nicht nur zu einem immer weniger umverteilenden bzw. immer mehr inegalitären Steuersystem, sondern auch zu einer relativen Absenkung der Staatseinnahmen. Diese betrugen im Jahr 1982 noch 22,5% des Bruttosozialprodukts, im Jahr 2009 jedoch nur noch 15,1%. Durch die damit bewirkte „Verschlankung“ ist der Staat immer weniger in der Lage, seinen Aufgaben gerecht werden zu können.
Die aktuelle, von der Finanzkrise ausgelöste Staats-Schulden-Explosion ist umso gravierender, als sie für eine Kürzungsrunde der öffentlichen Haushalte herhalten muss, die zu erneuter Rezession und zu einer Verschärfung der Haushaltsdefizite führen wird, wenn die Steuereinnahmen schneller zurückgehen als die Staatsausgaben gesenkt werden können.
Allgemeiner Konsens scheint darüber zu bestehen, dass die aktuelle Situation der öffentlichen Haushalte so nicht aufrechterhalten werden kann. Die vorgeschlagenen Maßnahmenkataloge zeigen allerdings einige Unterschiede.
Ein Teil der französischen Rechten plädiert für die Rücknahme des 2006 verabschiedeten Sarkozyschen Steuerpakets – bei gleichzeitiger Abschaffung der Vermögensteuer, eine Maßnahme, die für die 1,5% reichsten Franzosen ein Steuergeschenk von 3 Milliarden Euro brächte. Die französische Rechte schlägt zwar auch vor, den Spitzensteuersatz von 40% auf 45% oder 46% zu erhöhen, was jedoch zu weniger als eine Milliarde Euro zusätzlicher Steuereinahmen führen würde. Die Maßnahme träfe zudem nicht die wirklich Vermögenden, sondern eher die Spitzenverdiener der oberen Mittelklasse, die bisher nicht unter die Vermögensteuer fallen.
Ein Teil der französischen Linken will Einkommensteuer und allgemeine Sozialabgaben zusammenlegen, um auch bei Sozialabgaben zur Progression zu kommen. Eine an sich gute Idee, doch besteht die Gefahr, dass aufgrund dringenden Mittelbedarfs der Sozialhaushalt im allgemeinen Staatshaushalt aufgeht und am Ende für Sozialausgaben mangels Budget das Geld fehlt. Die gleichen Leute und andere Linke wollen über die Steuerpolitik die „Belastung“ der Arbeit verringern und dafür die Belastung des Konsums erhöhen. Sie schlagen vor, die Arbeitgeber-Sozialbeiträge durch eine „soziale“ Umsatzsteuer zu ersetzen. Aber: Arbeitgeber-Sozialbeiträge sind keine Besteuerung der Arbeit, sondern Teil der Arbeitnehmer-Löhne und für die allermeisten französischen Privat-Haushalte sind Arbeits-Einkommen die einzige Einkommensquelle. Da mit den Arbeits-Einkommen Konsumausgaben finanziert werden, bedeutet eine Belastung des Konsums durch eine höhere Umsatzsteuer indirekt auch eine Belastung der Arbeits-Einkommen bzw. am Ende eine relativ höhere Steuerlast für die niedrigen Einkommen. Faktisch zielt dieser Vorschlag darauf ab, die soziale Verantwortung der Unternehmen auf die Privat-Haushalte abzuwälzen – anscheinend kann heute (auch auf der Linken) alles mit der angeblichen Notwendigkeit der Absenkung der Lohnkosten gerechtfertigt werden.
Bei der Verteilung des französischen Volkseinkommens ist der Anteil der Löhne (inklusive Arbeitgeber-Sozialbeiträge) im Vergleich zum Jahr 1982 um fast 9% gesunken (um 5% gemessen am Durchschnitt der „30 glorreichen Jahre“). In der gleichen Zeit ist in Frankreich die Arbeitsproduktivität um 50% gestiegen und die Dividendenauszahlungen an die Aktionäre sind explosionsartig in die Höhe geschnellt. Wer daher die Arbeitskosten weiter senken will, setzt einfach die seit einem Vierteljahrhundert in Gang befindliche neoliberale Politik ohne Abstriche fort. Linke Politik?
