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Titel: „Schwarz-Rot“ in Berlin: Kein Grund zur Aufregung
Datum: 25. April 2023 um 11:46 Uhr
Rubrik: CDU/CSU, SPD, Wahlen
Verantwortlich: Redaktion
Es ist vollbracht. Erstmals seit 22 Jahren, als Eberhard Diepgen mittels Misstrauensantrags mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt wurde, übernimmt mit Kai Wegner wieder ein CDU-Politiker die Führung der Berliner Landesregierung. Grundlage dafür ist ein mit der SPD ausgehandelter Koalitionsvertrag, der am Montag von einem CDU-Landesparteitag gebilligt wurde. Und zwar mit einem Ergebnis, das sich nicht mal die SED getraut hätte: 100 Prozent Zustimmung. Die SPD tat sich mit ihrem Schwenk von „rot-grün-rot“ unter ihrer Führung zu einer Rolle als Juniorpartner in einer „schwarz-roten“ Koalition deutlich schwerer. Bei ihr hatten die Mitglieder das Wort, und laut dem am Sonntag verkündeten Abstimmungsergebnis votierten nur 54,3 Prozent für den Eintritt in diese Landesregierung. Von Rainer Balcerowiak.
Dafür geworben hatte die gesamte Führungsriege, mit der bisherigen Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey an der Spitze. Vor allem die Jusos und einige traditionell eher linke Bezirksverbände warben dagegen intensiv für ein Nein beim Mitgliedervotum. Bei der für Donnerstag geplanten Wahl von Wegner wird es wahrscheinlich einige Gegenstimmen aus der SPD-Fraktion geben, aber angesichts einer relativ komfortablen Mehrheit im Abgeordnetenhaus ist seine Wahl wohl nicht gefährdet.
Versüßt wurde den Sozialdemokraten der Vertrag mit einigen Leckerlis, die ihre Handschrift aufweisen. Dazu gehören die Rekommunalisierung des Fernwärmenetzes und weiterer Wohnungsbestände, die Fortschreibung und Dynamisierung des Landesmindestlohns bei öffentlichen Aufträgen und das Festhalten am von der CDU noch im Wahlkampf vehement bekämpften Landesdiskriminierungsgesetzes. Auch die zahlreichen Worthülsen in Bezug auf „Toleranz“, „Vielfalt“, „Integration“ und „sozialen Ausgleich“ dürften Balsam für viele geschundene SPD-Seelen gewesen sein. Und natürlich findet sich in fast allen Kapiteln auch irgendwas mit Klima.
Repressionsapparat wird ausgebaut
Vom rassistischen Rambo-Wahlkampf der CDU ist im Koalitionsvertrag nicht mehr viel zu sehen. Mit Forderungen, wie der nach Veröffentlichung der Vornamen deutscher Tatverdächtiger bei den „Silvesterkrawallen“, kann man zwar ein bisschen im Wählerpotenzial der AfD fischen, aber kein regierungstaugliches Papier bestücken. Man hat sogar das für den „Law and Order“-Markenkern der CDU eigentlich unverzichtbare Innenressort der SPD überlassen. Die hat dieses Amt allerdings mit Iris Spranger besetzt, also einer Politikerin, die als Innensenatorin bereits in der rot-grün-roten Koalition für rechtspopulistische Provokationen im CDU-Style sorgte.
Jedenfalls hat die CDU in diesem Bereich deutliche Duftmarken gesetzt. Die Rede ist von der „vollen Bandbreite des Dreiklangs Prävention – Intervention – Repression, um Recht und Gesetz in allen Teilen der Stadt durchsetzen zu können“. Dazu sollen unter anderem der erweiterte Einsatz von Elektro-Schockern („Tasern“), mehr Videoüberwachung an öffentlichen Orten, mehr Online-Durchsuchungen, mehr Auskunftsrechte bei Bestandsdaten der Telekommunikationsunternehmen und das Festhalten an verhaltensbezogenen Kontrollen „aufgrund kriminalistischer oder polizeilicher Erfahrungswerte“ dienen. Besonders symbolträchtig zudem die Ausweitung des „Präventivgewahrsams“ für vermeintlich potenzielle Straftäter von 48 Stunden auf 5 Tage. Und natürlich das Bekenntnis zum Verfassungsschutz als „unverzichtbarer Baustein der Berliner Sicherheitsarchitektur zum Schutz von Demokratie und Rechtsstaat“. Praktischerweise hat die CDU für das Amt der Justizsenatorin daher auch Felor Badenberg, die bisherige Vizechefin des Bundesamtes für Verfassungsschutz, benannt. Die kann sicherlich auch sehr hilfreich sein, wenn es um die Umsetzung einer weiteren Vereinbarung der Koalition geht: „Freiwillige öffentliche Leistungen sollen nur an Organisationen gezahlt werden, die sich im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen“. Was bekanntlich ein sehr dehnbarer Begriff ist.
Auch zwei weitere, künftig CDU-geführte Ressorts bekommen eine in deren Sinne solide vertragliche Grundlage. Für die Bildungspolitik werden unter anderem die verstärkte Förderung von Privatschulen und die Stärkung der Gymnasien als Grundsätze formuliert. In der Verkehrspolitik klingt alles ein wenig verschwurbelt, aber das Bekenntnis zum PKW als „gleichberechtigter“ Teil des städtischen Verkehrs klingt ähnlich deutlich durch wie die partielle Rückabwicklung des grünen Fahrrad-Bullerbüs.
