Kategorie:
Ungleichheit, Armut, Reichtum

„DIE SPD VERABSCHIEDET SICH ENDLICH VON SCHRÖDERS STEUERPOLITIK“

„Modernität kostet Geld“ – schreibt die taz heute. Nun gut, wir freuen uns über jede Wende zur Vernunft. Wenn die SPD jetzt kapiert, was ihre Altvorderen schon vor 30 Jahren wussten – nur Reiche können sich einen armen Staat leisten – dann soll uns das Recht sein, auch wenn das Wort „Modernität“ bei der taz und vermutlich auch bei der SPD nicht mehr zu vermeiden ist. Dass Bildung und Chancengleichheit und eine gute Infrastruktur Geld kosten, ist klar und nichts Neues. Was das mit „Modernität“ zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht, macht aber nichts. Dass die SPD und mit ihr die Grünen und vor ihr die konservativen Parteien glaubten, das Ideal sei der „schlanke Staat“, entpuppt sich als teurer Denkfehler.

So wirkt Sinns menschenverachtender Ökonomismus auf einen Bürger der ehemaligen DDR

Am 02.04.06 haben wir uns auf den NachDenkSeiten mit einem Streitgespräch des Leipziger Pfarrers Christian Führer mit dem Münchner Ifo-Chef Hans-Werner Sinn auseinandergesetzt. Ein Leser aus dem Osten Deutschlands hat uns dazu einen Brief geschrieben, der uns sehr nachdenklich macht. Er belegt, wie Sinn mit seinem ökonomistischen „Alternativ-Radikalismus“ zum früheren „real existierenden Sozialismus“ den Bürgern in der ehemaligen DDR, die die erste friedliche Revolution auf deutschem Boden getragen haben, ihre Hoffnungen nimmt. Wir halten die Enttäuschung, die aus diesem biografischen Brief spricht, deshalb für dramatisch, nicht weil wir den Wichtigtuer Sinn für so wichtig halten, sondern weil daraus deutlich wird, wie sehr die Gesinnungsgenossen von Sinn mit ihrem neoliberalen Weltbild, die innere Einheit Deutschlands sabotieren.

In einem Streitgespräch mit dem Leipziger Pfarrer Christian Führer mit Hans-Werner Sinn belegt der Münchner Ifo-Chef einmal mehr seine radikale menschenverachtende Ökonomik

Das evangelische Magazin „chrismon“ 03/2006 druckte ein Streitgespräch zwischen dem Pfarrer an der Nikolaikirche in Leipzig und „Deutschlands bestem Professor“ (BILD) ab. Sinn vertrat dabei sein bekanntes radikal ökonomistisches Weltbild: „Marktwirtschaft funktioniert mit dem Menschen so, wie er ist: ein egoistisches profitsüchtiges Individuum, das seinen Konsum maximieren will.“ Der in der Tradition der deutschen Sozialökonomik stehende Bielefelder Wirtschaftswissenschaftler Siegfried Katterle, hält Sinn in einem Leserbrief vor, dass er mit seinen marktradikalen Positionen selbst hinter die Erkenntnisse der Klassiker der liberalen Ökonomie zurückfällt.

Bereicherung deutscher Unternehmensvorstände

Ein neuer Schwerpunkt von Joachim Jahnke. Sein Hinweis: „Jedes Vorstandsmitglied bezog 2005 im Schnitt 1,8 Mio. Euro oder mehr als ein durchschnittlicher deutscher Arbeitnehmer in seinem ganzen Arbeitsleben verdienen kann. Trotzdem wurden die Vorstandsgehälter 2005 im Durchschnitt noch einmal um 11 % erhöht und dies bei stagnierenden und real rückläufigen Arbeitnehmereinkommen. Und dann hat im Vorfeld der Tarifverhandlungen für 2006 Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser angekündigt, die rund 3,5 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie müssten sich auf Reallohnverluste einstellen.“

Quelle: www.jjahnke.net

Nationale Armutskonferenz: Armut breitet sich aus.

