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Titel: „Nur mit Russland wird es Frieden in Europa geben“
Datum: 3. April 2023 um 11:28 Uhr
Rubrik: Friedenspolitik, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen
Verantwortlich: Redaktion
Über Partei- und Weltanschauungsgrenzen hinweg gemeinsam sich für Frieden einsetzen – das war der Ansatz einer Konferenz am Montag, 27. März, in Berlin. Ehemalige Militärs, Wissenschaftler, Publizisten, Juristen und Friedensaktivisten kamen zusammen. Sie waren sich einig in der Kritik an der westlichen Kriegspolitik und warnten vor den Folgen der Eskalation im Ukraine-Krieg. Doch das Ziel, die Kräfte für den Frieden zu bündeln, scheint noch weit. Von Tilo Gräser.
Vor einem Weltkrieg, „der keine Sieger kennen wird“, warnten am Montag in Berlin die Teilnehmer der Konferenz „Dialog statt Waffen – Frieden mit Russland“. Sie forderten das Endes des westlichen Kriegskurses „durch einen gerechten Frieden, der die Sicherheit Russlands und eine friedliche antifaschistische Ukraine ohne Nato garantiert“.
Das Ostdeutsche Kuratorium der Verbände (OKV) hatte dazu eingeladen. Anlass waren die beiden Briefe der ehemaligen hochrangigen DDR-Militärs Manfred Grätz und Sebald Daum vom Januar dieses Jahres. Darin hatten sie die deutsche Politik im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg kritisiert und vor den Folgen der Waffenlieferungen gewarnt.
Die Konferenz sollte eine überparteiliche Friedensinitiative ins Leben rufen. In der Abschlusserklärung heißt es dazu: „In der großen Gefahr, in der sich aktuell unsere Völker befinden, haben wir keine Zeit mehr, uns über parteipolitische Differenzen und unterschiedliche gesellschaftspolitische Orientierungen zu streiten. Stattdessen müssen wir uns auf das konzentrieren, was uns eint!“
Entsprechend gemischt war der Kreis der etwa 80 Teilnehmer. Darunter waren unter anderem neben OKV-Präsident Matthias Werner sowie den beiden Ex-NVA-Generälen Grätz und Daum der ehemalige Bundeswehr-Offizier und heutige Publizist Wolfgang Effenberger, der Friedensaktivist Heinrich Bücker, der Berliner Physiker Joachim Wernicke und der einstige Nato-Mitarbeiter und DDR-Kundschafter Rainer Rupp. Letzterer gehörte zu den Initiatoren der Veranstaltung. Er hatte auch kein Problem damit, nach der Konferenz dem Chefredakteur des rechtsnationalen Magazins „Compact“, Jürgen Elsässer, ein Interview zu geben.
Frieden nur mit Russland
Es gehe darum, sich auf das zu konzentrieren, „was uns eint, was unsere höchste Priorität ist, nämlich Frieden mit Russland“, hatte Rupp zu Konferenzbeginn betont. „Man muss kein Freund Russlands sein, um in der aktuellen Situation Frieden mit Russland als höchste Priorität für die deutsche Politik zu fordern. Denn Frieden mit Russland ist nicht nur in unserem ureigenen egoistischen Interesse. Es ist auch ein Gebot der Vernunft. Denn davon hängt die Zukunft unserer Wirtschaft und das Wohl unserer Kinder und Enkel ab.“
Generalmajor a.D. Daum erklärte, er habe wie Generalleutnant a.D. Grätz „aus tiefer Sorge um eine mögliche Ausbreitung des Krieges auf Europa und Deutschland“ gegen die deutschen Panzerlieferungen an die Ukraine protestiert. Er sei entrüstet über die „immer offensichtlicher werdende Absicht, Russland zu zerstören, zu ruinieren und damit alle Wege zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes in Europa und der Welt zu verhindern“.
