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Titel: PCK Schwedt droht das Aus: „Dann ist hier wieder Wüste“ – Eine Betriebsrätin über Ursachen und Folgen

Datum: 21. März 2023 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Obwohl die Erdölraffinerie PCK in Schwedt eine der ostdeutschen „Erfolgsgeschichten“ darstellt, ist sie seit Mitte 2022 in existenzbedrohenden Schwierigkeiten. Inzwischen wurde sie unter die Treuhand-Verwaltung durch die Bundesnetzagentur gestellt. Dem Mehrheitseigner, dem russischen Konzern „Rosneft“, droht, enteignet zu werden – übrigens auf polnischen Wunsch, wie Medien berichten. Eine Klage dagegen wurde jüngst vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig abgewiesen. Peggy Lindemann arbeitet im PCK-Labor und ist Mitglied des Betriebsrates im Unternehmen. Für sie ist klar, dass sich Unternehmen und Beschäftigte wehren müssen. Das sagt sie bei einem Gespräch in Schwedt. Zugleich weiß sie, dass die Chancen, die Raffinerie in Schwedt aus eigener Kraft zu retten, kaum vorhanden sind. Von Tilo Gräser.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Anlass für die Krise der Raffinerie sind nicht irgendwelche wirtschaftlichen Probleme. Die Ursache ist politischer Natur: Die Bundesregierung hatte im Frühjahr 2022 wegen des Ukraine-Krieges beschlossen, kein russisches Öl mehr zu beziehen. Das kam bei PCK bisher über die „Druschba“-Leitung an, schon seit etwa 60 Jahren, gebaut noch in der Zeit der DDR. Seitdem das Öl-Embargo angekündigt und beschlossen wurde, zeigt sich, die Bundesregierung hat keinen „Plan B“ für Schwedt. Es gibt nur Versprechungen, keine schriftlichen Zusagen und eine unsichere Zukunft als vermeintlicher Standort für neue Technologien. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat nur das Prinzip Hoffnung zu bieten.

Seit die Öl-Zufuhr aus Russland Anfang des Jahres gestoppt wurde, ist die Raffinerie nur noch bis maximal 60 Prozent ausgelastet, wird berichtet. Peggy Lindemann verweist darauf, dass zugesagte Ersatz-Öl-Lieferungen aus dem polnischen Hafen Gdansk – neben solchen aus Rostock – nur „tröpfchenweise“ eintreffen. „Da liegt wohl noch ein Schiff, das wird nicht entladen.“ Nach ihrem Eindruck wird die Lieferung boykottiert, so die Betriebsrätin.

Das EU-Embargo richtet sich gegen russisches Öl aus Tankern. Kommt es aus anderen Quellen, kann es über die Häfen Rostock und Gdansk nach Schwedt geliefert werden. Allerdings sind im konkreten Fall die Tanker von „Rosneft“, was das Problem sein könnte. Lindemann berichtet, dass der geplante Neubau eine Pipeline vom Rostock zu PCK vom Bundeswirtschaftsministerium abgesagt worden ist. Das wäre notwendig gewesen, um die Lieferkapazität zu erhöhen.

Aber auch die von Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch vor Ort im September 2022 zugesagte EU-Fördergelder für die „Transformation“ der Raffinerie kommen nicht. Die 400 Millionen Euro würden nicht lockergemacht, weil der EU-Embargo-Beschluss nicht für Öl-Pipelines gilt, weiß Lindemann. „Die EU hat ja nicht die ‚Drushba‘-Leitung sanktioniert. Demzufolge sehen sie nicht ein, warum sie uns dieses Geld für den Transformationsprozess geben sollen.“

Absurde Situation

So gibt es die absurd anmutende Situation, dass Deutschland kein russisches Öl aus Pipelines mehr nimmt, während andere EU-Staaten das weiterhin machen – weil das Embargo dafür gar nicht gilt. Der EU-Beschluss bedeutet nur, Tanker-Öl wird nicht genommen. „Ich vermute, weil Herr Scholz eben sehr Biden-nah ist“, sagt die Betriebsrätin dazu. „Man muss ja nur gucken, wem nützt grad der Zustand?“ Die Belegschaft sei „ziemlich erbost“ gewesen, als Wirtschaftsminister Habeck bei seinen Besuchen in Schwedt im Mai und Juni 2022 das Embargo und die Folgen für die Raffinerie ankündigte. Sie selbst ist der Meinung, „dass wir uns nicht mehr schaden sollten als dem Land, gegen das die Sanktionen gelten“.