Wir schlagen einen Neuanfang bei der Verteilung des Sozialprodukts vor, einen „steuerlichen big bang“, der die notwendigen Lehren aus der Krise zieht und sich an einigen fundamentalen Prinzipien orientiert:- Die Steuerbemessungsgrundlagen werden erweitert
- Die Einkommensteuerprogression wird bei gleichzeitiger Vermehrung der Steuerstufenschritte angehoben
- Zur Eindämmung extrem hoher Einkommen (insbesondere der Finanzbranche) wird ein abschreckend hoher Grenzsteuersatz eingeführt (eine Rooseveltsche New Deal-Maßnahme)
- Die Vermögensteuer wird mit dem Ziel überarbeitet, Milliardäre auch tatsächlich zu belasten
- Die Lokalsteuern werden mit einer Orientierung an der Leistungsfähigkeit der Privat-Haushalte neu konzipiert und
- Einzuführende Öko-Steuern dürfen keine den Konsum belastende oder Sozialabgaben ersetzende Steuern sein.
Jenseits unserer Überlegungen sollte die französische Regierung eine Steuerdebatte auf europäischer Ebene initiieren, da nicht hingenommen werden kann, dass der Aufbau einer Wirtschafts- und Währungsunion von Steuer- und Sozialdumping begleitet wird.
Zudem sollten neue steuerliche Instrumente zur ausreichenden Beschaffung von Mitteln für einen EU-Haushalt entwickelt werden. Mit diesen Mitteln könnten EU-öffentliche Ausgaben gegen die Krise und für eine ökologische Transformation der europäischen Wirtschaft finanziert werden.
Quelle: Le Monde - Irak: Mehr Gewalt durch Söldner
Der Einsatz privater Sicherheitsfirmen im Irak hat das Kriegschaos und die Gewalt erheblich verschärft. Das geht laut „New York Times“ aus den geheimen Militärakten hervor, die die Internetplattform Wikileaks veröffentlichte.
Quelle: Tagesspiegel - Chinesisches Blutbad in afrikanischer Skandalmine
In einer Kohlemine eröffneten chinesische Manager das Feuer auf unzufriedene Bergleute. Sambia besitzt gigantische Vorkommen an Kupfer und anderen Bodenschätzen und ist eines der größten Investitionsziele chinesischer Bergbaufirmen in Afrika. Die Kohlemine Collum im südsambischen Sinazongwe ist umstritten. Die Bergleute leben direkt auf dem Bergwerksgelände, nach schweren Regenfällen zu Jahresanfang brach Cholera aus, und die Mine wurde vom Staat für drei Wochen geschlossen. Im Juni wurden 22 Bergleute unter Tage bei einem Unfall schwer verletzt, im Juli beschwerte sich der traditionelle Chief von Sinazongwe, chinesische Vorarbeiter würden die sambischen Bergleute während der Arbeit misshandeln und verprügeln wie zu Kolonialzeiten.
Chinas Präsenz in Sambia ist umstritten. Sie war eine Hauptkontroverse bei den Wahlen 2006 und 2008, die der militant antichinesische Gewerkschafts- und Oppositionsführer Michael Sata jeweils nur ganz knapp verlor. Der amtierende Präsident Rupiah Banda ist ein Freund Pekings und erklärte in Reaktion auf die Schießerei von Collum, es sei unfair, die Chinesen zu kritisieren, andere Arbeitgeber würden schließlich auch ihre Angestellten erschießen, und in Sambia würden jeden Tag Menschen angeschossen. Zugleich reiste Sambias Verteidigungsminister nach Peking und holte sich dort Versprechungen einer intensivierten militärischen Zusammenarbeit ab.
Quelle: tazAnmerkung Orlando Pascheit: Aber wir feiern China als Retter der abendländischen Konjunktur.