Auch Daum bekräftigte den notwendigen überparteilichen Ansatz. Er und Grätz seien sich einig: „Nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland wird es Frieden in Europa geben. Das ist ein Gebot der Vernunft und die Voraussetzung dafür, dass unser Land, unsere Wirtschaft, die Zukunft unserer Kinder und Enkel nicht im Interesse einer Politik westlicher regelbasierter Ordnung zum Opfer fällt, die Russland zerstören und China ebenfalls in einen Krieg hineinziehen will.“
Der Ex-NVA-General machte auf die Ursachen des Konflikts in der Ukraine aufmerksam und widersprach einseitigen Schuldzuweisungen an Russland. Doch die entsprechenden Fakten würden von den Regierenden und den etablierten Medien verschwiegen. „Auch das Verschweigen von Fakten und Tatsachen ist Lüge und führt zur Unglaubwürdigkeit.“ Daum forderte dazu auf, sich dagegen zu wehren, „dass Russland immer mehr zum Feind des deutschen Volkes aufgebaut wird und damit all das zerstört wird, was einmal wichtig war in den freundschaftlichen Beziehungen zu Russland“.
Zweifel an westlichem Friedenswillen
Deutschland müsse die Kriegsspirale verlassen. „Protestieren wir gegen die Maßnahmen, die zur Verlängerung des Krieges in der Ukraine führen. Verhindern wir das Kriegsgeschrei. Verhindern wir aber auch, dass in Deutschland wieder Menschen, die ihre Stimme erheben für den Frieden und gegen jeden Krieg, unterdrückt, bedroht und eingesperrt werden.“
Deshalb hält Daum es für geboten, „dass wir über alle parteipolitischen und gesellschaftspolitischen Differenzen hinweg eine Brücke schlagen und gemeinsam aufstehen, gemeinsam auf die Straße gehen und immer wieder Frieden mit Russland und mit China fordern“. Ähnlich äußerte sich mit Friedemann Munkelt ein früherer Oberst der DDR-Grenztruppen. An dem Friedenswillen der Nato sei zu zweifeln, sagte er mit Blick auf den Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Das sei „ja eigentlich ein politischer Witz. Wer sowas unternimmt, der will keinen Frieden, der will auch nicht verhandeln“.
Trotz der angespannten internationalen Lage und der damit verbundenen extremen Kriegsgefahr sieht Munkelt „mit einem gewissen Optimismus in die Zukunft“. Das speise sich aus der Erkenntnis, „dass sich die Welt in einem Veränderungsprozess befindet“. Die Staaten des globalen Südens und auch Asiens würden sich immer weniger für die auf Waffen und den Dollar gestützte US-Vorherrschaft instrumentalisieren lassen. „Aufgabe einer geschlossenen Friedensbewegung muss es sein, die Hasardeure dieser Welt aufzuhalten und einen großen und wahrscheinlich letzten Krieg zu verhindern“, so der ehemalige DDR-Grenztruppen-Offizier.
