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Titel: Der Krieg in der Ukraine – Wer stoppt die Eskalationsspirale?
Datum: 28. März 2023 um 10:00 Uhr
Rubrik: Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
Der Krieg in der Ukraine dauert jetzt schon länger als ein Jahr und es gibt keinerlei Anzeichen für ein Ende. Allerdings ist während der Kampfhandlungen zunehmend deutlicher geworden, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland handelt. Die Ukraine dient den USA sozusagen als verlängerter „Kampfarm“, um Russland als globalen Konkurrenten Washingtons zu schwächen und nach Möglichkeit auszuschalten. Diese Rivalität zwischen den USA und Russland wird nicht nur durch eine immer umfangreichere militärische und finanzielle Unterstützung seitens der USA und ihrer Verbündeten deutlich, sondern auch durch immer gefährlichere Provokationen und Demonstrationen der beiden Atommächte. Von Jürgen Hübschen.
Beteiligung von zwei amerikanischen „B-52“-Langstreckenbombern an den Feierlichkeiten zum estnischen Unabhängigkeitstag
Am 24. Februar 2023, also zeitgleich zum ersten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine, wurde in Tallin, der Hauptstadt Estlands, der Unabhängigkeitstag des Landes gefeiert. 105 Jahre zuvor hatte das kleine Land im Baltikum erstmals seine Loslösung von Russland verkündet. An der stattfindenden Parade nahmen im Rahmen eines Überflugs auch Luftstreitkräfte verbündeter NATO-Staaten teil. Neben deutschen „Eurofightern“, polnischen „F-16“-Kampfflugzeugen und französischen „Mirage“ zeigten die USA durch zwei „B-52 Stratofortress“-Langstreckenbomber mit ihren jeweils acht Triebwerken demonstrativ ihre militärische Stärke. Diese Bomber können mit ihrer Reichweite von bis zu 14.000 Kilometern jeden Punkt der Erde erreichen und sind, auch wegen der Möglichkeit, sie atomar zu bewaffnen, seit über 50 Jahren das strategische Rückgrat der US-Luftwaffe. Die beiden „B-52H“ gehörten zum „5th Bomb Wing“ von der „Minot Air Force Base“ in North Dakota. Die besondere Brisanz dieser „B-52-Show“ in Estland bestand darin, dass Tallin nur etwa 320 Kilometer entfernt von St. Petersburg liegt. Bis zur russischen Grenze sind es lediglich 200 Kilometer. Die US-Luftwaffe betonte in einer Pressemitteilung den Wert der strategischen Zusammenarbeit zwischen den beiden NATO-Verbündeten USA und Estland, die darauf abziele, „die baltischen Staaten zu stärken und abzusichern, Operationen zur Terrorismusbekämpfung zu unterstützen und Europas Ostflanke zu befestigen“.
Der Absturz einer unbewaffneten amerikanischen „MQ-9 Reaper“-Drohne über dem Schwarzen Meer
Am 14. März 2023 stürzte eine unbewaffnete amerikanische Drohne vom Typ „MQ-9 Reaper“ nach einem nicht abschließend geklärten Zusammentreffen mit zwei russischen „SU-27“-Abfangjägern über dem Schwarzen Meer ab. Die Einzelheiten des Zwischenfalls wurden von Moskau und Washington unterschiedlich dargestellt. Vorhandene Videoaufnahmen konnten zur Klärung auch deswegen nicht beitragen, weil nach US-Angaben zwischenzeitlich die Kamera der Drohne ausgefallen war. Fest steht, dass die Drohne wohl in Rumänien stationiert war und aus der amerikanischen „Air Base Ramstein“ in Deutschland gesteuert wurde. Die beiden russischen Abfangjäger waren von der Halbinsel Krim gestartet. Das US-amerikanische European Command erklärte zu dem Vorfall, die Drohne habe sich im internationalen Luftraum befunden. Die russischen „SU-27“ hätten bei mehreren Anflügen immer wieder Sprit abgelassen, um die Kamera der Drohne unbrauchbar zu machen, und schließlich den Propeller touchiert. Das US-Militär habe sie deshalb ins Meer stürzen lassen.
US-Verteidigungsminister Austin erklärte, der Zwischenfall sei „Teil eines Musters von aggressivem, riskantem und gefährlichem Handeln von russischen Piloten“ im internationalen Luftraum. Die USA wiederum würden ihre Flüge überall dort fortsetzen, „wo es das internationale Recht erlaubt“. Die russische Seite bestritt dieses Verhalten der russischen Piloten und erklärte im Gegenzug, die russischen Maschinen hätten die Drohne nicht berührt und auch keine Waffen eingesetzt; die Drohne sei durch eine zu heftige eigene Flugbewegung abgestürzt.
