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Staatsorgane

Die große Koalition leidet eher unter falschen Konzepten und Konzeptionslosigkeit als unter Streitsucht.

Am 28.9. erschien ein Interview mit Altkanzler Helmut Schmidt in der „Zeit“. Überschrift: “Es gab keinen Streit. Helmut Schmidt über die Große Koalition von 1966 – und über den fatalen Einfluss der Ministerpräsidenten heute“. Mich hat es bei Lektüre dieses Interviews schon gereizt, etwas dazu zu schreiben. Ich ließ davon ab, weil ich die alten Männer nicht gerne kritisiere. Jetzt kommt aber auch noch Erhard Eppler mit einem ähnlichen Tenor in der Frankfurter Rundschau. Sein Beitrag über die große Koalition ist überschrieben mit: “Undiszipliniertes Palaver”.
Die Aussagen sind sachlich nicht ganz richtig. Auch zwischen Dezember 1966 und September 1969 gab es Konflikte. Noch wichtiger: die beiden Altpolitiker erwecken den Eindruck, als sei das Hauptproblem der heutigen Großen Koalition der Streit und die Disziplinlosigkeit.

Privatisierung der Flugsicherung und der Staat haftet bei Schäden für organisatorische Mängel

Der Bundespräsident hat bisher dem vom Bundestag verabschiedeten Privatisierungsgesetz der Deutschen Flugsicherung (DFS), wonach der Bund 74,9 Prozent seiner Anteile an private Investoren veräußern will, seine Unterschrift verweigert. Der Fiskus erhofft sich von dem Verkauf bis zu einer Milliarde Euro.
Nun hat das Landgericht Konstanz die Bundesrepublik zum Schadenersatz in noch unbekannter Höhe an die russischen Fluglinie Bashkirian Airlines verurteilt. Das Flugzeug der Klägerin war vor vier Jahren mit 71 Menschen an Bord wegen „schwerwiegender organisatorischer Mängel“ der privaten Schweizer Flugsicherung „Skyguide“ mit einer Frachtmaschine zusammengestoßen und abgestürzt.
Die Richter wiesen der Bundesrepublik die alleinige Verantwortung für Fehler von „Skyguide“, die den süddeutschen Raum kontrolliert, zu. Das Gericht sah u.a. einen Verstoß gegen die Verfassung, wonach die Luftverkehrssicherung als eine hoheitliche Aufgabe in bundeseigener Verantwortung bleiben müsse.
Man darf nun gespannt sein, ob der Bundespräsident ein Gesetz ausfertigt, das Gefahr läuft, dass die Gewinne bei der Luftsicherung privatisiert werden können und die Risiken für organisatorische Mängel am Staat haften bleiben.

Bertelsmann-Studie über die Vorstellungen der Arbeitnehmer zu ihrem Rentenübergang. Oder: Woher Bundespräsident Köhler seine Denkanstöße bezieht.

Tatsächlich zeigen auch Umfragen, dass die Deutschen sich darauf einstellen, später in Rente zu gehen. Ich finde, es könnte durchaus auch darüber diskutiert werden, ob starre Altersgrenzen überhaupt noch in unsere Zeit passen.

Das sagte Köhler im Mai auf dem 8. Seniorentag in Köln.

Arbeitnehmer in Deutschland wollen auch in fortgeschrittenem Alter beruflich aktiv bleiben – Mehrheit möchte Renteneintritt in der Altersphase zwischen 60 und 67 selbst bestimmen.

Das ist die Überschrift einer Befragung der Bertelsmann Stiftung, die am 24.07.06 vorgestellt wurde.
Ist diese Übereinstimmung Zufall – oder haben die guten Beziehungen zwischen Bertelsmann und dem Bundespräsidialamt Köhler zu diesem „Denkanstoß“ verholfen?

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, reiht sich in die Truppe der Lobbyisten für die private Altersvorsorge ein.

