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Titel: Stellen Sie sich vor, alle Amtsträger würden von Reportern so befragt
Datum: 2. April 2023 um 14:00 Uhr
Rubrik: Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
Warum genießen die USA eigentlich – zumindest im Westen, der sich der Achtung des Völkerrechts und seiner freien Presse rühmt – Narrenfreiheit? Warum werden US-amerikanische Kriegsverbrechen schulterzuckend weggelächelt, am liebsten noch mit dem Hinweis, diese zu thematisieren, sei „Whataboutism“, angesichts des „russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine“? Ein wesentlicher Grund dafür liegt in dem Versagen der sogenannten Vierten Gewalt. Würden die Journalisten ihrer Aufgabe nachkommen, könnte die Welt anders aussehen, kommentiert die australische Journalistin Caitlin Johnston in ihrem aktuellen Artikel anhand eines eindrucksvollen Beispiels. Übersetzung durch Susanne Hofmann.
Stellen Sie sich vor, alle Amtsträger würden von Reportern so befragt
von Caitlin Johnstone
Neulich fand auf einer UN-Pressekonferenz ein faszinierender Wortwechsel zwischen dem Journalisten Xu Dezhi von China Global Television Network und dem stellvertretenden Sprecher des UN-Generalsekretärs, Farhan Haq, statt. Der Austausch zwischen den beiden ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Zum einen zeigt er die krasse pro-amerikanische Voreingenommenheit eines UN-Vertreters, zum anderen macht er deutlich, wieviel Wahrheit zutage gefördert werden kann, wenn Journalisten tatsächlich ihrer Aufgabe nachkommen.
Xu, der in der Vergangenheit aus Syrien berichtet hat, stellte Haq einige herausfordernde Fragen zu einem Angriff auf eine US-Militärbasis in Ostsyrien. Dabei wurden letzte Woche mehrere US-Soldaten verletzt und ein US-Söldner getötet. In seiner Antwort stellte Haq die völlig falsche Behauptung auf, es gäbe keine US-Truppen in Syrien, und verweigerte die Antwort, ob die US-Besetzung eines Teils des Landes illegal sei.
Hier ist das UN-Transkript der Schlüsselstelle des Dialogs – Hervorhebungen von Caitlin Johnstone.
Xu: Drängen Sie nicht auf die Einhaltung der Souveränität und territorialen Integrität Syriens?
Haq: Selbstverständlich, das versteht sich von selbst. Natürlich muss die Souveränität und territoriale Integrität Syriens respektiert werden. Sie sind sich wohl der Komplexität der Situation der ausländischen Truppen derzeit bewusst, wir rufen sie aber zur Zurückhaltung auf.
Xu: Aber, halten Sie die Präsenz des US-Militärs in Syrien nun für illegal oder nicht?
Haq: Das ist kein Thema, mit dem wir zu diesem Zeitpunkt befasst sind. Es gab einen Krieg.
Xu: Aber, ist das… weil es diese Woche oft erwähnt wird. Wir reden viel über die UN-Charta, das Völkerrecht und entsprechende Resolutionen. Aber die Präsenz in einem anderen Land klingt für mich nach etwas Anderem.
Haq: Das da… Ich überlasse Ihnen die Analyse. Derzeit gibt es keine…
Xu: Worin besteht denn der Unterschied zwischen der Situation in Syrien und der Situation in der Ukraine?
Haq: Es gibt kein US-Militär in Syrien. Und so hab ich keine… Die Situation ist nicht vergleichbar mit einigen anderen.
Xu: Sind Sie sich sicher, dass es in Syrien kein US-Militärpersonal gibt?
Haq: Ich denke, dort gibt es militärische Aktivitäten. Aber mir ist nichts im Sinne einer Bodenpräsenz in Syrien bekannt, davon weiß ich nichts.
Xu: Okay. Fünf Armeeangehörige wurden bei diesem Angriff verletzt. Wenn es aber keine US-Armeeangehörigen in Syrien gab, wie konnten sie dann verletzt werden? Das ist doch seltsam, oder? Sollte ich Sie danach fragen? Und, übrigens, wenn Sie über die Resolution sprechen, das Völkerrecht hier ist die Resolution des Sicherheitsrates 2254 (2015), ich denke, der einleitende Paragraph darin lautet „bekräftigt sein starkes Bekenntnis zur Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territorialen Integrität der Arabischen Republik Syrien und zu den Zielen und Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen“.
Haq: Ja, das ist mir bewusst. Und wie Sie sehen, ist das von den Mitgliedern des Sicherheitsrats selbst akzeptiert.
Xu: Ja, aber zurück zu meiner Frage: Ist es illegal, in Syrien eine US-Basis zu unterhalten, laut der Resolution, aus der ich eben zitiert habe?
Haq: Die entsprechende Resolution legt das nahe und wir rufen alle Länder dazu auf, das zu respektieren. Weiter würde ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gehen.
