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Titel: Faktencheck der Faktenchecker: Wie manipulativ ARD-„Faktenfinder“ versucht, Ganser, Guérot und Krone-Schmalz zu diffamieren

Datum: 29. März 2023 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Der beitragsfinanzierte „Faktenfinder“ der Tagesschau nimmt in seinem neuesten Stück den Schweizer Historiker und Publizisten Daniele Ganser, die deutsche Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot sowie die ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, ins Visier. „Fragwürdig“, „minderwertig“ und „abwegig“ sind nur einige der Vokabeln, die bei diesem hochtendenziösen Tagesschau-Beitrag zur Anwendung kommen. Die NachDenkSeiten unterziehen den „Faktenfinder“-Artikel einem Gegencheck, zeigen Manipulationsmechanismen auf und schauen sich näher an, was die Redakteure des Machwerks sowie die von ihnen präsentierten „echten Experten“ tatsächlich an Fachwissen vorweisen. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Schon der Titel zeigt auf, wohin die „Faktenfinder“-Reise diesmal gehen soll: „Viel Aufmerksamkeit für fragwürdige Experten“. Fragwürdig ist ein in seiner heutigen Bedeutung explizit abwertend gemeinter Ausdruck, als Synonym gibt der Duden „anrüchig, verdächtig, zwielichtig“ an. Mit „Faktenfinder“ im Sinne des Findens und Aufbereitens von Fakten bei höchstmöglichem Bemühen um „Objektivität und Unparteilichkeit“ im Sinne des Programmauftrags hat bereits die Überschrift so rein gar nichts zu tun.

Faktenfinder-Artikel verstößt gegen Staatsvertrag

Rufen wir uns in diesem Zusammenhang nochmals den genauen diesbezüglichen Wortlaut im Staatsvertrag Paragraf 11 Absatz 2 in Erinnerung:

„Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen. Von der Einhaltung dieses Programmauftrags kann auch die Berechtigung des Rundfunkbeitrags abgeleitet werden.“

Gerade auch den letzten Satz sollten sich die „Faktenfinder“-Redakteure, insbesondere in Bezug auf ihre aktuelle Veröffentlichung, nochmal stärker ins Bewusstsein rufen.

Der Teaser des neuen „Faktenfinder“-Stücks ist die konsequente Fortsetzung des gewählten Titels:

„Sie füllen Hallen, schreiben Bücher oder sitzen in Talkshows: vermeintliche Experten zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Dabei gelten viele ihrer Ansichten in der Wissenschaft als abwegig – oder ganz falsch.“

„Fragwürdig“ wird ersetzt durch „vermeintlich“, und in absoluter Wortwahl wird behauptet, dass die Perspektiven von Ganser, Guérot und Krone-Schmalz in „der Wissenschaft“ als „abwegig“ gelten würden. Um es vorwegzunehmen: Im weiteren Verlauf des Artikels entpuppt sich „die Wissenschaft“ als drei semi-bekannte Professoren für osteuropäische Geschichte, die mehr oder weniger offen erklären, dass außer ihnen eigentlich niemand als Experte gelten sollte. Als Detail sei noch angemerkt, dass die sonst so ostentativ um Diversität und Quote bemühte Tagesschau hier ausschließlich männliche Professoren im besten Midlife-Crisis-Alter befragt, die dann teilweise offensiv unter der Gürtellinie („minderwertig“) und im Duktus verletzter Eitelkeit verbal über zwei Frauen herfallen (Guérot und Krone-Schmalz). In einem anderen Kontext hätte allein dieser Umstand zu einem Shitstorm geführt. Zum Glück für die ARD stehen aber die Professoren auf der guten Seite im Kampf gegen die angeblich „fragwürdigen“ Expertinnen. Da heiligt der woke Zweck auch schon mal die patriarchalen Mittel.