Das US-amerikanische Außenministerium bestellte den russischen Botschafter ein. Nach dem Zwischenfall über dem Schwarzen Meer telefonierten die Verteidigungsminister beider Länder miteinander. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte, er habe mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Schoigu über den Absturz der Aufklärungsdrohne gesprochen und erklärte: „Wie ich immer wieder gesagt habe, ist es wichtig, dass große Mächte Vorbilder für Transparenz und Kommunikation sind.“ Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu habe seinem US-Kollegen gegenüber die vermehrten nachrichtendienstlichen Tätigkeiten Washingtons gegen Russland als eine Ursache für den Drohnenvorfall über dem Schwarzen Meer genannt. „Verstärkte nachrichtendienstliche Tätigkeiten gegen die Interessen der Russischen Föderation“ sowie die „Nichteinhaltung des Flugbeschränkungsgebiets“ hätten zu dem Vorfall geführt. Das Verteidigungsministerium in Moskau warnte, Russland sei „an einer solchen Entwicklung der Ereignisse nicht interessiert, wird aber weiterhin auf alle Provokationen verhältnismäßig reagieren“, hieß es.
Unabhängige Fachleute gehen davon aus, dass die relativ hoch und langsam fliegende Drohne von der russischen Luftverteidigung aufgefasst wurde, die daraufhin zwei Abfangjäger starten ließ, um die Identität des Flugobjekts zu klären, das sich wohl zumindest in der Nähe der russischen „Air Defence Identifikation Zone“ (ADIZ) befunden und vermutlich den Transponder ausgeschaltet habe. Nach Meinung der Experten verfügen „SU 27“-Abfangjäger über keine Einrichtung, um während des Fluges Sprit abzulassen. Ein Touchieren des Propellers der Drohne hätte bei einem Abfangjäger zu dessen Absturz geführt. Aus ihrer Sicht sei die Drohne durch die von den Manövern der Abfangjäger erzeugten, starken Turbulenzen abgestürzt.
Übungen von „B-52“-Langstreckenbombern über der Ostsee
Die beiden „B-52H“-Langstreckenbomber waren nach ihrem Abstecher ins Baltikum im spanischen Morón gelandet. Dort bildeten sie mit zwei weiteren „B-52H“ des „5th Bomb Wing“ die aktuelle Abordnung der sogenannten „Bomber Task Force“, in deren Rahmen die USA regelmäßig schwere Bomber für Patrouillen und Übungsflüge nach Europa und in andere Weltregionen schicken. Am Morgen des 20. März starteten zwei „B-52H“ der US Air Force vom spanischen Fliegerhorst Morón und flogen wieder in Estlands Luftraum, um über der Ostsee unter anderem mit Kampfjets aus Polen zu trainieren. Die russische Nachrichtenagentur TASS schrieb dazu: „Am 20. März 2023 entdeckten Radargeräte der diensthabenden Luftverteidigungskräfte des westlichen Militärbezirks zwei Luftziele über der Ostsee, die auf die Staatsgrenze der Russischen Föderation zuflogen. Die Ziele wurden als zwei strategische Bomber B-52H der US-Luftwaffe identifiziert”, zitiert die Agentur das russische Verteidigungsministerium. Die Abfangmission der „SU-35S“ sei „unter strikter Einhaltung des internationalen Luftrechts“ erfolgt. „Nachdem sich die ausländischen Militärflugzeuge wieder von der Staatsgrenze der Russischen Föderation entfernt hatten, kehrte das russische Flugzeug zu seiner Heimatbasis zurück.“
Von amerikanischer Seite gab es zu den Übungen über der Ostsee keine offizielle Erklärung, aber es steht zweifelsfrei fest, dass es diese Übungen unter Beteiligung von zwei „B-52H“ der US-Luftwaffe gegeben hat.
Geplante Lieferung von uranhaltiger Munition durch Großbritannien an die Ukraine
Am 20. März 2023 bestätigte die britische Verteidigungsministerin Annabel Goldie auf Nachfrage, London werde Kiew unter anderem auch panzerbrechende Munition liefern, die sogenanntes abgereichertes Uran enthält. Bei dieser Munition handelt es sich vermutlich um „Depleted Uranium Grenades“ vom Kaliber 120 Millimeter, die zur Bekämpfung von Panzern zum Einsatz kommen. Sie können theoretisch vom britischen Kampfpanzer „Challenger“, dem amerikanischen Kampfpanzer „M1 Abrams“ und vom deutschen Kampfpanzer „Leopard“ eingesetzt werden, weil alle drei Panzertypen über eine 120-Millimeter-Kanone verfügen, die von der deutschen Firma Rheinmetall hergestellt wird.
