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Titel: Stimmen zur verstärkt drohenden Auslieferung von Julian Assange an die USA nach der Entscheidung des High Court
Datum: 13. Juni 2023 um 14:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Erosion der Demokratie
Verantwortlich: Redaktion
In der vergangenen Woche gab der britische High Court die Entscheidung des Richters Sir Jonathan Swift bekannt, dass dieser zwei Berufungsanträge von Assanges Anwälten nicht zur Verhandlung zugelassen hat. Damit bleibt Julian Assange nur noch ein Rechtsmittel im Vereinigten Königreich. Seine Frau Stella kündigte an, dass ihr Mann einen erneuten Berufungsantrag einbringen werde. Zahlreiche Personen und Organisationen reagierten mit Stellungnahmen und Artikeln, von denen wir nachfolgend einige wiedergeben, zusammen mit einer eigenen Einschätzung. Von Moritz Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Als Erstes möchte ich auf diesen Artikel von Thespina Lazaridu hinweisen, der einen kompakten und umfassenden Überblick zum Fall Assange bietet.
Ziemlich genau vor einem Jahr, am 17. Juni 2022, hatte die damalige britische Innenministerin Priti Patel die Auslieferung von Julian Assange genehmigt. Der Rechtsbeistand von Julian Assange legte Ende August 2022 dagegen und gegen Teile der Auslieferungsentscheidung des Bezirksgerichts Berufung am High Court ein.
Nun hat der zuständige Richter nach 9 Monaten seine Entscheidung verkündet, dass die Berufungsanträge in allen 8 Punkten abgelehnt und nicht zur Verhandlung am High Court zugelassen werden. Anscheinend geschieht dies mit der Begründung, dass die Berufungsanträge keine neuen Argumente enthalten hätten. Das dreiseitige Statement des Richters ist allerdings (noch) nicht auf der Webseite des High Courts einsehbar.
Man fragt sich, wieso es 9 Monate gedauert hat, bis ein Richter zu einer Entscheidung kommt, die er auf drei Seiten begründen kann, und die Berufungsanträge behandelt, die nach Meinung dieses Richters nichts Neues enthalten. Dies scheint ein erneuter Hinweis darauf zu sein, dass es sich um ein abgekartetes Spiel handelt, in dem man das Opfer Assange so lange wie möglich unter furchtbaren Bedingungen und in Ungewissheit hinhalten will.
Anfang Mai hatte Assange dem frisch gekrönten englischen König Charles III einen Brief geschrieben und ihn eingeladen, ihn im Gefängnis Seiner Majestät (HMP) Belmarsh zu besuchen, um sich dort ein Bild von den Haftbedingungen der 687 Insassen zu machen. Zum Beispiel essen die Gefangenen dort nicht gemeinsam, sondern einzeln in ihren Zellen.
In diesem Artikel auf Telepolis wird das Framing im Fall Assange beschrieben. Der Autor Sebastian Köhler beschreibt, wie in den Medien von „US-Militäreinsätzen“ anstatt von „US-Kriegen“ und von der „geplanten Auslieferung“ Julian Assanges berichtet wird, wenn es doch „mögliche Auslieferung“ oder „etwaige Auslieferung“ heißen sollte. Ich würde noch „von den USA geforderte Auslieferung“ hinzufügen.
Auch ich sehe dieses „geplant“ als eine verbale Normalisierung des Auslieferungsverfahrens, welches von Merkwürdigkeiten und Anomalien durchzogen ist. Ein juristisch bewanderter Freund hat es mir gegenüber mit einem Schachspiel verglichen, in dem das Vereinigte Königreich den USA unerlaubte Züge erlaubt, wie z.B. das nachträgliche Einbringen von „Zusicherungen“. Aber „geplant“ klingt schön normal und deckt sich mit der Ansicht der Bundesregierung, dass es sich beim Vereinigten Königreich um einen befreundeten Rechtsstaat handelt, dem man nicht in laufende Gerichtsverfahren hineinredet.
Etwas merkwürdig ist nur, dass die jetzigen Minister Baerbock und Habeck vor der letzten Bundestagswahl noch die Freilassung von Assange gefordert haben. Mittlerweile sind beide in dieser Richtung sehr still. Robert Habeck scheint seit seinem in Sachen Assange eher peinlichen Auftritt bei „Jung und naiv“ nichts mehr zum Fall Assange gesagt zu haben.
Auf Abgeordnetenwatch findet sich eine Aussage von Annalena Baerbock vom 14. September 2021. Sie fordert dort, unisono mit dem damaligen Sonderbeauftragten der UN, Nils Melzer, die sofortige Freilassung von Julian Assange. Keine drei Monate später als frisch ernannte Ministerin nach dem Urteil des High Courts befragt, welcher das Urteil des Bezirksgerichts kippte und die Auslieferung Assanges erlaubte, erwiderte sie, sie habe das Urteil des High Courts noch nicht gelesen.
