Hinweise des Tages
Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (MB/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Gerd Bosbach: Demographische Horroszenarien
- Paul Krugman – Nobody Understands Debt
- Eurokrise
- Die Totengräber der Marktwirtschaft
- Die Krise der Demokratie
- »Wir wollen bleiben, bis sich was verändert«
- Jeder Zweite geht in Frührente
- Benzinpreise Handfestes Politikversagen
- Der hohe Preis von Billigbananen
- Großbritannien – Lektion nicht gelernt
- Ungarn – Orbáns Gleichschaltung
- Wulff
- Sozialmigration: Die Mär von den faulen Ausländern
- Europa, eine starke Geschichte
- Der Erich Fromm-Preis 2012 geht an Georg Schramm
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Gerd Bosbach: Demographische Horrorszenarien
Die Deutschen sterben aus, die Rente ist nicht sicher: Mit solch düsteren Ausblicken machen Politik und Wirtschaft den Menschen Angst – und rechtfertigen soziale Einschnitte in der Gegenwart. Wir sollten kritischer mit den Zukunftsprognosen umgehen, die uns da vorgelegt werden. Das zeigt auch ein Blick in die Vergangenheit.
Im vergangenen Jahrhundert stieg die Lebenserwartung um mehr als 30 Jahre. Der Jugendanteil reduzierte sich von 44 auf 21 Prozent. War 1900 noch fast jeder Zweite unter 20 Jahre alt, war es 2000 nur noch jeder Fünfte; der Anteil der über 65-Jährigen verdreifachte sich in der gleichen Zeit. Die Zahlen klingen katastrophal – doch die Katastrophe ist ausgeblieben. Offenbar war die demographische Entwicklung nicht der bestimmende Faktor des letzten Jahrhunderts. Wichtiger waren die enorme Entwicklung der Produktivität, die zunehmende Gesundheit der Älteren, die Wanderungen in einer mobilen Welt, die Zunahme der Bildung…
Auch bei der Finanzierung der Renten ist das Hauptproblem also nicht die demographische Entwicklung. Die Umverteilung zugunsten der Unternehmer wirkt viel stärker…Seit der Wiedervereinigung ist die wirtschaftliche Leistung Deutschlands nach Angaben des Statistischen Bundesamts um knapp 30 Prozent gestiegen. Nötig waren dazu vier Prozent weniger Arbeitsstunden. Und das alles innerhalb von 20 Jahren, bei vergleichsweise mäßiger Produktivitätsentwicklung…Wenn diese 30 Prozent nicht im Portemonnaie angekommen sind, hat das offensichtlich nichts mit Demographie zu tun, sondern mit der Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer.
Quelle: SZZur Manipulation mit Statistiken passt:
Im Jahr 2011 erstmals mehr als 41 Millionen Erwerbstätige
Im Jahr 2011 waren durchschnittlich rund 41,04 Millionen Personen mit Wohnort in Deutschland erwerbstätig. Nach ersten vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) wurde mit dem erstmaligen Überschreiten der 41-Millionen-Marke im Jahr 2011 der bisherige Höchststand der Erwerbstätigkeit des Vorjahres nochmals deutlich übertroffen, und zwar um 535 000 Personen oder 1,3 %. Diese positive Entwicklung steht im Zusammenhang mit dem seit zwei Jahren anhaltenden konjunkturellen Aufschwung und wurde zudem dadurch begünstigt, dass die Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 2009 trotz des durch die Finanzkrise ausgelösten Einbruchs der Wirtschaftsleistung in Deutschland stabil geblieben war.
Nach vorläufigen Schätzungen auf Basis der Arbeitskräfteerhebung sank die Zahl der Erwerbslosen (nach international vergleichbarer Definition) im Jahresdurchschnitt 2011 in Deutschland um 446 000 Personen (– 15,1 %) auf 2,5 Millionen. Die Erwerbslosenquote ging im gleichen Zeitraum von 6,8 % auf 5,7 % zurück. Die Zahl der aktiv am Arbeitsmarkt verfügbaren Erwerbspersonen, definiert als Summe von Erwerbstätigen und Erwerbslosen, erhöhte sich damit im Vergleich zum Vorjahr um 89 000 Personen auf 43,54 Millionen.
