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Titel: Stimmen aus Lateinamerika: Das Wiederaufleben der blockfreien „Dritten Welt“

Datum: 2. April 2023 um 11:45 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik
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Seit der Geburt der „Dritten Welt“ auf der Konferenz von Bandung (Indonesien 1955), die die Bewegung der Blockfreien Staaten ins Leben rief, entwickelte sich ein langwieriger Prozess der Akkumulation von Kräften, Willen, Bewusstsein und Politiken, der die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas dazu veranlasste, die Achtung ihrer Souveränität, Unabhängigkeit und Autonomie stärker einzufordern. Unter den neuen Bedingungen der globalen Entwicklung werden die USA und die alten europäischen Kolonialmächte nun herausgefordert wie fast nie zuvor. Von Juan José Paz y Miño Cepeda.

Vom europäischen Kolonialismus in Amerika profitierte Spanien im größten Teil des Kontinents, Portugal im Gebiet des heutigen Brasiliens, während die Karibik ein zwischen den Kolonialmächten umstrittenes Gebiet war. Auf jeden Fall markierten die Unabhängigkeitsprozesse in Lateinamerika und der Karibik zwischen 1804 und 1824, nach der Unabhängigkeit der USA (1776), das historische Ende des europäischen Kolonialismus auf dem Kontinent, auch wenn einige Gebiete (wie die Guyanas und die Malwinen) offen blieben ebenso wie Kuba und Puerto Rico, die 1898 unabhängig wurden.

Obwohl die europäische Kolonisierung Afrikas eine lange Vorgeschichte hat, war es die Berliner Konferenz von 1884, die die Aufteilung des Kontinents unter den damaligen europäischen Imperialismen regelte, um Konflikte zwischen ihnen zu vermeiden. Die Begünstigten waren, in der Reihenfolge: Frankreich, das Vereinigte Königreich, Portugal, Deutschland, Belgien, Italien und Spanien. Folglich fanden die Unabhängigkeitsprozesse fast aller Länder, die besser als Dekolonisierung Afrikas bezeichnet werden, erst ab den 1950er Jahren statt und dauerten bis in die 1990er Jahre. Mehrere dieser Prozesse waren blutig.

Die Befreiung der lateinamerikanischen Länder hat es trotz der im 19. (England) und 20. (USA) Jahrhundert entstandenen Abhängigkeit von außen ermöglicht, Nationalstaaten aufzubauen, zu verschiedenen Zeiten souveräne Politiken zu betreiben und die Wirtschaften in relativer Autonomie zu modernisieren. Für Afrika als Ganzes galt dies nicht, da seine späte Befreiung den allgemeinen Fortschritt beeinträchtigte. Auf beiden Kontinenten schuf die europäische Kolonialisierung die Bedingungen für die Unterentwicklung, die Abhängigkeit und die tiefen inneren sozialen Spaltungen in fast allen Ländern.

Aber zugleich hat sich seit der Geburt der „Dritten Welt“ auf der Konferenz von Bandung (Indonesien 1955), die die Bewegung der Blockfreien Staaten ins Leben rief, ein langer Prozess der Akkumulation von Kräften, Willen, Bewusstsein und Politiken entwickelt, der die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas dazu veranlasste, die Achtung ihrer Souveränität, Unabhängigkeit und Autonomie einzufordern, mit dem Ziel, ihre eigenen ökonomischen und politischen Systeme aufzubauen.

Foto 1: Konferenzplakat der Bandung-Konferenz 1955 – Von Foreign Ministry of the Republic of Indonesia – Bandung bulletin, Gemeinfrei

Auch der „Kalte Krieg“, der die Welt manichäisch in die unterteilte, die „Freiheit“ und „Demokratie“ haben und jene, die in „kommunistischer Sklaverei“ leben, war lange Zeit ein Hindernis. Eine Dualität, die von den USA mit Unterstützung der kapitalistischen Mächte Westeuropas konstruiert wurde, die jahrzehntelang direkte oder indirekte Interventionen in „unterentwickelten“ Ländern rechtfertigen, um ihre Interessen durchzusetzen.

Das Ende des Kalten Krieges und der scheinbare Siegeszug der Globalisierung

Die durch den Kalten Krieg geschaffene Dualität der Welt brach mit dem Fall des sowjetischen und osteuropäischen Sozialismus zusammen. Die transnationale Globalisierung schien für immer gesiegt zu haben. Doch der Aufstieg Chinas, Russlands, der Brics-Staaten und der Länder der „Dritten Welt“, der sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts wie nie zuvor behauptet hat, hat die Weltkarte erneut verändert. Heute können die traditionellen westlichen Mächte ihre Vorstellungen und Interessen nicht mehr wie in der unmittelbaren Vergangenheit durchsetzen. Diese Situation ist das Ergebnis einer Reihe von gegenwärtigen historischen Prozessen, darunter die folgenden:

Die Erfahrungen des Interventionismus haben bei den Völkern wachsende Ablehnung und Widerstand ausgelöst; die Förderung der Bildung und der technologische Fortschritt in der Kommunikation verbreiten bürgerschaftliches Bewusstsein, Informationen und Wissen sind für alle zugänglich, was Täuschungen unmöglich oder schwierig macht; die wirtschaftliche Modernisierung und der materielle Fortschritt begünstigen die autonomen Entscheidungen, haben die Beziehungen zwischen den Ländern ausgeweitet und die „Abhängigkeiten“ diversifiziert; die Märkte organisieren neue Beziehungen; es entstehen soziale Bewegungen und progressive und demokratische Kräfte (die normalerweise mit der Linken identifiziert werden), die auf eine andere Gesellschaft setzen; es bilden sich auch Regierungen mit Projekten, die auf die Stärkung der Souveränität ausgerichtet sind; und in Lateinamerika wächst die regionale Identität.