- Studienanfängerzahlen: Höchststände in fast allen Ländern
Für eine aktuelle Prognose der in diesem Jahr zu erwartenden Studienanfängerzahlen veröffentlicht das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) erstmals auch die Werte auf Ebene der Bundesländer. Dabei zeigen sich insbesondere in den westdeutschen Ländern neue Höchststände. Da zugleich die Zuwanderung aus Westdeutschland an die ostdeutschen Hochschulen deutlich zugenommen hat, ist nicht auszuschließen, dass die bisherige Prognose auf Bundesebene, die von knapp 430.000 Erstsemestern ausgeht, noch übertroffen wird. Auf Bundesebene sind nach den Berechnungen für 2010 sogar rund 440.000 Studienanfänger und -anfängerinnen möglich.Quelle: idw
Anmerkung WL: Schon derzeit sind zwei Drittel aller BA/MA-Studiengänge zulassungsbeschränkt. Man darf gespannt sein, wie viele der Studienanfänger einen Studienplatz finden werden.
- NS-Verstrickung des Auswärtigen Amtes: Die Zielmarke „Endlösung“ war sehr früh erkennbar
Das schiere Ausmaß, in dem die angeblich sauber gebliebenen Diplomaten beim Völkermord kollaborierten, ist schockierend: Ein Gespräch mit den Historikern Eckart Conze und Thomas Karlauf über den Bericht der Historikerkommission zum Auswärtigen Amt:“Das schiere Ausmaß, in dem die nationalkonservative Oberschicht kooperierte und kollaborierte. Wie sie nach 1945, im Bewusstsein der historischen Schuld, mit allen Mitteln versuchte, sich reinzuwaschen – publizistisch, vor Gericht und politisch. Das ist in dieser Gesamtschau tatsächlich schockierend. Das alles in einem großen Zusammenhang zu sehen, die Zeit vor 1945, nach 1945 und nach 1951, nach der Wiedergründung des Amtes, und die Systematik der Mittäterschaft sowohl an einzelnen Figuren als auch an ganzen Netzwerken zu erkennen, ist in seinem Ergebnis erschreckend, selbst für erfahrene Historiker, die sich mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust beschäftigt haben.
Das Auswärtige Amt war an allen Maßnahmen der Verfolgung, Entrechtung, Vertreibung und Vernichtung der Juden von Anfang an aktiv beteiligt. Ehemalige Diplomaten wiesen die alleinige Schuld später gern den Ribbentrop-Leuten zu, insbesondere dem „Judenreferat“, das als eine Art Schaltstelle zwischen Auswärtigem Amt und Reichssicherheitshauptamt fungierte und die Maßnahmen zur „Endlösung“ in die entsprechenden diplomatischen Kanäle leitete. Dass die Vernichtung der Juden das große Projekt erst von 1941/42 an war, stimmt aber nicht. Schon seit dem 30. Januar 1933 gab es eine unglaubliche Dynamik antisemitischer Politik, die sich beschleunigte, radikalisierte – ein Prozess, den kluge Beobachter und Akteure deutlich erkannten und an dem sie sich dennoch beteiligten. Das gilt besonders für die Spitzendiplomaten. Die Zielmarke „Endlösung“ war schon sehr früh erkennbar. Auch wenn das zunächst nicht notwendigerweise physische Vernichtung bedeutete, sondern bis 1940/41 noch genauso gut Vertreibung nach Madagaskar meinen konnte.
Meiner Auffassung nach enthält die dauernde Selbstrechtfertigung gewisser Kreise nach 1945 durchaus ein Schuldbekenntnis, wenn natürlich auch ein unfreiwilliges. Erst im Zusammenhang mit dem Wilhelmstraßenprozess 1948/49 beginnen sie allmählich zu ihrem alten Selbstverständnis zurückzufinden und die Geschichte in ihrem Sinne umzudeuten. Mit Hilfe der Nürnberger Netzwerke rund um Weizsäcker werden dann jene Legenden in die Welt gesetzt, die zum Teil bis heute existieren. Demnach war der Kern des alten Amtes, also jene Elite, die dann auch im neuen Staat wieder Führungsansprüche anmeldete, „gesund“. Alle Verbrechen wurden den Leuten angelastet, die 1938 mit Ribbentrop ins Amt gelangt waren, oder dem „Judenreferat“, dessen Leiter Schumburg, Rademacher und von Thadden freilich allesamt vor 1938 in den Auswärtigen Dienst eingetreten waren, zum Teil sogar vor 1933.”Quelle: FAZ
- Rezensionen
- Nachdenken über Deutschland
