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Titel: Unternehmer Quirin Graf Adelmann: „Wir haben aktuell die eintönigste, ideenloseste Kulturlandschaft aller Zeiten“

Datum: 22. April 2023 um 14:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Interviews, Kultur und Kulturpolitik
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Die Kulturbranche befindet sich in einem desolaten Zustand. Ihr Gefüge ist in den letzten drei Jahren ins Wanken geraten. Wegen der Corona-Maßnahmen und der damit einhergehenden Berufsverbote gerieten nicht wenige Akteure in eine finanzielle wie existenzielle Krise. Die hohe Inflation und steigende Energiepreise dürften die Probleme weiter verschärfen. Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist verloren gegangen. Die Bürokratie wächst kontinuierlich und hemmt sowohl Künstler als auch Einrichtungen, neue Projekte zu entwickeln. Ebenfalls einschränkend wirkt die grassierende Cancel Culture. Wer im Kulturbetrieb überleben will, muss die Worte genau abwägen und den herrschenden Narrativen folgen. Es bedarf einer grundlegenden Veränderung. Zu diesem Schluss kommt der Unternehmer Quirin Graf Adelmann, der in Deutschlands Hauptstadt in verschiedenen Kulturbereichen aktiv ist und die Entwicklungen der letzten Jahre hautnah mitverfolgt hat. Im Interview mit Eugen Zentner spricht er über die gegenwärtigen Herausforderungen, benennt die Missstände und erklärt, warum so viele Künstler und Kultureinrichtungen während der Corona-Zeit die harten Maßnahmen kritiklos hinnahmen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Graf Adelmann, Sie sind ein sehr engagierter Unternehmer, der unter anderem im Kulturbetrieb aktiv ist. Als Leiter des DDR-Museums Berlin, Eigentümer des Musikhauses Arttraktiv, Mitglied des ORWOhauses, Gründer von ravetheplanet und jahrelanger Betreuer des Privatclubs Berlin haben Sie einen Einblick in die Kultur-Szene der Hauptstadt. In welcher Verfassung befindet sie sich heute im Vergleich zur Zeit vor Corona?

Private Kultureinrichtungen sind vor allem verunsichert. Kreative Menschen aller Kunst- und Kulturbereiche brauchen wirtschaftliche und regulatorische Verlässlichkeit und wollen in Ruhe gelassen werden. Alles ist vollständig verloren gegangen. Hautnah mussten engagierte Kreative und Veranstalter erfahren, dass sie jederzeit geschlossen werden können und die Polizei einmarschiert, um Events zu kontrollieren und/oder zu schließen. Neue Ideen und eingegangene Risiken müssen mindestens zwei Jahre überleben, um im Falle einer Zwangsschließung Entschädigungen zu erhalten.

Darüber hinaus sind viele nicht mehr gewillt, in ihre Flächen und Ausrüstung zu investieren, weil Mietverträge kurzfristig sind und Genehmigungen verschärft wurden. Nicht zu vergessen ist, dass viele Kräfte im Hintergrund Veranstaltungen, Ausstellungen und Konzepte ermöglichen, die allesamt in der Corona-Zeit nicht entschädigt wurden und ihren beruflichen Schwerpunkt weg von Kunst und Kultur hin zu sicheren Arbeitsplätzen wie dem Öffentlichen Dienst oder ins Ausland verlagert haben. Diese schlechten materiellen und immateriellen Zustände werden wir über viele Jahre hinweg spüren.

Der Zufluss des üblichen Kunst-Nachwuchses ist ebenfalls in diesen Verbotsjahren gestoppt worden. Der Staat hingegen hat kreative Köpfe völlig vereinnahmt. Dort sind schier grenzenlos Gelder ausgegeben worden. Schauen wir uns beispielsweise die Jahresgehälter der Führungskräfte staatlicher Kultureinrichtungen im hohen sechsstelligen Bereich an, die Anzahl der Mitarbeitenden von staatlichen Kulturstätten oder Mittelverteileinrichtungen oder die Ausgaben für Raum und Konzepte an. In diesem Wettbewerb zwischen freier Kunst und staatlicher Geldüberschüttung widerstehen oft insbesondere Menschen nicht, die jung sind oder die existenziell unter Druck stehen.