Zur gleichen Zeit als Finanzminister Steinbrück in der Haushaltsdebatte im Bundestag forderte, die Bevölkerung müsse ihre Ansprüche an den Staat zurückschrauben, legte die Nationale Armutskonferenz (nak), ein Zusammenschluss von mehr als einem Dutzend Sozial- und Wohlfahrtsverbänden eine kritische Bilanz der Auswirkungen der Hartz-IV-Arbeitsmarktreform vor: Es habe sich gezeigt, dass 345 Euro Arbeitslosengeld für viele nicht ausreiche. Nak-Sprecher Hans-Jürgen Marcus sieht für viele ALG-II-Empfänger den Weg in die “Verschuldensspirale” vorgezeichnet. In Deutschland gebe es 3,1 Millionen überschuldete Haushalte.

IAT-Report: Mindestens sechs Millionen Niedriglohnbeschäftigte in Deutschland:

Knapp 21% aller abhängig Beschäftigten in Deutschland arbeiten für Niedriglöhne.
Nach der international üblichen Definition der Niedriglohngrenze (zwei Drittel des Medianentgelts) beträgt diese im Jahre 2004 in Westdeutschland 9,83 € und im Osten 7,15 €.
Teilzeitbeschäftigte und Minijobber/innen sind überdurchschnittlich häufig von niedrigen Stundenlöhnen betroffen. 9% oder gut 2,6 Millionen abhängig Beschäftigte arbeiten sogar für Stundenlöhne von unter 7,38 € in West- bzw. 5,37 € in Ostdeutschland.
Das sind einige der wichtigsten Ergebnisse einer Untersuchung von Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Technik im IAT-Report 2006-03 [PDF – 344 KB].

Tarifpolitischer Jahresbericht 2005 des WSI: Gemischte Bilanz – Reallohnverluste überwiegen

Die Bilanz des Tarifjahres 2005 fällt gemischt aus: In wenigen Branchen konnten die Gewerkschaften deutliche Reallohnsteigerungen durchsetzen, so zum Beispiel in der Stahlindustrie und in der chemischen Industrie. Im öffentlichen Dienst gelang nach langwierigen Verhandlungen die Vereinbarung über ein vollständig neues Tarifwerk. In vielen anderen Branchen kämpften die Gewerkschaften mit dem Rücken zur Wand. Geringe Lohn- und Gehaltssteigerungen zwischen 1 und 2 %, Einschnitte in manteltarifliche Regelungen und Leistungen und die Vereinbarung weiterer tariflicher Öffnungsklauseln und Flexi-Bestimmungen prägten die Abschlüsse in zahlreichen Tarifbereichen.
Die Zahl der Erwerbstätigen ging leicht zurück und die Arbeitslosenzahl stieg jahresdurchschnittlich von 4,4 auf 4,8 Mio. Die Gewinnsituation der Unternehmen verbesserte sich erneut: Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stiegen nach knapp 12 % in 2004 im vergangenen Jahr noch einmal um über 6 %.

Studie von Irene Becker und Richard Hauser: Hartz IV: Umverteilung von unten nach ganz unten.

Hartz IV verteilt Einkommen unter den ärmsten Haushalten um. Rund 60% verlieren, etwa 40% gewinnen. Zu dieser Einschätzung kommt eine Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Unter den 60 % „Verlierern“ verliert ein Viertel seinen Anspruch komplett. Die verschärfte Anrechnung des Partnereinkommens treffe vor allem Frauen. Vielen bisher „verdeckten Armen“, die nur wenig Arbeitslosenhilfe bezogen hätten, aber keine ergänzende Sozialhilfe in Anspruch genommen hätten (darunter viele Alleinerziehende), gehe es besser. Die relative Armut – nach EU-Definition 60 Prozent des mittleren Einkommens – steige unter den Betroffenen von etwa 50 auf 65 Prozent.

Siehe dazu auch eine grafische Darstellung [PDF – 200 KB] der „Gewinner“ und „Verlierer“.

