Hinweise des Tages

Ein Artikel von:

(KR/WL/AM)

Heute unter anderem zu diesen Themen:

  1. Carstensen gesteht unwahre Angaben über Boni
  2. Ex-Minister Marnette warnt vor neuem Milliardenloch
  3. US-Demokraten planen Reichensteuer
  4. Deutschen Städten droht der Einnahmekollaps
  5. Steinbrück: Keine Moral – Schaden für alle
  6. Nouriel Roubini: Die Krux mit der Arbeitslosigkeit
  7. Inwieweit kann sich die Entwicklung des Arbeitsmarktes von der Entwicklung des Wirtschaftswachstums abkoppeln?
  8. FR-Serie: So sprachen sie vor der Krise – Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle: Mit berittener Polizei hinterm Rennwagen her
  9. Bundesbank: Alleingänge eines Präsidenten
  10. Ahnungslose Ökonomen
  11. Deutsche finden die Bundesrepublik ungerecht
  12. Wendelin Wiedeking: Leistung und Lüge
  13. Die Privatrente ist ein gescheitertes Experiment
  14. Hilflose Patienten: Frisch operiert, nach Hause abgeschoben
  15. Gesundheitswirtschaft: Die Unberechenbaren
  16. Madeleine Schickedanz: „Wir leben von 600 Euro im Monat“
  17. Bis die Achse bricht
  18. Hessen: Opposition will sich Minister vorknöpfen
  19. Der Zigeuner geht um!
  20. Der Axel-Springer-AG-Vorstandsvorsitzende Matthias Döpfner sitzt im Aufsichtsrat des von Bild und Welt hochgejubelten “US-Investors” RHJ
  21. Fair Radio
  22. ad sinistram: In eigener Sache: Belagern uns Ich-AGs?
  23. BAföG-Ausgaben 2008 gestiegen
  24. Thomas Barth: Korruption in der Wissenschaft
  25. Rückblick: Helmut Schmidt contra Tietmeyer
  26. Zu guter Letzt: Ariel und die Mathematik

Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Carstensen gesteht unwahre Angaben über Boni
    Der Druck auf Schleswig-Holsteins Regierungschef Carstensen wächst: Erstmals hat der CDU-Politiker zugegeben, unwahre Angaben zu den umstrittenen Millionenzahlungen an den HSH-Chef gemacht zu haben. Der Ministerpräsident erwägt jetzt, im Landtag die Vertrauensfrage zu stellen. (…)

    Stegner griff Carstensen scharf wegen der HSH-Boni an. “Man weiß gar nicht, was man merkwürdiger finden soll: dass jemand dem Parlament die Unwahrheit sagt, oder aber dass er behauptet hat, dass er den Brief nicht richtig gelesen hat, der etwas mehr als eine Seite lang war”, sagte Stegner der “Berliner Morgenpost“. “Jemand, der die Koalition gesprengt und das Parlament belogen hat, sollte nicht daran denken, den Landtag aufzulösen, sondern der sollte eher zurücktreten”, polterte der Chef des Landes-SPD.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung AM: Die übliche Asymmetrie auch hier. Der SPD Chef „poltert“. Das ist die zu besorgende Imageprägung. Man stelle sich vor, Stegner hätte gelogen wie Carstensen. Er wäre wie Andrea Ypsilanti oder Beck in der Luft zerrissen worden von diesen formidablen Medien.

  2. Ex-Minister Marnette warnt vor neuem Milliardenloch
    “Carstensen hat versagt”: Der ehemalige Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Werner Marnette, greift Ministerpräsident Carstensen scharf an: Aus Wahltaktik verschweige der den Bürgern die dramatische Lage der HSH Nordbank – schon bald müsse der Staat neue Milliarden in die Bank pumpen.

    Der Regierungschef hätte Nonnenmacher klar machen müssen, dass nach der Rettung der Bank durch Steuergelder keine Millionengehälter mehr gezahlt würden. Die Zahlung an Nonnenmacher sei “unverantwortlich”. “Damit hätte auch das Kabinett befasst werden müssen”, kritisierte Marnette. Wäre dies geschehen, könnten SPD und CDU sich jetzt nicht gegenseitig die Schuld zuweisen. “Da hat Carstensen versagt”, kritisierte Marnette.
    Quelle: Spiegel Online

  3. US-Demokraten planen Reichensteuer
    Die US-Demokraten im Repräsentantenhaus planen zur Finanzierung der von Präsident Barack Obama angestrebten Gesundheitsreform die Einführung einer Reichensteuer. Wer mehr als eine Million Dollar im Jahr verdient, soll nach einem am Dienstag vorgelegten Vorschlag 5,4 Prozent zusätzlich an Abgaben entrichten, wie ein Kongressmitarbeiter sagte.

    Der Steuersatz für Spitzenverdiener würde damit in den USA auf 45 Prozent klettern. Auch andere Gutverdiener wollen die Demokraten stärker zur Kasse bitten: Ein Prozent mehr Steuern sollen Paare mit einem Jahreseinkommen von mehr als 350.000 Dollar zahlen, ein Plus von 1,5 Prozent komme auf diejenigen zu, die mehr als eine halbe Million Dollar jährlich verdienen. Eine weitere Anhebung wurde nicht ausgeschlossen.
    Quelle: manger-magazin Krisenticker 15.07.09, 6.00Uhr

    Anmerkung WL: Sozialistische Republik Amerika?

  4. Deutschen Städten droht der Einnahmekollaps
    Die Einnahmen der großen Städte aus der Gewerbesteuer werden in diesem Jahr um bis zu 40 Prozent sinken. Das ergab eine Umfrage der Zeitung “Welt am Sonntag” unter 20 der größten Städte Deutschlands.