Sie haben gerade von „Kräften im Hintergrund“ gesprochen. Können Sie das bitte ein wenig konkretisieren? Wer sind diese Kräfte im Hintergrund?

Damit sind all diejenigen gemeint, die Kabel verlegen, Licht anschalten, Messebauer, Tontechniker oder Einzelbooker – also Menschen, die selbstständig waren oder nur in der Saison rund um die Uhr im riesigen Kulturbereich gearbeitet haben und nun 2021 ihre Tätigkeiten im und für den Kulturbereich, den sie geliebt haben, aufgegeben haben. 2019 haben noch knapp drei Millionen Veranstaltungen mit 400 Millionen Teilnehmern stattgefunden. Wie sollen Menschen diesen Branchen zukünftig vertrauen? Umgekehrt haben staatliche Einrichtungen die Zahl der Mitarbeitenden teilweise verzehnfacht und bestimmen mehr und mehr die freie Szene. Die Kulturraum Berlin GmbH beispielsweise, eine Senats-Gesellschaft, vergibt die Räume und bewertet Bewerbungen und ist somit nichts anderes als verlängerter Arm der politischen Linienführung.

Die Kultur zählt zu den Branchen, die am meisten unter der Corona-Politik litt. Veranstaltungen waren lange Zeit verboten. Später durften sie nur unter strengen Hygieneauflagen stattfinden. Viele Einrichtungen und Künstler dürften diese Zeit finanziell nicht überlebt haben. Welche Beobachtungen haben Sie gemacht?

Alle Veranstalter, Inhaber von Clubs oder Museen haben zwischen 2020 und 2022 trotz teilweiser absurder Regelungen wirtschaftlich eher profitiert. Den Musikern, Tänzern und Schauspielern hat es die Füße weggehauen. Denn sie alle konnten und durften nicht auftreten. Wir reden hier nicht allein von Einkommen, sondern von Lebensentfaltung und Kommunikationseinschränkungen. Ich kenne sehr viele, die einfach zurück in ihre Heimat gekehrt sind, und einige, die heute nicht mehr musizieren oder schauspielern. Umgekehrt werden nun die Veranstalter und Kunsthäuser die Folgen merken. Zum einen, weil die Auswahl und der qualitative Austausch an Kunst und Kultur und neuen Ideen gemindert sind. Zum anderen, weil die großen Veranstaltungskonzerne nun ihre Touren in kurzer Zeit nachholen. Damit werden die Spielorte weniger divers und kleinere Auftritte unmöglich, weil das Publikum die Stätten nicht in dieser Nachholfrequenz besuchen wird. Der daraus resultierende inhaltliche und wirtschaftliche Schaden kommt erst noch.

Trotz dieses immensen Schadens hielt sich die Kultur-Szene mit Kritik an den Maßnahmen eher zurück. Waren wirklich die meisten mit ihnen einverstanden?

Diese Beobachtung war erschreckend. Berufsverbote wurden zunächst mit dem Versprechen der finanziellen Entschädigung gepaart. In den ersten Monaten hatten die meisten nachvollziehbarerweise Verständnis für die Maßnahmen (März bis Mai 2020). Wir dürfen dann nicht vergessen, dass die ersten Zahlungen auch an Einzelkünstler erfolgten. Wiederum damit gepaart waren die Versprechen der Politik, dass wir nur noch bis zur Impfmittelverfügbarkeit (August 2020) durchhalten müssten. Dann nur bis Weihnachten, dann bis Ostern des Folgejahres, dann bis zu den Sommerferien.

Die völlig irren General-Lockdowns haben allein im letzten Zeitraum sieben Monate gedauert. Clubs durften gar nicht öffnen. Den Menschen ist das eigenverantwortliche Leben verboten worden und sie haben sich das gefallen lassen. Spätestens ab Spätsommer 2020 waren die meisten Veranstalter, Künstler und Schauspieler nicht mehr einverstanden. Sie hatten aber kein Sprachrohr mehr. Die Führungskräfte der Spielorte wurden weiter bezahlt fürs Nichtstun und haben sich in Chat-Gruppen für die Regierungen positioniert.

