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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Das Denken in Institutionen – Eine spezifisch deutsche Ideologie
Datum: 4. Juli 2011 um 9:48 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Europäische Union, Wertedebatte
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Ein grundlegendes Defizit unter deutschen Intellektuellen bei der Diskussion über die derzeitige europäische Krise ist die Ausblendung der ökonomischen Ursachen dieser Krise und damit – notwendigerweise – das Fehlen von effektiven Lösungsansätzen für die Europa zu sprengen drohende Euro-Krise. Die ökonomische Krise wird in jüngsten Abhandlungen etwa von Jürgen Habermas oder von Heribert Prantl vor allem als eine Krise der Institutionen interpretiert. Dieser Denkansatz greift jedoch zu kurz. Die europäischen Institutionen und schon gar deren demokratische Legitimation werden vielmehr umgekehrt zunehmend dem „Protektorat“ der herrschenden Wirtschaftsdoktrin unterstellt. Von Volker Bahl
Sowohl der Sozialphilosoph Jürgen Habermas wie jetzt auch der Journalist und Jurist Heribert Prantl finden emphatische Worte für ein Weiter-Bestehen der Europäischen Union. (Was durchaus meine uneingeschränkte Sympathie findet.) Jedoch geht bei beiden die Suche nach einer Lösung der gegenwärtigen Krise in eine m.E. wenig erfolgversprechende Richtung. Und zwar deshalb, weil sie nur einer eingeschränkten Betrachtungsweise folgen. Sie reduzieren die “größte Weltwirtschaftskrise” seit 80 Jahren auf institutionelle Fehler und Mängel.
Dieses institutionelle Denken unter Ausblendung der zugrundeliegenden ökonomischen Dynamik hat gerade in Deutschland eine lange Tradition. Schon gegenüber der großen Wirtschaftskrise der 30er Jahre fehlt es im deutschen Sprachraum an einer ökonomisch angemessenen Krisen-Aufarbeitung, wie wir sie etwa von John Galbraith, Charles Kindlesberger u.a. im angelsächsischen Raum vorfinden. Auch die politischen Folgen der Weltwirtschaftskrise sind – jedenfalls in Deutschland – höchst selten aus einer ökonomischen Perspektive analysiert worden.
So drückt sich etwa Jürgen Habermas in seiner vor kurzem gehaltenen Rede in der Berliner Humboldt-Universität an der doch ganz zentralen Frage vorbei, wie diese Finanz-, Wirtschafts-und Schuldenkrise mit ihrem ökonomischen Ausgangspunkt von den deregulierten Finanzmärkten überwunden werden könnte. Habermas beschränkt sich vor allem auf die institutionellen und legitimatorischen Probleme innerhalb der Europäischen Union, doch damit geht der Blick auf eine politisch-ökonomische Überwindung der europäischen Krise verloren.
Sind es bei Habermas in erster Linie demokratische und identitätsstiftende Defizite des „Eliteprojektes“, die die unsoziale Schlagseite von Europa verursachten, so sind es bei Prantl vor allem das europäische Wirtschaftsrecht und die wettbewerbsfreundliche Rechtssprechung des EuGH – oder wie er es an diesem Wochenende in der SZ ( 2./3. Juli 2011) ausführte: “Eine Aufgabenteilung – die EU ist zuständig für Wirtschaft und Wettbewerb, während die Nationalstaaten für das Soziale da sind – kann nicht funktionieren, wenn die EU vor allem die Vorfahrt für die Wirtschafts- und Wettbewerbsfreiheit propagiert – dann nämlich wird die Sozialpolitik der Mitgliedsstaaten, dann werden die nationalen Sozialpolitiken als Hindernisse betrachtet, die beiseite geräumt werden müssen nach dem Motto: freie Bahn der Freizügigkeit, der Dienstleistungsfreiheit, dem Waren- und Kapitalverkehr – weg mit allem, was dabei stört.“ Auch der Europäische Gerichtshof in Luxemburg sei in diesem Denken verhaftet. Er agiere und urteile oft so, als wäre er noch der Gerichtshof der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, als habe er noch nicht gemerkt, dass aus der Europäischen „Wirtschafts“-Gemeinschaft eine Europäische „Union“ geworden ist. Die unternehmerische Freiheit gelte – ganz wie im unregulierten Frühkapitalismus – als Haupt und Grundfreiheit, das Streikrecht als Störung, die nur ganz ausnahmsweise berechtigt sei (vgl. auch). Die sozialen Grundrechte hätten im höchsten EU-Gericht noch keinen Hüter.