    Die Gewerbesteuer ist traditionell die Haupteinnahmequelle von Städten und Gemeinden. Aber auch andere Einnahmen wie der kommunale Anteil an der Einkommensteuer gehen dem Bericht zufolge in oft zweistelliger Millionenhöhe zurück. Die Kommunen müssen im kommenden Jahr mit weiteren Einbußen rechnen.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung WL: Damit werden die Kommunen entweder zu die Rezession beschleunigenden Investitionskürzungen gezwungen, also etwa bei der Sanierung von Schulen und Straßen, oder die sozialen oder kulturellen Aufgaben müssen drastisch eingeschränkt werden.

    Um die Einnahmen bei der Gewerbesteuer zu verstetigen, wäre es nötig gewesen, sie als „Kommunale Betriebssteuer“ umzugestalten, die Gewerbebetriebe wie Freiberufler einbezieht und die gesamte Wertschöpfung vor Ort zur Bemessungsgrundlage zu machen.

  5. Steinbrück: Keine Moral – Schaden für alle
    Auch in Deutschland mehren sich die Nachrichten, dass es mit Sitte und Moral im Wirtschaftsleben nach wie vor nicht weit her ist. Ich finde es unglaublich, dass etwa der Chef der HSH Nordbank, Dirk Jens Nonnenmacher, Bonus- und Altersvorsorgezahlungen von 2,9 Millionen Euro erhalten soll, obwohl es sein Institut ohne staatliche Hilfen in Milliardenhöhe gar nicht mehr gäbe. Ein weiteres Beispiel ist Georg Funke, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der HRE.

    Angesichts solcher Entgleisungen stelle ich mir schon die Frage, ob wir es nicht auch in Deutschland mit der Deregulierung zu weit getrieben haben. Selbstkritisch gebe ich zu, dass auch meine Partei jahrelang im Deregulierungszug saß, wenn auch nie in der Lokomotive. Wir mussten dazulernen.
    Quelle: SZ

    Anmerkung WL: Einsicht ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Nur wo bleiben jetzt die konkreten Schritte, die von Steinbrück vorangetriebene Deregulierung auch bei uns im Lande rückgängig zu machen? Noch sitzt er doch in der Regierung.

  6. Nouriel Roubini: Die Krux mit der Arbeitslosigkeit
    Aus aktuellen Daten geht hervor, dass sich die Lage auf den Arbeitsmärkten der Vereinigten Staaten und anderer Industrieländer verschlechtert. In den USA wird die gegenwärtig bei 9,5 Prozent liegende Arbeitslosenrate bis zum Herbst wohl auf über zehn Prozent ansteigen. Irgendwann im Jahr 2010 sollte der Höhepunkt mit einer Arbeitslosenrate von elf Prozent erreicht sein und dann lange Zeit bei über zehn Prozent bleiben. Auch die meisten anderen Industrieländer werden ähnliche Spitzenwerte erreichen. Allerdings stellen diese Zahlen die Schwäche des weltweiten Arbeitsmarkts sogar noch untertrieben dar. Berücksichtigt man beispielsweise in den USA auch Teilzeitbeschäftigte und Arbeitnehmer, die die Jobsuche aufgegeben haben, liegt die Arbeitslosenrate bereits bei 16,5 Prozent. In den meisten Ländern haben geld- und konjunkturpolitische Maßnahmen wenig bewirkt, um die Jobverluste einzudämmen. Dadurch fiel auch das Gesamtarbeitseinkommen – das Produkt aus Arbeitsplätzen mal geleisteten Arbeitsstunden mal durchschnittlichen Stundenlohn – dramatisch. Um die Zahl der Entlassungen einzudämmen, bitten viele Arbeitgeber ihre Mitarbeiter auch, Lohn- und Stundenkürzungen hinzunehmen. So ersuchte British Airways beispielsweise seine Mitarbeiter um einen einmonatigen Lohnverzicht. Die gesamten Auswirkungen der Rezession auf Arbeitseinkommen sowie Lohn- und Stundenkürzungen sind also noch viel drastischer. Hohe Arbeitslosigkeit und sinkende Einkommen wirken sich in mehrfacher Hinsicht negativ auf Wirtschaft und Finanzmärkte aus.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man könnte Nouriel Roubini als Kassandra vom Dienst abtun, nur dass leider seine bisherigen Prognosen nicht falsch lagen. Leider lassen neben seiner Analyse auch seine Ratschläge kaum Raum für Hoffnung: “Um eine noch langwierigere Rezession zu vermeiden, erscheinen also weitere Konjunkturprogramme notwendig, die sich die Regierungen allerdings kaum leisten können: Wofür sie sich auch immer entscheiden, sie haben keine Chance, es richtig zu machen.” Nun könnte man einwenden, da das deutsche Konjunkturprogramm so mickrig ausgefallen sei, bestünde hierzulande noch Spielraum – nur dass bis zur Wahl und wahrscheinlich etliche Zeit danach nichts mehr passieren wird. Und dann kann es zu spät sein bzw. je länger die die Rezession bzw. Stagnation auf tiefem Niveau anhält, desto teurer wird jede Intervention. 

  7. Inwieweit kann sich die Entwicklung des Arbeitsmarktes von der Entwicklung des Wirtschaftswachstums abkoppeln?
    Ein Zusammenhang zwischen Gütermarkt und Arbeitsmarkt wird immer bestehen, daher ist eine völlige Entkopplung nicht realistisch (…)
    Es muss daher um Maßnahmen zur Verstetigung der Beschäftigung im Konjunkturverlauf und im langfristigen Trend gehen (…)

    Alle Faktoren, die die Beschäftigung in den Unternehmen verstetigen, machen die Arbeitsmärkte unabhängiger von den Gütermärkten. Hierzu gehören Maßnahmen, die Beschäftigung trotz schwankender Güternachfrage im Unternehmen halten:

    • innerbetriebliche Flexibilisierung: Kurzarbeit, Arbeitszeitkonten,
    • hohe Qualifikationsniveaus.