In Ihrem Buch “Nachdenken über Deutschland – Das kritische Jahrbuch 2010/2011” erläutern Albrecht Müller und Wolfgang Lieb die Denkfehler des vergangenen Jahres. So wurde der Euro-Raum mit einem 750-Milliarden-Euro-Gesamtpaket gerettet. Deutschland beteiligte sich daran mit 148 Milliarden Euro. Dieses Geld hätte Deutschland theoretisch auch in den Binnenmarkt durch höhere Löhne und Gehälter investieren können (S. 85). Deutschland hat die Euro-Staaten durch seine Niedriglohnpolitik nämlich herunterkonkurriert und sich so selbst Vorteile als Exportnation verschafft. Es lebte unter seinen Verhältnissen (S. 118). Würde die Binnenkonjunktur endlich durch höhere Löhne und Gehälter angekurbelt, würden 1. keine Exportschwankungen eintreten, wenn andere Staaten die Wirtschaftskrise auskurieren und somit weniger deutsche Produkte kaufen können und 2. würden die deutschen Produkte dann mehr Abnehmer im eigenen Land finden. Der Export schwächt so die Leitungsbilanzen anderer Staaten wie Griechenland und hat wesentlich zu deren Krise beigetragen, die die deutschen Steuerzahler nun bezahlen müssen, um nicht selbst an einer Bankenkrise zu erkranken. Deutsche Banken hatten massiv in Griechenland und den anderen PIIGS-Staaten investiert. Die Autoren plädieren auch für die Rückführung des allgemeinen Börsenwertes auf das für die Investition in Produktionsgüter notwendige Niveau. Jeder Aktie steht auch ein Geber oder Schuldner gegenüber. Der Verlust des Einen ist letztlich nur der Gewinn des Anderen und umgekehrt (S. 95). Die Börse übernimmt somit keine produktive Rolle und muss auf ihre reale Funktion zurückgeführt werden (S. 106). Zur Vorbeugung einer neuen Krise raten die Autoren die Banken in Investment- und Kreditsparte aufzuspalten, wie dies US-Präsident Obama gemacht hat (S. 110)und der Europäischen Zentralbank (EZB) die Möglichkeit zu geben Staatsanleihen direkt aufzukaufen, was in den USA und Großbritannien bereits funktioniert hat (S. 111). Auch die Umstände der Rettungen um die Hypo Real Estate und der Hypo Group Alpe Adria in Verbindung mit der Bayern LB und die Verwicklungen von Politikern wie Edmund Stoiber werden näher beleuchtet (ab Seite 48). Noch immer gibt es keine demokratische Kontrolle des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin), der über eine halbe Billion an Steuergeldern frei verfüge (S.69 f.). Auch Straftatbestände wie Untreue, Betrug, Hehlerei und Erpressung würden in Folge der Finanzkrise nicht weiter verfolgt, weil Staatsanwaltschaften und Gerichte damit überlastet sind, ein “unvermeidbarer Verbotsirrtum” vorliegen kann wie im Fall Ackermann (S. 73), die Rechtslage zu schwammig sei und letztlich nicht damit zu rechnen ist, dass sich die Schuldigen selbst in die Pfanne hauen. Die Autoren verweisen auch darauf, dass in der Öffentlichkeit eher eine international nicht durchsetzbare Finanztransaktionssteuer diskutiert wird statt einer realistischeren Streichung der Steuerbefreiung beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen (S. 55). Selbst das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft geht davon aus, dass die aktuellen Steuersenkungen nur zu einem Drittel wieder eingeholt werden (S.20). Die Reservearmee-Politik der Schaffung eines Niedriglohnsektors trägt wesentlich zur Erpressung der Gewerkschaften und Arbeitnehmer bei (S. 81). Die Autoren hinterfragen auch, ob das BIP-Wachstum wirklich mit 2,8 % so hoch war, wenn man bedenkt, dass damit nur ein Viertel der Produktionsverluste wettgemacht wurde, die Deutschland in der Rezession zwischen 2008 und 2009 wegen seiner Exportabhängigkeit erlitten hat (S. 123 und 131). Zur Einwanderungsdiskussion meinen die Autoren, dass damals vor allem gut ausgebildete Fremdarbeiter (S. 143) geholt wurden, die sich dann auch mit der Kommerzialisierung und Verblödung des TV’s konfrontiert sahen (S. 144). Auch die Rente wird kommentiert. So müssen die Privatversicherten ein Alter von über 90 Jahren erreichen, um in die Gewinnzone zu kommen – von der Gefahr eines Börsencrashs mal abgesehen (S. 160). Außerdem bedeutet die staatliche Rente immer noch alles andere als Armut (S. 162). Schon im Buch “Meinungsmache” von Albrecht Müller wurde damit argumentiert, dass nach dem 2. Weltkrieg vor allem Alte und vom Krieg gezeichnete Arbeitsunfähige gut mit Sozialleistungen versorgt werden konnten (S. 322 Meinungsmache). Im Großen und Ganzen ein lesenswertes Buch.
