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Titel: In Bombenstimmung in die strahlende Zukunft
Datum: 14. Juni 2023 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Ideologiekritik, Strategien der Meinungsmache, Wertedebatte
Verantwortlich: Redaktion
Obwohl in einem aufklärenden Horror-Noir-Stil beschrieben und auf den gesunden Menschenverstand appellierend, war es nicht mal einem vorausschauenden Platon vor 2500 Jahren in seinem Höhlengleichnis gelungen, seine Zeitgenossen zum kritischen Nachdenken über die Begrenztheit des gemeinschaftlichen Bewusstseins anzuregen. Keine Chance: Schon unter den damaligen „Höhlen-Herrschern“ hatte sich das ideologisierte Lenken des kommunikativen Erkennens als eine Selbstverständlichkeit des Machterhalts durchgesetzt. Und heute? Statt sich von der „höhlischen“ Weltbildgestaltung zu emanzipieren, konzentriert sich die westliche Wertegemeinschaft auf das Grunderneuern der ehemals düsteren Behausung mit Hightech und super Komfort in eine des zivilisiert beschränkten Denkens, frei nach Huxleys „Brave New Cave“. Und wozu? Bloß, um in strahlender Bombenstimmung ihren Traum von einer erhabenen Weltordnung zum Wohle der Menschheit zu verwirklichen! Von Pentti Turpeinen.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Unsere „Schöne neue Höhle“ fühlt sich gegenwärtig nicht mehr von dem Rest der Welt akzeptiert, sieht ihre Macht auf der Weltbühne bröckeln, ihr zivilisiertes Erbe bedroht, weiß aber voller Tatendrang ihre geistigen und militärischen Kräfte, die Internationale zitierend, „auf zum letzten Gefecht“ zu vereinen. Das Ignorieren der eigenen geistigen Abhängigkeiten von den gesellschaftlichen Gegebenheiten und Gewohnheiten hat eine lange Tradition. Und es fühlt sich auch heute normal an, als wohlmeinender Repeater der öffentlich-medialen Meinung die Effektivität der gesellschaftlichen Dynamik zu unterstützen. Dass das Gemeinwohl nur gemeinschaftlich zu realisieren ist, gilt als eine allgemein nachvollziehbare natürliche Überlebensstrategie. Das haben auch unsere zivilisierten Herrschaftssysteme früh erkannt und mit überzeugendem Stolz ihre Macht-Profit-Ideale als die einzige Alternative zum allgemeinen Wohlergehen durchgesetzt.
Jede Lebensgemeinschaft braucht eben ein gemeinschaftliches Bewusstsein, um das gemeinschaftliche Handeln zu ordnen. Die Herrschaftssysteme entwickeln dafür ihr spezielles Framing. Kreativ, wie die Nationen des christlichen Abendlandes schon immer waren, wussten sie die Effektivitätssteigerung des gemeinsamen Handelns als „Wonne des reduzierten Blickes“ in ein Kulturerbe zu verwandeln. Auch heute muss die westliche Wertegemeinschaft die Mitgestalter der regelbasierten Weltordnung nicht mit komplizierten Zusammenhängen belästigen. Sich in die selbstlernende westliche Wertegemeinschaft einzugliedern, empfindet der freie Bürger als eine Ehre!
In nicht zu hinterfragenden Erklärungen das Glücksgefühl des Verstehens von hochkomplexen weltpolitischen Zusammenhängen zu vermitteln, war schon lange der geistige Standard der christlich-abendländischen Informationspolitik. Mit den modernen Kommunikationsmitteln fand dieses Ideal eine zeitgemäße Form als „Peepshow zu wahren Einsichten“. In einem gemeinschaftlichen Blick durch das Einheitsloch wird das Informationsbedürfnis, das Böse in all seinen Varianten zu erkennen, bestens befriedigt. Und um ihrem Aufklärungsauftrag gerecht zu werden, schaffen es die Quantitätspresse und der ihr befreundete Internetstammtisch, die traditionelle Überzeugung zu vermitteln, in der Werte-Westen-Mannschaft der Menschheit zu nutzen.
Darüber hinaus wartet man, vor allem im globalen Süden, auf eine zeitgemäße Anpassung der abendländischen Weltschau an die nachkolonialistischen Realitäten; vergebens. In ihrer traditionellen Interpretation des heliozentrischen Weltbildes identifiziert die westliche Wertegemeinschaft sich weiterhin als Zentrum des Erdensystems und zeigt sich fest entschlossen, dies in strahlender Bombenstimmung zu verteidigen.
Trotz verheerender Kriege untereinander hatte sich unter den christlich-abendländischen Nationen eine gemeinsame Geisteshaltung bei der Eroberung der restlichen Welt gebildet: Wir sind der auserwählte Menschenschlag, von Gott beauftragt, die primitiven Völker auf den wahren Weg zu führen, sie zu zivilisieren und voller Menschenliebe sogar als Sklaven anzustellen, ihre Rohstoffe und andere Reichtümer hochqualifiziert und sinnvoll zum Wohle der Menschheit einzusetzen.