Der Grundtenor unter den Beschäftigten sei, dass es egal wäre, welches Rohöl verarbeitet wird: „Hauptsache, wir verarbeiten Rohöl. Sie würden sehr gerne das russische Rohöl weiterverarbeiten, weil wir damit noch nie Probleme hatten. Aber sie würden auch anderes Öl nehmen. Hauptsache, wir sind voll ausgelastet.“ Sie selbst fügt hinzu: „Das ist ja auch gar nicht unser Krieg, warum wir da überhaupt so mit reingezogen werden.“ Es könne nicht sein, dass Schwedt von seiner „Lebensader“ abgetrennt und dann sich selbst überlassen werde.

Laut Lindemann ist es für die Raffinerie nicht egal, woher das Rohöl kommt: „Die Öle sind unterschiedlich in ihrer Beschaffenheit und in ihrer Zusammensetzung. Das russische Rohöl ist sehr schwer und ist auch sehr schwefelhaltig. Unsere Anlagen sind auf dieses Rohöl ausgerichtet, das man schon seit 60 Jahren hier verarbeitet. Mit diesen anderen Ölen, die viel leichter sind in ihrer Zusammensetzung, haben wir auch keine Chance mehr, Bitumen herzustellen zum Beispiel.“ PCK habe bisher ein Drittel des Bitumens für ganz Deutschland produziert. Doch das geht nun ohne das russische Öl nicht mehr, was für die ostdeutsche Bauwirtschaft Probleme bringt.

Bei den Habeck-Auftritten hatten PCK-Mitarbeiter noch eine Ausnahme vom Embargo für die Raffinerie gefordert. Doch obwohl die möglich gewesen wäre, hat die Bundesregierung das abgelehnt. Der Wirtschaftsminister wollte darüber erst gar nicht reden, weil ja Russland bestraft werden müsste. Betriebsrätin Lindemann hatte Habeck schon am 9. Mai 2022 an seinen Amtseid erinnert, nach dem er Schaden vom deutschen Volk abzuwenden habe.

Politisches Desinteresse

Der Grünen-Minister habe ihre Bedenken über die Folgen sogar bestätigt, erinnert sie sich: „Ja, wir schaden uns wahrscheinlich mehr, und Russland wird weiterhin sein Öl verkaufen an die Länder, die sich nicht beteiligen an den Sanktionen. Aber wir müssen in diesen sauren Apfel beißen. Und wir müssen Russland Schaden zufügen, egal wie wir letztendlich dastehen.“

Die Betriebsrätin hatte sich auf die Begegnung vorbereitet und den Minister darauf hingewiesen, dass es kaum möglich sei, schnell neues Öl für Schwedt zu bekommen. Die bestehenden Lieferverträge seien meist für zehn, 20 Jahre abgeschlossen. „Und auch die Tanker auf der Welt sind ausgebucht. Das funktioniert alles nicht so, wie er sich das denkt. Das habe ich ihm alles so vorgerechnet.“ Doch Habeck und sein zuständiger Staatssekretär Michael Kellner interessieren sich bis heute nicht dafür, wie die weitere Entwicklung zeigt.

Die Raffinerie hatte bis Frühjahr 2022 keine wirtschaftlichen Probleme, wie die Betriebsrätin betont. Die seien erst durch die politischen Entscheidungen entstanden. „Wir hatten mit Russland überhaupt noch nie ein Problem. Wenn überhaupt, dann ist das immer von unserer Regierung ausgegangen. Frau Merkel wollte auch schon mal die Russen sanktionieren.“

Auf die Frage, warum Schwedt mit der Raffinerie PCK – die Abkürzung stammt vom einstigen Namen „Petrolchemisches Kombinat“ in der DDR – so wichtig ist, antwortet Lindemann nach eigener Aussage inzwischen skeptisch:

„Bis vor einem Jahr hätte ich gesagt: Wir sind unglaublich wichtig und ohne uns funktioniert hier überhaupt nichts, weil neun von zehn Autos in Berlin und Brandenburg mit unserem Sprit fahren. Und teilweise liefern wir nach Mecklenburg-Vorpommern und nach Polen und haben bis jetzt Waren in die Schweiz und nach Österreich verkauft. Mittlerweile bin ich da ein bisschen nüchterner geworden, weil das durchaus funktionieren kann, wenn die anderen Anlagen in Westdeutschland ihre Produktion einfach hochfahren und auch die Anlagen in Polen hochfahren und man den Rest einkauft, wie man jetzt ja den Diesel in Indien einkauft. Dann kann man uns durchaus ersetzen.“