Enttäuschte Hoffnungen nach 1989
Mit dem Publizisten Wolfgang Effenberger kam auf der Konferenz ein ehemaliger Bundeswehroffizier zu Wort. Er hatte nach eigener Aussage als Hauptmann in den 1970er Jahren direkten Einblick in die Nato-Vorbereitungen auf einen Atomkrieg. „Angesichts der Bereitschaft der Vereinigten Staaten, hier in Europa die atomare Verwüstung in Kauf zu nehmen, setzte sich in mir bald die Erkenntnis durch, dass Frieden und Freiheit höchste Priorität haben müssen“, berichtete Effenberger. Und fügte hinzu: „Freiheit und Wahrhaftigkeit sind Grundvoraussetzungen für den Frieden. Im Krieg gibt es weder Freiheit noch Wahrheit noch Demokratie, sondern auf beiden Seiten nur unvorstellbares Leid.“
Er habe nach 1989 gehofft, „dass nun endlich wirklicher Friede in Europa einkehren würde. Doch die Hoffnungen wurden enttäuscht. Russland wurde ausgeplündert und die NATO wurde entgegen den Zusagen beständig nach Osten erweitert, bis hin zum Putsch in der Ukraine“. Der Publizist verwies auf die zahlreichen Belege für die konfrontative US-Politik, die er auch in seinen Büchern beschreibt. Zu den Hintergründen sagte er unter anderem:
„Es geht seit einem Jahrhundert vor allem darum, den Reichtum einer Gruppe von Finanz-Tycoons in der Londoner City und an der Wall Street zu mehren. Ein Blick auf die aktuellen Finanzströme bestätigt das. So scheinen die Finanzeliten in den USA und in Großbritannien wenig Interesse an einer Beilegung des Ukrainekonflikts zu haben. Heute möchten uns die gleichen Kreise in einen dritten Weltkrieg führen.“
Der Globus dürfe nicht länger Spielball einer verantwortungslosen Finanzoligarchie sein, die den Boden für eine rücksichtslose Ausbeutung bereite, forderte der Publizist. „Werfen wir das unheilvolle Narrativ – hier das Gute, dort das Böse – in den Mülleimer der Geschichte. Ächten wir den Krieg. Und vor allem: Wagen wir mehr Menschlichkeit.“ Dieser Anspruch kam auch in den Liedern zum Ausdruck, die der Songpoet Tino Eisbrenner zum Konferenz-Programm beisteuerte.
Gefahren der Eskalation
Je länger der Krieg in der Ukraine dauere und vom Westen weiter eskaliert werde, desto mehr drohe ein russischer Präzisionsangriff auf US-Kommandostellen in Europa, insbesondere Deutschland. Darauf machte der Physiker und Friedensaktivist Joachim Wernicke aus Berlin in seinem Konferenz-Beitrag aufmerksam. Zuvor hatte er seine These begründet, nach der Deutschland den Krieg in der Ukraine verursacht habe, aber auch stoppen könne. Dafür verwies Wernicke auf Entscheidungen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit, beginnend mit westlichen und später gebrochenen Zusagen an Michail Gorbatschow, es gebe keine Nato-Osterweiterung.
Zu einem möglichen Atomwaffeneinsatz in der Ukraine sagte er: „Europäer – einschließlich Russen – begehen nicht das Kriegsverbrechen von Atomeinsätzen. Obendrein sind taktische Atomwaffen militärisch unsinnig geworden, nämlich ersetzt durch konventionelle Präzisions-Fernwaffen.“ Dem widersprach der Militärwissenschaftler Wilfried Schreiber. Aus dessen Sicht wurde in Folge des Aufkündigens der Abrüstungsverträge durch die USA und der nun fehlenden Rüstungskontrolle „die Grenze zum Nuklearkrieg aufgeweicht“. „Wir stehen an der Schwelle zum Point of no return“, so Schreiber. „Die Eskalation droht endgültig aus dem Ruder zu laufen.“
Ex-NATO-Mitarbeiter Rupp fragte daraufhin, ob es neue Erkenntnisse zu den strategischen US-Atomkriegsplänen gebe, die seinen Erfahrungen widersprechen. Nach seinen Worten wurde in der NATO während des Kalten Krieges von US-Seite bei allen Kriegsplanungen „der größte Wert darauf gelegt, dass keine taktischen Nuklearwaffen auf russisches Gebiet abgeworfen werden“. Denn: „Den US-Amerikanern war immer ganz klar, in dem Moment, wo russisches Territorium getroffen wird, wird auf US-amerikanisches Territorium zurückgeschlagen.“
Rupp bezog sich auf die US-amerikanischen Planungen für den Ersteinsatz von Nuklearwaffen im Kriegsfall. Dieser sei für Truppenansammlungen des „Warschauer Vertrages“, dem von der Sowjetunion geführten Militärblock, in Osteuropa vorgesehen gewesen – „aber nie auf russisches Gebiet“. Er bezweifle, dass sich die Bereitschaft in den Vereinigten Staaten grundsätzlich geändert habe, „von russischen Nuklear-Raketen, die nicht aufzuhalten sind, auch getroffen zu werden“. Er sehe auf russischer Seite keine Notwendigkeit, Atomwaffen einzusetzen.