Dabei hat sich im Laufe der Jahrhunderte währenden Welteroberung die Unfähigkeit, den Zusammenhang von den Interessen der Machtstrukturen und der gemeinschaftlichen Meinungsbildung zu erkennen, als ein bewährtes Bildungsideal voll durchgesetzt. Damit konnte man sichergehen, dass sowohl die derart aufgeklärten Herrscher als auch ihre Untertanen, da nur die notwendigsten Ansichten im Kopf, am effektivsten das Gemeinwohl der eigenen Lebensgemeinschaft, und somit der ganzen Menschheit, zu realisieren in der Lage sind. Frei nach Marx: Das Bewusstsein interpretiert das Sein, um sich als gesellschaftliche Dynamik zu bedingen.
Als Ideal der praktischen Vernunft unserer christlich-abendländischen Kultur gilt seit Längerem: den Nagel auf den Kopf treffen, ohne dabei überlegen zu müssen, was man eigentlich baut. Und die theoretische Vernunft jubiliert in Gestalt der westlichen Wertegemeinschaft über das Erlangen eines lang ersehnten zivilisatorischen Verlangens, unsere Existenz in einem einzigen Spruch zu definieren: Wir sind die Guten.
Auf unsere Jahrtausende alte kulturelle Tradition können wir in vielerlei Hinsicht stolz sein, übersehen aber aus angelernter Denkfaulheit, dass auch die aktuelle Einfältigkeit des politischen Erkennens und Handelns sich als eine zeitgemäße Weiterentwicklung einer uralten Tradition der Machterhaltung bewahrheitet. Gelernt ist gelernt.
Wir sind gewohnt, am effektivsten mit Sachargumenten zu kommunizieren. Als nicht realisierbar gelten die Überlegungen über die Gesamtzusammenhänge der gesellschaftlichen Wirklichkeit und werden sowohl aus der politischen Diskussionskultur als auch gebildeten Analysen ausgeklammert.
Das Bedürfnis nach einem zusammenhängenden, kritischen Erkennen findet man ersatzweise in literarisch-künstlerischen und philosophischen Werken befriedigt. Die aufklärende Sprache des Unbeschreiblichen fasziniert! So, wie man in Dichtung Wahrheit finden kann, schlummern in den schlichten Sprüchen und Imaginationen der früheren Epochen und fremden Kulturen einleuchtende Erklärungen auch über das gegenwärtige Verhalten.
Mit einem „höhlischen“ Sinnbild die freien Bürger Athens zum Nachdenken über ihr eingeschränktes gemeinschaftliches Wahrnehmen zu animieren, war ein ehrenwerter Versuch von Platon. Ja, es bräuchte eine fantasievolle geistige Offenheit, um das eigene Wahrnehmen als von den aktuellen Lebensbedingungen geprägtes gemeinschaftliches Wahrnehmen zu reflektieren. Da fühlt sich sogar die Zeitenwende noch überfordert!
Wenn man also, mit Verlaub, aus den philosophischen Sphären im Höhlengleichnis von Platon in die profane Beschreibung der sozialpolitischen Mentalität heruntersteigt, zeigt sich eine anschauliche Analogie von der Beschränktheit der damaligen und heutigen Geisteshaltung.
Platon versetzt uns in eine finstere Höhle, von Kind an dort derart gefesselt, dass wir nur die Schatten beobachten können, die hinter unseren Köpfen erzeugt werden, und somit diese als die wahre Wirklichkeit zu interpretieren lernen. Und dann gelingt es einem, sich aus dieser Gefangenschaft zu befreien und, als seine Augen sich an die Helligkeit gewöhnen, in dem natürlichen Licht außerhalb der Höhle die Beschränktheit des eigenen Weltbildes zu erfahren. Bei dem wohlmeinenden Versuch, die Mitmenschen über die Enge ihres Erkennens aufzuklären, wird der Ausreißer ausgelacht, als Unruhestifter erniedrigt, und um in der gewohnten Herrlichkeit weiterleben zu können, sollen derartige Rebellen in der Zukunft für ihre Aufklärungsversuche mit dem Tode büßen. Die Mitgefangenen waren nicht zu überzeugen. Den erhellenden Blick von außen auf ihre gewohnte Lebensweise kannten sie nicht. Und es konnten ja keine Besichtigungen organisiert werden. Wer glaubt schon dem Hörensagen! Und wem schon ist die Wachheit des Geistes, die Komplexität des Vorhandenen zu durchschauen, vertraut!
Wie die kreativen Mitgestalter der heutigen „Brave New Cave“ wussten auch die Zeitgenossen von Platon die Berichte über eine Wirklichkeit außerhalb ihrer „Höhle-der-wahren-Werte“ als unglaubwürdige und aufrührerische Fake News einzuordnen.