Der günstige Konjunkturverlauf des vergangenen Jahres spiegelt sich sowohl in der Zahl der Selbstständigen als auch der Arbeitnehmer wider. So wuchs die Zahl der Arbeitnehmer mit Wohnort in Deutschland im Jahresdurchschnitt 2011 um 478 000 Personen (+ 1,3 %) auf rund 36,50 Millionen. Die Zahl der Selbstständigen einschließlich mithelfender Familienangehöriger stieg im selben Zeitraum um 57 000 Personen (ebenfalls + 1,3 %) auf rund 4,55 Millionen…
Die Erwerbstätigkeit hat im Jahr 2011 in fast allen Wirtschaftsbereichen zugelegt…
In der längerfristigen Betrachtung der Erwerbstätigkeit nach Wirtschaftsbereichen zeigt sich ein bemerkenswerter Strukturwandel. So hatten im Jahr 2011 weiterhin fast drei Viertel aller Erwerbstätigen in Deutschland ihren Arbeitsplatz in den Dienstleistungsbereichen. Der Anteil dieses so genannten tertiären Sektors an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen erhöhte sich von 60,9 % im Jahr 1991 auf 73,8 % im Jahr 2011. Spiegelbildlich dazu verringerten sich in diesem Zeitraum die Erwerbstätigenanteile des primären und des sekundären Sektors…Am stärksten verminderte sich seit 1991 das Gewicht des Produzierenden Gewerbes (ohne Baugewerbe) an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen, und zwar um fast zehn Prozentpunkte von 28,5 % im Jahr 1991 auf 18,7 % im Jahr 2011. Allein in den Jahren 2009 und 2010 war der Anteil der produzierenden Bereiche (ohne Bau) aufgrund der konjunkturbedingten Beschäftigungsverluste um insgesamt einen Prozentpunkt gesunken.
Quelle: Statistisches BundesamtAnmerkung WL: Das Zitat ist zwar abgestanden, aber es trifft halt zu: Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast. Nun sind die Zahlen des Statistischen Bundesamtes natürlich nicht gefälscht, aber es ist mit Händen zu greifen, dass hier ein Rekordwert zu Propagandazwecken ermittelt wurde. Und diese Propaganda hatte Erfolg. Gestern lief keine Nachrichtensendung ohne diese Topmeldung.
Das Motiv der Regierungspropaganda springt schon aus dem dritten Satz, dass „diese positive Entwicklung … im Zusammenhang mit dem seit zwei Jahren anhaltenden konjunkturellen Aufschwung“ stehe. Haben die amtlichen Statistiker die Kompetenz eine solche arbeitsökonomische Aussage zu treffen? Ist es nicht mindestens genauso plausibel, dass mit immer niedrigeren Löhnen oder etwa mit den Kürzungen der Sozialleistungen immer weniger Familien mit ihrem Einkommen über die Runden kommen und zum Beispiel die Ehepartner in einen Teilzeitjob oder in eine Scheinselbständigkeit gezwungen werden?
Besonders verwirrend ist diese Statistik, wenn man sie mit der Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit vergleicht. Dort wurde für den November 2011 die Zahl der Arbeitslosen noch mit 2.713.000 und die Arbeitslosenquote mit 6,4 Prozent angegeben. Und schon diese Angaben sind höchst umstritten, so musste gerade dieser Tage die Bundesregierung zugeben, dass einfach 100.000 Menschen im Alter von über 58 Jahren aus der Statistik herausgefallen sind.
Im Kleingedruckten erfährt man natürlich auch vom Statistischen Bundesamt, warum die Werte in dieser neuesten Statistik so „positiv“ ausfallen. Hier wird das Labour-Force-Konzept der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zugrunde gelegt. Dabei wird jede Person im erwerbsfähigen Alter, die in einem einwöchigen Berichtszeitraum mindestens eine Stunde lang gegen Entgelt oder im Rahmen einer selbstständigen oder mithelfenden Tätigkeit gearbeitet hat.
Schon diese Berechnungsweise macht deutlich, dass diese Statistik natürlich nur wenig über die Art und vor allem nichts über die Qualität der Erwerbstätigkeit aussagt. Schon wer eine Stunde Nachhilfe in der Woche gibt, gilt danach als erwerbstätig. Bezeichnenderweise wird z.B. die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nicht ausgewiesen.
Noch vor 3 Tagen berichtete das gleiche Statistische Bundesamt über die „niedrigsten Tarifverdienste“.
Wie wenig diese Statistik über die tatsächliche Situation auf dem Arbeitsmarkt aussagt, hat gleichfalls das Statistische Bundesamt erhoben. Danach würden insgesamt rund achteinhalb Millionen Menschen zwischen 15 und 74 Jahren gern mehr arbeiten, als sie es derzeit tun können. Dazu gehören nicht nur die 2,7 Millionen statistisch ausgewiesenen Arbeitslosen und eine Million nicht gezählte Arbeitslose, sondern auch noch knapp 4 Millionen Unterbeschäftigte.
