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Titel: Der Fall Adler Group – ein Wirecard-Skandal auf Raten?

Datum: 22. Mai 2023 um 8:43 Uhr
Rubrik: Ökonomie
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Milliardenverlust, Eigenkapital fast weg, die Schulden steigen, Insolvenz in letzter Minute abgewendet, und der Verwaltungsratschef spricht von „kommerziellen Nahtoderfahrungen“. Das ist kurz gefasst der aktuelle Zustand der Adler Group, einem Immobilienkonzern mit Sitz in Luxemburg und Wohnungsbeständen in Deutschland. Das Pikante dabei: Der Fall erinnert in Teilen an den Wirecard-Skandal, der vor drei Jahren die deutsche Finanzwelt erschütterte. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz ist wieder mit von der Partie. Von Thomas Trares.

Wie die Adler Group auf ihrer Bilanzpressekonferenz Ende April bekannt gab, hat sich der Verlust des Unternehmens 2022 auf 1,67 Milliarden Euro ausgeweitet, nach einem Minus von 1,17 Milliarden Euro ein Jahr zuvor. Als Grund dafür wurden Wertminderungen des Immobilienvermögens sowie Abschreibungen auf Forderungen und den Geschäfts- und Firmenwert genannt. In der Folge schrumpfte das Eigenkapital im Konzern um fast die Hälfte auf 1,91 Milliarden Euro. Zugleich nahm die Verschuldung auf 74,5 Prozent des Immobilienvermögens zu, nach 62,7 Prozent Ende 2021. Dass die Adler Group überhaupt noch existiert, ist einem Restrukturierungsplan zu verdanken, den das Unternehmen im April mit einem Teil der Anleihe-Gläubiger vereinbart hat. Laut Verwaltungsratschef Stefan Kirsten hat das Unternehmen damit zum dritten Mal eine Insolvenz abgewendet.

Sechstgrößter Immobilienkonzern

Bei der Adler Group handelt es sich um einen Wohnungskonzern, der 2020 aus der Fusion der Immobilienunternehmen Ado Properties, Consus Real Estate und Adler Real Estate entstanden ist. Mit fast 70.000 Wohneinheiten vor allem in Großstädten zählte Adler Ende 2020 zu den sechs größten Immobilienkonzernen Deutschlands. Das Besondere an Adler ist, dass der Konzern quer durch die Republik Großbaustellen und Prestigeobjekte entwickelt und es fast überall zu Verzögerungen, mutmaßlichen Falschbewertungen und anderen Ungereimtheiten gekommen ist. Beispiele hierfür sind der „Schwabenlandtower“ in Fellbach, das „Holsten-Areal“ in Hamburg, der „Steglitzer Kreisel“ in Berlin, die „New Frankfurt Towers“ in Offenbach am Main und das Projekt „Glasmacherviertel“ in Düsseldorf-Gerresheim.

Das Bemerkenswerte an dem Fall Adler ist aber, dass er einige Parallelen zu dem Wirecard-Skandal von vor drei Jahren aufweist. So war es erneut der britische Finanzinvestor Fraser Perring, der als Erstes auf Missstände aufmerksam machte, und nicht etwa die Wirtschaftsprüfer oder die Finanzaufsicht Bafin. In einem Papier von Perrings Analysehaus Viceroy vom Oktober 2021 heißt es etwa, dass der Zusammenschluss mit der ADO Properties und der Consus Real Estate zum Zweck der Verschleierung des hohen Verschuldungsgrades der Adler Real Estate entstand. Ferner warf Perring dem Adler-Management undurchsichtige Transaktionen zu Gunsten nahestehender Personen und Manipulation bei der Bewertung von Immobilienprojekten vor.

Vorwürfe nicht entkräftet

Wie schon im Fall Wirecard beauftragte auch hier das beschuldigte Unternehmen, also die Adler Group, einen Wirtschaftsprüfer, um die Vorwürfe zu entkräften. Doch das Vorhaben misslang. Die mit der Sonderprüfung betraute Gesellschaft KPMG konnte einen bedeutenden Teil der Vorwürfe nicht widerlegen. Ein Grund dafür war die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Adler-Managements, das sich lange Zeit weigerte, den Prüfern Einblick in rund 800.000 E-Mails zu gewähren. Dies hatte sogar zur Folge, dass KPMG das Mandat niederlegte und das Testat für 2021 verweigerte. Weil auch andere Gesellschaften ein Mandat ablehnten, vermutlich um sich nicht die Finger an dem Skandal-Unternehmen zu verbrennen, stand Adler bis zuletzt ohne Prüfer da. Entsprechend ist die Bilanz für 2022, die Adler nun vorlegte, nicht testiert. Mit Rödl & Partner hat sich inzwischen zwar ein Prüfer gefunden, doch das ist nur ein halber Erfolg. Denn die Kanzlei übernimmt nur die deutsche Kerngesellschaft und nicht den in Luxemburg eingetragenen Gesamtkonzern.