Jede Kritik wurde hier im Keim erstickt. Politische Opposition: Fehlanzeige. Die Politik zusammen mit den Medien, die die Infektionskurven stündlich über alle Ticker haben laufen lassen, und die Kommissionen der staatlichen Geld- und Preisverteilungsinstitutionen haben so dafür gesorgt, dass Widerworte – auch noch so vernünftig – nur noch im Privaten geäußert wurden. Dies war deshalb so erstaunlich, weil zur gleichen Zeit die Anzahl tausender eingeleiteter Strafverfahren gegen Einzelkünstler wegen der ausgezahlten Soforthilfen 2020 ab November 2020 den offenen Zweiflern den Rest gegeben haben. Viele haben sich gefragt, ob sie nicht doch selbst falsch liegen.

Woran liegt es dann, dass die Veranstalter, Clubs, Theaterhäuser und Museen die Maßnahmen mittrugen und so still blieben?

Anfang 2021 gab es pauschal 75 Prozent des Umsatzes aus November 2019 für die Veranstalter. Gleichzeitig saßen die Leute zu Hause und konnten den kompletten Kontrast zum üblichen Rhythmus sehen, der abends und an Wochenenden stattfindet. Die eigenen Kinder betreuen, Haustiere anschaffen und einfach nichts tun zu müssen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, ist sehr komfortabel. Hierin jeweils angetrieben in der Hoffnung, dass in zwei Monaten alles wieder vorbei ist bei ständiger Beobachtung eines Fehltritts durch das gesamte Kulturumfeld, hat die Leute mundtot gemacht.

Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass die meisten Theaterhäuser und Museen staatliche oder staatlich finanzierte Häuser sind. Da geht es nicht um zeigbare Kunst. Das Humboldt Forum hatte einfach auch dann geschlossen, als Verbote weggefallen sind. Das Pergamonmuseum renoviert nun vier Jahre lang und das Deutsche Historische Museum will jetzt zehn Jahre an einem neuen Ausstellungsinhalt tüfteln. Was ist denn 2020 bis 2022 passiert? Warum sollten diese Häuser laut werden? Viele private Initiativen wiederum mieten Flächen beim Land Berlin oder dem Bund. Die regelmäßig auslaufenden Mietverträge werden nicht durch eigene Meinungsäußerung gefährdet. Da bleiben die Häuser lieber still, übergeben die Verantwortung des Sagens an andere oder hoffen darauf, dass jemand anderes gekreuzigt wird, und lassen sich dann bei einem Glas Wein am Sportplatz über den Irrsinn aus, ohne sichtbar zu sein.

Mit der Energiepolitik und den gestiegenen Strom- und Gaspreisen dürften sich die finanziellen Probleme vergrößert haben. Wie schaffen es die Institutionen, ihren Betrieb aufrechtzuerhalten?

Auch das trifft ja nur die Privaten und Kleinen. Die Betriebs- und Nebenkosten angemieteter Flächen werden erst zur Jahresmitte 2023 für 2022 und für 2023 erst 2024 abgerechnet. Wer noch an die Unterstützungsanträge gewöhnt ist und weniger als 2€/qm vorausgezahlt hat, wird die heutigen 6€/qm erst später merken. Die Nachzahlungen kommen also erst noch. Gleichzeitig dürfte dann wieder die staatliche Gelddruckmaschine anlaufen, die spätere Generationen zurückzahlen müssen und die Kultureinrichtungen in eine neue Abhängigkeit schubst. Im Wettbewerb des Wahnsinns mietet der Bund in Berlin aktuell dennoch Büroflächen zu Mietpreisen von 50€/qm an. Was soll denn da Kunst und Kultur entgegensetzen? Im Kern aber heißt es in Zukunft, dass die Gesamtkosten deutlich gestiegen sind und nicht-kommerzielle Vorhaben ohne staatliche Unterstützung jedenfalls hierzulande kaum noch möglich sind.

Sie haben einen Einblick in verschiedene Bereiche der Berliner Kultur-Szene. Welche Missstände lassen sich jeweils feststellen? Mit welchen Schwierigkeiten sind beispielsweise die Museen konfrontiert, mit welchen die Clubs und die Konzertveranstalter? Wo liegt jeweils der Schwerpunkt?