Trostloser Ausblick

Wenn das PCK dichtmachen muss, „dann wird hier wieder Wüste“, sagt die Betriebsrätin. Schwedt sei um das PCK herum gebaut worden. Vorher habe es dort vor allem Tabakanbau gegeben. Nach den Industrieanlagen wurden die vielen Plattenbauten aus dem Boden gestampft. „Wir hatten zu unseren besten Zeiten 50.000 Einwohner. Jetzt sind wir knapp 30.000, haben aber die ganzen Dörfer und die ganzen Gemeinden im Umfeld eingemeindet, dass wir überhaupt auf diese Summe kommen.“

Schwedt habe dank des PCK auch ein Theater bekommen und ein großes Einkaufscenter, obwohl es keine Kreisstadt war. Das sei alles gefährdet bei einem Aus für die Raffinerie. Und: „Dann werden die jungen Menschen mit Familie wegziehen, dann bräuchten wir auch keine Schulen mehr, dann würden die Lehrer wegfallen.“ Das Theater werde vom PCK mitfinanziert und könne sich nicht allein tragen. Das gelte auch für die Sportvereine in Schwedt, die von dem Unternehmen unterstützt würden.

Leere Versprechungen

Habeck hat in Schwedt den Berichten zufolge viel versprochen: Jobsicherheit für die Zukunft. Doch die Belegschaft hat das nicht schriftlich, wie die Betriebsrätin auf eine entsprechende Frage sagt. Sie ist skeptisch. Wäre der politische Wille da, die Raffinerie in Schwedt zu erhalten, wäre das auch möglich, ist sie sich sicher. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Aber die wollen das gar nicht.“ Der Belegschaft sei eine Gehaltsgarantie für zwei Jahre zugesagt worden. Das bedeute, dass es auch ohne Arbeit oder mit Kurzarbeit 100 Prozent des Gehaltes gebe. „Diese Versprechen haben wir für zwei Jahre. Also für mich ist das ein Tod auf Raten.“ Der Minister habe garantiert, den Standort zu erhalten. Doch das gelte ja auch, wenn aus der Raffinerie nur noch ein Tanklager gemacht wird. „Dann würden hier noch zwölf Mann arbeiten.“ Zu den vermeintlichen Zukunftsaussichten laut Habeck dank „grüner“ Technologien wie dem „grünen Wasserstoff“ meint Lindemann nur: „Es passiert nichts und kein Mensch wird hier Geld investieren.“

Ruhige Belegschaft

Gefragt, wie die Belegschaft darauf reagiert, sagt sie: „Zu ruhig. Die nehmen das so hin.“ Viele hätten Angst und befänden sich dann in einer Schockstarre: „Dann machen die einfach nichts in ihrer Panik oder unter Schock. Viele hätten „diese irre Hoffnung“ und würden den Regierenden glauben, dass die „sich schon kümmern, die werden das schon machen, weil sie es versprochen haben“. Sie sage darauf, „in zwei Jahren brauchen wir nicht mehr auf die Straße gehen, wenn das Ding hier tot ist, da müssten wir jetzt was machen“. Einige hätten inzwischen bemerkt, dass sie belogen und getäuscht werden. „Aber im Grunde glauben die immer noch, irgendwie wird es schon gehen. Irgendeiner wird sie schon retten, der kommt uns erlösen.“

Die etablierten und vor allem die regionalen Medien berichten über die Vorgänge in und um die PCK-Raffinerie relativ ausführlich. Aber oft werden hauptsächlich die Sicht und die Aussagen der Regierungsvertreter wiedergegeben. Vielen Zitaten von Habeck und anderen Vertretern von Bund und Land stehen kaum welche von den Beschäftigten gegenüber. Ein Bericht der Zeitung „Der Tagesspiegel“ vom Juli 2022 über die Stimmung in Schwedt behauptete, „Misstrauen und Verschwörungstheorien machen sich breit“. Die Autorin verstieg sich zu folgender Äußerung: „Für Außenstehende scheint, als befördere die Druschba-Pipeline nicht nur Öl, sondern auch ein wenig russische Propaganda nach Schwedt. Und die nimmt vielen die Hoffnung auf eine gute Zukunft.“