Quelle: Dominique Voigt - Einsichten eines Pharmakritikers
Ursel Sieber: “Gesunder Zweifel. Einsichten eines Pharmakritikers – Peter Sawicki und sein Kampf für eine unabhängige Medizin”. Berlin Verlag
Dieses Buch ist ein Tatsachenbericht, doch es liest sich wie ein Krimi. Die Journalistin Ursel Sieber erzählt darin die Geschichte des ehemaligen Leiters des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Peter Sawicki, der als Hoffnungsträger anfing und zum Ende hin aus dem Amt gedrängt wurde, weil er der Pharmalobby zu sehr auf die Füße trat.
Quelle: Deutschlandradio
- Nachdenken über Deutschland
- Meinungsmache
- Aufklärung statt Medienhype
Doch die meinungsbildenden Medien haben in den letzten Jahren Vielfalt und Unabhängigkeit vermissen lassen und selbst Politik betrieben. Zum Beispiel im Bundestagswahlkampf 2005. Als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder Neuwahlen ankündigte, starteten die Leitmedien eine Kampagne. Ob Spiegel, Focus oder Stern: Angela Merkel wurde von der Presse zur Favoritin und Hoffnungsträgerin erkoren, sie war der neue Garant für eine wirtschaftsfreundliche Politik. Die rot-grüne Bundesregierung galt schon vor der Wahl als Verlierer …
Seit 2004 ist Schumann “Redakteur für besondere Aufgaben” beim Berliner Tagesspiegel. Sein Job: Zusammenhänge erklären, hinter die Kulissen schauen. Es sei schon ein Luxus, als Journalist während der Arbeitszeit Sachbücher lesen zu dürfen. Doch das sei notwendig, um der Wissens-Übermacht und Deutungshoheit von Interessengruppen in Politik, Wirtschaft und Finanzwelt gewachsen zu sein …
Die Nähe zur Politik führe im Einzelfall bis zur Korruption von Journalisten. So etwa, als die Regierung mit Josef Ackermann darüber verhandelte, inwieweit sich die Privatbanken an der Rettung der Hypo Real Estate beteiligen:“Und in den allermeisten Zeitungen, in den großen Medien dieses Landes, wurde immer nur berichtet: Der Privatsektor hat sich an der Rettung der Hypo Real Estate beteiligt. Obwohl, ich weiß es, viele Kollegen wussten, dass es nicht stimmt. Daran kann man sehen, das Spinning, wie das so schön heißt, also die Verbindungen von SPD-Minister Steinbrück und seinem Staatssekretär und ihren Helfern im Parlament zu den Journalisten, waren so gut, dass es ihnen lieber war, sie unterlassen die Berichterstattung über die Wahrheit und kriegen dafür exklusiv Papiere zugesteckt.”
Als die deutschen Medien den neoliberalen Kurs der Politik unterstützten, mahnte Schumann, verwies auf die Folgen, lieferte Argumente und Zusammenhänge. Sein damaliger Arbeitgeber, der Spiegel, wollte diese Geschichten nicht mehr im Blatt haben.
Heute sind kritische Stimmen zum Neoliberalismus wieder öfter zu hören. Das liegt auch daran, dass die Wirkung marktradikaler Politik sichtbarer geworden ist. Es könnte der Beginn einer heilsamen Entfremdung zwischen Politik und Journalismus sein. Könnte.
Ein Schlagabtausch auf offener Bühne. Auf der einen Seite Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der Chefredaktion des Stern und einflussreicher Alpha-Journalist, auf der anderen Albrecht Müller, radikaler Medienkritiker und ehemaliger Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt.