    Darüber hinaus werden folgende wirtschaftspolitische Maßnahmen vorgeschlagen:

    • antizyklische Qualifikation: öffentlich geförderte Weiterbildungsmaßnahmen, d.h. Nutzung der Zeiten geringer Kapazitätsauslastung, um die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten und zu erhöhen,
    • ein Arbeitsmarkt-Sonderprogramm, das abschlussbezogene Qualifizierung unterstützt,
    • öffentlich geförderte Re-Qualifizierung,
    • bildungspolitische Untermauerung der Erhöhung des Rentenalters,
    • Förderung des überbetrieblichen Personaltauschs,
    • Erleichterung der Umverteilung von Arbeit,
    • Institutionalisierung längerfristiger Freistellungsansprüche mit Arbeitsplatzgarantie.

    Die vorgetragene Argumentation legt die Schlussfolgerung nahe, dass – will man eine „Verstetigung der Beschäftigung“ erreichen – ein Szenario von geringem Kündigungsschutz
    und daraus folgend niedrigen Einstellungsbarrieren insbesondere vor dem Hintergrund von Humankapitalüberlegungen obsolet ist.
    Quelle: Wirtschaftsdienst

  8. FR-Serie: So sprachen sie vor der Krise – Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle: Mit berittener Polizei hinterm Rennwagen her
    Auch heute spreche ich mich weiter für Deregulierung aus, weil man dem Staat in wirtschaftlichen Dingen häufig nun wirklich nicht über den Weg trauen kann. Die Kalamitäten der Landesbanken oder der BaFin lassen grüßen, aber auch die gegenwärtigen Rettungsversuche zugunsten von Unternehmen, die bereits vor dem vollen Durchbruch der Finanzkrise in Schwierigkeiten waren. Immer habe ich mich dafür eingesetzt, parallel zur Deregulierung den Ordnungsrahmen zu stärken. Es ist geradezu abenteuerlich zu glauben, mit neuen Regulierungen könne man verhindern, dass Katastrophen wie die aktuelle wieder passieren. Das gleicht dem Versuch, mit der berittenen Polizei einem Rennwagen hinterherzujagen.
    Quelle: FR

    Anmerkung unseres Lesers P.S.: Professor Blum beschwert sich hier, dass er quasi als unverbesserlich angesehen wird. Doch dann kommt der für einen Wissenschaftler bemerkenswerte Satz “Auch heute spreche ich mich weiter für Deregulierung aus, weil man dem Staat in wirtschaftlichen Dingen häufig nun wirklich nicht über den Weg trauen kann” und er begründet das mit dem Versagen der BaFin und der Landesbanken. Dabei haben ideologisch verblendete Politiker auf Geheiß ihrer Einflüsterer diese Banken doch erst aus ihren traditionellen Rollen in das riskante Geschäft und auf Renditejagd gedrängt, und dass die BaFin zu schwach ist und ihre Aufgaben nicht erfüllen kann, zeigt doch gerade, dass eine funktionierende Finanzmarktaufsicht dringend geboten wäre.

    Kein Wort zu Interessenlagen, kein Wort zu der gescheiterten Angebotstheorie und den sogenannten “freien” Märkten.

    Darf man im übrigen Herrn Professor Blum nicht die Frage stellen: Kann man denn den Privaten trauen?

    Für mich ist der Beitrag von Prof. Blum ein äußerst bedauerliches Beispiel, wie man sich selbst demontiert, und es ist ein Beweis dafür, dass Leute, die eine Verantwortung für die Krise tragen, nicht zur Lösung derselben geeignet sind.

    Siehe zu Professor Blum auch: Unbeantwortete Fragen an die Gegner des Mindestlohns

  9. Bundesbank: Alleingänge eines Präsidenten
    Oft sind es kleine Dinge, die das Fass zum Überlaufen bringen. In der Bundesbank war es eine auf den ersten Blick eher unwichtige Personalie. Die Bundesbank teilte Anfang Juli knapp mit: Claus Tigges wird neuer Präsident der Hauptverwaltung (HV) Berlin. Derzeit ist der 40-jährige Tigges Korrespondent der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (FAZ) in Washington. Dass ein solcher Posten, ansonsten für “verdiente Mitarbeiter” reserviert, an einen “Newcomer” vergeben wird, schafft böses Blut. “Das ist ein Tabu-Bruch – völlig inakzeptabel”, kritisieren Verantwortungsträger in der Bundesbank. Angeblich hat sich auf die Stelle aber sonst niemand beworben. “Wie auch?” verlautet aus der Bundesbank. Die Stelle sei doch gar nicht ausgeschrieben gewesen. Bundesbankpräsident Axel Weber sei damit beschäftigt, Vasallen um sich zu scharen.