CSU-Mitglied Papier hat sich zwar bisher als erzkonservativer Jurist, aber nicht gerade als Rentenversicherungsexperte einen Namen gemacht. Nun schlägt er in der WELT Alarm und stellt in Frage, ob angesichts des Absinkens der gesetzlichen Rente, die Beitragserhebung noch verfassungsrechtlich legitimiert wäre.
Er stützt sich dabei offenbar auf eine Behauptung des bekannten Freiburger Versicherungslobbyisten Raffelhüschen, wonach junge Menschen „aus der Rentenversicherung weniger herausbekommen, als sie eingezahlt haben.“ Alle Leitmedien plappern diese „Meldung“ unkommentiert und unkritisch nahezu wortwörtlich nach. Bedarf es eines konkreteren Beweis dafür, dass wir eine freiwillige Gleichschaltung der Medien haben, zumal wenn es gegen die sozialstaatlichen Sicherungssystem geht?

Missbrauch von Beitragsleistungen an die Arbeitslosenversicherung

Laut Bild am Sonntag streiten CDU und SPD über die Verwendung eines in diesem Jahr anfallenden Überschusses von 7 Milliarden Euro bei der Bundesagentur für Arbeit.
CDU-Politiker wollen die paritätisch finanzierten Beiträge, die ja schon von 6,5 auf 4,5 % gekürzt worden sind, noch weiter kürzen. SPD-Chef Kurt Beck und Finanzminister Steinbrück wollen die Versicherungsbeiträge zur Konsolidierung des Bundeshaushalts abschöpfen. Auf die Idee, die Überschüsse wieder den versicherten Arbeitslosen zugute kommen zu lassen oder für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einzusetzen, kommt bei den Großkoalitionären und bei der Bundesagentur offenbar niemand.

Der „Ruck“-Präsident Herzog: Wenn´s dem deutschen Volk mal richtig schlecht geht, dann könnte der Ruck kommen.

In der aktuellen Ausgabe des Magazins GELDIDEE aus dem Bauer Verlag ist ein Interview mit unserem ehemaligen Präsidenten Roman Herzog über “über weltfremde Politiker, ängstliche Bürger und die Verantwortung von Managern” abgedruckt. Die Lektüre lohnt sich, weil dort z.B. ziemlich unverhüllt ausgesprochen wird, was hinter der Forderung nach mehr „Freiheit“ steht, nämlich der Abbau von Demokratie und die Entmachtung des Staates. Fazit des Mitbegründers des „Konvents für Deutschland“: Die Eliten sind gut, das Volk ist schlecht. Einer aus dem Volk, Leser der NachDenkSeiten, empört sich.

Die „Bundespräsidenten-Partei“ im BILD-Interview

„Köhler ist ein abgeschnittener Präsident… Er ist die Hinterlassenschaft einer nicht zustande gekommenen schwarz-gelben Koalition ist.“ Diese Sätze von Heribert Prantl las ich am 4. Juli in der Süddeutschen Zeitung. Köhler bestätigt am Tag darauf mit seinem zweiseitigen Interview in der BILD-Zeitung dieses Urteil. Uns ist das schon etwas länger aufgefallen und deshalb haben wir auf den NachDenkSeiten unsere Serie die „Bundespräsidenten-Partei“ aufgelegt.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts erklärt das Sozialstaatspostulat des Grundgesetzes zur politischen Verfügungsmasse und der Bundespräsident pflichtet ihm sofort bei.

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ lautet Artikel 20 des Grundgesetzes. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier meint dagegen in der FAZ:

Die Grundlagen unserer Verfassung basieren auf dem Prinzip der Eigenverantwortung“ und „das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum.

„Wir müssen ein neues Verhältnis finden in der Tat zwischen kollektiver Absicherung und Eigenverantwortung“, pflichtete ihm unser Bundespräsident im DLF bei.
Damit segnet unser oberster Repräsentant des Staates und unser oberster Richter letztlich alles ab, was an Abbau des Sozialstaates noch politisch vorangetrieben werden mag.