Sicher man kann in einer Statistik nicht immer alle Daten gleichzeitig veröffentlichen, aber das heißt noch lange nicht, dass man sich die Statistiker des Bundesamtes als Propagandamittel missbrauchen lassen müssten. - Paul Krugman – Nobody Understands Debt
[…] Deficit-worriers portray a future in which we’re impoverished by the need to pay back money we’ve been borrowing. They see America as being like a family that took out too large a mortgage, and will have a hard time making the monthly payments.
This is, however, a really bad analogy in at least two ways.
First, families have to pay back their debt. Governments don’t — all they need to do is ensure that debt grows more slowly than their tax base. The debt from World War II was never repaid; it just became increasingly irrelevant as the U.S. economy grew, and with it the income subject to taxation.
Second — and this is the point almost nobody seems to get — an over-borrowed family owes money to someone else; U.S. debt is, to a large extent, money we owe to ourselves. […]
Now, the fact that federal debt isn’t at all like a mortgage on America’s future doesn’t mean that the debt is harmless. Taxes must be levied to pay the interest, and you don’t have to be a right-wing ideologue to concede that taxes impose some cost on the economy, if nothing else by causing a diversion of resources away from productive activities into tax avoidance and evasion. But these costs are a lot less dramatic than the analogy with an overindebted family might suggest.
Quelle: New York Times - Eurokrise
- EuroMemorandum 2012
Europäische Integration am Scheideweg: Mehr Demokratie für Stabilität, Solidarität und soziale Gerechtigkeit
Die Krise innerhalb der Eurozone stellt eine Bedrohung für die weitere europäische Integration dar. Aber anstatt die Macht der Finanzunternehmen, die diese Krise ausgelöst haben, in Frage zu stellen, haben die europäischen Behörden Griechenland und anderen, am Rande der Eurozone gelegenen Ländern Sparprogramme auferlegt und eine zentrale Strategie ausgearbeitet, um in allen Mitgliedsstaaten eine restriktive Haushaltsdisziplin durchzusetzen. Dies droht die demokratische Legitimität der Europäischen Union (EU) zu untergraben.
Quelle 1: Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik
Quelle 2: Deutschsprachige Kurzfassung [PDF – 171 KB] - Die EZB hätte intervenieren können
Ab 2004 berichtete die Notenbank detaillierter und prominenter über die Zunahme der verschiedenen Kreditarten. Dabei zeigte sich, dass in den südlichen Euro-Ländern und in Irland nach der Jahrtausendwende die Immobilienkredite explodierten. Das trieb die Häuserpreise nach oben und heizte einen Bauboom an. Mit Verzögerung floss das zusätzliche Geld auch in die übrige Wirtschaft, was sich ebenfalls an der Kreditentwicklung ablesen lässt. Zuerst zogen die Konsumentenkredite stärker an, ab 2005 auch die Kredite an Unternehmen. Die Schere zwischen den boomenden Randländern und der stagnierenden deutschen Wirtschaft öffnete sich dabei immer weiter.
Doch die EZB zog keine Schlüsse aus diesen Daten, sondern sah tatenlos zu. Sie argumentierte, für sie sei nur der europäische Durchschnitt entscheidend. Schließlich könne sie ja auch nur eine einheitliche Zinspolitik für ganz Europa verfolgen. Hätte die EZB die Informationen über die Kreditaktivitäten ernst genommen, hätte sie die Finanzkrise in Europa abgewendet oder zumindest entschärfen können. Wie, skizzierte der Ökonom Richard Werner bereits 2007 in seinem Buch “Neue Wirtschaftspolitik: Was Europa aus den Fehlern Japans lernen kann”. Anders als den Leitzins kann die Notenbank die Kreditentwicklung von Land zu Land unterschiedlich steuern – und dabei auch nach Kreditverwendungsarten unterscheiden. Um gegenzusteuern, hätte die EZB den nationalen Zentralbanken in den Boomländern den Auftrag geben müssen, die privaten Banken bei der Kreditvergabe zu zügeln – vor allem mit Blick auf Immobilienkredite. Die Geschäftsbanken wären solch einer Aufforderung nachgekommen, wenn die Zentralbank sie nachdrücklich vorgebracht hätte, ist Werner überzeugt.