    Kritiker sticheln, Weber sei bereits von einer zweiten Karriere beseelt. Er ziehe alle Register, um Jean-Claude Trichet als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) zu beerben. Trichets Amtszeit läuft Ende Oktober 2011 aus. Deshalb schweige Weber lieber zu wichtigen Themen, die Merkel verärgern könnten. Denn nur über sie kann sein Traum von der EZB-Spitze wahr werden. Viele sprechen von “eklatanten Fehlurteilen”, der Präsident sei “selbstherrlich”, schlicht “außer Kontrolle”, wollen sich aber nicht mit Namen zitieren lassen.
    Für viele ist Weber der am stärksten angepasste Präsident, den die Bundesbank je hatte. Verglichen damit wird selbst der regierungsnahe Hans Tietmeyer als ausgesprochen kantig angesehen.
    Quelle: Handelsblatt

  10. Ahnungslose Ökonomen
    Die BIZ hatte schon seit Jahren vor den Gefahren der “Great Moderation” gewarnt und darauf hingewiesen, dass sich kreditgetriebene Blasen an den Märkten für Aktien, Immobilien, Unternehmensanleihen und Rohstoffe gerade dann bilden, wenn alles hervorragend läuft, wenn also die Wachstumsraten relativ stabil und hoch, die Inflation niedrig und die Staatshaushalte im Gleichgewicht sind. Da alle Blasen irgendwann platzen, dürfen sie nicht zu groß werden. Je größer sie sind, desto höher sind die Folgekosten. Die Politik sollte frühzeitig etwas gegen überhitzte Märkte tun – “leaning against the wind”.

    Insgesamt ist das Finanzsystem um Längen komplexer als irgend jemand vermutet hatte. Es ist auch viel zu groß, gemessen am Anteil an den Beschäftigten, oder seinem Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt. Dass die nationalen Aufseher, Regulierer, Gesetzgeber und auch die Notenbanken total überfordert waren, ist leider zu verstehen, dass es aber auf akademischer Seite nur ein unterentwickeltes Problembewusstsein gab, ist kaum verständlich.

    Die Krise hat deutlich gemacht, dass neue Ansätze her müssen, dass Makro und Mikro nicht getrennt voneinander gesehen werden dürfen, dass Risiko nicht vor allem aus den Schwankungen der Marktkurse besteht, und dass die nationale Sicht nur einen beschränkten Wert hat.
    Quelle: Zeit Online

    Anmerkung WL: Siehe zu diesem Lob der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) aber auch Bank der Zentralbanken: Alle sind schuld, alle sind Opfer, keiner konnte die Finanzkrise erahnen und niemand ist verantwortlich

  11. Deutsche finden die Bundesrepublik ungerecht
    Die deutliche Mehrheit der Deutschen empfindet das Leben in der Bundesrepublik als ungerecht. Das hat eine aktuelle Umfrage des Nürnberger Meinungsforschungsinstituts GfK im Auftrag der „Welt am Sonntag“ ergeben. Die Forscher fragten eine repräsentative Gruppe von mehr als 1000 Befragten die aktuelle Frage des Monats: „Glauben Sie, dass es in Deutschland im Großen und Ganzen gerecht zugeht?“ Drei Viertel der Befragten (75,1 Prozent) beantworteten die Frage mit Nein, lediglich 24,9 Prozent sagten Ja.

    Besonders deutlich fiel das Votum bei den ostdeutschen Teilnehmern der Umfrage aus. Dort gaben fast 83 Prozent der Befragten an, Deutschland für ungerecht zu halten. „Es besteht offenbar ein leichter Zusammenhang zwischen dem Gerechtigkeitsempfinden und dem wirtschaftlichen Wohlstand der Region, in der die Befragten leben“, sagte GfK-Experte Klaus Hilbinger.
    Quelle: Welt Online

    Anmerkung WL: Drei Viertel finden, dass es in Deutschland ungerecht zugeht, und dennoch würden die Hälfte aller Deutschen nach einer aktuellen Umfrage die Union (36%) und die FDP (14%) wählen. Parteien also, die nun gewisse nicht dafür stehen, dass es unter ihrer Regierung gerechter zuginge. Dieser Widerspruch belegt die mangelnde politische Aufklärung in Deutschland.

  12. Leistung und Lüge
    Noch hat Wendelin Wiedeking seinen Job. Keinen guten vielleicht, aber einen lukrativen. In der Öffentlichkeit gilt der Vorstandschef des Autoherstellers Porsche allerdings bereits als Mann von gestern. Als Trostpreis für den Zweitplazierten im Wettrennen um die Macht bei Europas größtem Automobilkonzern, wird Wiedeking eine 100-Millionen-Euro-Abfindung in Aussicht gestellt. Nein, jetzt kommt nicht der Vergleich zwischen Wiedeking, dem Porsche-Arbeiter, einem Niedriglohnjobber in Cottbus und einer Hartz-IV-Empfängerin aus Gelsenkirchen. Den hat jeder der bei Verstand ist ohnehin im Kopf, wenn das Thema Managergehälter auf der Tagesordnung steht. Interessant ist eher, dass das Thema extrem häufig auf die gesellschaftspolitische Agenda drängt. Und das ist kein Verdienst der Medien, sondern letztlich Folge der kollektiven Schlechtleistung solcher hochbezahlter Individuen wie Wiedeking, die gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise deutlich wird. Hundert Millionen Euro für einen Menschen, der das Unternehmen, an dessen Spitze er steht, an den Rand des Ruins geführt hat, widersprechen jeglicher Logik von Leistung, Gegenleistung und persönlicher Verantwortung.
    Quelle: junge Welt
  13. Die Privatrente ist ein gescheitertes Experiment
    Mit Rot-Grün 1998 kam die Rentenwende, sagt der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm. Er lässt auch kein gutes Haar an den jüngsten Eingriffen ins Solidarsystem. Es gelte das Motto: “Auf jeden Fall vertuschen.” Die Riester-Rente, auf die Gerhard Schröder so stolz ist, hält er für einen Sündenfall:

    Der Sündenfall Riester-Rente: Die Riester-Rente senkt das Rentenniveau auch für jene, die gar keine Riester-Rente abschließen. Die Schwächeren zahlen die Rechnung für Leistungen, die Stärkere erhalten. Das ist Solidarität für Geisterfahrer. Eine solche Rentenformel gab es noch nie. Mit der Riester-Rente ist das Kunststück gelungen, dass ein niedrigeres Gesamtrentenniveau (also staatliche plus Riester-Rente) schon 2021 entstanden sein wird und gleichzeitig höhere Gesamtbeiträge (zur Rente plus Riester-Rente) notwendig werden. Also: „Weniger für mehr Geld“ ist das originelle Reformergebnis – ein Unikat. Man glaubt es kaum. Möglich wurde dieser Trick, weil der Arbeitgeberanteil bei der Riester-Rente entfällt und die Arbeitnehmer alleine bezahlen. Außerdem ist die Privatversicherung teurer und ihr Absicherungsumfang schmaler. Verlierer dieser Reform sind Rentner und Beitragszahler, also Alt und Jung. Es gibt nur zwei Gewinner: die Arbeitgeber und die Privatversicherung. (Eine “Goldquelle“ nannte Maschmeyer, AWD, die Riester-Rente.)

    Quelle: Welt

    Siehe dazu auch:

    Madig gemacht
    Norbert Blüm im Interview mit dem Soester Anzeiger.
    Quelle: Soester Anzeiger

  14. Hilflose Patienten: Frisch operiert, nach Hause abgeschoben
    Frisch operiert und schon zu Hause. Immer früher werden Patienten aus Kliniken und Krankenhäusern entlassen – mit heftigen Nebenwirkungen. Denn vor allem ältere Patienten sind nach einem Eingriff oft viel zu schwach, um sich zu Hause allein zu versorgen. Häusliche Hilfe wäre dringend nötig. Doch die gesetzlichen Krankenversicherungen scheint das wenig zu kümmern. Wenn ein Patient um Unterstützung bittet, können sie einfach “nein” sagen. Denn sie müssen keine Hilfe bewilligen, der Gesetzgeber hat sie dazu nicht verpflichtet. “Eine unglaubliche Versorgungslücke”, kritisieren Experten. Während Kliniken, Krankenhäuser und die Krankenkassen fröhlich sparen – zahlt der Patient die Rechnung.
    Quelle: ARD-Panorama (Video)

    Anmerkung MB: Das ist gesetzlich legitimierte Körperverletzung.

  15. Gesundheitswirtschaft: Die Unberechenbaren
    Die neuen Medikamente der Pharmakonzerne werden immer teurer und die Krankenkassen immer misstrauischer. Wo kommen die hohen Preise wirklich her?

    Um hierzulande die Zulassung für ein neues Medikament zu erhalten, muss ein Pharmaunternehmen lediglich nachweisen, dass das Mittel wirkt. Dafür, ob es besser oder gleich gut ist wie ein älteres Präparat, interessiert sich die Zulassungsbehörde nicht.

    Mit der weltweit einzigartigen Freiheit der Pharmahersteller, den Preis für ein neu entwickeltes Medikament in Deutschland selbst festlegen zu können, geht es langsam zu Ende. Fast überall sonst müssen sie bereits verhandeln – etwa mit einer Zulassungsbehörde.

    Versuche, die freie Preisbildung zu beschränken, etwa durch so genannte Positivlisten scheiterten in Deutschland regelmäßig, meist begründet mit den Forschungskosten der Hersteller. Dass die deutsche Politik oft stark auf die Industrie Rücksicht nehme, versteht etwa der Heidelberger Pharmakologe Ulrich Schwabe nicht: “Viele der deutschen Firmen sind doch längst durch internationale Konzerne aufgekauft worden.”
    Quelle: FTD

  16. Madeleine Schickedanz: „Wir leben von 600 Euro im Monat“

    „Mein Karstadt/Quelle-Aktienpaket war in der Spitze 3 Milliarden Euro wert. Heute sind es gerade noch 27 Millionen.“

    „Wir leben von 500 bis 600 Euro im Monat. Wir kaufen auch beim Discounter. Gemüse, Obst und Kräuter haben wir im Garten. Ich spare, wo ich kann. Wir reduzieren unsere persönlichen Ausgaben – von den Lebensmitteln bis zu Kosmetik und Kleidung“, sagt die Millionärin mit Ferienhäusern in Frankreich, Spanien und der Schweiz.
    Quelle: Bild.de

    Anmerkung WL: Die Armut ist in der Oberschicht angekommen. Schickedanz lebt auf Basis der Grundsicherung. Schaeffler musste den Pelz ablegen und trägt Windjacke. Merckle wirft sich vor den Zug.

    Interessant ist, die unterschiedliche Tonart von BILD und BILD am Sonntag. Während man nach dem Beitrag in der BamS sich geradezu aufgerufen sah, einen Spendenaufruf zu verfassen, malt BILD das Bild eines Jammerlappens.

  17. Bis die Achse bricht
    Nach ICE und Berliner S-Bahn geraten Güterwaggons ins Visier des Eisenbahnbundesamts. Technikexperte kritisiert gefährliche Praktiken vieler Unternehmen. Auslöser für einen aktuellen Vorstoß des Eisenbahnbundesamtes (EBA) – der Aufsichtsbehörde für die Sicherheit des Schienenverkehrs – ist die Katastrophe Ende Juni im italienischen Viareggio. In dem Flammeninferno nach dem Bruch einer Radsatzwelle an einem Flüssiggas-Kesselwagen waren 22 Menschen ums Leben gekommen und zahlreiche Gebäude zerstört worden. Das EBA hatte am Montag unter Verweis auf Viareggio und ähnliche Unglücke infolge von Radsatzbrüchen ein Anhörungsverfahren eingeleitet. Damit soll allen Eisenbahnunternehmen und Fahrzeughaltern Gelegenheit gegeben werden »darzustellen, wie sie im Rahmen ihrer gesetzlichen Betreiberverantwortung die Instandhaltung von Radsatzwellen gewährleisten«. Die gehäuften Unglücke der vergangenen Monate deuteten darauf hin, »dass die Instandhaltung von Güterwagen nicht in ausreichendem Maße erfolgt«, erklärte EBA-Sprecherin Bettina Baader. So führt das Amt eine Liste von sieben Radsatzwellenbrüchen in den letzten fünf Jahren allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Entsprechende Unglücke hätten sich in Merzig. Gelsenkirchen,Thun, Aarau, Salzburg-Gingl, Brig und Mühlehorn ereignet.