Die „Expertise“ der Faktenfinder-Redakteure

Damit wären wir bei den Autoren dieses „Faktenfinder“-Artikels. Verfasst wurde dieser Beitrag von Carla Reveland und Pascal Siggelkow. Beide Redakteure vereint der Hang zum Denunzieren. Während Reveland auf Twitter und via entsprechende „Faktenfinder“-Beiträge „Wie finanzieren sich Putin-Propagandisten?“ versucht, der deutsch-russischen Bloggerin Alina Lipp den Spenden-Geldhahn zuzudrehen, startete Pascal Siggelkow seine Karriere beim ÖRR, indem er maßnahmenkritischen Ärzten nachstellte. In der Kurzbiographie beim SWR heißt es unter anderem über ihn:

„Während seines Volontariats beim SWR hat er sich besonders im investigativen Bereich engagiert – bei Report Mainz und in der Rechercheunit. Dabei recherchierte er beispielsweise verdeckt zu Ärzten, die Corona verharmlosten und ohne medizinischen Grund Atteste gegen das Tragen von Schutzmasken ausstellten.“

Laut einem Blogbeitrag der FAZ war die jetzige „Faktenfinder“-Redakteurin Reveland zuvor neben ihrer Tätigkeit für den NDR in Hamburg auch als „freie Referentin“ bei der Amadeu Antonio Stiftung tätig, welche mehrere, um im Vokabular des „Faktenfinders“ zu bleiben, „fragwürdige“ Denunziationsportale unterhält.

Reveland studierte laut Selbstdarstellung auf der Seite der Hamburg Media School Kulturjournalismus. Als einzige Auslandserfahrung wird auf „Indien und Suriname“ verwiesen. Diese Information ist nicht völlig irrelevant, wenn man bedenkt, dass diese „Faktenfinder“-Redakteurin mittlerweile regelmäßig zu Russland-Ukraine-Themen schreibt und, wie im aktuellen Fall, gestandenen Korrespondenten wie Krone-Schmalz oder auch Historikern wie Daniele Ganser fehlende Expertise zu einer Region vorhält, mit der sie sich selbst vor dem 24. Februar 2022 nachweislich kaum beschäftigt hat.

Ihr Co-Autor Siggelkow erreichte im Februar 2023 einen gewissen Bekanntheitsgrad, weil er das Kunststück fertigbrachte, die Recherchen von Seymour Hersh zur Nord-Stream-Zerstörung völlig falsch zu übersetzen. Er machte aus der Verbkonstruktion „(to) plant shaped C4 charges“ (also „platzieren von C4-Hohlladungen“) ein Substantiv: „Sprengstoff in Pflanzenform“ und befragte dazu extra einen Sprengstoff-Experten, der dann auch ausführlich in einem ganzen Unterkapitel des entsprechenden „Faktenfinder“-Artikels erklären durfte, wie „abenteuerlich“ die Behauptung von Hersh sei, dass angeblich Sprengstoff in Pflanzenform eingesetzt wurde.

Selbst beim meist staatskonform berichtenden Nachrichtenportal t-online sah man sich danach gezwungen zu titeln: „ARD blamiert sich mit Übersetzungsfehler“.

Siggelkow gibt in seinem Xing-Account übrigens selbstbewusst an, Englisch „fließend“ zu beherrschen. Dieser haarsträubende Fehler und die darauf aufbauende haltlose Verleumdung von Hersh wurden bis zum heutigen Tage von der Tagesschau-Redaktion nicht aufbereitet. Das prangert mittlerweile auch der damals von Siggelkow befragte Sprengstoffexperte David Domjahn an und fordert vor dem Hintergrund des intransparenten Umgangs der ARD mit dem Vorfall eine grundlegende „Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“.

Neben Englisch scheint der „Faktenfinder“-Autor aber auch mit deutscher Grammatik auf Kriegsfuß zu stehen. Das Online-Portal Telepolis weist beispielsweise in einem Artikel mit dem Titel „Wie der ARD-Faktenfinder Realität im Nachrichtentext bewertet“ nach, dass Siggelkow regelmäßig in seinen Beiträgen Verbmodi durcheinanderbringt.

So viel zur Expertise der selbsternannten „Faktenfinder“-Redakteure der Tagesschau. Widmen wir uns nun dem von ihnen verfassten Machwerk.

Drei kaum bekannte Historiker als Kronzeugen gegen Ganser, Guérot und Krone-Schmalz

Zunächst führen Reveland und Siggelkow den Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Basel, Frithjof Benjamin Schenk, an, der erklären darf, dass Ganser keine „eigene Forschung oder wissenschaftliche Publikationen über die Ukraine“ vorweisen könne. Das mag in der Eingrenzung auf „wissenschaftliche Publikationen“ sogar stimmen.

Wirft man allerdings einen Blick auf die Publikationsliste von Prof. Dr. Schenk, dann fällt auf, dass er zwar durchaus interessante Veröffentlichungen wie zum Beispiel „Imperiale Nostalgie und Genderkonzepte in den Erinnerungen einer russischen Adeligen“ vorzuweisen hat – aber von eigener Forschung und Publikation zur Ukraine ist vor 2022 ebenfalls nichts zu finden.