Quelle: HandelsblattAnmerkung Orlando Pascheit: Kai Ruhsert hat 2008 in einer ausführlichen Rezension auf das Buch von Richard Werner hingewiesen und zusammengefasst: “Die Annahme, höhere Zinsen würden das Wachstum bremsen und niedrigere es tendenziell fördern, ist ohne empirische Grundlage. Das ist für Richard Werner jedoch keineswegs ein Grund, die Bedeutung der Geldpolitik in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Als Ergebnis einer Reihe weiterer, empirischer Untersuchungen weist er den Zentralbanken sogar eine überragend große Verantwortung für das Wachstum zu. Einerseits hätten Zentralbanken die Konjunktur durch eine zu kontraktive Geldpolitik häufig abgewürgt; andererseits seien sie wiederholt für die Entstehung von Spekulationskrisen verantwortlich gewesen, indem sie in großem Umfang Kredite für nichtproduktive (d.h. spekulative) Verwendungen zuließen.”
Dabei betont Ruhsert nicht die Zügelung der Kreditvergabe in Werners Analyse – Werner verwirft natürlich die spekulationsfinanzierende Kreditschöpfung und die Konsum finanzierende Kreditschöpfung – sondern stellt die “Produktionsfinanzierende Kreditschöpfung” in den Mittelpunkt. Werner schreibt: “Gelingt es den Banken (oder den Aufsichtsbehörden, vor denen sie sich zu verantworten haben) dafür Sorge zu tragen, dass die neue Kreditschöpfung nur jenen Aktivitäten zugute kommt, die die potenzielle Wachstumsrate anheben – die Sachvermögensbildung etwa – so wird diese zusätzliche Kreditschöpfung, selbst bei Vollauslastung, nicht inflatorisch wirken und die Ausbringung – über die Möglichkeiten der bisherigen Kapazitätsausnutzung hinaus – erhöhen.” Ruhsert schreibt folgerichtig: “Eine Europäische Zentralbank, die sich nur der Inflationsbekämpfung verpflichtet sieht und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen dank völliger Unabhängigkeit vor niemandem verantworten muss, ist für diese Aufgabe natürlich nicht geeignet.” - Vorzugskredite für Banken. Über das wahre Ausmaß der Freunderlwirtschaft
Während sich die Kleinkrämer unter den Kommentatoren noch darüber aufregen, dass sich die Adabeis der Gesellschaft zinsgünstige Kredite sichern, klotzt die EZB mal eben eine halbe Billion Euro zu Vorzugskonditionen in den Markt.
Quelle: Wolfgang Michal - Austerity Reigns Over Euro Zone as Crisis Deepens
[…] Despite criticism from many economists, though, most European governments are sticking to austerity plans, rejecting the Keynesian approach of economic stimulus favored by Washington after the financial crisis in 2008, in a bid to show investors they are serious about fiscal discipline.
This cycle was evident on Friday, when Spain surprised observers by announcing a larger-than-expected budget gap for 2011 even as the new conservative government there laid out plans to increase property and income taxes in 2012.
Indeed, even in the country where the crisis began, Greece, the cycle of spending cuts, tax increases and contraction has not resulted in a course correction, and the same path now lies in store for much larger economies like those of Italy and Spain.
“Every government in Europe with the exception of Germany is bending over backwards to prove to the market that they won’t hesitate to do what it takes,” said Charles Wyplosz, a professor of economics at the Graduate Institute of Geneva. “We’re going straight into a wall with this kind of policy. It’s sheer madness.”
Rather than the austerity measures now being imposed, Mr. Wyplosz said he would like to see governments halt the recent tax increases and spending reductions, and instead cut consumption taxes in a bid to encourage consumer spending. More belt-tightening, he said, increases the likelihood that Europe will see a “lost decade” of economic torpor like Japan faced in the 1990s.
Quelle: New York Times
- EuroMemorandum 2012
- Die Totengräber der Marktwirtschaft
Wo steht Europa nach drei Jahren Krisenpolitik? Warum streitet Bundeskanzlerin Merkel über die Europäische Zentralbank? Und was hat Marktwirtschaft mit Demokratie zu tun? Eine erklärende Auslegeordnung.[…]
Das Kapital demokratisieren heisst nicht die Marktwirtschaft abschaffen. Im Gegenteil. Vielmehr hat der entfesselte Kapitalismus zu einer Kapitalkonzentration geführt, die die Marktwirtschaft zu erdrücken droht. Den Beweis liefern die Bankenrettungsaktionen: Die Staaten luden sich die Schulden der Privaten auf die Schultern – und verletzten damit ein zentrales marktwirtschaftliches Prinzip: Wer einen Kredit vergibt, trägt das Risiko (dafür erhält er auch einen entsprechenden Zins). Doch die Banken waren «too big to fail», zu gross, um fallen gelassen zu werden.