Um das noch einmal deutlich zu machen: Hier spricht ein UN-Beamter. Haq hat seine derzeitige Position als stellvertretender Sprecher seit fast zehn Jahren inne und es gehört zu seinem täglich Brot, Fragen zu Syrien zu beantworten. Dass sich US-Militär in Syrien aufhält, ist auch kein obskures esoterisches Geheimnis; die Mainstreammedien berichten ständig darüber. Gerade neulich schrieb die New York Times: „Amerika hat immer noch mehr als 900 Soldaten und darüber hinaus hunderte Söldner in Syrien.“
Haq war also entweder in Unkenntnis dieser extrem wichtigen und relevanten Information oder er schützte unehrlicherweise Unkenntnis vor. Die wohlwollendste Deutung seines Verhaltens auf der Pressekonferenz ist, dass er echt nicht wusste, dass die USA Truppen in Syrien haben. Das wäre aber in etwa so, als würde ein UN-Beamter routinemäßig Pressefragen zur Ukraine beantworten und wüsste nicht, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist und dort seit letztem Jahr kämpft.
Haq ist der Sohn eines pakistanischen Politikers, hat aber einen tadellosen amerikanischen Akzent. Seine Akrobatik, mit der er Xus US-kritischen Fragen auszuweichen sucht, würde selbst eine Jen Psaki (bis Mai 2022 Pressesprecherin des Weißen Hauses, Anmerkung der Übersetzerin) beeindrucken. Meine Lieblingsstelle ist, an der er sagt: „Die Analyse überlasse ich Ihnen.“ Damit wehrt er die Frage auf brilliante Weise ab, ein großartiger Zug, der in Bezug auf jede erdenkliche unbequeme Frage zur Anwendung kommen kann („Sir, warum halten Sie gerade einen abgetrennten Kopf in den Händen?“ – „Schauen Sie, die Analyse überlasse ich Ihnen.“)
Es brauchte lediglich Xus direkte, ehrliche Fragen, um Haq als hohlköpfigen Lakaien des Imperiums zu entlarven. Und ich kann nicht umhin, mir vorzustellen, wie wunderbar die Welt wäre, wenn sowas die Regel wäre.
Vergleichen Sie das doch einmal mit der miesen Show, die sich kürzlich auf der Pressetribüne des Weißen Hauses abspielte, als der Journalist Simon Ateba von Today News Africa einen albernen Werbeauftritt unterbrach, um sich darüber zu beschweren, dass die Presseprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, ihn seit sieben Monaten nicht zu Wort hat kommen lassen.
Die versammelte Presse stellte sich sofort schützend vor die Sprecherin des Weißen Hauses und zwar auf die kriecherischste Art und Weise. Sie wandten sich gegen ihren Journalistenkollegen und ermahnten ihn von oben herab dazu, seine Klappe zu halten und sich zu benehmen, als er der Sprecherin den Vorwurf machte, „den ersten Zusatzartikel der Verfassung zu verhöhnen“.
Reporter von ungemein einflussreichen Medien wie Reuters, AP und CNN brüllten Ateba nieder – „Sei respektvoll!“ und „Benimm dich!“, eine Frau schrie aus vollem Halse „Anstandsregeln!“ wie ein außer Rand und Band geratenes Kind. Zeke Miller von AP bat sogar um Verzeihung für Atebas „Auftritt“ und sagte. „Ich möchte mich hier für die Presse bei den Menschen zuhause entschuldigen, die diesen Auftritt vorhin gesehen haben.“
Von dieser Sorte sind die kriecherischen Stiefellecker, die der Pressesprecherin der mächtigsten Regierung der Welt den Rücken freihalten. Stellen Sie sich einmal vor, die Presse verhielte sich gegenüber der Pressesprecherin ebenso rebellisch wie Xu Dezhi gegenüber Farhan Haq von den Vereinten Nationen. Stellen Sie sich vor, welche Widersprüche auf die Art aufgedeckt, welch unbequeme Fragen so hartnäckig gestellt werden könnten, bis Sie mit einer richtigen Antwort belohnt würden.
Stattdessen wird die mächtigste Regierung der Welt von Leuten repräsentiert, die sich allein dadurch auszeichnen, dass sie richtige Antworten geschickt zu vermeiden wissen, und ihnen dafür die machtanhimmelnden Schleimer zu Füßen liegen, die nichts sehnlicher wollen, als mit ihnen befreundet zu sein. Das ist das genaue Gegenteil einer gesunden Dynamik und das genaue Gegenteil einer funktionierenden freien Presse.
Es sollte keinen Reporter staatlicher chinesischer Medien brauchen, um unbequeme Fragen zur mächtigsten und zerstörerischsten Regierung der Welt zu stellen; westliche Journalisten sollten sich darum reißen, solche Fragen zu stellen, weil das eigentlich ihre Aufgabe ist. Dass das nicht der Fall ist, zeigt, dass die freie Presse durch Propaganda ersetzt wurde und Rechenschaftspflicht durch blinde Gefolgschaft der Macht.
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