Sichtbar ist das beispielsweise bei der Deutschen Bahn. Dort sitzen die Leute noch heute im Homeoffice und freuen sich über das Nichtstun bei gleichzeitigem Abfall der messbaren Leistung. Noch nie war die Deutsche Bahn trotz der meisten Mitarbeitenden aller Zeiten und der kürzesten Strecken aller Zeiten so unpünktlich und unzuverlässig. Kunst und Kultur sind kein riesiger Klotz wie die Deutsche Bahn, aber die Auswirkungen sind vergleichbar. Jemanden zu finden mit Spaß am Beruf im Club und der Bereitschaft, diesen Beruf auch länger auszuüben, ist im Vergleich zu den Jahren vor 2019 fast völlig abhandengekommen. Die Menschen halten nicht mehr so viel aus oder wollen es nicht mehr.

Die Schwerpunkte haben sich verlagert. Das Vertrauen in Selbstverantwortung in einem immer größer werdenden Wohlfahrtsstaat und einer Weg-Click-Gesellschaft ist praktisch verschwunden. Umgekehrt müssen die vielen wirklich Begeisterten und Kreativen weder kommunikativ noch geografisch in Europa bleiben. Die Welt ist für alle offen. Jeder und Jede kann sich das eigene Umfeld selbst aussuchen. Das erkennen wir auch an anderen Parametern wie bei der Planung der Menschen für die Zukunft.

In Deutschland grassiert schon seit Jahren die Cancel-Culture und breitet sich auch in der Kulturbranche aus. Welche Tendenzen nehmen Sie wahr? Ist die Kunst immer noch frei?

Wenn wir Berlin als Stadt der Freiheit vermarkten, dann nehmen wir doch Berlin als Exempel: Es gibt hier zahlreiche Senats-GmbHs, die Kultur fördern sollen. So werden beispielsweise Räume verschenkt, wenn die Künstler bewerbend darlegen, was sie inhaltlich tun. Entspricht dies nicht der politischen Vorstellung des Senats, gibt es keinen Raum. Diese Räume werden weiterhin nur für zwei Jahre vergeben. Ich würde das als Wohlverhaltensüberprüfungs-Begrenzung von Staat zu Kultur sehen. Viele Veranstaltungen werden von diesen Senats-GmbHs mit Mitteln aller Steuerzahler initiiert und Preise verteilt und Fördermittel vergeben – alles politisch gesteuert.

Kunst und Kultur müssten aber frei und grenztestend sein dürfen. Haben Sie beispielsweise einmal die Anzahl an Comedians gezählt, die nicht mehr auftreten dürfen, weil sie Witze über Transgender-Personen gemacht haben? Der zwanghafte Drang, bestimmte sexuelle oder sozial geprägte Menschen ausdrücklich zu bevorzugen und nicht mehr objektiv nach Ideenreichtum, Kreativitätstiefe oder inhaltlicher Außergewöhnlichkeit Raum für alle Künstler gleichermaßen zu öffnen, führt dazu, dass wir nur noch Kultur ansehen, die uns bekannt ist. Dies ist gepaart mit nahezu gleichlautenden Medien, insbesondere der öffentlich-rechtlichen Medien. Wir haben aktuell die eintönigste, ideenloseste Kulturlandschaft aller Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg. Nehmen wir Bertolt Brecht: Er hat mit seinen Theaterstücken ständig Grenzen getestet. Für die einen war er ein bolschewistischer Propagandist, der die Gesellschaft kommunistisch unterwandern wollte, und für die anderen ein Messias. Heute hätte er in Berlin keine Chance auf Spielzeiten.

Laute Minderheiten haben nicht über eine Mehrheit zu bestimmen. Vivienne Westwood hat sich über Jahrzehnte hinweg gegen die gleichmachende Mehrheit gewehrt. Heute bestimmen zahlenmäßig unbedeutende Minderheiten und stülpen den Mehrheiten Zwangsmeinungen auf. Das ist ein gruseliger Trend, weil er zu Totalitarismus führt und eben nicht zu Diversität und Offenheit. Außerdem führt das dazu, dass sich Mehrheiten plötzlich auch gegen vernünftige Veränderungen wehren, was man kürzlich bei der Abstimmung zur Klimaneutralität in Berlin gesehen hat.

Viele Menschen sind derzeit unzufrieden mit der Politik und der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie nehmen autoritäre Tendenzen wahr sowie Zensur, eine eintönige Kultur und eine tendenziöse Berichterstattung. Nicht wenige sehen Parallelen zur DDR. Würden Sie da mitgehen als jemand, der sich mit der Geschichte des einstigen SED-Staates gut auskennt? Lassen sich die heutigen Zustände wirklich mit den damaligen vergleichen?