Disput zu Flassbecks Beitrag

Unser Nutzer Adrian widerspricht der Einschätzung Flassbecks und anderer deutscher Ökonomen: „Haushaltseinkommen in den USA fällt seit 5 Jahren“. Und Heiner Flassbeck antwortet.

Armut erreicht die Chefetagen? Rick Wagoner, Konzernchef von GM halbiert sich den Lohn

GM hat den Abbau von 30.000 Stellen für die nächsten drei Jahre angekündigt, die Krankenkassenzuschüsse für beschäftigte und pensionierte Mitarbeiter und die Altersvorsorge werden gekürzt. Allein bei Opel sind schon 8000 Stellen abgebaut worden. „Der Chef des angeschlagenen amerikanischen Autoriesen General Motors, Rick Wagoner, kürzt sein eigenes Gehalt um die Hälfte“ titelt die NZZ. Laut Forbes bezog Rick Wagoner im Jahr 2004 4,8 Millionen Dollar „Cash Compensations“ und 2,7 Millionen „Stock Options“ zum damaligen Markwert von 5 Dollar pro Stück.
„Entbehrungen für Arbeiter und Management“ meint die Nachrichtenagentur Reuters.

„Sicherheitsversprechen“ für wen? Ist es „sozialnostalgisch“, wenn man auf die zunehmende Schieflage bei Einkommen und Vermögen hinweist?

Die Primärverteilung des Volkseinkommens zwischen Kapital und Arbeit hatte sich in den Jahren ab 2000 rapide zugunsten der Gewinneinkommen verschoben. Die sekundäre Verteilung des Volkseinkommens durch Steuern und Abgaben hat diese einseitige Primärverteilung noch weiter polarisiert. Die unteren 50 Prozent der Haushalt verfügen über 4 Prozent des Vermögens. Die oberen 10 Prozent über 47 Prozent. Matthias Platzeck hat Recht: Es ist höchste Zeit „die Idee der sozialen Gerechtigkeit grundlegende zu erneuern“. Die Frage ist nur, wo man ansetzt: Bei den „Sicherheitsversprechen“ für die, die schon im Übermaß haben oder für die, die es am nötigsten haben. Karl Mai zeigt an Hand von konkreten Zahlen, wo der „soziale Zusammenhalt“ in unserer Gesellschaft zunehmend gefährdet ist.

Böckler Impuls 01/2006: Studie zu verdeckter Armut. Im toten Winkel des Sozialstaates. Mindestens 1,8 Millionen Bedürftige leben ohne staatliche Hilfe.

Die Dunkelziffer der Armut ist in Deutschland fast so hoch wie die erfasste Zahl. Hauptursachen sind Fehlinformation und Angst vor Stigmatisierung.
Die verdeckte Armut erreicht in Deutschland fast die Größenordnung der bekämpften. Auf drei Empfänger von Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt kommen nach einer Auswertung von Irene Becker und Richard Hauser „mindestens zwei, eher drei Berechtigte“, die sich nicht beim Amt melden.

Die neue Programmatik der SPD zielt auf die „linke Mitte“ – allerdings nur noch der oberen zwei Drittel der Gesellschaft. Für das untere Drittel bleibt allenfalls die Notfallhilfe.

Weil man nicht auf die nahe liegende Idee kommen darf, dass es an der praktischen Politik der SPD liegt, dass diese Partei von immer weniger Menschen als Hüterin der „sozialen Gerechtigkeit“ wahrgenommen wird, macht ihr Vorsitzender Platzeck nun umgekehrt den Versuch diesen sozialdemokratischen Kernbegriff der praktizierten Politik der SPD anzupassen. Nach dem Motto: Wenn wir schon unsere früheren programmatischen Vorstellungen von „sozialer Gerechtigkeit“ nicht mehr in praktische Politik umsetzen wollen, müssen wir wenigstens diesen Grundwert so umdeuten, dass er wieder mit unserem politischen Handeln einigermaßen zusammenpasst. Kurz: Man hat den Topf schon längst gewechselt und sucht nun den passenden Deckel.