Die Völker rebellieren

Unter diesen neuen Bedingungen der globalen Entwicklung werden die alten Kolonialmächte herausgefordert. Gerade in den letzten Wochen haben sich beispiellose Ereignisse gehäuft: Der französische Präsident Emmanuel Macron erklärte auf einer Reise durch vier afrikanische Länder (ehemalige Kolonien), dass er die Militärpräsenz reduzieren werde, und stellte die Annäherung an Russland und China in Frage; aber in der Demokratischen Republik Kongo bot Präsident Felix Tshisekedi ihm die Stirn und forderte, dass er respektvoll sein soll und dass „die Art und Weise, wie Europa uns behandelt, sich ändern muss“; gleichzeitig nahmen die Straßenproteste in West- und Nordafrika gegen Frankreich zu; und in Namibia konterte Präsident Hage Gaeingob den deutschen Botschafter, als der sich beschwerte, in dem Land seien mehr Chinesen als Deutsche präsent.

Mit einzigartiger Dreistigkeit warnte die republikanische US-Kongressabgeordnete María Elvira Salazar kürzlich die argentinische Regierung, dass, wenn sie chinesische Kampfflugzeuge baut, die USA diesem „Pakt mit dem Teufel“ nicht tatenlos zusehen würden und dass „es zwei Welten gibt, die freie Welt und die Welt der Sklaven. Ich hoffe, die Argentinier bleiben in der freien Welt“, drohte sie, was Sprecher der argentinischen Regierung entsprechend beantworten mussten.

Noch waghalsiger haben die Republikaner Lindsey Graham (South Carolina) und John Kennedy (Louisiana) vorgeschlagen, dass die US-Regierung den Einsatz von Waffengewalt autorisieren könnte, um in Mexiko gegen den Drogenhandel zu intervenieren, worauf Präsident Andrés Manuel López Obrador mit Worten reagierte, die die breite Stimmung der lateinamerikanischen Völker widerspiegeln, indem er die „Manie“ und „schlechte Angewohnheit“ der USA kritisierte, „sich für die Regierung der Welt zu halten“ und er fügte hinzu:

„Aber noch schlimmer ist, dass sie militärische Gewalt einsetzen wollen, um in das öffentliche Leben eines anderen Landes einzugreifen. Das heißt, sie marschieren unter dem Vorwand in ein anderes Land ein, dass sie gegen terroristische Drogenhändler vorgehen. Das ist natürlich reine Propaganda. Wir müssen jedoch alle diese Anmaßungen von Interventionismus zurückweisen“, und er schloss mit der Feststellung: „Mexiko ist weder ein Protektorat noch eine Kolonie der Vereinigten Staaten. Mexiko ist ein freies, unabhängiges und souveränes Land. Wir nehmen von niemandem Befehle entgegen.“

Der Druck, dass Lateinamerika Stellung im Ukraine-Krieg bezieht, soll die Region ebenso zugunsten der Interessen der westlichen Welt bestimmen, während es in diesen Ländern darum geht, ihren Status als Friedenszone zu bewahren, ohne von einer der Mächte bestimmt zu werden, die in einen Konflikt verwickelt sind, der fern der souveränen Interessen Lateinamerikas ist, auch wenn der Krieg bereits regional verurteilt wurde.

Ohne Eile, aber ohne Pause

Es ist klar, dass es einen noch langsamen, aber historisch unaufhaltsamen Aufschwung der abhängigen Länder gibt und dass er durch den Zusammenbruch der westlichen Hegemonie und die Bildung einer multipolaren Welt möglich ist. In dieser entstehenden Mundus Novus des 21. Jahrhunderts gewinnen die Ideale von Bandung an Kraft und verdienen es, erneuert zu werden. Das schafft die Voraussetzungen für eine Annäherung Lateinamerikas an die anderen Nationen der Dritten Welt, mit dem Ziel, eine geopolitische Front aufzubauen, die auch auf der internationalen Ebene Einfluss nimmt. Und dies auf der Basis neuer Formen der politischen Integration zur Verteidigung der Souveränitäten, gegen die Absichten der westlichen Mächte, die Welt erneut in den angeblichen Block der „Demokratie“ und die teuflische Sphäre der Regionen des „Autoritarismus“ zu teilen.

Zum Autor: Juan José Paz y Miño Cepeda aus Ecuador ist Historiker und Analyst.

Übersetzung: Vilma Guzmán, Amerika21

Titelbild: shutterstock / Lenorko


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