Das hindert Schenk aber nicht daran, via „Faktenfinder“ zu erklären, dass sich Gansers Thesen „zum russischen Angriffskrieg“ stark von dem unterschieden, „was aus Sicht vieler Osteuropahistoriker Konsens ist“. Das ist ein Argumentationsmuster, dessen sich auch die anderen vom „Faktenfinder“ befragten Historiker bedienen: Was Ganser, Guérot und Krone-Schmalz erzählen, sei kein Konsens in der deutschen Osteuropa-Wissenschaft, ergo sei es falsch.

Ganser zweifelt „offizielle Untersuchungsergebnisse“ an

Abschließend wird Schenk mit der Aussage zitiert, „ein dezidierter Antiamerikanismus“ ziehe sich „wie ein roter Faden“ durch die gesamten Arbeiten Gansers. Das „Faktenfinder“-Autorenteam ergänzt diese Behauptung mit dem vielsagenden Satz:

„Denn Gansers bisherige Bücher beziehen sich größtenteils auf die USA und die NATO, so zweifelt er zum Beispiel die offiziellen Untersuchungsergebnisse zum 11. September an.“

Da zweifelt jemand tatsächlich „offizielle Untersuchungsergebnisse“ an. Also wirklich, wenn so was Schule machen würde! Man bedenke nur, Journalisten würden offizielle staatliche Untersuchungsergebnisse, etwa zum Mord an John F. Kennedy, den Massenvernichtungswaffen im Irak oder zum NSU-Komplex, hinterfragen.

Der selbsternannte „Ukraine-Experte“ aus Tübingen

Danach bekommt Klaus Gestwa, derzeit Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte an der Universität Tübingen, seinen Auftritt beim „Faktenfinder“. Gestwa hat ebenso wie Schenk vor dem 24. Februar 2022 keine einzige Publikation zur Ukraine vorzuweisen, wie ein Blick auf seine Publikationsliste bezeugt. Das hindert ihn aber nicht daran, sich aktuell als „Ukraine-Experte“ zu verkaufen – eine Selbstvermarktung, die von zahlreichen deutschen Medien gerne und völlig unkritisch aufgegriffen wird. Befragt man hingegen ehemalige Studierende Gestwas (der Autor dieser Zeilen studierte in den 2000er-Jahren in Tübingen und verfügt daher noch über entsprechende Kontakte), ergibt sich ein ganz anderes Bild, als dieser derzeit von sich selbst zeichnet. Gestwa kommt aus der Wirtschaftsgeschichte, seine Doktorarbeit ging über die „Proto-Industrialisierung in Russland von 1741 bis 1932“, und er hat sich nach übereinstimmender Erinnerung der befragten ehemaligen Studierenden am Osteuropa-Institut nie für die Ukraine interessiert. Im Gegenteil, Magister- und Dissertationsprojekte, die sich nicht mit Russland, sondern mit der Ukraine beschäftigten, hätte er, so die Befragten, oft „belächelt“ oder mit offenem Desinteresse behandelt.

All dies hindert den Wirtschaftshistoriker nicht daran, gegenüber dem „Faktenfinder“ lauthals zu verkünden, dass es „gleich auf mehreren Ebenen“ falsch sei, wenn Ganser von einem Putsch gegen den früheren ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch spreche:

„Unter einem Putsch versteht man, dass politische Funktionsträger – meistens das Militär oder der Geheimdienst – die Möglichkeit einer instabilen politischen Situation nutzen, um an die Regierung zu kommen.“

Somit stimme das Wort Putsch nicht mit den Geschehnissen des Euromaidans überein, denn „der Euromaidan“ sei laut Gestwa „die größte demokratische Massenbewegung in Europa seit 1989“ gewesen.

Doch hält diese Darlegung und Definition einer Überprüfung stand? Nicht im Mindesten. Zunächst lässt sich festhalten, dass Militärs und Geheimdienstler, im Gegensatz zur vorgelegten Definition des Tübinger Historikers, sowohl in der Politik- wie auch der Geschichtswissenschaft nicht als „politische Funktionsträger“ gelten. Sie sind, zumindest offiziell, weder Teil der Exekutive noch der Legislative.