Eine weitere Parallele zum Fall Wirecard ist, dass auch Bundeskanzler Olaf Scholz wieder mit von der Partie ist. Dieses Mal jedoch nicht als Bundesfinanzminister, sondern noch in seiner Funktion als Erster Bürgermeister Hamburgs. Konkret geht es um eine Entscheidung aus dem Jahr 2016. Damals war geplant, auf dem ehemaligen Gelände der Holsten-Brauerei in Hamburg-Altona knapp 1.300 Wohnungen zu errichten, um den Wohnungsmangel in der Stadt zu lindern. Zudem wollte Scholz den Brauereistandort Hamburg erhalten. Deswegen entschied er, dass die Stadt auf ihr Vorkaufsrecht für das Grundstück verzichten sollte – zu Gunsten des Holsten-Eigentümers, dem Brauereikonzern Carlsberg. Das Gelände gelangte somit auf den freien Markt und landete 2020 schließlich bei der Adler Group. Dort stand es dann 2022 mit 328 Millionen Euro in den Büchern. Damit hatte sich der Wert seit 2016 verfünffacht. Eine Wohnung jedoch ist bislang nicht entstanden, das Gelände immer noch eine Brache. Kritiker halten dies für einen klaren Fall von Bodenspekulation und machen Scholz für das Desaster mitverantwortlich.

Adler noch nicht pleite

Der große Unterschied zum Fall Wirecard ist jedoch, dass Adler auch gut anderthalb Jahre nach Bekanntwerden der Vorwürfe nicht pleite gegangen ist. Damit konnte man allerdings auch rechnen. Denn der Analyst Fraser Perring machte im Rahmen seiner Enthüllungen auch darauf aufmerksam, dass Adler – anders als bei Wirecard – nicht so schnell das Geld ausgehen wird, der Zusammenbruch sich langsamer vollzieht. Und danach sieht es derzeit auch aus. Im April hat sich Adler mit dem Restrukturierungsplan, den das Unternehmen mit einer Gruppe von Anleihe-Gläubigern vereinbart hat, noch einmal Zeit verschafft. Fälligkeiten und Zinszahlungen wurden bis Mitte 2025 verlängert.

Bis dahin muss Adler weiter kräftig Wohnungen verkaufen. In den vergangenen beiden Jahren hat sich das Unternehmen so überhaupt erst die nötige Liquidität für den Schuldendienst besorgt. Doch dies dürfte nun immer schwieriger werden. Zum einen ist der Wohnungsbestand inzwischen von ursprünglich rund 70.000 auf nur noch 26.000 Einheiten geschrumpft. Zum anderen ist Adler, um einigermaßen gute Preise erzielen zu können, auf einen weiter florierenden Immobilienmarkt angewiesen. Danach sieht es nun aber angesichts gestiegener Zinsen nicht mehr aus.

Fazit:

Unter dem Strich lässt sich sagen, dass die Entwicklungen bei der Adler Group erneut kein gutes Licht auf den Finanzplatz Deutschland werfen. Der spöttische Kommentar der britischen Finanzzeitung „Financial Times“, die die deutsche Finanzaufsicht im Wirecard-Skandal wegen ihres mangelnden Bisses mit einem „gealterten Zwergspitz“ verglich, lässt sich auch auf den Fall Adler übertragen. Und auch die Zunft der Wirtschaftsprüfer hat sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Dass ein Konzern in der Größenordnung von Adler gut ein Jahr lang ohne Prüfer unterwegs ist, ist ein bislang einmaliger Vorgang in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Geht man davon aus, dass die Wirtschaftsprüfer für den Geschäftsverkehr so etwas sind wie der TÜV für den Straßenverkehr, dann ist das etwa so, als würde ein riesiger Gefahrguttransporter ein Jahr lang ohne TÜV-Plakette über Deutschlands Straßen rollen. Und für Bundeskanzler Olaf Scholz ist Adler zwar kein neuer Cum-Ex-Fall, aber doch ein weiterer und vor allem auch ein bislang wenig beachteter Fleck auf seiner nicht mehr ganz so blütenweißen Weste.

Titelbild: studiostoks/shutterstock.com


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