(Da diese gegenüber seiner Rede in Weimar noch etwas präziseren Ausführungen vom 2./.3. Juli 2011 im Wochenend-Teil der SZ nicht im Netz stehen, habe ich auf Heribert Prantl`s Rede (im Netz), die er am 3. April im Deutschen Nationaltheater zu Weimar gehalten hat, zurückgegriffen: “Europa, zweite Heimat” (siehe auch den Link zum zweiten Teil der Rede am Ende))
(Anmerkung: Erstaunlich bei dieser berechtigten Kritik Prantls an der europäischen Rechtsprechung ist, dass die jüngsten Tendenzen auf der politischen EU-Ebene hin zu einer weiter neoliberal fixierten “Europäischen Wirtschaftsregierung” keine Erwähnung findet.)
Neulich wurde sehr klug auf den Nachdenkseiten analysiert – wie es einerseits die (marxistische) Linke vereint mit der rechten (neoliberalen) ökonomischen Lehre fertig bringen , nicht nur das politische Handeln gering zu achten, ja noch mehr, wie die herrschenden ökonomische Denkschule es sogar für unmöglich oder jedenfalls (für den Markt) für schädlich halten, politisch gestalten zu wollen. Es herrscht das Motto: “Die Ökonomie determiniert sowieso alles, deshalb wird politisches Handeln nicht nur überflüssig, sondern sogar kontraproduktiv“.
Umgekehrt verleiten uns die Denker in den Kategorien der politischen Institutionen dazu, die Krise des Euro und mit ihr die Krise der Europäischen Union sich einfach “natürwüchsig” selbst erledigen zu lassen und sie sie vor allem mit Hilfe besserer Rechtssetzung und entsprechender Rechtsprechung in den Griff bekommen oder künftig verhindern zu wollen.
Notwendig wäre es aber, dieses institutionelle Denken vom Kopf auf die Beine zu stellen: Alle Proteste und alle Empörung können ihren demokratischen und sozialen Zielen allenfalls dann näher kommen, wenn die der aktuellen Krise angemessenen ökonomischen Krisenlösungen – nebst natürlich ihren institutionellen Voraussetzungen (aber eben nur in diesem Wechselverhältnis!) politisch durchgesetzt werden könnten. Dies verlangte aber, auf die „Unsicherheiten des Marktgeschehens“ (Keynes) politisch (staatlich) und ökonomisch-adäquat zu reagieren. Eine bloß institutionelle Betrachtungsweise greift zu kurz. Ohne eine Analyse der ökonomischen Ursachen und ohne eine Kritik der bisher eingeschlagenen (ökonomischen) Lösungswege aus dieser Krise besteht die Gefahr, dass das wettbewerbliche “Kriegsgeschehen” seinen Lauf nimmt und dass große Teile Europas (wie jetzt schon Griechenland oder Portugal) und letztlich sogar ganz Europa dem „Protektorat“ der Wirtschaftsdoktrin der Troika von IWF, EZB und EU-Kommission unterstellt werden. Die politischen „Institutionen“ Europas hätten dann vollends ausgedient und deren demokratische Legitimation wäre allenfalls noch eine Farce (Siehe auch hier und hier)
Anmerkung WL: Während Habermas und Prantl, wenigstens noch die „europäische Idee“ hochhalten, rechnet Hans Magnus Enzensberger in der FAZ in populistischer Manier mit der Brüsseler „Bananenbürokratie“ ab und reiht sich damit in den chauvinistischen Chor der Wilders, der Le Pens oder der „Wahren Finnen“ ein. Enzensberger schlägt auf den „Sack“ Brüssel ein und sieht den „Esel“ schon gar nicht mehr. Unter dem „Sack“, auf den er einschlägt, oder – wie er es nennt – hinter dem „Sanften Monster“ Brüssel (Enzensberger) verbergen sich doch nichts anderes die nationalen Regierungen in Berlin, Paris oder anderswo. (Siehe dazu Rudolf Walther, Europa neue denken, in der Printausgabe der taz vom 2./3.Juli 2011). Enzensbergers Kritik ist ein Beispiel für das Elend, in dem deutsche Intellektuelle inzwischen versunken sind.
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