Um die Überzeugungskraft des eigenen Weltbildes angemessen zu verteidigen, sich vor den Gefahren von Verschwörungstheorien zu hüten, fand man schon in den Anfängen unserer Zivilisation eine praktikable Lösung, die sich lange bewähren sollte: Kill the Messenger! Und das nahm man lange wortwörtlich.
Dank der demokratisch-humanistischen Weltanschauung sind wir davon abgekommen, und die Bestrafung der gegenwärtigen „Systemsprenger“ besteht nun darin, sie vor dem „Dom der gerechten Öffentlichkeit“ zur Schau gefesselt und geistig gedemütigt vorzuführen. In manchen schwerwiegenden Fällen, wie Julian Assange, meinen die zivilisierten Werteverteidiger, die „Unbeugsamen“ im Stile der vergangenen Jahrhunderte traditionsbewusst in der Isolierhaft lebendig „begraben“ zu müssen.
Die ungetrübte Freude an einer Einheitsmeinung hat schon die Menschen in der „Schönen alten Höhle“ in eine eingeschworene Gemeinschaft vereint. Es ist ja eine natürliche Überlebensstrategie, die Lebensbedingungen kollektiv zu erkennen und zu gestalten. Aber dass das kollektive Gestalten der Lebensbedingungen von Natur aus nicht zum Vermehren von Macht und Profit einer herrschaftlichen Minderheit vorgesehen war, mit all den katastrophalen Folgen, blieb der aufgeklärten Vernunft verborgen.
In Wissenschaften und Technik haben wir Bewundernswertes erreicht. Aber diese Intelligenz fühlte sich seit Anbeginn nicht zuständig für das Bewältigen des gemeinschaftlichen Überlebens als einen Gesamtzusammenhang. Und statt das soziale Erkennen in ein zusammenhängendes Gestalten der Lebensbedingungen zu kultivieren, wussten die Herrschaftssysteme den Blick der Schwarmintelligenz auf die Herrlichkeit des Bestehenden zu lenken und damit von den Fragen nach den Profiteuren an der gesellschaftlichen Dynamik abzulenken.
Das tief verinnerlichte Bedürfnis, sich beim gemeinschaftlichen Überleben nützlich zu erweisen, hat sich in einem schlichten Spruch verfestigt: „Ich mache ja nur meinen Job“. Ja, es hat sich als eine lobenswerte Bürgerpflicht bewährt, inmitten von Ungerechtigkeiten und Missständen einen anerkennenden Blick auf das gemeinschaftlich Erreichte zu bewahren und sich beim Verehren und Bejubeln der eigenen Herrscher und der Eroberungsmentalität als ebenso ehrenvoller Mitgestalter von höheren Werten zu bestätigen.
In der alltäglichen Komplexität der Unüberschaubarkeit braucht man gemütsstabilisierende Orientierungshilfe, sei es die Monty-Python-Hymne: „Always look on the bright side of life“. Bei der Stabilisierung der Zufriedenheit über die eigenen gesellschaftspolitischen Zustände haben sich auch die Berichte über das Elend in anderen Weltteilen als sehr hilfreich erwiesen; aber um eine wirkliche Empathie nicht entstehen zu lassen, nur als erschreckende Einzelbeispiele.
Auch das diskrete Schweigen über die Mitverantwortung der westlichen Wertegemeinschaft für die weltweite Zerstörung der Lebenswirklichkeiten und Erzeugung von Flüchtlingsströmen stabilisiert hervorragend unser Selbstbewusstsein als Retter der Menschheit.
Die westlichen Kulturen haben in Technik und Wissenschaft, Kunst und Musik wahrlich Außerordentliches hervorgebracht. Aber in unserer Selbstwahrnehmung reproduzieren wir die Beschränktheit des gemeinschaftlichen Erkennens, wie von Platon vor 2500 Jahren in seinem Höhlengleichnis beschrieben.
So wie unsere antiken „Brüder im Geiste“ leugnen auch wir die Abhängigkeiten unseres gemeinschaftlichen Wahrnehmens, wollen die Begrenztheit unserer gesellschaftspolitischen Überzeugungen nicht als Mitgestalten der etablierten Macht-Profit-Interessen erkennen. Jede Gemeinschaft erkämpft sich ihr gemeinschaftliches Bewusstsein. Auch der westlichen Wertegemeinschaft geht es um ihre Existenz, wenn sie mit ihrer medialen Fakten-Schreck-Öffentlichkeit die allgemeine Akzeptanz für ihr erhabenes Vorhaben kultiviert.
Um uns diesmal endgültig von den „höhlischen“ Beschränkungen des gemeinschaftlichen Bewusstseins zu befreien, um die kreative Offenheit des neugierigen Geistes wiederzuerlangen, bleibt uns noch eine kreative Charaktereigenschaft, die sogar Platon übersehen hat, übrig: Jeder spinnt, wie er kann. Und ich kann auch gut, gell.
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