Kriegspolitik bedroht Meinungsfreiheit
Zum mehrstündigen Konferenzprogramm gehörten weitere Vorträge, so von Helga Zepp LaRouche, Vorsitzende der „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ (BüSo). Diese setzt sich seit langem unter anderem für eine neue globale Sicherheitsarchitektur ein. Zepp LaRouche sagte: „Wir sind derzeit Kräften ausgeliefert, die jegliche Souveränität abgegeben haben und mit ihrer Politik die Existenz Deutschlands riskieren. Und zwar sowohl was die Sicherheitspolitik betrifft als auch die Existenz von Deutschland als Industrienation.“
Der Rechtsanwalt und OKV-Vizepräsident Hans Bauer bedauerte, dass ein beachtlicher Teil der bundesdeutschen Bevölkerung „Russland als den bösen Aggressor sieht und deshalb insbesondere Waffenlieferungen zustimmt“. Nur in Ostdeutschland sei das nicht so deutlich ausgeprägt. Bauer setzte sich mit den Ursachen dafür auseinander und ging vor allem auf die Angriffe auf die grundgesetzlich verbriefte Meinungsfreiheit ein. So würden Kulturschaffenden, Journalisten oder Wissenschaftlern Verträge gekündigt, Vorträge oder Auftritte verwehrt, „weil sie sich nicht ausdrücklich gegen Russland bekennen oder der Inhalt ihrer Arbeit nicht deutscher Staatsräson entspricht.“
Der Anwalt gehört zu der Initiative aus acht Personen, die in einem Appell fordert: „Meinungsfreiheit verteidigen!“. Das wird von vierzig Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterstützt wird. Es sei klar, so Bauer: „Nur ein aufgeklärter Bürger kann sachkundig entscheiden, was einem gerechten Frieden dient. Und die Politik zur Umkehr zwingen.“
Anhaltende Spaltung
Mit der Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine setzte sich der Vorsitzende des Deutschen Friedensrates, Gerhard Fuchs-Kittowski, ausführlich auseinander. Er verwies auf die Rolle der USA und der EU sowie der ukrainischen Führung bei der Eskalation des Konfliktes in der Ostukraine seit 2014. Mit Blick auf die Friedensbewegung und die Debatten in dieser sagte er, der „Knackpunkt der Spaltung der Friedensbewegung“ sei nicht, „ob man für die Ukraine oder für Russland sei. Der Knackpunkt ist, ob man für oder gegen Waffenlieferungen eintritt“. Er selbst sei dagegen, weil das Mittel Waffenlieferungen „kein logischer Schritt für eine friedliche Lösung oder zur Beendigung von Konflikten darstellt“.
Die Teilnehmer der Konferenz waren sich weitgehend einig und stimmten der vorbereiteten Abschlusserklärung zu. In dieser rufen sie „alle friedliebenden Menschen auf, sich unserem Protest gegen den Krieg und für einen gerechten Frieden anzuschließen“. Die Kriegspolitik werde begleitet „von Wirtschafts-, Finanz- und Medienkriegen, völkerrechtswidrigen Sanktionen und Falschinformationen, verbunden mit Abbau von Demokratie und Meinungsfreiheit“.
Die Konferenz sollte laut der Erklärung eine „weitere Stimme für den Frieden“ sein, damit die Friedensbewegung stärker wird und Kraft in der Breite gewinnt. Ob wenigstens dieses Ziel erreicht wurde, wird sich zeigen. Erste Reaktionen aus der Friedensbewegung zeigen, dass der notwendige überparteiliche Ansatz kaum Unterstützung findet. Zu tief scheinen die beklagten „parteipolitischen Differenzen und unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Orientierungen“ zu sein. Sie stehen anscheinend dem gemeinsamen Ziel des Friedens mehr im Weg als erwartet.
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