Nimmt man den Verweis auf Militär und Geheimdienst weg, dann wiederum deckt sich die Putsch-Definition von Gestwa genau mit den Vorfällen zwischen dem 21. und 23. Februar 2014:

Nach der damals gültigen ukrainischen Verfassung (Artikel 108) konnte die Amtsperiode des Präsidenten nur aus vier Gründen vorzeitig beendet werden: wegen Rücktritts, aus gesundheitlichen Gründen, im Zuge eines Amtsenthebungsverfahrens oder wenn der Amtsinhaber verstirbt. Keiner der vier Gründe traf auf die Absetzung von Janukowitsch zu. Weder war er zurückgetreten noch schwer erkrankt, und ein Amtsenthebungsverfahren hatten die Oppositionsführer Vitali Klitschko, Arsenij Jazenjuk und Oleg Tjagnibok auch nicht durchgeführt. Selbst ein Faktencheck des Spiegels zu der Thematik kommt zu dem Ergebnis, dass der Sturz von Janukowitsch verfassungswidrig war. Das Hamburger Magazin, Bezug nehmend auf eine entsprechende Aussage des russischen Präsidenten Wladimir Putin, schließt seinen Faktencheck mit dem Satz:

„Betrachtet man den Präsidentschaftswechsel in der Ukraine „rein juristisch“, hat Putin recht.“

Fassen wir zusammen: Die damaligen Oppositionsführer Klitschko, Jazenjuk und Tjagnibok nutzten die instabile Situation Ende Februar 2014, um, ohne verfassungsrechtliche Grundlage, den amtierenden Präsidenten abzusetzen und eine neue Interimsregierung zu installieren. Wie lautete nochmal die „Putsch“-Definition von Gestwa, mit der er angeblich Gansers Darlegung widerlegt?

„Unter einem Putsch versteht man, dass politische Funktionsträger (dazu zählen natürlich auch Oppositionspolitiker) die Möglichkeit einer instabilen politischen Situation nutzen, um an die Regierung zu kommen.“

Gegenüber dem „Faktenfinder“ führt Gestwa dann weiter aus, dass auch die Behauptung Gansers, Janukowitsch sei gestürzt worden, „faktisch falsch“ sei. Mit dieser Aussage lehnt sich Gestwa ganz weit aus dem Fenster, denn nicht nur Ganser, sondern auch die gesamten westlichen Leitmedien wie die New York Times (hier) oder auch die ZEIT (hier) sprechen in diesem Zusammenhang von „Sturz“.

Um den Eindruck ob der intellektuellen Verfasstheit des Tübinger Geschichtsprofs abzurunden, sei auf seine Aussage bei einer Podiumsdiskussion am 15. März in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart verwiesen. Dort bezeichnete er in seiner Eigenschaft als Direktor des Osteuropa-Instituts der Universität Tübingen den Schweizer Historiker öffentlich als „Putin-Troll auf Globuli“ sowie „Friedensschwurbler“.

Ulrike Guérot und ihre angeblich „minderwertige Quellenauswahl“

Nach Ganser wendet sich der „Faktenfinder“ der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot zu. Eingangs erklären die Redakteure, Guérot hätte ebenso wie Ganser „speziell zur Geschichte Russlands oder der Ukraine keine wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht“ – um sich dann darauf aufbauend zu beschweren:

„Dennoch wurde sie unter anderem in Talkshows eingeladen.“

Man fragt sich umgehend, ob den „Faktenfinder“-Redakteuren die Implikation ihrer Aussage bewusst ist. Wenn in die Talkshows von ARD und ZDF (Hart aber Fair, Maischberger etc.) nur noch Personen eingeladen werden dürften, die „wissenschaftliche Publikationen“ in dem jeweilig zu diskutierenden Themengebiet vorzuweisen haben, dann dürfte so gut wie kein Bundestagsabgeordneter, Unternehmer oder FFF-Aktivist mehr als Gast zu sehen sein; und auch nicht die ausführlich vom „Faktenfinder“ zitierten Osteuropa-Historiker aus Basel und Tübingen, denn die haben, wie bereits aufgezeigt, „speziell zur Geschichte der Ukraine“ bis 2022 nichts vorzuweisen.