Die private Vermögenskonzentration oben, die zunehmend auch auf den Schulden der BürgerInnen basiert, hebelt jedoch nicht nur zunehmend die Marktwirtschaft aus. Sondern auch die Demokratie: Europa ist auf dem Weg in einen autoritären Kapitalismus. Derzeit regieren die Banken mit ihren Zinsen.
Dieses Diktat wäre zu brechen. Kurzfristig, indem die EZB den Not leidenden Staaten die Schuldpapiere zu niedrigen Zinsen abkauft, wie Frankreich dies vorgeschlagen hatte. Oder indem Brüssel dem Rettungsschirm EFSF eine Banklizenz erteilt, sodass dieser Geld von der EZB den Staaten weiterverleihen könnte. Ein Staatsbankrott würde damit unmöglich. Und die (Risiko-)Zinsen, die die Banken verlangen, sänken. Dann könnte ein Teil der Staatsschulden, die die Vermögen Privater sind, gestrichen werden, ohne durch höhere Zinsen bestraft zu werden. Bereits jetzt möglich wäre es, Vermögen wieder höher zu besteuern, um damit die Schulden zu tilgen.
Quelle: Wochenzeitung - Die Krise der Demokratie
Politiker aller Parteien fordern, die Politik müsse die Wirtschaft kontrollieren und nicht umgekehrt. In der Realität beugen sie sich dann aber doch ein ums andere Mal dem Diktat der Märkte. […]
Kluge Politiker aller Lager, von Merkel bis Gysi, fordern jetzt, den Primat der Politik gegenüber dem Finanzsystem wieder herzustellen. Das ist richtig, das wäre wichtig.
Nur sind das Worte, die ganz offenkundig im Widerspruch zu den Taten stehen. Seit Monaten beugt sich die Politik ein ums andere Mal dem Diktat der Märkte, von Gipfel zu Gipfel, von Krise zu Krise.
Quelle: Frankfurter Rundschau - »Wir wollen bleiben, bis sich was verändert«
Gespräch mit Jörg Aufderheide. Über das »Occupy«-Camp in Frankfurt am Main, den Druck der Straße und das Wohlwollen der Behörden
Quelle: Junge Welt - Jeder Zweite geht in Frührente – Arbeitgeberpräsident verteidigt Rente mit 67. Kritik von Sozialverbänden und DGB
Arbeitgeberpräsident Hundt begrüßte die Senkung des Rentenbeitragssatzes zum Jahreswechsel. “Arbeitnehmer und Betriebe werden damit 2012 um rund 2,6 Milliarden Euro entlastet”, sagte Hundt. Trotzdem würden die Rücklagen in der Rentenversicherung wegen der guten Lage am Arbeitsmarkt voraussichtlich bis Ende 2012 auf über 26 Milliarden Euro steigen. Leistungsausweitungen oder der Rücknahme beschlossener Reformen seien unverantwortlich, kritisierte Hundt. “Die Senkung des Beitragssatzes ist nur vorübergehend möglich.”
Quelle: WeltAnmerkung MB: Der Arbeitgeberpräsident spricht und die WELT gibt es ohne Nachfragen und ohne Hintergrundinformationen brav weiter.
Warum gehen so viele Menschen früher in Rente? Werden sie nicht mehr gebraucht? Sind ihre Arbeitsplätze nicht altersgerecht bzw. alternsgerecht? Haben sie gesundheitliche Probleme? Haben sie noch eine gute Rente und können es sich einfach finanziell leisten, sich nicht mehr bei der Arbeit kaputt zu machen? Dazu gibt es keine einzige Antwort und keine einzige Hintergrundinformation.
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Altersgruppe der 60- bis 64jährigen stieg immerhin auf 1,2 Millionen an. Klingt das nicht erst mal toll? Ja, dann ist ausgehend von 28,966 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und ausgehend von der wohlwollenden Annahme, dass diese Zahl überhaupt stimmt tatsächlich jeder 24. (!!!) in dieser Altersgruppe.