    Der Radtechnikexperte Vatroslav Grubisic sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger (Freitagausgabe), die möglicherweise bevorstehende Zwangsuntersuchung aller Güterwaggons »würde ein Desaster und wahnsinnig teuer«. Er nannte das Verfahren eine Folge der bisherigen Arbeitsweise im Güterverkehr. »Es wurde verheimlicht, was sich da abspielt.« Viele Waggons würden mit Belastungen fahren, die bei der Zulassung nicht vorgesehen waren.
    Quelle: Junge Welt

  18. Opposition will sich Minister vorknöpfen
    Unheilbare “paranoid-querulatorischen Entwicklung”: Mit dieser fragwürdigen Diagnose wurden in Hessen unliebsame Steuerfahnder aus dem Dienst gedrängt. Jetzt will die Opposition nach SPIEGEL-Informationen mehrere Minister zu dem Fall vernehme
    Quelle: Spiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Der ansonsten so flotte “Spiegel” wagt nicht, Stellung zu beziehen. Zwar wird die hessische Landesärztekammer zitiert, die diese Diagnosen als “Gefälligkeitsbegutachtung” einschätzt, aber der entscheidenden  Frage, wem diese Gefälligkeit erwiesen wurde, verweigert sich der Spiegel. Da war die Frankfurter Rundschau schon weiter.

    Siehe: NDS vom 16. Juli, Punkt 16.

  19. Der Zigeuner geht um!
    Nun, viele Jahre sind vergangen, seitdem Sinti und Roma in den Konzentrationslagern dieses Landes jämmerlich krepierten, darf die Maske der Zurückhaltung abgelegt werden. Es darf gehetzt, es darf der Stürmer herangezogen, es darf bis ins Blut aufgestachelt werden. Wenn auch der Inhalt des Schmierenstücks mehr als lächerlich ist, seine Wirkung verfehlt es nicht. Zigeuner, so steht da dick und fett zwischen den Worten, sind allesamt Bettler. Was da an Kommentaren zu lesen ist, ist die zur Schrift gewordene Niedertracht des Straßenmobs.
    Quelle: Ad sinistram
  20. Der Axel-Springer-AG-Vorstandsvorsitzende Matthias Döpfner sitzt im Aufsichtsrat des von Bild und Welt hochgejubelten “US-Investors” RHJ
    Springer-Chef Matthias Döpfner zeigt gerade, wie man sich in Zeiten einer Zeitungskrise diversifiziert. Nach Informationen des Tagesspiegel ist er nämlich auch Aufsichtsratsmitglied der Firma RJH (“Ripplewood”). Über die ist wenig bekannt – außer, dass sie in der letzten Woche häufig als angeblich vielversprechender Investor für Opel genannt wurde. Und zwar vor allem in Blättern des Axel-Springer-Verlages.
    Quelle: Telepolis

    Dazu auch:

    Freunde für Opel
    Im Kampf um Übernahme des Opel-Mutterkonzerns GM sieht “Bild” den Finanzinvestor RHJ vor Konkurrent Magna. Dass Springer-Chef Mathias Döpfner im RHJ-Aufsichtsrat sitzt, schreibt die Zeitung nicht.
    Quelle: Tagesspiegel

  21. Fair Radio
    Wer das Radio einschaltet, glaubt Authentisches zu hören. Mitunter klafft jedoch eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Oft wird etwas vorgegaukelt! Die Fair Radio Initiative sammelt Beispiele:

    Die Deutsche Bahn AG schickte über den Werbezeitenvermarkter RMS einen Brief mit genauen Angaben an die Sender, wie denn eine positive Bahn-Berichterstattung auszusehen habe, wenn man das Angebot des Vermarkters für die Schaltung von Werbung im Radio annehme. Wie „unsere Mitkämpfer“ blogmedien.de auflisten, folgte zum Beispiel der Kommerzradiosender Radio Hamburg mit Freude. Ein Moderator schilderte eine Fahrt mit dem Autozug nach Bozen und bedankte sich dann für den tollen Bahn-Service.
    Quelle: ver.di

  22. ad sinistram: In eigener Sache: Belagern uns Ich-AGs?
    Ich kann nur für mich sprechen, bin aber relativ sicher, dass von mir geschätzte Kollegen, die ihre Energien ebenso aufwenden, sich des Wahnsinns unserer Zeit schreibend entgegenzustellen, ähnliche Erfahrungen in den letzten Wochen gemacht haben. Seit geraumer Zeit kommentieren hier Leute, die im aggressiven Tone am Inhalt meines Schreibens Anstoß nehmen.