Um die Politikwissenschaftlerin und Publizistin weiter zu diffamieren, wird dann Martin Aust, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Bonn, in Stellung gebracht. Dieser verfasste seine Doktorarbeit über „Adlige Landstreitigkeiten in Russland. Eine Studie zum Wandel der Nachbarschaftsverhältnisse 1676–1796“ und hat wie auch seine bereits zuvor zitierten Kollegen vor dem 24. Februar 2022 kaum zur Ukraine geforscht und publiziert. Schwerpunkte bei allen drei Historikern waren bis 2022 Russland in der Zarenzeit und die Sowjetunion. Das hindert aber auch Aust nicht daran, sich jetzt als Ukraine-Experte zu verkaufen. Das führt in seinem Fall zu geradezu absurden Äußerungen. So wirft er Guérot vor, dass sie die These verbreite, das große strategische Ziel der US-amerikanischen Außenpolitik sei es, Russland und die Europäische Union voneinander zu entfremden, und das Instrument dafür sei die Ukraine. Diese These sei ein Beleg, dass die Politikwissenschaftlerin auf mehreren Ebenen nicht mit der Thematik vertraut sei. Gegenüber „Faktenfinder“ erklärt Aust weiter:

„Das übersieht auf Seiten der USA, wie stark sich dort der Fokus auf China gerichtet hat und wie sehr Europa für die US-amerikanische Außenpolitik an Bedeutung abnimmt.“

Dieser Einschätzung von Aust stehen zum einen die von den USA offiziell eingeräumten Zahlungen bis 2014 des US-Außenministeriums und der USAID an die „ukrainische Zivilgesellschaft“ in Höhe von über fünf Milliarden US-Dollar entgegen. Die ZEIT titelte dazu im Mai 2015:

„Haben die Amis den Maidan gekauft?“

Zum anderen spricht auch die enorme Höhe an US-Militärhilfe für die Ukraine, welche mit rund 50 Milliarden US-Dollar (Stand Januar 2023) fast dem Umfang des gesamten russischen Militärhaushalts entspricht, gegen die These von Aust und für die Guérots.

Quelle: de.statista.com

Zudem gibt es zahlreiche Aussagen US-amerikanischer Politiker und Geostrategen, welche die These von Guérot untermauern. Am bekanntesten ist wohl die Rede eines der renommiertesten US-Geostrategen, George Friedman. Dieser erklärte beispielsweise bei einer Rede vor dem Chicago Council on Global Affairs, einem transatlantischen Thinktank:

„Das Hauptinteresse der Vereinigten Staaten, wegen dem wir jahrhundertelang Kriege geführt haben – den Ersten, den Zweiten und den Kalten Krieg –, ist die Beziehung zwischen Deutschland und Russland, weil sie dort vereint die einzige Kraft sind, die uns bedrohen könnte. Und wir müssen sicherstellen, dass das nicht passiert.“

Der Deutschlandfunk schreibt hierzu:

„Aufgabe kommender US-Präsidenten sei es, zur Eindämmung Deutschlands die EU-Partner systematisch gegeneinander auszuspielen und vor allem enge Beziehungen etwa zu Polen oder Dänemark zu pflegen.“

Der Bonner Historiker greift dann noch tiefer in die sprachliche Eskalationskiste und wirft Guérot vor, ihre Publikationen hätten eine „minderwertige Quellenauswahl“. Weiter führt er aus:

„Der Anmerkungsapparat erweist sich als ein dünner Aufguss von einigen Zeitungsartikeln, Internetseiten und publizistischen Texten. Wissenschaftliche Publikationen zu den einschlägigen Themen des Buches werden bis auf seltene und höchst selektive Ausnahmen nicht zitiert.“

Weder Aust noch die „Faktenfinder“-Redakteure nennen einen konkreten Buchtitel, auf den sich dieser Vorwurf beziehen könnte. Vermutlich spielt Aust aber auf den von ihr und Hauke Ritz verfassten und im Westend-Verlag erschienenen Essayband „Endspiel Europa – Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist − und wie wir wieder davon träumen können“ an.

Hier zeigt sich die manipulative Perfidität des Vorwurfs von Aust, denn ein Essay hat per definitionem gar keinen streng wissenschaftlichen Anspruch:

„Die Formalität des Essays ist dabei nicht auf die Kriterien wissenschaftlicher Methodik angewiesen, sondern beruht primär auf subjektiven Erfahrungen und Urteilen des Autors (Essayist) über die zu behandelnde Thematik.“

Abschließend darf Aust dann noch den Diffamierungsklassiker von sich geben, dass Guérot „der russischen Propaganda vollkommen in die Karten“ spiele.