Ja, es wird noch toller! Wir dürfen uns auf eine Rentenbeitragssenkung von 19,9% auf 19,6% freuen. Bevor Sie Ihre Gehaltsabrechnung für Januar 2012 erhalten werden, können Sie jetzt schon mal die gigantische Ersparnis ausrechnen, die auf Sie warten wird. Es sind genau € 0,30 pro € 100,00 sozialversicherungspflichtigem Einkommen – dreißig Pfennig pro Hunni, falls Sie es einem BILD-Leser und RTL-Zuschauer erklären müssen! Ist das nicht toll. Ausgehend von den fast 29 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten bringt und die bombastische Entlastung von 2,6 Milliarden Euro im Durchschnitt … rechnen wir mal nach … die Hälfte davon ist eine flächendeckende Reduzierung der Arbeitskosten für die Arbeitgeber … ja wirklich, uns bleiben im Durchschnitt € 44,88. Toll, nicht wahr. Ja, € 44,88 im Jahr, bzw. € 3,74 im Monat. Ist das größte Wirtschaftswachstum seit dem Ende des zweiten Weltkrieges nicht schon mit beiden Händen spürbar? - Benzinpreise Handfestes Politikversagen
Das Kartellamt hat festgestellt, dass auf dem deutschen Markt für Kraftstoffe ein wettbewerbsfeindliches Parallelverhalten der Anbieter vorliegt. Die Politik denkt dennoch nicht daran, darauf zu reagieren. Das ist ein Skandal. Ein Standpunkt von Heinz-J. Bontrup.
Quelle: FAZ - Der hohe Preis von Billigbananen
Ein Kilo Bananen für einen Euro: Mit Schnäppchen locken Aldi und Co. die Verbraucher. Dafür zahlen Plantagenarbeiter mit ihrer Gesundheit, in Ecuador etwa. Eine neue Studie zeigt, wie brutal die Erntehelfer ausgebeutet werden – und erhebt schwere Vorwürfe gegen deutsche Supermarktketten. “Obwohl das ecuadorianische Gesetz dies verbietet, werden gefährliche Pestizide von Flugzeugen aus auf die Felder gesprüht”, kritisiert die Autorin der Studie, Franziska Humbert. Meistens geschehe dies, während die Arbeiter auf den Plantagen seien. Eingesetzt werden laut Oxfam die Chemikalien Calixin, Bravo, Mancozeb und Tilt – alle vier sind in Deutschland als gesundheitsgefährdend eingestuft und stehen unter Verdacht, krebserzeugend zu sein. Calixin ist in der Europäischen Union sogar verboten. Die Bezahlung der Erntehelfer nennt Humbert “untragbar und ausbeuterisch”. Der monatliche Nettolohn liege bei den befragten Arbeitern im Schnitt bei rund 237 Dollar, weniger als zehn Dollar pro Tag. Zu wenig, um eine Familie zu versorgen, sagt Humbert, und auf jeden Fall weniger als das staatlich definierte Existenzminimum für eine Familie. Diese sogenannte Überlebensgrenze beträgt in Ecuador 390 Dollar. – Ein Vertreter des Verbandes kleiner Bananenproduzenten sagt in dem Oxfam-Bericht: “Die Macht in Deutschland haben die Supermärkte, die immer das Billigste kaufen wollen, wie Aldi und Lidl, zu Preisen, die so niedrig sind, dass kleine Produzenten nicht mithalten können.” Die Ketten würden morgens per Fax sehen, welches Angebot das niedrigste sei, und das nähmen sie dann. “Sie kümmern sich um nichts anderes.”
Quelle 1: Spiegel Online
Quelle 2: oxfam [PDF – 2 MB] - Großbritannien – Lektion nicht gelernt
Die Reaktion der Regierung Thatcher auf die Unruhen 1981 ähneln Camerons “Law and Order”-Politik 2011. Das zeigen jetzt veröffentlichte Regierungsdokumente
Quelle: Der Freitag - Ungarn – Orbáns Gleichschaltung
Ungarn bekommt zum Jahreswechsel eine neue Verfassung, die jeden Demokraten das Fürchten lehrt. Auf den Straßen von Budapest regt sich Widerstand […]
Ab 2012 heißt es nicht mehr Ungarische Republik, sondern nur noch Ungarn – Magyarország, Magyarenland. Der Grund: Ein halbes Jahr nach dem umstrittenen Mediengesetz tritt mit Jahresbeginn eine neue Verfassung in Kraft – und die hat es in sich. Sie beginnt mit einem „ Nationalen Glaubensbekenntnis“. Im Mittelpunkt dieser Präambel stehen Christentum, Familie, Nation und Krone. Zwar findet man in so mancher Präambel allerlei nationalistisches Gedöns, doch diese ist in Ungarn künftig auch rechtsbindend.
Quelle: Der Freitagdazu: The Unconstitutional Constitution
On New Year’s Day, the new Hungarian constitution became law. The Hungarian parliament has been preparing for this event by passing a blizzard of “cardinal” – or super-majority – laws, changing the shape of virtually every political institution in Hungary and making the guarantee of constitutional rights less secure. In the last two weeks alone, the parliament has enacted so many new laws that it has been almost impossible to keep up. And to top it off, there was also a huge new omnibus constitutional amendment – an amendment to the new constitution even before it went into effect. By one commentator’s count, the Fidesz government has enacted 359 new laws since it came to power 18 months ago.