    Doch was sich aber seit Tagen und Wochen hier immer wieder ergießt, ist ein aggressiver Ton der Beschwichtigung, der alle Inhalte, all meine Empörung über Mißstände, meine ehrliche Entrüstung am real Gegebenen, zu einer Übertreibung herabmindern will. Weder würden Arbeitslose so leiden, noch würde die Bundeswehr unehrenhaft handeln und auch der Roma würde weniger angstvoll leben müssen, wie man das gemeinhin wahrnimmt, wie ich das gemeinhin wahrnehme. Besonders infam unterstellt man mir “Hetze von der anderen Seite”, weil ich eigentlich lebenswerte Zustände in Grund und Boden schrübe, wenngleich natürlich wenig talentiert und stilistisch zum Haareraufen.
    Quelle: ad sinistram

    Siehe dazu auch:

    Leserbrief für die Atomlobby
    Quelle: LobbyControl

    Anmerkung WL: Auch die NachDenkSeiten bekommen natürlich Mails, deren Inhalte den Verdacht interessengeleiteter Beeinflussung erwecken. Bei uns hält sich das aber in Grenzen. Das liegt natürlich auch daran, dass wir kein Forum haben. Und wir haben deshalb kein Forum, weil wir schlicht nicht die Arbeitskapazität haben, die hunderte von Eingängen zu moderieren. Wir müssten jedoch moderieren, schon allein um nicht gegen die Netiquette zu verstoßen. Uns wird ein anderes Phänomen zurückgemeldet, nämlich dass Leserbriefe, die auf Beiträge oder Argumente der NachDenkSeiten Bezug nehmen – manchmal sogar mit dieser Begründung – von den Moderatoren der Foren etwa der Rundfunkanstalten oder von Zeitungen blockiert werden (…)

  23. BAföG-Ausgaben 2008 gestiegen
    Im Jahr 2008 erhielten 822.000 Personen in Deutschland Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungssetzt (BAföG). Das waren 16.000 – und damit zwei Prozent – mehr als im Vorjahr. Die Ausgaben für das BAföG sind um sechs Prozent gestiegen. „Die Ergebnisse sprechen für sich“, kommentierte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) die Zahlen des Statistischen Bundesamts. Die Zahl der BAföG-EmpfängerInnen sei wieder im Aufwind und werde noch weiter steigen, freute sich die Ministerin.

    Unterschiede zeigen sich zwischen der Förderung von SchülerInnen und Studierenden. Während die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die BAföG erhielten, gleich blieb, bekamen mehr Studierende die Bildungsförderung (+3%). Etwas über die Hälfte der BAföG-EmpfängerInnen erhielt den maximalen Förderbetrag (52%), 48 Prozent eine Teilförderung. Die Zahl der Vollgeförderten ist um zehn Prozent gestiegen, die der Teilgeförderten um sechs Prozent gesunken. Die Steigerung der BAföG-Geförderten ist vor allem auf das 22. BAföG-Änderungsgesetz vom 1. August 2008 zurückzuführen, das höhere Freibeträge und Bedarfssätze vorsieht.

    Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, kritisierte, das Eigenlob der Bundesbildungsministerin: „Schavan verkauft ein laues Lüftchen als Aufwind“. In ihrem „unverbesserlichen Irrglauben an ‚Privat vor Staat’“ wandele Schwarz-Gelb weiterhin auf dem „Studiengebühren- und Studienkredit-Irrweg“.
    Quelle: Zweiwochendienst

  24. Thomas Barth: Korruption in der Wissenschaft
    Manche sehen eine Korruption der Wissenschaft auch schon dann gegeben, wenn Forschung nicht zur reinen Erkenntnis oder zum Nutzen des Allgemeinwohls betrieben wird, sondern sich in den Dienst von Machtinteressen stellt – und seien es auch die der eigenen Regierung oder der Europäischen Union. Vor allem letzteres wird dem drittmittelfinanzierten Sonderforschungsbereich (SFB) 700 “Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit: Neue Formen des Regierens” vorgeworfen. Argwohn erregt dabei z.B., wie diese “embedded science” den (vom Westen erklärten) “failed states” ihre staatliche Souveränität aberkennt.

    Der SFB-Kritiker Peer Heinelt betrachtet in seinem Aufsatz “Herrschaftswissen. SFB 700: Ein Institut an der FU Berlin liefert Informationen und Strategiekonzepte für bundesdeutsche Großmachtpolitik” besonders argwöhnisch den Ansatz von Juniorprofessor Sven Chojnacki, einem der Projektleiter des SFB 700. Der Politologe Chojnacki arbeite an einem “Datenbankprojekt”, das Informationen zu “Akteurskonstellationen, Strukturbedingungen und Gewaltdynamiken inner- und substaatlicher Kriege nach 1990” bereitstellen solle. Sein erklärtes Ziel sei dabei die “präzise Erfassung von gewaltsamen Konflikthandlungen auf Ereignisbasis” und die Kartierung “lokaler, regionaler oder transnationaler Konfliktformationen”. Damit sei möglich, einen “systematischen Einblick” in “Eskalations- und Deeskalationsdynamiken” zu gewinnen. Neben Angaben zu den “militärischen und finanziellen Möglichkeiten der involvierten Akteure” solle die Datenbank auch “Informationen zu militärischen Handlungen” enthalten und “Häufigkeiten und Charakteristika externer Steuerungsversuche (militärische Intervention)” berücksichtigen.

    Auf der Basis der Untersuchung der Modalitäten vergangener Bürger- und Interventionskriege würden also, so Kritiker Heinelt, Informationen über zukünftige Interventionsgebiete umfassend gebündelt und ausgewertet, wobei das Interesse vor allem rohstoffreichen Länder des Südens gelte.

    Im Forschungsprojekt “Theoretische Grundlagen” des SFB 700 wird laut Peer Heinelt unter anderem der Frage nachgegangen, wie internationale Institutionen und NGOs (Non-Governmental-Organizations) eine so genannte “Good Governance” verdeckt steuern können und inwieweit externe Eingriffe und Aufbauhilfen notwendig wären.