Ich habe mich mit vielen Zeitzeugen aus der ehemaligen DDR ausgetauscht, die sowohl in der DDR als auch später in der Bundesrepublik Kunst und Kultur gestaltet haben. Natürlich mussten sich in der DDR Bands wie City („Am Fenster“) oder Nina Hagen („Du hast den Farbfilm vergessen“) subtil ausdrücken und unliebsame Jugendkulturen wie Punks im Untergrund bewegen. Solchen Systemkritikern und Verwandten wurde der berufliche Aufstieg trotz Talent und Können abgeschnitten. Und wo stehen wir heute? Künstlern wird der Auftritt verwehrt, weil sie russischer Nationalität sind. Wer sich kritisch über die Corona-Politik geäußert hat, verliert Führungsverantwortung. Unliebsame Ausstellungen von privaten Sammlern und Vermögenden werden politisch boykottiert. Die Julia Stoschek Collection ist nur ein Bespiel.

Schauen wir uns die teuren Inszenierungen im Humboldt Forum an. Hier wird pedantisch darauf geachtet, dass den Besuchern pädagogisch erklärt wird, wieso Kunst, die aus Afrika stammt, grundsätzlich geraubt wurde. Auseinandersetzungen, Nuancen und Sichtweisen der damaligen Zeit oder Anderer darzustellen, wird verboten. Berlin will außerdem für Millionen von Euro ein Leitsystem an allen Hotspots der Stadt für Berliner und Besucher aufstellen, die ausdrücklich Menschen nur hin zu nicht-kommerziellen, staatlichen Kultureinrichtungen führen sollen. Private Kulturstätten sollen ausdrücklich vergessen werden. Wir lassen zu, dass mit unseren Ressourcen eine neue Kulturreligion erschaffen wird, die auf eine Elite des neu definierten Gutmenschen ausgerichtet wird und nichts neben sich zulässt. Das ist schlimm.

Was muss sich Ihrer Meinung nach im Kulturbetrieb ändern? Wo müsste man beginnen?

Politik und Kultur müssen unbedingt inhaltlich getrennt werden. Der Staat muss sich aus Kunst und Kultur heraushalten. Er muss selbstverständlich dafür sorgen, dass Infrastruktur geschaffen oder ermöglicht wird und Raum für Musiker, bildende Künstler oder Schauspieler zur Verfügung steht. Aber die inhaltliche Einmischung und auch die Führung müssen voneinander getrennt sein. Das ist der erste wichtige Aspekt. Umgekehrt müssen auch alle Kulturstättenbetreiber auf sich selbst schauen: Wofür sind wir angetreten und was macht uns aus?

In Berlin gibt es keine freien Safe Places oder offene Club-Kultur mehr. In Wirklichkeit sind auch Clubs zugangsbegrenzend und lassen Menschen stundenlang vor der Tür warten, um sie dann abzuweisen. Ehrlichkeit und Selbstkritik auch seitens der Kulturträger wäre ein guter Anfang, um immer wieder neue Ideen anzunehmen und kritisch alle Aspekte des Menschen zuzulassen und erst dann zu beurteilen. Würde ich bei meinen Kulturaktivitäten nur nach meiner eigenen politischen Einstellung, meinem Geschmack und nach dem Maßstab meiner Fähigkeiten gehen, wären wir schon lange langweilig oder tot.

Titelbild: Michael O’Keene/shutterstock.com

Zur Person: Quirin Graf Adelmann ist Unternehmer und Publizist. Zu seinen Aktivitätsfeldern gehören unter anderem Sozialer Wohnungsbau, Gastronomie, Sport, Musik, Start-ups, Mobilität und Kultur. Aufgrund dieses breiten Engagements hat er in den letzten Jahrzehnten vielseitige persönliche Erfahrungen mit zahlreichen Herausforderungen innerhalb von Teams, Behörden, Banken und politischen Rahmenbedingungen gemacht. Verarbeitet hat sie Adelmann in dem Buch „Schwach. Langsam. Ideenlos“, das 2022 im Eulenspiegel-Verlag erschienen ist.


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