Dass sie als oberste Diplomatin der BRD erst einmal so etwas sagt, sagen muss, ist vielleicht verständlich, aber es ist bis heute nicht öffentlich ersichtlich, ob sie sich überhaupt mit diesem Urteil beschäftigt hat. Vor der Wahl mit Assanges Schicksal auf Stimmenfang, danach Ausflüchte. Dies wären Fragen, die in der Bundespressekonferenz gestellt werden könnten. Die Grünen sind zu einer wohletablierten Partei geworden.
Im Gegensatz zu diesen deutschen Ministern kommentiert der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die Vorgänge um Julian Assange deutlich und direkt. Nach der Ablehnung der Berufungsanträge schrieb er auf seinem offiziellen Twitter-Account:
„Assange hat wichtige Arbeit geleistet, indem er das unrechtmäßige Vorgehen eines Staates gegen einen anderen anprangerte. Seine Verhaftung läuft der Verteidigung der Demokratie und der Pressefreiheit zuwider. Es ist wichtig, dass wir uns alle zu seiner Verteidigung mobilisieren.“
Vielleicht rührt dieses Mehr an Empathie daher, dass Lula selber 580 Tage im Gefängnis saß und sich vorstellen kann, wie es Julian Assange geht. Anfang Mai hatte er in London auf einer Pressekonferenz gesagt, die Inhaftierung Assanges sei eine „Schande“ für Großbritannien.
Auch die irische Europaabgeordnete Clare Daly äußerte sich folgendermaßen auf Twitter:
„Äußerst besorgniserregende Nachrichten, dass #Assange die Berufung verweigert wurde. Das bringt ihn noch näher an das heran, was nicht passieren darf: Auslieferung an die Vereinigten Staaten, um sich wegen Journalismus im internationalen öffentlichen Interesse einer Anklage wegen Spionage zu stellen. #FreeAssange“
Auf der Webseite der Freedom of the Press Foundation heißt es:
„Die Vorstellung, dass Assange oder ein anderer vor ein US-Gericht gestellt werden könnte, weil er vertrauliche Dokumente auf dieselbe Weise beschafft und veröffentlicht hat, wie es investigative Reporter jeden Tag tun, sollte alle Amerikaner aufschrecken. […] Es ist an der Zeit, dass Biden diesen Fall fallenlässt und der Welt zeigt, dass er es mit der Pressefreiheit ernst meint.“
Die Kampagnendirektorin von Reporter ohne Grenzen, Rebecca Vincent, gab das folgende Statement ab:
„Es ist absurd, dass ein einzelner Richter eine dreiseitige Entscheidung erlassen kann, die Julian Assange für den Rest seines Lebens ins Gefängnis bringen und das Klima für den Journalismus auf der ganzen Welt dauerhaft beeinflussen könnte. Das historische Gewicht dessen, was als Nächstes passiert, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist an der Zeit, diese unerbittliche Verfolgung von Assange zu beenden und stattdessen zu handeln, um den Journalismus und die Pressefreiheit zu schützen. Unser Appell an Präsident Biden ist jetzt dringender denn je: Lassen Sie diese Anklagen fallen, stellen Sie das Verfahren gegen Assange ein und ermöglichen Sie seine Freilassung ohne weitere Verzögerung.“
Auch die Tageszeitung junge Welt berichtet über die Ablehnung der Berufungsanträge und erkennt im Fall Assange den Kampf um die Pressefreiheit. In dem Artikel wird auch von zwei anderen Journalisten berichtet, die in der letzten Zeit Probleme mit den Behörden bei der Einreise nach Großbritannien hatten.
Die Behandlung von Journalisten und der Umgang mit der Pressefreiheit ist auch der Faden, der diesen aktuellen Artikel von Craig Murray durchzieht. Auch er berichtet wie die „junge Welt“ von den Problemen, die die Behörden des Vereinigten Königreichs dem Journalisten Kit Klarenberg bei der Einreise bereiteten. Der Artikel hat den bezeichnenden Titel „Die Dämmerung der Freiheit“.
Craig Murray meint wohl die Abenddämmerung, denn er schließt nach zahlreichen Beispielen mit den Worten: „Eine geeinte politische Klasse, die von Milliardären kontrolliert wird, treibt uns in Richtung Faschismus. Das scheint mir inzwischen unbestreitbar.“ Diesen Worten ist eigentlich nichts hinzuzufügen, außer dass man sich fragen muss, warum diese Entwicklung so wenig Aufsehen erregt und es keine Massenproteste gibt. Ob das daran liegt, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht oder ob wir wie Mäuse sind, gelähmt vom Anblick der Katze, ist eine Frage, der man weitere Artikel widmen könnte.
Wer sich an wahrscheinlich kleineren Protesten beteiligen will, ist bei FreeAssange.EU an der richtigen Adresse. Für Julian Assanges 52. Geburtstag am 3. Juli sind weltweit Veranstaltungen geplant, so zum Beispiel auch am Brandenburger Tor in Berlin. Steter Tropfen höhlt den Stein. Wenn der Tropfen nicht im Fallen verdunstet …
In Berlin wird an diesem Tag auch die Installation Belmarsh Live vor Ort sein, mit der man einen Eindruck vom „Lebensstandard“ in Belmarsh bekommen kann.
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