    Ob die ethische Seite solcher Forschungen wirklich ausreichend geklärt ist, dürfte zweifelhaft sein. Die Studien sind nicht so angelegt, dass sie Opfern von Ausbeutung und Unterdrückung Hilfe anbieten, sondern scheinen eher die Methoden kolonialistischer Herrschaft perfektionieren zu wollen.

    Sichtbar werden dabei auch neue Steuerungsmodelle, die Herrschenden auch hierzulande helfen könnten: Wie man mittels NGOs (Bertelsmann Stiftung) und internationalen Organisationen (EU, Lissabon-Vertrag) eine im Sinne der so steuernden Akteure “gute Regierung” praktiziert, können wir gerade erleben
    Quelle: Telepolis

  25. Rückblick: Helmut Schmidt contra Tietmeyer
    Sehr geehrter Herr Tietmeyer, Sie haben sich auch früher schon bisweilen ökonomisch und politisch geirrt. Irren ist menschlich; niemand, der keine Irrtümer begangen hätte. Immerhin sollten drei Ihrer Irrtümer Sie zur Überprüfung Ihrer Positionen anregen:

    Erstens: Sie haben 1982 das sogenannte Lambsdorff-Papier entworfen, das den Zweck hatte, über eine zugespitzte ökonomische Kontroverse innerhalb der regierenden Koalition diese zu beenden und die CDU/CSU an die Regierung zu bringen. Tatsächlich ist seither die öffentliche Gesamtverschuldung auf das Vierfache gestiegen, die Steuer- und Abgabenlast ist höher als jemals, vor allem hat die Arbeitslosigkeit ein unerhörtes Maß erreicht – lediglich die Inflationsrate ist geringer als 1982, als sie infolge der beiden Opec-Ölpreisexplosionen vorübergehend höher war. Müßten Sie nicht zugeben, daß Ihre und Lambsdorffs Erwartungen keineswegs eingetroffen sind?

    Zweitens: Sie trugen im Frühjahr 1990 als persönlicher Berater des Kanzlers für Fragen der Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft mit der DDR hohe Mitverantwortung für schwere Fehler und utopische Versprechungen. Müßten Sie nicht heute zugeben, daß die mehr als hundertprozentige Aufwertung der Mark Ost eine der Hauptursachen für den Zusammenbruch der alten DDR-Industrie war? Oder daß das Versprechen, keinerlei Steuererhöhungen würden nötig werden, bodenloser Unfug war? Und ebenso die Verheißungen “blühender Landschaften” und westdeutscher Löhne im Osten binnen vier Jahren?

    Drittens: Sie waren führend beteiligt an den Zinserhöhungen der Bundesbank, die nach 1990 den Geldmengenstoß wieder einfangen sollten. Sie waren beteiligt an der regelwidrigen Verweigerung einer dadurch notwendig gewordenen Anhebung der D-Mark-Wechselkurse innerhalb des Europäischen Währungssystems (EWS), an dessen totaler Verwässerung, indem die zulässigen Bandbreiten für Wechselkursschwankungen auf das mehr als Sechsfache erweitert wurden. Damit waren Sie zugleich beteiligt daran, daß dem Maastrichter Kriterium “Einhaltung der normalen Bandbreiten des EWS”, gerade erst beschlossen, die Grundlage entzogen wurde. Müssen Sie nicht heute zugeben, daß damit der Ecu de facto abgeschafft wurde, welcher an den Finanzmärkten der Welt gut eingeführt und für die Währungsunion hervorragend geeignet war? Ein böser Fehler!

    Die Bundesbank, deren Direktorium Sie seit Anfang 1990 zugehören, hat die Formulierung der Maastrichter Konvergenzkriterien stark beeinflußt. Aber weder die Bundesbank noch das Finanzministerium hat jemals öffentlich begründet, warum die Gesamtschuld eines Teilnehmerstaates nicht höher sein soll als sechzig Prozent seines laufenden Sozialproduktes. Wieso funktioniert denn aber bereits seit den frühen zwanziger Jahren die Währungsunion zwischen Belgien und Luxemburg, und wieso ist der Wechselkurs des belgischen Franc relativ stabil gegenüber der Welt, obschon Belgiens Gesamtverschuldung heute bei dem Doppelten und diejenige Luxemburgs bei nur einem Zehntel des Kriteriums liegt?

    Ebenso ist das andere schuldenrelevante Kriterium ökonomisch nicht begründet, nach dem die jährliche Kreditaufnahme eines Teilnehmerstaates nicht höher sein soll als drei Prozent seines Sozialproduktes. Wenn ein Staatsvolk viel spart, dann kann der Staat durchaus höhere Kredite aufnehmen, ohne damit die Finanzierung privatwirtschaftlicher Investitionen zu behindern; wenn aber ein Volk wenig oder gar überhaupt nichts spart, dann sind drei Prozent als Grenze für staatliche Kreditaufnahme viel zu hoch!
    Quelle: Die Zeit 1996

    Anmerkung WL: Sie erinnern sich: Tietmeyer ist Kuratoriumsvorsitzender der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und war zuletzt Mitglied im Aufsichtsrat der HRE. Er ist mitverantwortlich dass der Steuerzahler diese Bank mit hundert Milliarden Euro stützen muss. Und dennoch wollte ihn Merkel zum Vorsitzenden der Expertengruppe zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine neue Weltfinanzordnung machen.

  26. Zu guter Letzt:
    Ariel und die Mathematik
    Wie man in der Politik die Arbeitslosigkeit berechnet, rechnen die jetzt auch dem Verbraucher Füllmengen vor. Frecher geht es nicht! Von J.L.
    Quelle: Ariel und die Mathematik [PDF – 2.4 MB]

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