Krone-Schmalz und der „wissenschaftliche Konsens“

Last but not least arbeitet sich der „Faktenfinder“ noch an der langjährigen Moskau-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, ab. Zunächst wird sie etwas sanfter angefasst, nur um dann mit um so härteren Vorwürfen überschüttet zu werden. In dem ihr gewidmeten Kapitel heißt es eingangs:

„Etwas differenzierter sei die ehemalige ARD-Russlandkorrespondentin Gabriele Krone-Schmalz zu betrachten, sagen die Experten. Anders als bei Guérot und Ganser kokettiere sie nicht mit den extremen Rändern und Verschwörungsideologen.“

Doch gleich danach heißt es in dem „Faktenfinder“-Artikel, dass auch Krone-Schmalz mit ihren Ansichten zum Teil „stark vom wissenschaftlichen Konsens“ abweiche und zudem „die russischen Gräueltaten“ relativiere.

Bereits der erste Vorwurf ist vielsagend. Hier wird im „Faktenfinder“-Artikel behauptet, Krone-Schmalz würde von einem „wissenschaftlichen Konsens“ abweichen. Doch wer bestimmt eigentlich, was „wissenschaftlicher Konsens“ ist? Und in welcher Fachrichtung? Die drei zitierten und bisher kaum bekannten Osteuropa-Historiker, die vor Februar 2022 zudem selbst kaum zur Ukraine geforscht und publiziert haben?

Ebenso bezeichnend ist dann die nächste Aussage von Aust in Bezug auf Ganser, Guérot und Krone-Schmalz:

„Das grundlegende Problem, das wir bei solchen Leuten haben: Sie versuchen sich in einer Schuldumkehr. Sie versuchen herauszuarbeiten, dass nicht Putin an allem schuld ist, sondern dass der Westen zumindest auch eine große Portion Schuld trägt.“

Für den Bonner Osteuropa-Historiker ist es also bereits ein „grundlegendes Problem“, wenn ein Historiker wie Ganser oder eine Politikwissenschaftlerin wie Guérot darauf hinweisen, dass „Putin nicht an allem schuld ist“. Dieser hier von Aust formulierte, völlig undialektische Absolutheitsanspruch, dass nur eine einzige Seite die alleinige Schuld am aktuellen Krieg in der Ukraine trüge, zeugt von einem erschreckenden (Un)Verständnis wissenschaftlichen Arbeitens in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Aust, der sich anmaßt, anderen die „Wissenschaftlichkeit“ abzusprechen, offenbart damit, wer hier in Wirklichkeit die größten Defizite aufweist.

Doch nicht nur Aust leistet durch seine Aussagen gegenüber „Faktenfinder“ einen Offenbarungseid zum Zustand der Osteuropa-Forschung in Deutschland. Fast noch gravierender aus wissenschaftlicher Sicht sind die abschließenden Darlegungen des Direktors des Instituts für Osteuropäische Geschichte an der Universität Tübingen. Gegenüber dem „Faktenfinder“ erklärt dieser am Ende:

„Es geht Putin im Wesentlichen um den eigenen Machterhalt. Putin konnte nicht als Modernisierer oder Reformer Geschichte schreiben, weil er seine Oligarchie unterstützen musste. Deshalb will er es unbedingt als Eroberer und als Feldherr schaffen.“

Erneut lässt sich dasselbe Phänomen wie bei seinem Kollegen aus Bonn beobachten: anderen vehement die Wissenschaftlichkeit absprechen – aber selbst auf Basis reiner Küchen-Psychologisierung argumentieren. Und es wird noch besser. Gestwa führt dann nämlich weiter aus, „aus diesem autoritären Regime Putins“ heraus „erwachse automatisch (!) so etwas wie eine äußere Aggression“, die sich dann auch in Kriegsaktionen niedergeschlagen habe.

Automatisch ist wohl der mit Abstand unwissenschaftlichste Begriff überhaupt, der sich für die Beschreibung von politischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen finden lässt. Der zumindest dem Titel nach führende Osteuropa-Forscher der „Leuchtturm-Uni“ Tübingen tut aber genau dies und versucht, uns „via Faktenfinder“ Geschichte als Automatismus zu verkaufen. Deutsche Osteuropa-Forschung gemeinsam mit dem „Faktenfinder“ am Abgrund der Glaubwürdigkeit.

Titelbild: Screenshot von tagesschau.de/faktenfinder/


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