Quelle: New York Times - Wulff
- Wulff und die “Bild”-Zeitung – Das Band ist zerschnitten
Der Bundespräsident spricht dem “Bild”-Chef erzürnt auf die Mailbox, der Anruf wird durch andere Medien bekannt. Der sonderbare Vorgang markiert das Ende einer Symbiose, die lange bestens funktioniert hat: “Bild” bekam die schönsten Geschichten von Wulff, Wulff die schönsten Geschichten von “Bild”. […]
Die ursprüngliche Quelle der Geschichte ist klar: Kai Diekmann selbst. Aber der Chefredakteur verbreitete sie nicht in seinem eigenen Blatt. Zunächst haben weder “Bild” noch Bild.de über den Fall berichtet. Erst nachdem die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” (“FAS”) und die “Süddeutsche Zeitung” (“SZ”) die Mailbox-Tirade zum Thema machten, reagierte “Bild” mit einer kurzen “Erklärung in eigener Sache”.
Aber Wulffs Anruf war natürlich schon lange vorher Thema in der “Bild”-Redaktion. Und von der Nachricht existiert auch eine wörtliche Abschrift. Irgendjemand – Diekmann selbst oder ein Redakteur – muss die Geschichte weitererzählt haben.
Quelle: SPIEGEL OnlineAnmerkung JB: Interessant ist hier die Frage, was Diekmann und den Springer-Verlag dazu verleitet hat, Wulff „den Krieg zu erklären“. Die eigentlich offensichtliche Variante, investigativer und kritischer Journalismus, dürfte hier als Motiv auszuschließen sein. Cui bono?
- Wulff rief auch bei Springer-Chef Döpfner an
Nicht nur Kai Diekmann, sondern auch Springer-Chef Mathias Döpfner bekam einen Anruf von Christian Wulff. Das Ziel: die Berichterstattung der “Bild” zu verhindern. Selbst bei Verlegerin Friede Springer soll Wulff einem Medienbericht zufolge interveniert haben. Der Deutsche Journalistenverband verlangt eine Stellungnahme des Staatsoberhauptes, auch die Opposition erwartet ein klärendes Wort.
Quelle: Süddeutsche ZeitungAnmerkung Jürgen Karl: Da kann man ja nur noch lachen, Journalistenverband geisselt Versuch der Einflussnahme. Ansonsten sind die Herren ja nicht so pingelig wenn es darum geht neoliberale Regierungspropaganda zu verbreiten oder wieder einmal Werbung für die private Rentenvorsorge zu machen. Wulff muß hier offensichtlich als Watschenmann herhalten an dem die Journaille ihr ach so kritisches Mütchen kühlen kann.
- Wie ein Landrat von Osnabrück
Christian Wulff behauptet, bei seinem Privatkredit für Transparenz gesorgt zu haben. Aber jeden Tag stellen sich neue Fragen, auf die er Antworten schuldig bleibt. Das Staatsoberhaupt beschwört bei seinem “Ich bedauere”-Auftritt die Pressefreiheit, doch mit dem Drohanruf bei “Bild”-Chef Kai Diekmann versucht er, gerade diese zu verhindern. Sein dreistes und gleichzeitig naives Agieren in der Affäre zeigt, dass dieses Amt für Wulff zu groß ist.
Quelle: Süddeutsche Zeitung - Kekse, Filz und Lüttje Lage – durch Hannover zur Karriere
In der Regel legt der Reisende in Hannover nur einen Zwischenhalt auf dem Weg zu den wirklich schönen Städten ein. Das ist ignorant, und er verpasst so einiges. Denn: Das Werk Kurt Schwitters wird hier gepflegt, mit den Briefen des Gottfried Wilhelm Leibniz birgt die Stadt ein Weltkulturerbe. Dem Universalgelehrten verpflichtet sieht sich nicht nur die Universität der Leine-Stadt, auch der legendärste deutsche Keks wurde nach ihm benannt. Und: in Hannover wurden und werden immer wieder Minister, Parteichefs, Kanzler und Präsidenten gemacht. Die Behauptung, Hannover sei das Zentrum dubioser politischer Verbindungen zwischen Wirtschaft, Adel und Politik, kann nur Neid oder Vorurteilen entspringen und ist natürlich völliger Unsinn. Und weil das so ist, besucht DER TAG heute die niedersächsische Metropole – ganz unvoreingenommen.