„Sobald wir uns irgendwie anders äußern, sind wir sofort die ‚Russen-Freunde‘, die ‚Russen-Versteher‘ und ‚Putin-Versteher‘“, kommentierte Betriebsrätin Lindemann das. Zum Vorwurf, den Krieg in der Ukraine nicht zu verstehen, sagte sie: „Wenn man so ein bisschen in die Geschichte guckt, dann hat der Krieg ja eben nicht erst jetzt angefangen. Der läuft ja schon eine ganze Weile und er wurde sehr stark provoziert.“ Für sie ist klar: „Man muss eigentlich immer nur gucken, wem nutzt es, wem nutzt gerade die Situation. Mehr muss man nicht machen.“

Es gebe im PCK Mitarbeiter, die „vollstes Verständnis“ für die bundesdeutsche Embargo-Politik hätten. „Die würden auch eher das Öl kappen, als den Putin zu unterstützen. Da habe ich leider kein Verständnis für. Das sind halt eben auch die, die sich nicht wirklich informieren, die nur das, was sie in den Nachrichten hören, nachplappern.“

Polnisches Interesse

Meldungen zufolge hat der polnische staatsnahe Konzern PKN Orlen Interesse an der Raffinerie in Schwedt. Wenn das Unternehmen bei PCK einsteige, mache sich Deutschland von der polnischen Regierung abhängig, befürchten Beobachter. Warschau gehört auch zu den treibenden Kräften, die den bisherigen Mehrheitseigner Rosneft enteignet sehen wollen. Lindemann kommentiert das mit „Bauchschmerzen“. Polen gehöre bisher zu den Großabnehmern des in Schwedt produzierten Benzins. Doch als es um die Rohöl-Ersatzlieferungen über Gdansk ging, habe Warschau viele Bedingungen gestellt, bis hin zum Ausschluss von Rosneft.

„Wir haben noch gar nicht miteinander gearbeitet und jetzt werden 1.000 Bedingungen gestellt“, empört sich die Betriebsrätin. Von russischer Seite sei nicht eine Bedingung gestellt worden – „die haben uns 60 Jahre lang beliefert, ohne mit der Wimper zu zucken, egal, wie die geopolitische Situation war“. Trotz aller politischen Krisen sei immer aus Russland geliefert worden. „Die Polen sind noch gar nicht drin und stellen schon 1.000 Bedingungen.“

Sie hoffe immer noch auf ein Wunder, gesteht sie im Gespräch in einem Café in Schwedts Einkauf-Center nahe dem Bahnhof. „Ich hoffe immer noch, dass die „Druschba“-Leitung wieder aufgemacht wird.“ Doch sie befürchtet angesichts der Gesamtentwicklung, „dass Deutschland deindustrialisiert werden soll“. Das habe sie auch Bundeskanzler Scholz bei dessen Besuch vor Ort im September 2022 gesagt. Durch die Sanktionspolitik würden die Firmen aus Deutschland abwandern, weil Strom und Gas nicht mehr bezahlbar seien.

Bedrückende Erinnerungen

Der drohende Untergang von PCK und die damit verbundenen Folgen erinnern an die desaströse Deindustrialisierung der DDR und dann Ostdeutschlands ab 1990. Die PCK-Betriebsrätin kennt das nur aus den Erzählungen älterer Kollegen und Nachbarn. „Da war ich noch ein bisschen jung, da war ich zehn oder elf Jahre. Später, als ich im PCK gelernt habe, haben viele erzählt, wie es war, weil das ja ein einschneidendes Erlebnis war.“ Damals sei den Menschen auch in Schwedt Angst vor der Zukunft gemacht worden, weil die einstigen DDR-Betriebe und -Kombinate in der Marktwirtschaft keine Chancen hätten.

Viele hätten freiwillig gekündigt und sich lieber gleich was Neues gesucht, „bevor nachher alle auf der Straße sitzen und dann alle einen neuen Job suchen. Die haben das aber teilweise auch bereut, weil sie dann nie wieder die Chance hatten, einen Fuß ins PCK zu setzen. Ja, das war schlimm.“ Durch die Angst sei das Konkurrenzdenken untereinander sehr stark geworden: „Die haben sich dann gegenseitig angeschwärzt beim Chef und haben dafür gesorgt, dass die Leute entlassen wurden. Hauptsache, sie haben den Job behalten. Also, das war eine Katstrophe.“

Wegzugehen aus der Stadt, gar aus dem Land, wie es immer mehr Menschen machen, ist für die Betriebsrätin keine Alternative. Das komme für sie schon aus familiären Gründen nicht in Frage. „Da ich drei Kinder habe und die ja auch noch einen Papa haben, wäre das wohl nicht so einfach.“ Aber: „Wenn die mal auf eigenen Füßen stehen, könnte ich es mir vorstellen.“

Titelbild: © PCK Schwedt


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