In einer der wichtigsten landespolitischen Fragen, der Wohnungspolitik, reichte es allerdings nur für Formelkompromisse und wenig belastbare Ankündigungen zu Neubauplänen, Nachverdichtungen und Mieterschutz. Ansonsten das Übliche, was bereits bei „rot-grün-rot“ auf dem Zettel stand: Schulterschluss mit der privaten Immobilienwirtschaft und Aussitzen des erfolgreichen Volksentscheids zur Enteignung großer Wohnungskonzerne.
Immerhin gibt es eine veritable Kampfansage an die bisherigen Regierungsparteien Grüne und Linke. Die Randbebauung des Tempelhofer Feldes, die 2014 durch einen Volksentscheid gestoppt wurde, soll jetzt erneut in Angriff genommen werden, unterfüttert mit einem neuen Bürgervotum. Dieses würde angesichts der dramatischen Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt diesmal mit hoher Wahrscheinlichkeit auch entsprechend ausfallen. Dabei geht es um den Bau von bis zu 10.000 Wohnungen.
Eigentlich sollte Giffey das Ressort Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen übernehmen, doch als gewiefte Politikerin, die Ambitionen hat, nach der nächsten Wahl erneut in das Rote Rathaus einzuziehen, hat sie dankend verzichtet – wohl wissend, dass man sich auf diesem Posten nur Beulen und keine Lorbeeren holen kann. Sie übernimmt stattdessen das Wirtschaftsressort und überlässt die Stadteinwicklung ihrem getreuen Gefolgsmann Christian Gaebler.
CDU setzt auf Diversity, SPD auf biedere Parteisoldaten
Koalitionsverträge sind bekanntlich kaum das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind, also lassen wir das jetzt und schauen nochmal auf das Personal. Der Diversity-Pokal geht dabei eindeutig an die CDU. In ihrer fünfköpfigen Senatorenriege befinden sich drei Frauen, darunter eine gebürtige Iranerin. Auch die beiden Männer sind auf den ersten Blick nicht gerade CDU-typisch. Ein in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebender Finanzsenator und ein entsprechend dunkelhäutiger Sohn einer tansanischen Familie als Kultursenator, zu dessen Vita Jobs als Türsteher, Rockmusiker und Label-Manager ebenso gehören wie eine frühere Mitgliedschaft bei den Grünen.
Das Personaltableau der SPD wirkt dagegen ausgesprochen bieder. Einziger Farbtupfer ist Cansel Kiziltepe, die als SPD-Linke mit Kreuzberger Street-Credibility gilt und sich lange Zeit u.a. als Gegnerin der „Schuldenbremse“ und überhaupt der Scholz-Politik sowie als Unterstützerin des Enteignungsvolksentscheids positionierte. Doch mittlerweile ist sie weitgehend eingenordet und arbeitete zuletzt relativ unauffällig als Parlamentarische Staatssekretärin im SPD-geführten Bundesministerium für Bauen und Wohnen. Im SPD-internen Ringen um die Regierungsbeteiligung hat sie sich eindeutig für die Koalition mit der CDU ausgesprochen.
Kiziltepe bekommt ein regelrechtes Monster-Ressort mit den Bereichen Integration, Arbeit, Soziales, Vielfalt und Antidiskriminierung und beerbt damit die Linken-Politikerin Katja Kipping. Sie hat offensichtlich die Aufgabe, die linke Flanke der SPD abzudecken, denn in der Partei rumort es nach wie vor erheblich. Und die CDU wäre schön dumm, wenn sie sich bei der nächsten Wahl daran messen lassen müsste, was denn in einem von ihr geführten Ressort in Sachen Armutsbekämpfung, Wohnungslosigkeit und Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen nun eigentlich passiert ist. Und über allen thront jetzt Kai Wegner, der sich um ein Image als gleichermaßen gütiger wie zupackender Landesvater für alle Berliner bemüht und die seit Jahrzehnten vielbeschworene Verwaltungsreform zur „Chefsache“ erklärt hat.
Was der neue Senat in der verbleibenden Rest-Legislaturperiode auf die Reihe bekommt, bleibt abzuwarten. Denn in gut drei Jahren beginnt bereits der Wahlkampf für das nächste Abgeordnetenhaus. Die ausgebooteten Regierungsparteien Grüne und Linke befinden sich noch in einer Art Schockstarre und haben anscheinend noch nicht realisiert, dass sowohl das Wahlergebnis als auch die Koalitionsbildung Ergebnis eines Aufstands der Peripherie gegen die links-grüne Innenstadtblase waren. Der CDU ist es gelungen, diesen Unmut in beträchtliche Stimmengewinne umzumünzen, und auch viele SPD-Mitglieder und -Anhänger haben besonders von den in Berlin nahezu messianisch auftretenden Grünen schlicht die Nase voll.
„Schwarz-rot“ ist also weder „Verrat“ an irgendetwas noch ein Rückfall in finstere Zeiten. Sondern ein bürgerlich-konservativer Versuch mit sozialdemokratischen Einsprengseln, die tief gespaltene und partiell dysfunktionale Stadt irgendwie wieder ein bisschen ins Laufen zu bringen. Ob und in welcher Richtung das funktioniert, werden wir dann sehen, und im September 2026 werden die Karten eh wieder neu gemischt.
Titelbild: footageclips/shuttestock.com
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