Quelle: hr2 „Der Tag“ (Audio-Podcast, ca. 46 Minuten) [mp3 – 43,5 MB]Anmerkung MB: Interessante Informationen über Hannoveraner Machteliten und anderes Hannoveraner Volk. So stammen neben Politeliten, Industrie- und Versicherungsmogulen auch Eurovisions-Song-Contest-Sternchen Lena und der Serienmörder Fritz Haarmann aus Hannover, der seine ausschließlich männlichen Opfer zerstückelte und der Legende nach zu Wurst verarbeitete. Hannoveraner Interessensverflechtungen abseits von Wulff & Co. werden in Erinnerung gebracht. Erinnern Sie sich an Ministerpräsident Glogowski (zwischen Schröder und Gabriel)? Er ließ sich Hochzeit und Hochzeitsreise von Sponsoren co-finanzieren und trat zurück, als es herauskam; ausgerechnet der damalige Oppositionsführer Christian Wulff gehörte zu den Jagdführern.
- Wulff und die “Bild”-Zeitung – Das Band ist zerschnitten
- Sozialmigration: Die Mär von den faulen Ausländern
Für fast jeden dritten Deutschen besteht kein Zweifel: „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“. In einer repräsentativen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung stimmten im vergangenen Jahr 31,4 Prozent der Befragten dieser Aussage zu. Thilo Sarrazin spricht diesen Menschen in seinem umstrittenen Buch „Deutschland schafft sich ab“ aus der Seele: „Wer vor allem an den Segnungen des deutschen Sozialstaats interessiert ist, der ist bei uns schon gar nicht willkommen.“ Aber gibt es diese sogenannte Sozialmigration überhaupt?
Ein vierköpfiges Forscherteam um Klaus Zimmermann, Direktor des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), ist dieser Frage jetzt wissenschaftlich auf den Grund gegangen – und gibt Entwarnung: „Alle Schätzungen für Migranten innerhalb der EU signalisieren, dass die Wanderungsbewegungen in der EU nicht davon abhängen, wie großzügig die Arbeitslosenversicherung in einem Land ist“, lautet das Fazit der Studie. „Die Migranten wollen sich nicht in die soziale Hängematte legen“, sagt Zimmermann. „Sie wollen arbeiten.“ Dass die Arbeitslosenquote von Ausländern höher ist als die von Deutschen, lässt der IZA-Chef als Gegenargument nicht gelten. Der Grund ist ein anderer: das im Durchschnitt schlechtere Qualifikationsniveau. Unter Deutschen und Ausländern mit vergleichbarer Ausbildung sind ähnlich viele arbeitslos. „Weltweit sprechen viele Argumente gegen die These, dass Sozialleistungen ein Magnet für Migranten sind“, lautet auch das Fazit eines Forschertrios um den dänischen Ökonomen Peder Pedersen (Universität Aarhus), das 2008 im renommierten „European Economic Review“ die Zuwanderung in 27 Industrieländern unter die Lupe nahm.
Quelle 1: Handelsblatt
Quelle 2: IZA [PDF – 254 KB]Anmerkung Orlando Pascheit: Auch wer das Wirken Klaus Zimmermanns vor allem beim DIW nicht goutieren konnte, kann nur begrüßen, dass sich Zimmermann (und sein Team) wieder einem früheren Forschungsschwerpunkt, Migration, zuwandte.
- Europa, eine starke Geschichte
Jürgen Habermas begeistert sich für Europa. In seinem anregenden Buch mutet uns der Philosoph einen geschichtsphilosophischen Entwurf von beinahe hegelianischen Gnaden zu.
Quelle: Frankfurter Rundschau - Der Erich Fromm-Preis 2012 geht an Georg Schramm… einer, der Unerhörtes hörbar macht
Georg Schramm lässt in seinen Bühnenfiguren auf radikale und des-illusionierende Weise Menschen das aussprechen, was in dieser auf Erfolg und Gewinn setzenden Gesellschaft nicht zum Vorschein kommen darf, ja angesichts einer am Ökonomismus orientierten neoliberalen Ideologie auch unausgesprochen bleiben soll. Er klärt auf und macht den Zorn konstruktiv und ist dabei ein beeindruckender Psychologe und Charakterdarsteller. Tragik und Komik, Ohnmacht und Menschenwürde bilden in seinen Bühnenprogrammen eine ganz einmalige Mischung.
Quelle: Internationale Erich Fromm GesellschaftAnmerkung JB: Die NachDenkSeiten gratulieren.