Die Bundeswehr verfügt über keine uranhaltigen Granaten, weil Deutschland diese Waffen im Wesentlichen aus zwei Gründen ablehnt: Aufgrund seiner hohen Durchschlagskraft dringt das Geschoss in den Kampfraum des getroffenen Panzers ein und verbrennt dort auch die Besatzung. Außerdem verursacht diese uranhaltige Munition durch ihre Strahlung dauerhafte Umweltschäden im Kampfgebiet. Bei Menschen, die sich in einem Gelände aufhalten, in dem diese Munition eingesetzt wurde, oder die mit Panzern in Berührung kommen, die von einem solchen Geschoss zerstört wurden, sind schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten.
Der russische Präsident Putin bezeichnete die von Großbritannien angekündigte Lieferung von uranhaltiger Munition als rote Linie und drohte gleichzeitig damit, in einem solchen Fall diese Art von Munition ebenfalls einzusetzen.
Zusammenfassende Bewertung
Die dargestellten Ereignisse haben die Spannungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg erheblich erhöht und – wenn man so will – einige Umdrehungen der Eskalationsschraube zur Folge. Das gilt im besonderen Maße für die USA und Russland. Der russische Außenminister Sergej Lawrow stellte im russischen Staatsfernsehen in diesem Zusammenhang fest:
„Alle Vorfälle, die einen Zusammenstoß der zwei Supermächte, der zwei größten Atommächte provozieren, führen zu großen Risiken.“
Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen, vor allem, was die völlig überflüssigen Provokationen wie Übungen der „B-52H“ über der Ostsee angeht. Die Frage ist, wie man diese Eskalationsschraube stoppen kann. Der frühere Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, war im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine bislang eher als „Hardliner“ einzuordnen, scheint seine Position jetzt aber überdacht zu haben und teilt die internationalen Sorgen über eine Eskalation des Krieges in der Ukraine und ein Hineinziehen weiterer Staaten in den Konflikt. Dazu hat sicherlich auch der Zwischenfall über dem Schwarzen Meer beigetragen, die erste direkte Auseinandersetzung der beiden Atommächte USA und Russland.
Ischinger fordert eine diplomatische Initiative aus Berlin, um die Ukraine zu unterstützen. Berlin müsse Verhandlungen vorbereiten und russische Forderungen durchdenken. In einem ZDF-Interview sagte Ischinger:
„Es ist die klassische Aufgabe des Auswärtigen Amts, für die Bundesregierung mögliche Verhandlungen vorzudenken.“
Die Bundesregierung müsse sich überlegen, ob sie auf bestimmte Forderungen Russlands eingehen wolle. Solche Szenarien müssten durchdacht werden. „Das ist nicht unsere deutsche Aufgabe allein. Das müssen wir mit den Balten, den Polen, mit anderen Nachbarn und mit der Ukraine durchkakeln.“ Jetzt sei die Zeit, sich vorzubereiten. Die Kritik, sein Vorschlag sei unrealistisch, weil Russland derzeit gar nicht verhandeln wolle, weist Ischinger zurück. Er wolle schließlich nicht jetzt die Ukraine zu Verhandlungen bringen, wohl aber solle man heute schon detailliert erarbeiten, was man künftig in möglichen Verhandlungen beitragen könne.
„Es gibt nicht schrecklich viele Leute hier in Berlin, die selber als Diplomat Friedensverhandlungen geführt haben. Ich habe das Erlebnis und die Erfahrung gehabt“, so Ischinger. Deswegen wisse er, dass Verhandlungen bestens vorbereitet sein müssten – etwa politisch und juristisch:
„Man kann da nicht einfach mit einer Zigarette im Mund reingehen und sagen: Jetzt machen wir mal. Das ist das Bohren dicker Bretter.“
Ischinger ist aus meiner Sicht zuzustimmen, dass man für Friedensverhandlungen auf ein möglichst breites Bündnis setzen müsse. Konkret nennt er Indien und Brasilien, dessen Präsident Lula da Silva sich ja bereits angeboten habe. Auf China setzt er keine großen Hoffnungen und die UNO erwähnt er gar nicht. Beides halte ich für einen Fehler, weil China einen 12-Punkte-Plan erarbeitet hat, für den man China beim Wort nehmen sollte. Erst dann wird man wissen, ob China wirklich dazu steht oder ob es sich nur um vollmundige Erklärungen handelt. Eine Beteiligung der UNO, die bislang noch nicht einmal einen Sonderbeauftragten für die Ukraine benannt hat, halte ich für absolut zwingend, und auch die OSZE sollte konkret in die Pflicht genommen werden.
In kritischen Situationen wird häufig vorschnell gesagt, es sei „5 vor 12“. Auf den Krieg in der Ukraine trifft es tatsächlich zu. Wenn das Gelände in der Ukraine nach dem Ende der „Matsch-Periode“ für gepanzerte Fahrzeuge wieder befahrbar sein wird und die russische Offensive begonnen hat, dann ist es 12 Uhr und damit zu spät.
Titelbild: Ein atomwaffenfähiger B-52-Bomber der U.S. Air Force – shutterstock / Allen J.M. Smith
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