Für Albrecht Müller steht fest: Die Medien haben bei der Durchsetzung neoliberaler Politik nicht Aufklärung, sondern systematisch Vernebelung betrieben. In seinem Buch “Meinungsmache” listet er rund hundert Beispiele neoliberaler Kampagnen auf: Die Privatisierung der Altersvorsorge, Steuererleichterungen für Unternehmen, die Alternativlosigkeit von Deregulierung und Sozialabbau. Nichts davon halte der sachlichen Überprüfung stand, sagt der Gründer des Nachdenkseiten-Blogs und wirft den Mainstream-Medien vor, das Vertrauen der Bürger missbraucht zu haben.
“Meinungsmache ist ganz eindeutig ganz massiv gemacht worden bei der Behandlung der Finanzkrise. Das ist das eklatanteste und teuerste Beispiel. Da hat man erst behauptet, die Finanzkrise sei aus den USA ganz plötzlich über uns gekommen. Und dann hat Frau Merkel behauptet und Herr Steinbrück, jede Bank sei systemrelevant. Auch wenn die Industriekreditbank in Düsseldorf eingeht, dann würde hier das System zusammen klappen. Das ist alles Kappes, aber hat dazu geführt, dass wir Steuerzahler und unsere Kinder und Enkel noch Milliarden zahlen müssen.”
Es habe Fehlentwicklungen gegeben, sagt Hans-Ulrich Jörges fast ein wenig trotzig. Der Stern-Macher, einer der prominenten Wortführer im politischen Medienbetrieb, regelmäßiger Gast in Polit-Talkshows und streitbarer Kommentator, machte schon mal Stimmung gegen Hartz-IV-Empfänger und hofierte Angela Merkel als Kanzlerin. Von neoliberaler Meinungsmache zu sprechen, sei aber schlicht absurd.
Quelle: DLF - Rezension: Pascal Beucker, Anja Krüger: „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“, Knaur, München, 301 Seiten, 8,90 Euro, ISBN 978-3426783450
Ob die CDU-Parteispendenaffäre um Kanzler Kohl oder das Linken-Verwirrspiel von Ypsilanti, stets greifen Politiker zu Unwahrheiten, um zuvor Gesagtes rückgängig zu machen. Nur selten reagieren die Belogenen – also in diesem Fall die Wähler – indem sie den Lügner abstrafen. Beucker/Krüger fordern aber: „Politische Akteure müssen sich an ihren Ankündigungen messen lassen, selbst und gerade wenn die Umstände aus ihrer Sicht eine Kurskorrektur erforderlich machen.“ Doch das scheint für Politiker nur schwer möglich zu sein, so die Autoren.
Auch auf internationalem Parkett wird gelogen und betrogen: So stellte sich der von der „Koalition der Willigen“ um George W. Bush und Tony Blair angeführte Kriegsgrund, das Regime von Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen, bereits kurz nach der „Besetzung“ des Landes als Lüge heraus. Eine perfide Behauptung, um einem völkerrechtswidrigen Einmarsch die notwendige Legitimation zu geben. Noch im Dezember 2009 stritt der ehemalige britische Premierminister seine fehlerhafte Einschätzung der Lage ab. Die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel, 2003 noch Oppositionsführerin im Bundestag, bewertete die Situation so: „Die Bedrohung durch Saddam Hussein und seine Massenvernichtungswaffen ist real.“
Die elf aufgedeckten Lügen sind Teil eines riesigen Lügengeflechts. Sie machen klar: Politiker sind selten unabhängig, dafür oft abhängig von Lobbyisten. Wer Begriffe umdeutet, kann Lügen besser verschleiern. Viel zu oft fällt Otto-Normalbürger dies gar nicht weiter auf. Lügen haben kurze Beine, heißt das Sprichwort. Besser wäre es allerdings, wenn Politiker nach ihrem Ausscheiden aus Parlament oder Kabinett ihre Beine nicht dazu nutzen würden, gleich weiterzumarschieren und umgehend lukrativ bezahlte Aufsichtsratsmandate wahrzunehmen. Sonst könnte Otto-Normalbürger im Nachhinein noch an der Glaubwürdigkeit der Herren zweifeln.
Quelle: Vorwärts
- Aufklärung statt Medienhype