Die „Bundespräsidenten-Partei“ stellt auf dem DGB-Bundeskongress ihr Parteiprogramm vor

Guido Westerwelle wurde nicht eingeladen, weil er die Gewerkschaften als „Plage“ beschimpft hat. Horst Köhler, im Hauptamt Bundespräsident, hat aber mit seinem auf dem Gewerkschaftskongress vorgetragenen „Parteiprogramm“ den FDP-Vorsitzenden mehr als gut vertreten. Köhler entwickelt sich zur einzigen öffentlich wahrgenommenen liberalen Oppositionspartei gegenüber der Großen Koalition. Dass sein Traum einer schwarz-gelben Bundesregierung am demokratischen Wählervotum gescheitert ist, hindert ihn nicht daran, sein liberales Programm weiter gegen die Regierung und gegen die Mehrheit im Parlament zu vertreten.

Bundespräsident Köhler will den Älteren „einiges zumuten“: Längeres Arbeitsleben und mehr eigene Vorsorge

Mit Verweis darauf, dass die Rente mit 65 mittlerweile selbst 90 Jahre alt sei, fragte Köhler auf dem 8. Seniorentag in Köln, ob starre Altersgrenzen noch in unsere Zeit passten, er wünsche sich mehr Freiheit für den einzelnen und für die Tarifpartner, länger zu arbeiten. Außerdem mahnte er mal wieder sein Lieblingsthema an: Mehr Eigenvorsorge.
Köhlers „Denkanstöße“ gehen immer in die gleich Richtung: Zurück in die Vergangenheit.

Unsere Eliten vertreten private Interessen – schamlos und ungeschminkt

Wenn Sie im kritischen Tagebuch der NachDenkSeiten zurückblättern, werden Sie eine Fülle von Fakten und Daten darüber finden, wie Politik, Wissenschaft und Medien systematisch das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme zerstören und damit private Interessen der Versicherungswirtschaft bedienen. Diese politische Korruption ist offenbar nicht zu stoppen – es wird schamlos weitergemacht, auch in öffentlich-rechtlichen Medien. Im folgenden weisen wir auf einen Beitrag der aktuellen Tagesschau und auf einen Bericht von SpiegelOnline über den Regierungsbericht für Altersvorsorge hin. In beiden Beiträgen wird hemmungslos Propaganda für die Privatvorsorge gemacht. Angesichts der Tatsache, dass die Privatvorsorge-Systeme weltweit in der Krise sind und der Umstieg auf Privatvorsorge de facto gar nichts an der angeblichen Überalterung ändern kann, ist diese Chuzpe schon wieder bewundernswert.

100 Tage Große Koalition: „Immer nur lächeln, lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen, doch wie´s da drin aussieht, geht niemand was an.“

Auf diesen Refrain eines Evergreens aus Franz Lehárs Operette „Das Land des Lächelns“ spielt diese Woche die Titelgeschichte des SPIEGELs an. In ganz Deutschland scheint diese seit langem aus der Mode gekommene Operette auf allen Spielplänen zu stehen: Bei Konjunkturforschern, bei Ministern, bei Händlern, bei Konsumenten, bei Managern, bei Börsianern, bei Arbeitsvermittlerinnen, sogar bei Ex-Ministern, Talkmastern oder bei Spaßmachern, so fabuliert der SPIEGEL in gewohnter Oberflächlichkeit. Die Operette gilt als eine leicht bekömmliche Musikgattung, die vor allem der Unterhaltung und der Ablenkung von den Sorgen des Alltags dienen soll. Doch wie´s da drin aussieht, geht eben niemand was an!

Die Föderalismusreform, die „Mutter aller Reformen“, ermöglicht das Durchregieren im Bund und das Hauen und Stechen der Landesfürsten – die Bürger aber, werden mit leeren Händen dastehen.

In einer sog. Spitzenrunde, an der unter anderen die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen, Volker Kauder und Peter Struck, Justizministerin Brigitte Zypries sowie mehrere Länder-Regierungschefs teilnahmen, wurde hinter verschlossenen Türen am 16. Februar Einvernehmen über die Föderalismusreform erzielt. An 40 Stellen muss nun mit dieser tiefgreifendsten Verfassungsreform seit 1949 unser Grundgesetz geändert werden – und kaum jemand fragt, was das für die Bürgerinnen und Bürger bedetuen wird.